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Rechtsstaat und Demokratie: Theoretische und empirische Studien zum Recht in der Demokratie PDF

331 Pages·2001·64.068 MB·German-English
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Michael Becker· Hans-Joachim Lauth Gert Pickel (Hrsg.) Rechtsstaat und Demokratie Michael Becker . Hans-Joachim Lauth Gert Pickel (Hrsg.) Rechtsstaat und Demokratie Theoretische und empirische Studien zum Recht in der Demokratie Westdeutscher Verlag Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz fur diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhaltlich 1. Auflage August 2001 Aile Rechte vorbehalten © Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden 2001 Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Fachverlagsgruppe BerteismannSpringer. www.westdeutschervlg.de Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Ver wertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustim mung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere rur Vervielfaltigun gen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und dahervon jeder mann benutzt werden durften. Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Burkle, Darmstadt ISBN-13: 978-3-531-13645-5 e-ISBN-13: 978-3-322-80399-3 DOT: 10.1007/978-3-322-80399-3 Inbalt Einleitung Michael Becker, Hans-Joachim Lauth und Gert Pickel: Die Demokratie und das Recht. Beitrage zu Theorie und Praxis politisch-rechtlicher Selbstbestimmung ..................................................................... 7 Tbeoretiscbe Gruodlageo oDd Probleme Hans-Joachim Lauth: Rechtsstaat, Rechtssysteme und Demokratie ........................................................... 21 Michael Becker: Grundrechte versus Volkssouverlinitat. Zur Achillesverse des demokratischen Prozeduralismus .......................................... 45 Axel Schulte: Demokratie und Rechtsstaat als Wechselbeziehung. Zur Interpretation des Verhaltnisses von Demokratie und Rechtsstaat in der politischen Philosophie von Norberto Bobbio ............................ 69 Jorg Faust: Rechtsstaat, Demokratie und Wirtschaftsordnung ................................................... 91 Peter Waldmann: Alternative Normensysteme zur staatlichen Rechtsordnung in Lateinamerika ......................................................................................................... 112 Philippe C. Schmitter: Contrasting approaches to political engineering: Constitutionalism and democratization .................................................................. 130 6 Inhalt Empirische Befunde I: Fallstudien Linda Helfrich-Bernal: Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Kolumbien? .............................................. 139 Elke Grawert: Verkniipfungen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im politischen Reformprozess in Tansania .................................................................................... 163 Harald Mey: Islamisches Rechtssystem und Demokratisierung. Ubedegungen am Beispiel Iran .............................................................................. 184 Malte Woydt: Belgien auf dem Weg zu mehr Rechtsstaat und Demokratie ................................. 202 lain Byrne and Stuart Weir: The Uncertainties of the Rule of Law in Britain .................................................... 224 Empirische Befunde II: Vergleichende Untersuchungen Peter Thiery: Demokratie und Rechtsstaat in Lateinamerika ....................................................... 252 Carsten Q. Schneider: Korruption und Vertrauen in Implementationsinstitutionen: Ein Vergleich Lateinamerikas mit konsolidierten Demokratien ............................ 275 Gert Pickel: Legitimitat von Demokratie und Rechtsstaat in den osteuropaischen Transitionsstaaten 10 Jahre nach dem Umbruch .................................................... 299 Autorenverzeichnis ................................................................................................. 327 Die Demokratie und das Recht. Beitrage zu Theorie und Praxis politisch-rechtlicher Selbstbestimmung Michael Becker, Hans-Joachim Lauth und Gert Pickel Die Beschaftigung mit dem Rechtsstaat hat in den letzten Jahren eine erhebliche Be deutungssteigerung erfahren. Ein maBgeblicher Grund fUr diese Aktualitat ist einem geschiirften Blick fdr die realen Verhaltnisse geschuldet, der von zwei Interessen motiviert war. Zum einen hat die Praxis des Staats-und Regierungshandelns im Zu ge der intemationalen Kooperation - speziell im Bereich der Entwicklungszusam menarbeit - eine erhOhte Aufinerksamkeit erfahren. Vorrangiges Ziel war und ist die Etablierung von good governance, worunter eine starkere Transparenz und Rechts f6rrnigkeit des staatlichen Handelns verstanden wurde - oder kurz gesagt: ein funk tionierender Rechtsstaat. I Zum anderen richtete sich das Interesse im Zuge der weltweiten Demokratisierungswelle auf den Rechtsstaat. Mit zunehmender Ver breitung der Demokratie wurde immer starker deutlich, dass viele der jungen Demo kratien nur begrenzt den Erwartungen entsprachen, die mit ihnen verbunden worden waren. Zwar waren viele relevante input-Regeln im demokratischen Sinne entfaltet worden (Wahlen, kommunikative Freiheiten, Organisationsfreiheit), doch die Praxis des Staats-und Regierungshandelns differierte in mancherlei Hinsicht weiterhin von derjenigen etablierter Demokratien. Als ein zentraler Unterschied wurde die als defizitar entwickelte Rechtsstaatlich keit empfunden was zur Etikettierung solcher Demokratien mit dem Attribut ,illibe ral' fiihrte (Zakaria 1997; Merkel 2000). Eine zentrale Beobachtung lag dieser Inter pretation zugrunde (O'Donnell 1999a): Wahrend in etablierten Demokratien westli cher Provenienz die Einrichtung des Rechtsstaats vor der Einfiihrung der Demokra tie erfolgte, (ver)kehrte sich die Sequenz in vielen jungen Demokratien um. Demo kratien entstanden, ohne dass bereits die rechtsstaatliche Infrastruktur voll entfaltet worden war. Neben der Diskussion der damit verbundenen Konsequenzen stellte sich die Frage, wie eine nachholende rechtsstaatliche Entwicklung erfolgen k6nnte. Daher war es erforderlich, den Zusammenhang von Rechtsstaat und Demokratie ei ner umfassenderen Reflexion zu unterziehen als bislang geschehen. Die Er6rterung der Fragen der Herrschaftsorganisation sowie der Vergleich der verschiedenen Herrschaftsformen sind so alt wie die wissenschaftliche Beschafti gung mit der Politik. Aristoteles hat als einer der ersten eine Bestandsaufnahme der empirisch vorfindbaren Regierungsformen untemommen und eine Analyse ihrer Vor- und Nachteile vorgelegt. Die Begriffe, die er zur Kennzeichnung der in seinem Sechserschema unterschiedenen Typen verwendete, sind zwar auch heute noch im Vgl. den Weltbankentwicklungsbericht 1997: Der Staat in einer sich andemden Welt, Bonn 1997. Die globale Perspektive verlangt, Rechtsstaat nicht nur auf dem Rechtsstaatsverstandnis bundesrepu blikanischer Provenienz zu verstehen, sondem in einer abstrakten und systematischen Weise zu be greifen (vgl. die Beitrage von Lauth, Becker und Schulte in dies em Band). 8 Michael Becker, Hans-Joachim Lauth und Gert Pickel Gebrauch, aber die beiden Kriterien, die er in Anschlag brachte, das quantitative ("wer herrscht") und das qualitative ("wie wird geherrscht") scheinen jegliche Be deutung verloren zu haben. Das quantitative Kriterium - wenn wir es im Sinne di rekter Demokratie verstehen - deshalb, weil einerseits in so gut wie allen Staaten des (post-)industriellen Zeitalters eine unmittelbare Herrschaft des Demos unmog lich und an ihre Stelle eine mittelbare Herrschaft getreten ist, und weil andererseits die Vielfalt der real existierenden Herrschaftsformen damit (auch unter Hinzunahme des qualitativen Kriteriums) nicht annahemd zu erfassen gewesen ware. Die moder ne vergleichende Politikwissenschaft hat aufgrund dieser Entwicklung eine stattliche Anzahl von neuen Begriffen zur Beschreibung demokratischer Systeme hervorge bracht (vgl. Schmidt 2000), die einmal auf den institutionellen Apparat eines politi schen Systems abstellt ('prasidentielle' oder ,parlamentarische' Demokratie) oder auf den gesellschaftlichen Unterbau und den dadurch notwendig werdenden Mecha nismus der Entscheidungsfindung (,Konkordanz'- beziehungsweise ,Konkurrenz demokratie'); gelegentlich werden auch nur temporar zu beobachtende Phanomene als Klassifizierungskriterium vorgeschlagen (wie z.B. mit dem Begriff ,Erziehungs demokratie '). Aristoteles' qualitatives Kriterium, das auf die Intentionen des oder der Herr schenden abzielte (die gut oder schlecht sein mochten), hat zunachst mit Beginn der Neuzeit an Uberzeugungskraft verloren. Dies h1ingt zum einen mit der Schwierigkeit zusammen, das ,Gute' oder das ,Gemeinwohl' aufrationalistischer Basis zu begriin den. Zum anderen - und durchaus in Verbindung mit erst genannter Problematik - wurde die Einschatzung der Eigennutzorientierung stark relativiert, als sein Antipo de Hobbes befand, der womoglich schlechte Charakter eines Souverans sei das bei weitem kleinere Ubel gegeniiber den Unwagbarkeiten eines staaten-und darum auch herrscherlosen Naturzustandes. Was bei Hobbes als einem der ersten neuzeitlichen Theoretiker vor allem deutlich wurde und was bei den antiken Autoren eher eine nachgeordnete Rolle spielte, war der ausdriickliche Verweis darauf, dass politische Herrschaft immer rechtlich konstituierte Herrschaft ist. Hobbes' Souveran stiftet Frieden (oder besser: erzwingt einen Waffenstillstand) durch stehende Gesetze, wel che die Untertanen als Befehle anzusehen haben (was zu tun sie sichjedoch vertrag lich bereit erklart haben). Nur wenn die souveranen Befehle allen bekannt sind und sie auch in Gerichtsverhandlungen Anwendung fmden, bleibt der Kriegszustand ge bannt. Die Qualitat der Rechtsherrschaft wird hier sehr stark, wenn auch nicht voll smndig ausgeblendet. In diesem Punkt hat die positive oder die deskriptive Rechtstheorie Hobbes be erbt. H.L.A Hart (1994), einer der groBen englischen Rechtsphilosophen des 20. Jahrhunderts, hat in seinem epochalen Werk iiber den "Begriff des Rechts" den Ein tritt einer Gesellschaft in das Reich des Rechts von dem Vorhandensein sogenannter "sekundarer" Regeln abhangig gemacht. Zwar verfiigten alle Gesellschaften iiber primare Regeln des gerechten Verhaltens, aber diese hatten den Nachteil, dass nicht irnmer klar sei, ob eine Regel gelte bzw. welche; sie seien dariiber hinaus relativ statisch; und schlieBlich mangele es oft an Sanktionen im Falle einer Regeliibertre tung. Eine rechtliche Ordnung iiberwinde aIle diese Schwachen durch die besagten sekundaren Regeln, mit denen sich aus der Menge der geltenden Regeln die Teil- Einleitung: Die Demokratie und das Recht 9 menge der Rechtsregeln, die mit Zwangsgewalt zu bewehren sind, identifIzieren und auch anwenden und andem liisst. Aus dieser deskriptiven Sicht ergeben sich beinahe gar keine normativ-moralischen Anforderungen an das Recht, die erfiillt sein miis sen, will eine rechtliche Ordnung als legitime Ordnung gelten. Allenfalls ein Interes se miisse man, so Hart, voraussetzen: das Interesse der meisten Menschen an ihrem UberIeben. Harts Rechtsbegriff befmdet sich darnit einer explizit moralischen Lesart des Rechts diametral entgegengesetzt. Nun sind bekanntlich weder die politische Theorie noch die Praxis der liberal demokratischen Staaten dem hobbesschen Modell gefolgt und das gleich in zweifa cher Hinsicht (Bockenforde 1991, Grimm 1994). Zum einen werden die rechtlichen Regeln iiberall in der westIichen Welt nicht von einem Ein-Personen-Souveran ver rugt, sondem von einer dafiir vorgesehenen Institution, dem Parlament, gesetzt (das seine Existenz, so es nicht evolutionar entstanden ist, wie das englische, wiederum einem Beschluss eines anderen autorisierten Gremiums: der verfassunggebenden Versammlung verdankt). Und zum anderen werden weder diese Rechtsregeln pro duzierenden Parlamente noch die Konstituanten als souveran im vollen Sinne des W ortes verstanden, wonach sie nicht nur die obersten poIitischen Entscheidungsin stanzen verkorperten, sondem injeder Hinsicht ungebunden waren (Dworkin 1994). In ,jeder Hinsicht" hieJ3e dann vor allem in normativ-moralischer Hinsicht. Die erwahnten westlichen Demokratien zeichnen sich vielmehr durch die Garan tie eines in den Grundziigen iibereinstimmenden Grundrechtekatalogs aus, der auch als Grenze politischer Herrschaft aufgefasst werden muss. Und insofem die darin fI gurierenden Grundrechte als moraIische Rechte aufgefasst werden, liisst sich sagen, dass die klassische Frage nach dem "guten Herrscher" hier in verwandelter Form wieder auftaucht: "Gute" Herrschaft hangt dann allerdings nicht mehr von individu ellen Dispositionen, sondem von der Qualitiit des (Verfassungs-)Rechts bezie hungsweise der Rechtsstaatlichkeit staatlicher Herrschaft ab.2 Gute Herrschaft setzt nicht gute BOrger, die dann entsprechend herrschen, voraus, sondem BOrger werden zu guten BOrgem, wenn sie unter einer guten Verfassung leben - das erhofften sich bereits Rousseau und Kant. Nun ist allerdings gerade gegen diesen, wie man wohl sagen darf, Beinahe Konsens in Verfassungsfragen unter den Staaten der westlichen Welt in der letzten Zeit ein Einwand ventiliert worden, der eine gewisse Bedeutung dadurch erhielt, dass er nicht ledigIich von den hiesigen Gegnem eines starken Konstitutionalismus, sondem auch von den poIitischen EIiten anderer Kulturkreise vertreten wurde. Die ser Einwand kann als Beleg fiir Huntingtons (1993) ,,modernization without wester nization" - These verstanden werden und besagt: Die unveraul3erlichen Menschen rechte sind als konstruierte oder als geschichtlich gewachsene Rechtsanspriiche auf christlich-hurnanistischem Boden entstanden, somit kulturrelativ und also nicht (oh ne W eiteres) exportfahig. Mit anderen Worten, ein politisches System kann durch aus demokratisch sein, obwohl in ihm nicht das "Modul" liberaler Abwehrrechte 2 Entsprechend ist der zentrale MaBstab von good governance die Errichtung eines effizienten Rechts staats, der dann wiederum die Grundlage zur Erreichung weiterer Ziele ist, die nun allerdings unter schiedlich ausgerichtet sein konnen (Wachstum, Stabilitlit, soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Partizipation etc.). 10 Michael Becker, Hans-Joachim Lauth und Gert Pickel vorhanden ist. Der westliche Menschenrechts-Diskurs, der in Teilen allzu empfmd lich auf Imperialismusvorwiirfe reagiert, harte jedoch nicht immer auf den oder die Absender dieser Botschaft geachtet, mit dem man sich iibrigens iiberraschend schnell auf einen Katalog der biirgerlichen Pflichten einigen konnte. Absender der unliebsamen Post waren, und darauf harte u.a. Amartya Sen aufmerksam gemacht, nicht selten selbstherrliche Despoten in autoritaren Staaten, die ein nahe1iegendes eigenes Interesse an der Relativierungsthese der Menschenrechte besaJ3en. Der men schenrechtliche Universalismus muss sich aber auch deswegen kein schlechtes Ge wissen einreden lassen, weil er auf verwandte Auffassungen innerhalb vieler Kultu ren zahlen kann.3 Einmal angenommen, dass, von einer sozusagen "metakonstitutionalistischen" Perspektive aus, Konsens iiber das Verhaltnis von Recht und Demokratie dabinge hend besteht, dass einerseits eine "gut" verfasste Demokratie bestimmte Grund rechte, inklusive der negativen Rechte, gewahren muss und dass andererseits legiti mes Recht nur aus demokratischen Prozeduren hervorgehen kann - dies angenom men, bleiben immer noch viele wichtige Fragen einer auf dem Wege politischer Selbstbestimmung herbeizuf'iihrenden bzw. herbeigefUhrten Rechtsordnung unbe antwortet. So muss beispielsweise zum einen eine vergleichende Perspektive auch Analysekategorien fUr jene Regel-Phanomene entwickeln, die zwar handlungsregu lierend und damit konfliktvenneidend sind, die aber nicht den Status positiven Rechts itmehaben und sogar in Konkurrenz mit diesem treten konnen. Zum anderen haben sich alleine in der Sphare Westeuropas und N ordamerikas unterschiedliche Sichtweisen auf das Verhaltnis von politischer Selbstbestimmung und Recht heraus gestellt und es fragt sich, ob diese Vielfalt, die sicher pragenden Charakter iiber die sogenannte "westliche" Zivilisation hinaus hat, nicht noch einmal vergroBert wird, wenn man den Kreis der betrachteten politischen Systeme erweitert. Insbesondere hinsichtlich der jungen Demokratien, wie denen auf dem Gebiet des ehemaligen Ostblocks, taucht die Frage nach der Handhabbarkeit und der Rea litat der rechtsstaatIichen Demokratie auf. Die Pionierstudien der politis chen Kultur forschung in der Mirte des vorigen Jahrhunderts (AlmondIVerba 1963) haben zwar die Unabdingbarkeit einer zivilen Kultur fUr liberal-demokratische Systeme be hauptet, zugleich aber auch methodische Schwierigkeiten bei der Messung der rele vanten Einstellungen offenbart. Dariiber hinaus stand die Erfassung des Rechtsstaats nicht im Zentrurn so1cher Studien. Nicht selten fiihrt dies noch bis heute zu einer ge nerellen Unterstellung der Existenz eines Rechtsstaates, der in empirischen Untersu chungen keiner Uberpriifung mehr bedarf. AhnIiches gilt fUr die Gewahrleistung von Freiheiten und Biirgerrechten in Demokratien. In der an Einstellungen orien tierten politischen Kulturforschung wird sie in institutionell etablierten Demokratien vorausgesetzt und selten bei den Biirgem beziiglich ihrer Wichtigkeit und der Wahr nehmung ihrer Existenz hinterfragt. Nicht zuletzt dieses Vorgehen fUhrt aber oft dazu, dass bei Erklarungen der Le gitimitat politischer Herrschaft der Aspekt der RechtsstaatIichkeit - der Rechte und der Verfahren - oftmals ausgeblendet wurde (siehe Pickel und Schneider in diesem 3 Siehe dazu Amartya Sen, Freedom as Development, New York 1999, Kap. 10 (Culture and Human Rights); dariiber hinaus RUland (1996), Senghaas (1998) und Tetzlaff (1997). Einleitung: Die Demokratie und das Recht 11 Band). So blieb die zentrale Frage der politisehen Kulturforsehung naeh der Stabili Hit politiseher Systeme einseitig beantwortet. Zumindest ist die Stabilitat einer De mokratie und die hohe Akzeptanz ihrer Grundprinzipien dureh die BUrger nieht zu erkIaren, wenn diese vor aHem auf der Zufriedenheit mit der reehtsstaatlichen Per formanz beruht. Zudem kann mit einer solchen Siehtweise dem bereits angespro chenen Typus der "illiberalen Demokratie" nicht Rechnung getragen werden, da mit ihr per se die Konstituierung einer Demokratie auch ohne Rechtsstaat als moglich angesehen wird. In eine ahnliche problematische Richtung zielt eine gleichfaHs anzutreffende Po sition in der politikwissenschaftliehen Forschung: Die formale Anerkennung der Menschenrechte wird hier mit der Etablierung eines Rechtsstaats gleichgesetzt. Die se Annahme ist jedoch nicht selbstverstandlich, wie die Unterscheidung zwischen einem formaIen und einem materiellen Rechtsstaat nachhaItig zeigt. Geht erster in Riehtung des von Hart explizierten Rechtsverstandnisses, sieht sieh zweiter in der Tradition der "westIichen" Menschenrechte verankert. Die Diskrepanz zwischen Menschenrechten und Recht kann waehsen, wenn Recht, tiber das formaIe Rechts staatsverstandnis hinaus, das immerhin zentrale Verfahrensrechte beinhaItet, nur mit der Moglichkeit der Positivierung von mit ZwangsgewaIt behafteten Regeln assozi iert wird, wenn Recht also nur das staatlich gesetzte Recht ist. Eine Aufgabe der po litischen Theorie ist es daher, das VersUindnis von Rechtsstaat zu kIaren, das auch die Folie fur die empirischen Untersuchungen bildet (siehe die Beitrage von Becker, Schulte, Lauth). Eine andere - gleiehfalls theoretische wie empirische - Aufgabe schlieBt sieh an. Sie wurde bereits mit der Frage der Rechtsbindung demokratischer Herrschaft auf geworfen und betrifft das VerhaItnis von Rechtsstaat und Demokratie - oder prazi ser: Welches Rechtsstaatsverstandnis ist der Demokratie am angemessensten? Bei der Klarung dieser Thematik sei vorausgeschiekt, dass aIle vorliegenden Beitrage von der Pramisse eines prozeduralistischen Demokratieverstandnisses ausgehen. Kann Demokratie ohne Rechtsstaat gedacht werden (wie manche Theoretiker nahe legen, vgl. Schmidt 1999: 191) oder ist Rechtsstaat eine notwendige Bedingung oder gar Bestandteil von Demokratie, wie andere suggerieren (Bobbio)? Das Aufgreifen dieser Thematik erschopft sieh jedoch nieht nur in der Behand lung theoretischer Fragen, sondem schlieBt die empirische Ebene mit ein. Ein simp ler SachverhaIt unterstreicht nachdruckIieh die Relevanz. So werden, wie erwahnt, etliche junge Demokratien mit dem Etikett ,illiberal' versehen und gleiehsam aIs de fizitare Demokratie verstanden, die signifikante Mangel in der Auspragung ihrer Rechtsstaatlichkeit aufweisen. IIIustrierend lassen sieh hierzu die Befunde von Free dom House anfiihren, die political rights und civil liberties getrennt messen (Karat nycky 1999; PianolPuddington 2001). Hierbei zeigt sieh, dass in einer Reihe von Landem, in denen die politischen Partizipationsrechte gegeben sind, dies fur die bUrgerlichen Freiheiten nieht im gleiehen MaBe behauptet werden kann. Auch wenn die Problematik dieser Messung berticksiehtigt wird (LauthIPickeVWelzel 2000), so kann sie doch als Indiz fur den angemerkten SachverhaIt einer begrenzten Rechts staatliehkeit in den entsprechenden Demokratien dienen.

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