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Reden bei der Jahrhundert-Feier des Anatomischen Instituts in Heidelberg am 24. und 25. Juni 1949 PDF

42 Pages·1951·1.781 MB·German
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Preview Reden bei der Jahrhundert-Feier des Anatomischen Instituts in Heidelberg am 24. und 25. Juni 1949

SCHRIFTEN DER UNIVERSITXT HEIDELBERG ============HEFT5============ REDEN BEl DER JAHRHUNDERT-FEIER DES i\NATOMISCHEN INSTITUTS IN HEIDELBERG AM 24. UND 25. JUNI t 949 SPRINGER-VERLAG BERLIN . GOTTINGEN . HEIDELBERG 1951 ISBN-\3: 978-3-540-01577-2 e-ISBN-\3: 978-3-642-94585-4 om: 10.1007/978-3-642-94585-4 ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER LBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN COPYRIGHT 1961 BY SPRINGER·VERLAG DHG. IN BERLIN, GOTTINGEN AND HEIDELBERG Inhaltsverzeichnis. Seite 1. Die Geschichte der Anatomie in Heidelberg. Von Professor Dr. HER MANN HOEPKE, Direktor des Anatomischen Instituts in Heidelberg 1 2. Der EinfluB der Heidelberger Anatomen auf den Wandel der Ana tomie in den letzten 100 Jahren. Von Professor Dr. CURT ELZE, Direktor des Anatomischen Instituts in Wiirzburg . . . . . . . . 17 3. Von der Einheit der Gestalt. Von Professor i. R. HANS BLUNTSCHLI, Bern ............................... 29 Namen- und Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Hermann H oepke: Die Geschichte der Anatomie in Heidelberg 1. Das aIteste Institut der Medizinischen Fakultat feiert in dies em Jahr sein 100jahriges Bestehen. Ich bin begliickt, daB ich an diesem festlichen Tage eine so groBe Zahl von Gasten begriiBen darf, die aus Amerika, Bern, Cambridge und aus dem ganzen Lande Wiirttemberg-Baden kamen. Vor al1em gilt mein Dank Ihnen, Herr Minister BAUERLE und Herr Ministerialdirektor FRANZ, daB Sie, als die Leiter des Stuttgarter Mini steriums, uns an diesem Tage die Ehre Ihres Besuches geben. Ihnen, Magnifizenz, zolle ich Dank, daB Sie dies en Festtag des Insti tuts zu einem Festtag der Universitat gemacht und damit bekundet haben, daB die gesamte Universitat Anteil nimmt an dem Festtag ihres aItesten Instituts. DaB Sie, Herr Dr. BREITENBUCHER, als der Universitatsoffizier der USA uns die Ehre Ihres Besuches geben, erfiillt mich mit tiefem Dank. Und mit besonderer Freude begriiBe ich in Herrn Prof. CRUM den ersten Uni V'ersitatsoffizier unserer Hochschule aus den Jahren 1945/46, dem die Uni versitat so vieles verdankt. DaB ich bei dieser Feier die Nachkommen von friiheren Direktoren dieses Rauses begriiBen kann, ist eine besonders gliickliche Fiigung. Sie, Kollege OTTHEINZ ARNOLD, sind der Urenkel des Mannes und begeistern den Lehrers, dessen Andenken seine Schiller einst in Dankbarkeit durch die Tafel in dies em Horsaal ehrten. Wir gedenken seiner, der durch prachtvolle Praparate und hervorragende Werke diesem Institut diente. Sie, hochverehrte Frau Professor HENLE, sind die Schwiegertochter von Jakob Henle, der 1842 hierher kam, nachdem er 1841 durch seine "Allgemeine Anatomie" mit einem Schlage beriihmt geworden war. Ein Feuerkopf, erfilllt von groBen Gedanken, hat er vor 100 Jahren dieses Haus mit geweiht, nachdem er zuvor den Bau yom GrundriB bis zum kleinsten Of en betreut hatte. Der Name Henle lebt weiter fort in Ihrem Sohne Werner, der einst mein Schiller war und der sich schon heute in seiner neuen Heimat Amerika einen groBen Ruf erworben hat. 1 Rede im H5rsaal der Anatomie am 24. 6. 1949. Schriften Heidelberg 5. 2 HERMANN HOEPKE: In Ihnen, Frau Professor NIELAND, begriiBe ich die Enkelin Gegen baurs, des bedeutenden Forschers, der den Ruhm dieses Hauses und unserer UniversiHi.t in die Welt getragen hat. Ein Freund Ernst Haeckels, kam er von Jena hierher, urn der FUhrer der vergleichenden Anatomie zu werden. Sein Standbild griiBt jeden, der dies Haus betritt. Es tut mir leid, daB der Sohn Karl Gegenbaurs, durch seinen Beruf verhindert, heute nicht hier sein kann. In Ihnen, Frau Geheimrat KALLIUS, begriiBe ich die Gattin meines Lehrers, mit dem ich 1921 aus dem nie vergessenen Breslau hierher kommen durfte. Er war ein begeisterter und begeisternder Lehrer und ein Vater der Studenten wie wohl kaum ein anderer vor ihm. Er wuBte - und ich weiB es durch ihn -, daB die Anatomie die Heimat der jungen Studenten ist, die nicht nur wissenschaftlich erzogen, sondern auch vaterlich betreut sein wollen. Die von ihm hinterlassene entwicklungsgeschichtliche Samm lung ist wohl die groBte und schonste Deutschlands. Ich habe das Andenken dieser und aller friiheren Direktoren der Heidel berger Anatomie seit 1849 dadurch geehrt, daB ich die groBen Raume des Hauses nach ihnen benannt habe. Es gibt fortan einen ACKERMANN-, TIEDEMANN-, HENLE-, ARNOLD-, GEGENBAUR-, FURBRINGER-, BRAUS- und KALLIUs-Saal. In dankbarem Gedenken an ihre Tatigkeit habe ich heute auch ihre Graber schmiicken lassen. Dazu kommt ein VIERLING-Saal. Und damit will ich den im Jahre 1938 verstorbenen Zeichner dieses Instituts ehren, der der erste seiner Art in Deutschland war. Wie einst das groBe Werk Vesals so bekannt wurde, weil neben dem Forscher der Zeichner Stephan von Kalkar stand, so war es eine gliickliche Fiigung, daB dem ganz neuartigen und grundlegenden Buch von Braus in August Vierling ein Zeichner zur Verfiigung stand, der die Gedanken dieses Buches in wunder baren Bildern darstellte. Eine ganze Reihe ehemaliger Dozenten und Assistenten dieses Instituts sind zu meiner Freude gekommen. DaB Sie, hochverehrter Herr Kollege BLUNTSCHLI, als der Xlteste dieser stolzen Reihe, trotz aller Schwie rigkeiten aus Bern hierher gekommen sind, danken wir alle Ihnen von ganzem Herzen. Schon Ihr GroBvater war hier Professor an der Univer sitat, und Sie traten 1901 als cando med. in das Institut ein und waren bis 1904 Assistent. DaB ich Sie bat, an dies em fiir uns so festlichen Tage die Festrede zu halten, war selbstverstandlich. DaB Sie ohne Zaudern zugesagt haben, war keineswegs selbstverstandlich. Seien Sie versichert, daB wir Ihnen das hoch anrechnen und daB wir es besonders dankbar empfinden, daB mit Ihnen ein Schweizer zu uns kommt, ein Vertreter des Landes, das uns Deutschen nach dem Kriege so unendlich viel Gutes erwiesen hat, des Landes, in des sen Grenzen schon seit 1 Jahr Heidelberger Studenten wieder arbeiten. DIE GESCHICHTE DER ANATOMIE IN HEIDELBERG. 3 In Ihnen, KoIlege ELZE, begriiBe ich den langjahrigen Prosektor von Braus. Auch Sie haben sofort zugesagt, als ich Sie bat, iiber den Geist dieses Hauses zu sprechen. Niemand kann es besser tun als Sie. Unsere Studente n kennen Ihren Namen genau, steht doch eine groBe Anzahl meisterhafter Praparate von Ihrer Hand in unserer Sammlung. AIle, die sonst als Assistenten oder Doktoranden hier gearbeitet haben, kann ich nur zusammen herzlich willkommen heiBen. Ich freue mich der groBen Anhanglichkeit, die Sie aIle dadurch beweisen. Nun gestatten Sie mir, Ihnen einiges aus der Geschichte der hiesigen Anatomie zu erzahlen. Heidelberg war im Mittelalter, was die Anatomie betraf, keineswegs fiihrend. Wir wissen nur, daB Sektionen ganz selten stattfanden. Kein fiihrender Geist trat hier auf, der Vesals Werk zum Siege verhalf. Der Unterricht bestand lediglich in einer "Vorlesung" der Texte von Hippo krates, Galen und Avicenna. Es war eigentlich ein Pauken. Wenn uns von Disputationen berichtet wird, so galten auch sie nur dem Zweck, die Studente n auf die alten Texte festzulegen. Eine medizinische Bibliothek gab es nur in ganz geringem Umfang, ein Skelet bekam die Fakultat erst 1569. Wir miissen daran denken, daB in diesen fiir die Medizin so ent scheidenden Zeit en die Fakultat im allgemeinen nur durch einen Professor vertreten war. Und die Zahl der Medizinstudenten betrug wohl nie 50. Dieser eine oder die beiden Professoren waren aber nicht Anatomen, sondern zugleich Arzte, Chirurgen, Botaniker und Zoologen. Meist war es dann doch so, daB die praktische die theoretische Tatigkeit erstickte. Ott Heinrich, der bedeutende Kurfiirst, eine wahre Renaissancenatur, ein F6rderer aller Kunst und Wissenschaft, der selbst stark an den Planen des nach ihm benannten Baues auf dem SchloB beteiligt war, brachte durch Statuten im Jahre 1558 frischen Wind in die ganze Universitat. Von der gewaltigen Leistung Vesals spiiren wir allerdings zunachst noch gar nichts. Man schaltete zwar den Galen und Avicenna aus und trug wieder aus den "reinen" Schriften des Aristoteles und Hippokrates vor, aber Kritik und selbstandiges Denken regten sich zunachst nur langsam. 15 Jahre, nachdem Vesals grundlegendes Werk erschienen war, erhielt die "facultas medica die Macht, hierinnen, was am niitzlichsten sein mochte, zu statuieren". Es wird ausdriicklich bemerkt, daB Sektionen vor genommen werden sollen am K6rper der zum Tode Verurteilten, denn man k6nne nicht allein aus anatomischen Bildern und den Beschreibungen von Schweinen Anatomie lernen. Aber noch der Professor Thomas Erast (1523 -1583) bekampfte mit allen Mitteln Paracelsus, wobei er offensicht Heh dureh den Lebenswandel dieses eigenartigen und sehwierigen Mensehen und viele seiner mystisehen Ansehauungen beeinfluBt war. Urn 1650 erst war der Wert von Sektionen voll anerkannt. 1655 richtet der Dekan an 1* 4 HERMANN HOEPKE: den Kurftirsten die Bitte: "Nachdem neulich die Sektion eines weiblichen Korpers hiesiger Universitat einen ziemlichen Ruf gegeben, hat facultas medica desto mehr Ursach, in solchen exercitiis zu kontinuieren und urn mehrere Subjecte sich zu bewerbcn". Zu solchen Sektionen, die meist nicht der Professor, sondern sein Gehilfe ausfiihrte, Iud dann durch gedruckte Anschlage der Dekan ein aIle "bonae mentis professores". Wir wissen von solchen Sektionen 1652, 1661, 1662, 1673 und 1680. 1672 wurde das medizinische Studium auf 4 Jahre festgelegt. Wenn aber der Kanditat "in philosophicis, sonderlich physicis, wohl getibt, sein Studiuin hurtigen Verstandes und gute n judici, durch unverdrossenen FleiG und stetige Arbeit wohl angelegt, auch etlich mal, so hier, so anderwo publice respondieret", dann ging's auch schon nach 3 Jahren. Die Schriften Galens oder anderer alter Autoren waren endgilltig aus dem Unterricht ausgeschaltet. Immerhin waren 125 Jahre seit Vesals grundlegender Ver offentlichung verstrichen. In diesen ganzen Zeiten war die Universitat nur sehr schlecht besucht. Medizinische Institute und Sammlungen fehlten, die Professoren waren schlecht bezahlt, und das Geld war knapp. Die Medizinische Fakultat fiihrte den schlechten Besuch vornehmlich darauf zurtick, daB ein theatrum anatomicum fehlte. Einen Sezierraum gab es wohl in dem der Universitat gehorendem Haus Ecke Dreikonig-und Untere StraBe. Das teilte die Fakul tat mit den Juristen. 1652 fand dort eine Sektion statt. Aber der Raum war zu klein. So wurde ein weiterer Raum in der PlOck gekauft in einem Haus, das an der Stelle der heutigen Holderlinschule stand. Unter den Lehrern der damaligen Zeit war wohl der 1686 berufene Johann Conrad Brunner (1653 -1727) die bedeutendste Personlichkeit. Ausgebildet in Anatomie und Chirurgie, sezierte er aIle Tiere, deren er habhaft werden konnte, und war auBerst geschickt in GefaBinjektionen. Daneben hatte er eine riesengroBe Praxis und war Leibarzt zahlreicher geistlicher und weltlicher Herren. Fiir den Anatomieunterricht sorgte er sehr. Er erreichte beim Kurftirsten, "daB die in Heidelberg garnisonierten und verstorbenen Soldaten fiir den anatomischen Unterricht benutzt werden soIlen, da dies besser sei, als wenn die Leichen von Wiirmern gefressen wer den". Uns ist er vor allem bekannt als Entdecker der Brunner'schen Drusen 1687. Wie grundlegend sich die Anschauungen in den letzten 100 Jahren gewandelt hatten, zeigen Brunners Worte: "Freund sei mir Hippokrates und Aristoteles und Cartesius und jeder andere, aber die Wahrheit sei mir tiber alles, und die gestattet niemalen, daB wir auf die Spriiche irgend eines Orakels schworen". Durch die Zerstorung Heidelbergs sanken auch aIle medizinischen Insti tute in Triimmer. Die Fakultat erholte sich in Jahrzehnten nicht, das Geld blieb knapp, und die Professoren kampften mit dem Staat urn ihre DIE GESCHICHTE DER ANATOMIE IN HEIDELBERG. 5 nicht voll ausbezahlten GehaIter. Die Zahl der Studierenden war gering. Karl Theodor erlieB 1743 fiir die medizinische FakuWi.t neue umfangreiche Statuten, aus denen wir uns ein getreues Bild des damaligen Lebens in der Fakultat machen konnen. Anatomie sollte in allen ihren Teilen wochentlich dreimal: Montag. Dienstag, Donnerstag von 2-3, von einem "bewahrten auctore anatomico" vorgetragen, und im Winter sollte an menschlichen Korpern im Theatro anatomico demonstriert werden. Aber wahrend wir horen, daB 1769 Praparierfibungen regelmaBig ver anstaltet werden, ist im Vorlesungsverzeichnis von 1786 nichts mehr davon erwahnt. Seit 1730 wurde als Hilfe fUr den Professor ein Prosektor an;' gestellt, ein aus dem Chirurgenstand hervorgegangener Handlanger in niederer Stellung. Ein Studienplan aus dem Jahre 1808 zeigt uns, daB vom Mediziner Vorlesungen fiber Logik, Mathematik, Botanik, Zoologie, Chemie, Sprachen, Literatur und spekulative Philosophie gehort werden muBten. 1805 wurde das Anatomische Institut mit der Poliklinik und der Ent bindungsanstalt im ErdgeschoB des Dominikanerklosters untergebracht. Aber das alte Anatomiehaus in der Plock blieb daneben als Knochen bleiche bestehen, bis die Anwohner sich fiber den fiblen Geruch beschwerten. So wurde sie denn an den Dichter Johann Heinrich VoB verkauft und kam auch ins Kloster. Der Chor der Dominikanerkirche wurde anatomi sches Theater, eine Seitenkapelle wurde Seziersaal. Aber der 1805 berufene Ackermann klagte fiber mangelhaftes Licht in den Salen und die mangel hafte Einrichtung des Theaters. Bald nahm die Zahl der Studierenden zu, die Zahl der Leichen aber so stark ab, daB Tiedemann 1821 sogar den Unterricht wegen Mangel an Leiehen ausfallen lassen muBte. Die Kosten ffir mehrfache Umbauten waren hoch. Trotzdem wurde die Anatomie allmahlich zu klein. 1846 sieht man sich nach einem anderen Gebaude urn. Eine Zeit lang dachte man daran, sie in dem schonen Haus "Zum Riesen" unterzubringen. Aber das gelang nieht. Und so entschloB man sieh, im Garten des Dominikaner klosters einen Neubau zu errichten, da, wo unser Institut nun 100 Jahre steht. Aus dem Garten stammen noch die Tamariske, der Judas- und Maulbeerbaum. Mit dem Bau wurde der GroBherzogliche Bauinspektor Lendorff beauf tragt, der zunachst ein einstOckiges Gebaude entwarf, dessen Auf- und GrundriB Sie in unserer kleinen Ausstel1ung sehen. Dann aber soUte das Zoologische Institut mit groBen Sammlungen auch in diesem Bau mit untergebracht werden. Das machte einen zweistockigen Bau erforderlich, dessen Plane wir gleichfal1s besitzen. Man kann wohl sagen, daB dieser Bau recht gut aussah, wenn er auch nicht ganz zweckmaBig im GrundriB 6 HERMANN HOEPKE: war. Der Curator wiinschte in einem Schreiben an den Engeren Senat, daB am 15.10.1847 die Vorlesungen im neuen Haus beginnen sollten. Es kam aber anders. Tiedemann und Henle waren sich anscheinend tiber viele Dinge im Neubau nicht einig. Auf ihre Forderungen ist es aHem Anschein nach zuriickzufiihren, daB Lendorff die Bauleitung entzogen und dem GroBherzoglichen Baudirektor Hiibsch iibertragen wurde, denn sie schrieben am 14.2.1847, "daB des sen Neubau am meisten einer zweck maBigen inneren Einrichtung entspricht". Hiibsch weilte am 13.2. 1847 in Heidelberg und besprach sich mit allen maBgebenden Professoren und suchte eine Einigung zu erzielen. Er wollte am 8.3. 1847 mit dem Bau beginnen und ihn bis Ende April 1848 unter Dach haben. Am 12.9. 1847 fand ein feierliches Richtfest statt, bei dem die Herren der Universitat zugegen waren. Die Front des Hauses war mit Kranzen und Fahnen ge schmtickt, und ein Zimmermann hielt einen Spruch. Von 3-7 Uhr feierten die Arbeiter, und alles ging "in Frieden und ohne Storung" ab, was man anscheinend nicht erwartet hatte. Aber es ging nicht weiter, wie man gedacht hatte. Es regten sich die Bewohner der Brunnen- und Ziegelgasse, deren Hauser ja unmittelbar an den kleinen Bau im Hofe stieBen, in dem sich die Sezier- und Operations sale befanden. Sie richteten an das Ministerium ein Gesuch: "Vorstellung und Bitte bezugsweise Recursausfiihrung der AnstoBer an den im Bau begriffenen Secirsaal, das Leichenhaus und das Gebaude zum Maceriren, betreffend Schutz gegen die Nachtheile, we1chen ihnen aus jenen Bauten erwachsen. Seit langen Jahren bildete die Lage des hiesigen Anatomiegebaudes einen Gegenstand der Klage der hiesigen Biirgerschaft. Verschiedene Ge werbsleute, we1che in dessen Nahe ihre Gewerbe betrieben, gingen deBhalb zu Grunde. Nicht ohne Grund ist die Ansicht, daB die Nervenfieber, we1che von Zeit zu Zeit in hiesiger Stadt und insbesondere in den der Anatomie zunachst liegenden Stadttheilen ihre Verheerungen anrichten, den verpcstenden Ausdiinstungen zuzuschreiben sind, deren Ausgangspunkt das Anatomiegebaude ist. Als daher sechszigtausend Gulden zum Baue eines neuen Anatomie gebaudes bewilligt wurden, hoffte man hier allgemein, diese Summe wiirde so verwendet werden, daB jene alten Klagen griindlich gehoben wiirden. In dieser Hoffnung aber wurden wir auf das bitterste getauscht. ]etzt aber werden diesc Gebaude in einer so1chen Weise aufgefiihrt, daB zwischen dem Hause, worin die Leichen aufbewahrt werden, und den anstoBenden Wohnungen der Lebenden nichts weiter als eine Mauer in der Mitte liegt, daB die Fenster des Secirsaals nicht weiter als 6 FuB von den anstoBenden Wohnungen entfernt sind, und daB das Macerationsgebaude unmittelbar auf die angrenzenden Wohnungen stoBt. Die nothwendige DIE GESCHICHTE DER ANATOMIE IN HEIDELBERG. 7 Folge einer solchen Anordnung des Baues ist es, daB samtliche in einem Umkreis von mehreren hundert FuB diese neuen Gebaude begrenzenden Wohnhauser durch den verpestenden Geruch, der von jenen Gebauden ausgeht, und den widerlichen Anblick, welchen die Gegenstande der Anatomie gewahren, ungesund gemacht und folgenweise entwerthet werden. Daher ist es die Pflicht aller Behorden des Staates, dem Volke mit dem guten Beispiel der Rechtiglichkeit voranzugehen. Allein wir fragen, ist es recht, ist es billig, die vom Staate bewilligten Gelder so zu ver wenden, daB eine ganze Anzahl von Familienvatern ihrem Verderben ent gegenfiihrt, daB ein ganzer Stadttheil mit Krankheitsstoffen verpestet wiirde ?" Anwohner der Unteren NeckarstraBe folgten am 26. 5. 1847. "Die Beschwerden des Hauseigentiimers Christian Ottinel und Genossen in Heidelberg, den Neubau des Anatomiegebaudes betreffend. Unterthanige Beschwerde und Bitte. Hochderselbe hat in Erwagung der vielfachen Nachtheile, welche die Nlihe des Anatomiegebaudes, an der StraBe und im Angesichte mehrerer Wohnhauser gelegen, mit sich brachte, dessen Verlegung in einen soliden Ort beschlossen. Der in der Nahe befindliche botanische Garten wurde hierzu ausersehen, und dieser hatte allerdings Raum genug geboten, urn aIle bisherigen Ubelstande zu beseitigen. J edenfalls diirften wir von der Menschenfreundlichkeit unserer hohen Staatsbehorde erwarten, daB der Gesundheit und dem Eigenthum der Anwohner bei der Auswahl des Platzes werde Rechnung getragen werden. Umsomehr waren wir, die gehorsamst Unterzeichneten, betroffen, als wir dieser Tage erfahren muBten, daB in unmittelbarer Nachbarschaft unserer Behausung der Anatomiesaal, worin die Cadaver secirt werden, das Hauschen zur Bewahrung der Leichname und die sogenannte Macerirkammer, worin die Knochen aufbewahrt werden, erbaut werden sollen. Dadurch wiirde nicht nur ein ekelerregender, hochst ungesunder Gestank in unsern Hausern verbreitet, sondern es wiirde uns bald ganz unmoglich werden, noch Miethleute zu bekommen, und unsere Hauser wiirden auf die Halfte, ja auf ein Drittheil ihres bisherigen Werthes im PreiBe sinken. Eine solche Beeintrachtigung hiesiger Biirger konnte urn so weniger in der Absicht unserer gerechten Staatsbehorde liegen, da ja gerade dieselben Riicksichten die Entfernung des anatomischen Theaters von seiner bisherigen Stelle herbeifiihrten. Wie der friihere Eigentiimer des Gasthauses zum Riesen, des sen Wirtschaft sehr bald nach Errichtung des bisherigen Secirsaales ganz verlassen wurde, nach und nach sein ganzes Vermogen einbiiBte, so wiirden auch wir, abgesehen von den verderblichen Einfliissen auf die Gesundheit, Verluste erleiden, die wir zu ertragen nicht im Stande waren.

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