BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR DIE NEUTESTAMENTLICHE WISSENSCHAFT 8 Religionsgeschichtliche Untersuchungen zu den Ignatiusbriefen von Heinrich Schlier Pfarrer Lie., Privatdozent an der Universität Jena ü V e r l ag von A l f r ed T ö p e l m a nn in G i e ß en 1929 Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft Die Beiheftreihe ist dazu bestimmt, größere Abbandlungen aus den voir der ZNW gepflegten Gebieten zu bringen, da die Zeitschrift selbst nur kürzere Aufsätze aufnehmen kann. 1. Der Einfluß pauiinischer Theologie im Markusevangelium. Eine Untersuchung von Priv.-Doz. Lic. Martin Werner in Bern. 1923. Mk. 6.— 2. Die formgeschichtliche Methode. Eine Darstellung und Kritik. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des synoptischen Problems von Priv.-Doz. Lic. Erich Fascher in Marburg. 1924. Mk. 7.— 3. Die Stellung des Apostels Paulus neben den Zwölf in den ersten zwei Jahrhunderten. Von Priv.-Doz. Dr. theol. Julius Wagen- mann in Heidelberg. 1926. Mk. 8.— 4. Celsus und Origenes. Das Gemeinsame ihrer Weltanschauung nach den acht Büchern des Origenes gegen Celsus. Von Lic. Anna Miura- Stange. 1926. Mk. 9.— e. Melchisedech, der Priesterkönig von Salem. Eine Studie zur Geschichte der Exegese. Von Domhilfsprediger Lic. Dr. phil. Gottfried Wut tke. 1927. Mk. 3.50 6. Die Geschichte des Reich-Gottes-Gedankens in der alten Kirche bis zu Origenes und Augustin. Von Pfarrer Lic. Robert Frick. 1928. Mk. 8.50 7. Von Valentin zu Herakieon. Untersuchungen über die Quellen und die Entwicklung der valentinischen Gnosis. Von Priv.-Doz. Lic. Werner Foersterin Münster. 1928. Mk. 6 — Im Druck befinden sich: 9. Das Rätsel des Jakobusbriefes. Von Prof. D. Arnold Meyer in Zürich. 10. ItyqpaXtoC ¡J-etby. Von Dr. phil. HansLewyin Berlin. 11. Cathedra Petri. Eine neue Untersuchung über die Anfänge der Primats- lehre. Von Prof. D. Dr. Hugo Koch in München. ALFRED TÖPELMANN / VERLAG / GIESSEN Religionsgeschichtliche Untersuchungen zu den Ignatiusbriefen von Heinrich Schlier Pfarrer Lic., Privatdozent an der Universität Jena Verlag von Alfred Töpelmann in (ließen 1929 Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche herausgegeben von Professor D. Hans Lietzmann in Berlin Beiheft 8 Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany Druck von H. L a u p p jr in Tübingen Vorwort Die vorliegende Untersuchung lag bis auf Einzelheiten im Fe- bruar 1926 bereits abgeschlossen vor. Nur bis zu diesem Zeitpunkt ist daher auch im Großen und Ganzen die Literatur verwertet, so daß die neueste Mandäerdebatte nicht mehr berücksichtigt wird. Dank der entgegenkommenden Unterstützung der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft kam die Arbeit im April 1928 zum Druck, der sich bis Mai 1929 hinzog. Meinem Lehrer, Herrn Professor D. R. Bultmann, sage ich auch an dieser Stelle für alle gebotene Belehrung herzlichen Dank. Casekirchen i. Thür., im Mai 1929. H. Schlier. IV Inhaltsverzeichnis Seite Einleitung: Aulgabe und Begrenzung der Arbeit 1—4 I. Teil Die Gestalt des Erlösers 5—81 1. Kap. Epheser cap. 19 5—32 2. Kap. Die Gestalt d. Erlösers außerhalb von Epheser cap. 19 32—81 1. Der Erlöser und Gott 33—42 a) Die Präexistenz des Erlösers S. 33—34. b) Die Offenbarung Gottes im Erlöser und dessen »Hervorgang« S. 34—39. c) Die Einheit des Erlösers mit seinem Vater vor und wäh- rend seiner Offenbarungstätigkeit S. 39—42. 2. Der Aufenthalt des Erlösers auf der Erde und seine Offenbarungstätigkeit 42—67 a) Die Geburt aus der Jungfrau Maria S. 42—43. b) Die Taufe Jesu S. 43—48. c) Jesus als Pflanzer S. 48—54. d) Jesus als Lehrer und Gesetzgeber S. 55—57. e) Jesus als Bringer der Gnosis S. 58—65. f) Jesu sonstige Tätigkeit S. 65—67. 3. Die letzten Schicksale des Erlösers. . . . 67—77 a) Die Verfolgung des Gesandten S. 67. b) Die Kreuzigung, der Tod und die Auferstehung Christi S. 67—70. c) Das nd&oe des Erlösers S. 70—72. d) Die Höllenfahrt Christi S. 72—76. e) Die Rückkehr Jesu zum Vater S. 76—77. 4. Die Beinamen des Erlösers . . 77— IL Teil. Christus und die Kirche 82—1244 3. Kap. Epheser cap. 17 82—844 4. Kap. Bezeichnungen der erlösten Kirche 84—888 5. Kap. Christus als die xe<paXi5 und die Kirche als sein offi|ia 88—977 6. Kap. Christus und die Evusi; der Kirohe 97—1022 7. Kap. Das ndfrog Christi und die Kirohe 102—1100 8. Kap. Die Christi 110—1244 in. TeiL Märtyrer und Fneumatiker 125—1744 9. Kap. Weltbild und Anthropologie des Ignatius.... 125—1355 1. Das Weltbild 135—1300 2. Die Anthropologie 131—1355 10. Kap. Der Weg des Märtyrers und Pneumatiken . . . 135—1744 1. Die Himmelsreise 136—1400 2. Der Pneumatiker 140—1522 3. Das realistisch-symbolischeScbicksaldesMärtyrers 152—1744 a) Die »Gefangenschaft« und »Unwürdigkeit« des Märtyrers S. 153—157. b) Das rcd&og des Märtyrers (Der Märtyrer und Christus) S. 158—165. c) Der Märtyrer und die Gemeinde S. 165—169. d) Die Vollendung des Märtyrers S. 169—174. Schluß. Ergebnis und Andeutung der weiteren Aufgabe . . . 175—1811 Literaturnachweis nebst Abkürzungen 182—1888 Sammelwerke und Zeitschriften 1888 I Einleitung: Aufgabe und Begrenzung der Arbeit. Die vorliegende Arbeit stellt sich zur Aufgabe, die sieben, wie man heute fast allgemein zugibt, von dem Bischof und Märtyrer Ignatius von Antiochien verfaßten ignatianischen Briefe auf ihren religionsgeschichtlichen Gehalt zu untersuchen. Und zwar um zweier einander bedingenden Ziele willen: einmal um den Ort, den die Briefe innerhalb der Geschichte des Urchristentums einnehmen, auf- zusuchen, zweitens um zum Wortverständnis der Briefe selbst zu gelangen, das durch die bisherigen Arbeiten nach eigener Aussage ihrer Verfasser in manchen Einzelheiten nicht erreicht ist. Die vorliegende Untersuchung betrachtet sich daher in zwei- iacher Hinsicht als Vorarbeit: einmal, sofern sie nicht eine Dar- stellung der Theologie des Ignatius sein will, sondern nur eine Er- klärung der hinter seinen religiösen Begriffen liegenden (z. T. mytho- logischen) Vorstellungen; zum andern, sofern sie nicht den Ort in der theologiegeschichtlichen Entwicklung des Urchristentums be- stimmen will, den die Ignatiusbriefe einnehmen, sondern sich auf die Festlegung des historischen Umkreises beschränkt, in dem die von Ignatius gebrauchten Begriffe, Bilder und Vorstellungen le- bendig waren. Solche Vorarbeit erscheint notwendig aus der Sache selbst und aus dem Stand der Forschung bezüglich der Ignatiusbriefe. Denn wir können diese nicht verstehen ohne die Eigentümlichkeit ihrer Sprache durch eine Untersuchung des Vorstellungsgehaltes der einzelnen Worte und Bilder und ihrer Zusammenhänge genü- gend aufgeklärt zu haben. Das heißt: Ignatius kann zunächst nur von der gleichzeitigen, sowohl kanonischen wie außerkanonischen christlichen, jüdischen und hellenistischen Literatur her ausgelegt werden. Dieses selbstverständliche Prinzip ist zu erwähnen, weil die größere Literatur über Ignatius es bisher (mit zwei Ausnahmen) nicht gelten ließ und man auch im allgemeinen sich scheut, das, Schlier, Religioiugeschichtl. Untersuchungen. I 2 Einleitung: Aufgabe und Begrenzung der Arbeit. was sich für die neutestamentlichen Schriften allmählich durchgesetzt hat, auf die Anfänge der patristischen Literatur anzuwenden. Damit sollen die Verdienste der bisherigen Arbeiten über Ignatius nicht geschmälert werden, sondern nur begründet werden, warum man in Beziehung auf ihn immer noch Vorarbeit leisten muß. Die ersten grundlegenden Bemühungen unternahmen mit der Herstel- lung eines gesicherten Textes, Begründung des Umfanges der echten Briefe und reichhaltiger Kommentierung Th. Zahn (1874) und be- sonders J. B. Lightfoot (1889). Mitgearbeitet haben alle diejenigen, die in Schrift und Widerschrift die Echtheit bezw. Unechtheit der einzelnen Briefe verteidigten. Auch an Darstellungen der Theologie des I. fehlte es nicht, obwohl sie an der Bedeutung des Gegen- standes gemessen zahlreicher zu erwarten wären. Aber gerade diese Arbeiten — außer Th. Zahn (1874) und außer den Abschnitten in den Dogmengeschichten von A. v. Harnack4, Loofs4 und See- berg2: von der Goltz (1894); Bruston (1897); Stahl (1901); Rackl (1914) — haben sich mehr oder weniger der Herausstellung des Sachgehaltes der ignat. Schriften gewidmet, ohne die religions- geschichtlichen Parallelen zur Erklärung des Wortlautes in vollem Umfange heranzuziehen, und kamen dadurch oft zu nur modernen Deutungen der Texte. Für die historische Einordnung hatte diese Einstellung zur Folge, daß man einerseits jede »direkte Beeinflus- sung des Ignatius durch Anfänge gnostischer Schulen oder Sekten anzunehmen« für »ganz verfehlt« hielt (v. d. Goltz S. 153 f. Vgl. Bruston S. 113), sich aber doch nicht des Eindruckes »griechischer Interessen« (v. d. Goltz S. 146) und »platonisierender Spekulationen« (S. 148) sowie einiger Einflüsse des »antiken Mysterien Wesens« (S. 146 Anm. 1) erwehren konnte; daß man auf der anderen Seite Ignatius einen Platz innerhalb einer »kleinasiatischen Theologie« (Loofs RE3 IV S. 30) anwies, gegen deren Konstruktion schon Harnack mit Lebhaftigkeit protestierte1. Beides erwies sich als historisch unrichtig, als Bousset in einem größeren Abschnitt seines »Kyrios Christos« (1913, 2. Aufl. 1921) Ignatius in den Zusammenhang der wirklichen Religionsgeschichte stellte, was unter dem bestimmten Gesichtspunkt der Eucharistie als Mysteriendrama Wetter 1921 mit vielen neuen Gesichtspunkten wiederholte2. Aber Bousset sah die Entwicklung des Urchristen- 1 Chronologie I 1897 S. 397 Anm. Dogmengeschichte1 I S. 168. * Auch W. Bauers Kommentar zu den Ignatiusbriefen geht, wenn auch zögernd, diesen Weg. Einleitung: Aufgabe und Begrenzung der Arbeit. 3 tums zu sehr unter dem Gesichtspunkt einer Scheidung palästi- nensischen und hellenistischen Christentums, ohne eine dritte Größe grundsätzlich aus dem Allgemeinbegrifif des hellenistischen Christen- tums herauszuheben: das syrische Christentum. So erschien ihm Ignatius als Vertreter der hellenistisch-kultischen Frömmigkeit, der gegenüber das Christentum des i. Clemensbriefes, des Pastor Her- mae, des Barnabas, des 2. Clemensbriefes als entschränktes Diaspo- rajudentum zu bezeichnen sei. Nicht als ob dieser Gegensatz nicht zu Recht angenommen würde, aber er übersieht die Mannigfaltig- keit der urchristlichen Religion und unterschätzt Syrien als den Teil des Schauplatzes, auf dem (neben den angrenzenden Teilen Nordpalästinas) Judentum und Hellenismus nie als zwei reinlich getrennte Größen auftraten, und auf dem das Christentum als Erbe dieses »syrischen« Synkretismus selbst noch eine dritte Verbindung einging: mit religiösen Elementen iranischer Herkunft, die, wie man immer mehr erkennt, schon seit dem 4./3. Jahrhundert v. Chr. vom Osten in diese Gebiete wanderten1. Auf diesen dritten Faktor hat wiederholt, am ausführlichsten in seinem Buch: »Das iranische Erlösungsmysterium« (1921) Reitzenstein aufmerksam gemacht auf Grund der in den letzten Jahrzehnten gefundenen und erschlossenen manichäischen und der von Lidzbarski neuestens durch Ueber- setzungen zugänglich gemachten mandäischen Texte2. Sind diese, wie nicht mehr zu leugnen ist, für die Erklärung des Johannes- Evangeliums und zahlreicher apokrypher christlicher und gnostischer Schriften von großer Bedeutung, so ist die Frage ihrer Beziehung zu den Ignatiusbriefen, deren Zusammenhang mit dem Johannes- Evangelium von jeher empfunden wurde, nicht zu umgehen. Die Schriften des Ignatius selbst weisen uns in erster Linie nach Syrien. Können wir den religionsgeschichtlichen Hintergrund seiner Worte, Bilder und Vorstellungen einigermaßen aufhellen, so haben wir neben dem ersten Schritt zum Verständnis seiner eigenen Aussagen etwas zur Verdeutlichung der Religionsgeschichte Syriens gewonnen, deren Bedeutung mangels literarischer Ueberlieferungen leicht unterschätzt werden kann3. Wir haben aber auch, da das 1 Vgl. v. Wesendonk a. a. O. S. 211. Reitzenstein, Kyrkohistor. Ärsskrift 1922, S. 102 f. 2 Eine Uebersicht über diese Literatur gibt Greßmann in ZKG Bd. XL, XLI, NF III und IV 1922 S. 178 ff. bzw. S. 154 fr. Die Uebersetzung des mandäischen Ginza durch M. Lidzbarski ist nach der Niederschrift dieser Arbeit erschienen und nachträglich noch benutzt. 3 Vgl. E. Peterson ThLZ 1923 No. 20 Sp. 412 und Bultmann ZNW 1925 S. 145. I * 4 Einleitung: Aufgabe und Begrenzung der Arbeit. Datum der ignatianischen Briefe ziemlich sicher zu bestimmen ist (ca. 110—117 n. Chr.), damit die Möglichkeit, einige andere mit ignatianischen Vorstellungen sich berührende urchristliche Schriften besser zu verstehen und sie örtlich und zeitlich genauer zu re- gistrieren. Die Untersuchung der sieben Ignatiusbriefe unter Berücksich- tigung der vorgelegten Gesichtspunkte ist das Ziel der folgenden Arbeit. Sie verteilt ihren Stoff auf drei aus den Briefen selbst sich ergebende Themata: 1. Die Gestalt des Erlösers. 2. Der Erlöser und die Kirche. 3. Märtyrer und Pneumatiker. Aus der von den bisherigen Untersuchungen abweichenden Aufgabe ergibt sich, daß die Auseinandersetzung mit ihnen meist nur stillschweigend oder anmerkungsweise geführt wird.