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Religion und Säkularisierung: Ein interdisziplinäres Handbuch PDF

381 Pages·2014·6.186 MB·German
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~ J.B.METZLER Herausgegeben von Religion Thomas M. Schmidt und Annette Pitschmann und Säku- larisierung Ein interdisziplinäres Handbuch Verlag J. B. Metzler Stuttgart · Weimar Die Herausgeber Thomas M. Schmidt ist Professor für Religions philosophie am Fachbereich Katholische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt. Annette Pitschmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Katholische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-476-02366-7 ISBN 978-3-476-05313-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-05313-8 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 2014 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 2014 www.metzlerverlag.de [email protected] V Inhaltsverzeichnis I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 III. Kategorien 1. Das Böse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 II. Konzepte 2. Fortschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Säkularisierung ohne Profanisierung? Durkheim über die integrative Kraft 3. Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 religiöser Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 4. Fundamentalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Entzauberung der Welt und okzidentale 5. Das Heilige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Rationalisierung (Weber) . . . . . . . . . . . . 14 6. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 3. Rationalisierung der Gesellschaft 7. Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 als  Versprachlichung des Sakralen 8. Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (Habermas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 9. Neutralisierung/Neutralität . . . . . . . . . . 233 4. Säkularisierung als immanente 10. Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Eschatologie? (Hegel, Troeltsch, 11. Pluralismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Löwith) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 12. Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 5. Eigenständigkeit der Moderne 13. Religiosität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 (Blumenberg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 14. Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 6. Religiöser Pluralismus und unsichtbare 15. Toleranz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Religion in der säkularen Gesellschaft 16. Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 (Berger, Luckmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 17. Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 7. Zivilreligion (Rousseau) . . . . . . . . . . . . . 77 8. Religion in der Perspektive der System- theorie Luhmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 IV. Konflikte 9. Religion als Sinn für das Mögliche 1. Glauben und Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (James, Dewey) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Religion und Wissenschaft . . . . . . . . . . . 305 10. Öffentliche Religionen im säkularen 3. Religion und Menschenrechte . . . . . . . . 318 Staat (Casanova) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4. Religion und säkularer Rechtsstaat . . . . 330 11. Immanente Ausdeutung und religiöse 5. Säkularisierung und Option: Zur Expressivität des säkularen Weltgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Zeit alters (Taylor) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 6. Säkularisierung und die 12. Wiederkehr der Götter? Die These Welt religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 von der Revitalisierung der Religion (Riesebrodt, Pollack) . . . . . . . . . . . . . . . . 139 V. Anhang 13. Postsäkulare Gesellschaft? Zur Dialektik von Säkularisierung und 1. A uswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . 371 De-Säkularisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . 372 14. Multiple Modernities (Eisenstadt) . . . . 164 3. Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 1 I. Einleitung ›Religion‹ und ›Säkularisierung‹ sche Resonanz erfahren. Unter den Stimmen, die das Konzept der Säkularisierung infrage stellen, Die beiden Begriffe, die im Titel dieses Bandes lassen sich dabei zwei Stoßrichtungen unter- aufeinander bezogen werden, erscheinen auf den scheiden. Auf der einen Seite stehen solche Kri- ersten Blick asymmetrisch. Das Konzept der Re- tiker, die eine neue Sichtbarkeit der Religion im ligion bezieht sich auf ein durch die Zeit konstan- öffentlichen Raum konstatieren und die Säkulari- tes Phänomen; das Konzept der Säkularisierung sierungsthese angesichts dessen als faktisch über- beschreibt im Unterschied dazu einen Prozess holt betrachten. Unter Stichworten wie dem des des Wandels. Wer von ›Religion‹ spricht, verbin- »postsäkularen Zeitalters« (Habermas 2003), der det damit in der Regel ein Ensemble von Über- »desecularization« (Berger 1999) und der »Rück- zeugungen, Praktiken und Einstellungen; die kehr der Religionen« (Riesebrodt 2001) charakte- Rede von der ›Säkularisierung‹ dagegen bezeich- risieren sie die Gegenwart als ein Zeitalter, das net nicht etwa ein alternatives Set an Sätzen, maßgeblich durch eine dialektische Gegenbewe- R itualen und Haltungen, sondern vielmehr eine gung zur Säkularisierung gekennzeichnet ist. gesellschaftliche Dynamik, die offenlegt, dass die Auf der anderen Seite finden sich solche An- Religion keineswegs alternativlos ist. sätze, die zwar die Säkularisierungsthese im Während die Leitbegriffe dieses Buchs also zu- Sinne des eben genannten deterministischen nächst grundlegend Verschiedenes bezeichnen, Kausalzusammenhangs zurückweisen, sie des- weisen sie andererseits im Hinblick auf ihren de- halb jedoch nicht als überholt, sondern vielmehr finitorischen Status eine Gemeinsamkeit auf. So als differenzierungsbedürftig ansehen. Hans Joas handelt es sich bei beiden um problematische, etwa betrachtet die »Krise der Säkularisierungs- d. h. nicht einschlägig bestimmbare Konzepte, theorie« keineswegs als den Appell, das mit ihr die in jedem Einzelfall ihrer Verwendung der er- behauptete empirische Phänomen zu bestreiten, neuten Klärung bedürfen. Die Beobachtung, dass sondern vorrangig als die Aufforderung, »nach sich der Begriff der Religion nicht allgemein gül- dessen Erklärung erst richtig [zu] frag[en]« (Joas tig abgrenzen lässt, ist dabei in Religionswis- 2012, 606). Ähnlich spricht sich Volkhard Krech senschaft, Religionsphilosophie und Theologie dafür aus, das Säkularisierungskonzept nicht als gleichermaßen zum Allgemeinplatz geworden. »Mythos«, sondern als »These« zu verstehen, Funk tionalistische Ansätze, die das Phänomen »die es – unter bestimmten Präzisierungen – zu der Religion über seine Effekte, wie beispiels- festigen gilt« (Krech 2012, 567). Maßgeblich ist weise die Kontingenzbewältigung durch den Ein- für ihn dabei die Beobachtung, dass die Unter- zelnen oder die Stabilisierung eines sozialen Kol- scheidung zwischen ›religiös‹ und ›säkular‹ in lektivs zu bestimmen versuchen, haben dabei der Debatte über den gesellschaftlichen Status ebenso wenig das letzte Wort behalten wie sub- des Religiösen faktisch zur unhintergehbaren stanzialistische Versuche, das mit ›Religion‹ Ge- Leitdifferenz geworden ist. Im Anschluss an eine meinte über ein gemeinsames inneres Struktur- u. a. von Talal Asad artikulierte Einsicht räumt er merkmal einzugrenzen. ein, dass es sich bei dieser Differenz um eine Aber auch darüber, was das Konzept der Säku- »kontingente soziale Konstruktion« handelt. larisierung besagt, herrscht keineswegs Einigkeit. Dessen ungeachtet strukturiere sie jedoch nach Die klassische Säkularisierungsthese, der zufolge wie vor nicht nur die theoretische Reflexion auf die Modernisierung geradlinig und unaufhalt- den Stellenwert der Religion, sondern zugleich sam zum Bedeutungsverslust und schließlich auch die Denk- und Gefühlsmuster unserer Pra- zum Verschwinden der Religion führt, hat kriti- xis (ebd., 569). 2 I. Einleitung Der Ansatz, der diesem Handbuch zugrunde andererseits als die Analyse der Bedeutung und liegt, schließt an diese Einsicht an. Dementspre- Geltung von Wertvorstellungen und Ideen lesen. chend werden die skizzierten Ambivalenzen In diesem Sinne unterscheidet Detlef Pollack in nach keiner Seite hin aufgelöst. ›Religion‹ und einer 2013 erschienenen Bestandsaufnahme zum ›Säkularisierung‹ werden vielmehr als Begriffe Säkularisierungsdiskurs zwischen der »deskrip- betrachtet, deren Bedeutung der Dynamik anhal- tiv-quantitativen« und der »genealogisch-quali- tender Diskurse unterliegt, während sie eben tativen« Verwendung des Säkularisierungskon- diese Diskurse zugleich strukturieren. Damit zeptes. Erstere fokussiere die »Verschiebungen wird anerkannt, dass der Gehalt beider Konzepte des Bedeutungsanteils, den Religion in Gesell- durch ihren spezifischen Kontext bedingt ist. schaften einzunehmen vermag« (Pollack 2013, Gleichzeitig wird unterstellt, dass die Leitkatego- 8), während letztere die »Transformation des rien von ›religiös‹ und ›säkular‹ im Sinne induk- B edeutungsgehalts« (ebd.) in den Blick nehme, tiv ermittelter Arbeitshypothesen dazu geeignet die ursprünglich im theologischen Kontext ver- sind, neue Erkenntnisse einerseits über das span- wurzelte Begriffe durch ihren Übertritt in die nungsreiche Verhältnis zwischen Glaube und Denkvoraussetzungen der Moderne erfahren. Vernunft, andererseits über die Beschaffenheit gegenwärtiger Gesellschaften zu generieren. In- dem wir darüber reflektieren, auf welche Weise Eine interdisziplinäre Perspektive wir diese Kategorien verwenden, stoßen wir auf alternative Optionen, sie zu deuten. Diese Alter- Folgt man dieser Analyse der gegenwärtigen nativen wiederum erhellen unseren Blick darauf, Debatte, so bilden die genannten Verwendungs- welche Themen mit den fraglichen Konzepten weisen nicht so sehr konkurrierende Deutungen auf dem Spiel stehen. des Säkularisierungsbegriffs, als vielmehr kom- Konkret bedeutet dies im Hinblick auf den plementäre Perspektiven auf seinen Gehalt ab: Religionsbegriff, dass die bereits angedeutete Kon- Während der in den Gesellschaftswissenschaften troverse zwischen funktionalistischen und sub- geführte Diskurs vorrangig auf den »quantitati- stanzialistischen Bestimmungsversuchen nicht ven« Sinn des Konzepts abzielt, steht im Kontext zu entscheiden, sondern vielmehr daraufhin aus- von Philosophie und Geschichtswissenschaften zuwerten ist, inwieweit sie über die Struktur des seine »qualitative« Bedeutung im Vordergrund Phänomens Aufschluss gibt. Dabei wird deutlich, (vgl. Pollack 2013, 8). dass Religion einerseits eine Außenansicht auf- Dieser Einsicht entspricht die Konzeption die- weist, die sich in Begriffen ihrer Dienste für an- ses Handbuchs, indem sie Beiträge aus unter- dere Dimensionen menschlicher Existenz be- schiedlichen Disziplinen versammelt. Auf der ei- schreiben lässt. Das Phänomen des Religiösen, so nen Seite finden sich Einträge aus sozial- und der Ertrag des funktionalistischen Ansatzes, lässt religionswissenschaftlicher Perspektive, wie bei- sich betrachten in seiner Beziehung auf soziale spielsweise die Diskussion der Revitalisierungs- oder psychologische Phänomene. Betrachtet these im Rahmen der Konzepte (Julien Winandy ), man im Gegensatz dazu die Intuition, die den die Auseinandersetzung mit dem Phänom en des substanzialistischen Zugriffen auf den Religions- Fundamentalismus im Rahmen der Kategorien begriff zugrunde liegt, tritt die komplexe Binnen- (Tom Kaden ) und die Analyse des Spannungsfel- struktur der unter diesem Konzept subsumierten des zwischen Säkularisierung und Weltreligionen Erscheinungen in den Vordergrund. Religion er- (Karsten Schmidt) . Daneben stehen Überlegun- weist sich dann als Geflecht von Überzeugungen gen aus dem Blickwinkel der politischen Philoso- und Einstellungen, das an erster Stelle eine Ana- phie, wie etwa die Erörterung der Stichworte lyse von Geltungsansprüchen zu fordern scheint. Neutralität (Christian Polke ), Toleranz (Rainer Ähnlich lässt sich die Rede von der Säkulari- Forst ) oder Souveränität (Francesca Raimondi) sierung einerseits als die Beschreibung eines nach oder des Konfliktes zwischen Religion und Men- außen sichtbaren gesellschaftlichen Vorgangs, schenrechten (Kirstin Bunge ). 3 Als Besonderheit des hier vorgelegten Bandes Säkularisierungsdebatte in Vergangenheit und mag dabei gelten, dass die begrifflich-qualitative Gegenwart maßgeblich geprägt haben bzw. prä- Sicht auf das Verhältnis zwischen Religion und gen. Sie haben zum Ziel, die zentralen Werke Säkularisierung nicht der politischen Philoso- von einschlägigen Autoren vor ihrem jeweiligen phie vorbehalten bleibt, sondern darüber hinaus geschichtlichen Hintergrund kritisch zu rekon- vom Standpunkt der Religionsphilosophie bzw. struieren. Auf diese Weise schaffen sie ein Be- der systematischen Theologie untersucht wird. wusstsein für die vielfältigen Möglichkeiten, die Neben die Reflexion auf die Geltungsvorausset- Situation der Religion in der Moderne zu be- zungen gesellschaftlicher Werte tritt damit die schreiben. kritische Analyse der Geltungsbedingungen spe- Die unter der Überschrift »Kategorien« ver- zifisch religiöser Überzeugungen. Als Beispiele sammelten Beiträge analysieren diese Situation dafür lassen sich die Beiträge zu den Kategorien jeweils aus der Perspektive eines Leitbegriffs. Da- von Religiosität (Michael Reder , Dominik Fin- bei wurden Schlagworte gewählt, die im Kontext kelde ) und Welt (Knut Wenzel) sowie zum Kon- der Säkularisierung in den Vordergrund treten flikt zwischen Glauben und Wissen (Sebastian und dabei eine spezifische Prägung erfahren. Zu- Maly ) anführen. gleich – so die Arbeitshypothese – wirken sie ih- Entscheidend ist dabei, dass weder die Blick- rerseits auf das Phänomen der Säkularisierung winkel der Soziologie und der politischen Philo- und stellen von daher geeignete Kategorien zu sophie noch jener der Religionsphilosophie eine seiner Deutung dar. Die säkulare Moderne tritt Vorentscheidung darüber bedeuten, wie die hier also unter der Rücksicht in Erscheinung, Veränderung der Existenzbedingungen von Re- dass sie den konstitutiven Verwendungszusam- ligion durch die Säkularisierung zu bewerten menhang von Begriffen darstellt. Die spezifische ist. Auch in dieser Hinsicht schließt sich die Bedeutung, die den hier erörterten Stichworten Konzeption des Handbuchs implizit an eine Be- dabei jeweils zukommt, erhellt ihrerseits die cha- obachtung Pollacks an, der zufolge »Wertun- rakteristischen Bedingungen, unter denen sich gen« im Kontext säkularisierungstheoretischer die Religion in der jüngeren Vergangenheit und Analysen »oftmals seitenverkehrt ausfallen« der Gegenwart wiederfindet und lässt die spezifi- (Pollack 2013, 5). So fänden sich einerseits schen Problemstellungen, die damit verbunden Theologen, die der Säkularisierung einen positi- sind, hervortreten. ven Effekt auf die Religion zuschreiben – Pol- Im letzten Teil des Handbuchs werden »Kon- lack verweist hier auf die programmatische flikte« dargestellt und diskutiert, die für die Situa- Rede Benedikts XVI. von einer »Entweltli- tion einer säkularen Welt symptomatisch sind. chung« der Kirche (vgl. ebd., 5) – als auch um- Dabei wird das Paradigma des säkularen Zeital- gekehrt Gesellschaftsphilosophen und Sozio- ters auf einige seiner Aspekte hin verdichtet, dar- logen, welche die Säkularisierung als eine unter das Phänomen der globalisierten Gesell- »Verlustgeschichte« beschreiben (vgl. ebd., 8.). schaft, die Institution des säkularen Rechtsstaats und die Vorherrschaft wissenschaftlicher Ratio- nalitätsstandards. Aus diesen Gesichtspunkten Zum Aufbau des Handbuchs erwachsen spezifische Rahmenbedingungen, in deren Horizont sich religiöse und säkulare Ten- Dieser Band widmet sich der Situation der Reli- denzen gleichermaßen zu verorten haben. Diese gion in der Moderne, indem er ihre dialektische Spannungsfelder werden im vorliegenden Band Beziehung zum Phänomen der Säkularisierung als ein dritter Weg herangezogen, um das kom- in den Blick nimmt. Dabei beleuchtet er das plexe Verhältnis zwischen Religion und Säkulari- Verhältnis zwischen Religion und Säkularisie- sierung zu klären. rung aus drei verschiedenen Perspektiven. Die Der zu Beginn dieser Einleitung skizzierten Beiträge des ersten Teils unter der Überschrift Annahme folgend, dass die Schlüsselbegriffe von »Konzepte« stellen Positionen vor, welche die Religion und Säkularisierung eine prinzipielle 4 I. Einleitung Ambiguität aufweisen, wurde darauf verzichtet, eine Ära der Religionskritik reduzieren, in de- die Autoren dieses Bandes auf ein einheitliches ren Folge die Religion ihre Plausibilität verliert. Verständnis festzulegen. Stattdessen wurden sie Vielmehr ist in ihm zugleich auch das Bestreben aufgefordert, den jeweils unterstellten Sinn des angelegt, Religion ihrerseits als ein kritikfähiges Religiösen bzw. des Säkularen im erforderlichen Phänomen auszuweisen. Unter anderem die un- Maß transparent zu machen. Als Resultat dieses ter den Überschriften »Kritik« (Michael Reder ) Vorgehens spiegeln die Einträge des Handbuchs und »Glaube und Wissen« (Sebastian Maly ) an- die Vielfalt der Deutungen wieder, die mit den gestellten Überlegungen schreiben diese Ein- Phänomenen von Religion und Säkularisierung sicht fort, indem sie unterstreichen, dass religi- sowie mit der Bestimmung ihres Verhältnisses öse und säkulare Positionen jeweils Potenziale verbunden werden. zu einer wechselseitigen Kritik bergen. Die für So wird Religion im Kontext der Überlegungen das moderne Bewusstsein maßgeblichen nor- von Thomas Luckmann und Peter L. Berger (Se- mativen Ansprüche, so zeigen es beispielsweise bastian Schüler) oder Émile Durkheim (Arvi Sär- die Beiträge zu »Neutralität« (Christian Polke) kelä) als das Zusammenspiel spezieller Vorstel- und »Rationalität« (Annette Pitschmann ), stel- lungen bzw. Überzeugungen mit bestimmten len demnach keine einseitigen Forderungen des Formen von Institution und Ritus betrachtet, säkularen Denkens an die Angehörigen der Re- welches in der Rekonstruktion Georg Wilhelm ligionen dar, sondern erweisen sich als der ge- Friedrich Hegels (Jörg Dierken ) als Form des ›ab- meinsame Rechtfertigungshorizont säkularer soluten Geistes‹ reflektiert wird, während sie und religiöser Perspektiven. in der Säkularisierungstheorie José Casanovas Die Konzepte von Religion und Säkularisie- (Herm ann-Josef Große Kracht) vorrangig in Be- rung als solche sind ebenso wie das Verhältnis griffen des Gegensatzes zwischen ›öffentlich‹ und zwischen ihnen durch eine hohe Komplexität ge- ›privat‹ beschrieben wird. Ähnlich uneinheitlich prägt. Der vorliegende Band reagiert darauf nicht markiert das Konzept der Säkularisierung bei- mit dem Versuch, diese Komplexität zu reduzie- spielsweise bei Charles Taylor (Michael Kühn- ren und eine weitere Erklärung für die genannten lein) die durch die Optionalität des Religiösen Phänomene zu entwerfen. Vielmehr verfolgen geprägte Rahmenbedingung spiritueller Erfah- die hier vorgelegten Texte das Anliegen, jeweils rungen, während es bei Hans Blumenberg (Mi- einen Ausschnitt der angedeuteten Verflechtun- chael Moxter ) als leitende Metapher dient, um gen unter die Lupe zu nehmen und damit zur ih- die Emanzipation gesellschaftstragender Gedan- rer Klärung beizutragen. ken aus der Vorherrschaft der theologischen Ter- Vorbereitende Untersuchungen, die in diesem minologie zu beschreiben und die Legitimität Band ihren Niederschlag fanden, wurden in er- dieses Vorgangs herauszustellen. In den Reflexio- heblichem Maße ermöglicht durch großzügig nen auf das Verhältnis zwischen Säkularisierung gewährte Forschungsaufenthalte am Helsinki und Weltreligionen (Karsten Schmidt ) schließ- C ollegium for Advanced Studies und am Max lich wird die Bedeutungsvielfalt der Konzepte Weber-Kolleg der Universität Erfurt. Allen Auto- von Religion und Säkularisierung prägnant the- rinnen und Autoren danken die Herausgeberin matisiert. und der Herausgeber dafür, dass sie die Aufgabe Auch was das Verhältnis zwischen Religion angenommen haben, sich im hier skizzierten und Säkularisierung betrifft, legen insbesondere Sinne mit dem Verhältnis von Religion und Säku- die zu den »Kategorien« und »Konflikten« vor- larisierung auseinanderzusetzen. Ein besonderer gelegten Beiträge nahe, auf schlichte Antagonis- Dank gilt gleichzeitig Frau Ute Hechtfischer und men zu verzichten und stattdessen die Dynamik Frau Franziska Remeika vom Metzlerverlag für und Vielgestaltigkeit ihrer Beziehung in den ihre fachliche und strategische Expertise, mit der Blick zu nehmen. Das säkulare Zeitalter, darauf sie das Projekt dieses Handbuchs geleitet haben. weist beispielsweise der Eintrag »Moderne« (Ju- Der Dank der Herausgebenden geht ferner an lien Winandy ) hin, lässt sich nicht einseitig auf Frau Franziska Schmitt, welche die die vielfälti- 5 gen Beiträge in ein einheitliches Format gebracht Joas, Hans: Gefährliche Prozessbegriffe. Eine Warnung hat, sowie an Herrn Julien Winandy, der das Pro- vor der Rede von Differenzierung, Rationalisierung jekt mit seiner versierten Kenntnis des Themas und Modernisierung. In: Karl Gabriel/Christel Gärt- ner/Detlef Pollack (Hg.): Umstrittene Säkularisierung. vervollständigt hat. Allen Beteiligten schließlich Soziologische und historische Analysen zur Differen- ist zu danken für den langen Atem, mit dem sie zierung von Religion und Politik. Berlin 2012, 603– die durchaus lange Entstehungszeit dieses Sam- 622. melwerks durchgestanden haben. Krech, Volkhard: Über Sinn und Unsinn religionsge- schichtlicher Prozessbegriffe. In: Karl Gabriel/Chris- Frankfurt a. M. im Mai 2014 tel Gärtner/Detlef Pollack (Hg.): Umstrittene Säkula- risierung. Soziologische und historische Analysen zur Annette Pitschmann und Thomas M. Schmidt Differenzierung von Religion und Politik. Berlin 2012, 565–602. Literatur Pollack, Detlef: Säkularisierungstheorie. Version: 1.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 7.3.2013, URL: http:// Berger, Peter L.: The Desecularization of the World. A docupedia.de/zg/ (14.05.2014). Global Overview. In: Ders. (Hg.): The Deseculariza- Riesebrodt, Martin: Die Rückkehr der Religionen. Funda- tion of the World. Resurgent Religion and World Poli- mentalismus und der ›Kampf der Kulturen‹. München tics. Washington D. C./Grand Rapids 1999, 1–18. 22001. Habermas, Jürgen: Glauben und Wissen. Friedenspreis- rede 2001. In: Ders.: Zeitdiagnosen. Zwölf Essays. Frankfurt a. M. 2003, 249–262.

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