FORSCHUNGSBERICHTE DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN Nr. 2262 Herausgegeben im Auftrage des Ministerpräsidenten Heinz Kühn vom Minister für Wissenschaft und Forschung Johannes Rau Dipl. -Kfm. Ralf Langner Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik Köln Direktor: Prof. Dr. 0. Blume Rechtsposition und praktische Stellung des Aufsichtsrates im Unternehmerischen Entscheidungsprozeß Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 19 7 3 ISBN 978-3-531-02262-8 ISBN 978-3-663-14328-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-14328-4 © 19 7 3 by Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag, Opladen 1973 Vorwort Die vorliegende Studie über Entscheidungsprozesse in mitbestimmten Un ternehmen nach dem BetrVG wurde im September 1968 konzipiert und im Juni 1969 vom Landesamt für Forschung beim Ministerpräsidenten des Lan des Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegeben. Die Durchführung der Forschungsarbeiten erfolgte im 'Institut für Sozial forschung und Gesellschaftspolitik e. V. , Köln', unter Aufsicht von Insti tutsdirektor Prof. Otto Blume. Vorbereitungen der Erhebung und Feldarbeiten wurden im Frühjahr 1971 abgeschlossen. Als zeitlicher Bezugspunkt der Ergebnisse kann damit das Jahr 1970 angesehen werden. Inhalt Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .................. 9 1. Teil Theoretische Grundlagen der Untersuchung · .................. 11 I. Untersuchungsobjekt: Der Aufsichtsrat im Unternehmerischen Entscheidungsprozeß · · · · · · · . · · · · ..............• 11 1. Die gesetzliche Konzeption des Aufsichtsrates 11 a) Legitimation von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern zur Führung eines Mandats und ihre Stellung im Aufsichts- organ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 b) Funktionen des Aufsichtsrates nach dem Aktiengesetz (formale Objekte und Richtlinien der Aufsichtsratstätigkeit) 14 (1)Vorstandswahl . . . . . . . . . . . . . . 14 {2) Prüfungshandlungen . . . . . . . . . . . 15 (3) Überwachung der Geschäftsführung . 16 (a) Kontrolle . . . . . . . . . . . . 16 (b) Mitwirkende Überwachung . . . . . . . 17 (4) Beratung . . . . . • . . . . . . . . . . . . . 18 c) Instrumente des Aufsichtsrates zur Ausübung seiner Funktionen und sein Verhältnis zur Geschäftsleitung . . . . . . . . . . . 19 (1) Machtmittel des Aufsichtsrates gegenüber dem Vorstand 19 (a) Vorstandswahl. . . . . . . . . . . . . 19 (b) Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 {c) Zustimmungspflichtige Geschäfte . . . . . 20 (2) Berichterstattungspflicht des Vorstandes 20 (a) Information und Kommunikation als Aufsichtsmittel 20 (b) Informationsgrad und -verwertung im Aufsichtsrat 24 (c) Information als Machtinstrument innerhalb des Aufsichtsrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 {3) Machteinschränkungen des Aufsichtsrates . . . • 27 {a) Ausschluß aus der Geschäftsführung . . . . . . . . 27 (b) Treue-, Verschwiegenheits- und Sorgfaltspflicht. 28 d) Die Intention des § 76 BetrVG im Hinblick auf die Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Unternehmens- fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Entscheidungsprozeß im Unternehmen ...... 32 a) Programmierbare und nicht-programmierbare Entschei- dungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 b) Der Impulsbezug unternehmerischer Entscheidungsprozesse 34 5 (1) Entscheidung als Prozeß . . . . . . 34 (a) Einfluß auf Entscheidungen . . . . 35 (b) Entscheidungsbeiträge (Impulse). 35 (2) Entscheidungsphasen . . . . . . . . 37 c) Der Aufsichtsrat als Entscheidungsträger 39 (1) Entscheidungen in einer Gruppe . . . . . . . 39 (2) Kriterien einer tatsächlichen Beteiligung des Aufsichtsrates an Unternehmerischen Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . 41 II. Untersuchungsmethode: Das halbstandardisierte Interview ....... 41 1. Untersuchungseinheit: Unternehmen der Eisen und Metall verarbeitenden Industrie des Landes Nordrhein-Westfalen . 41 a) Darstellung der Grundgesamtheit . 42 b) Darstellung der Stichprobe . 44 c) Ausfälle . . . . . . . . . . . . . • 46 2. Untersuchungsinstrument: Leitfadengespräch . 48 a) Auswahl des Erhebungsinstrumentes . . . . . 48 b) Darstellung der gewählten Erhebungstechnik. . 51 (1) Vorbedingungen für die Konstruktion des Erhebungs- instrumentes . . . . . . . . . . . . . . . 51 (2) Aufbau des Erhebungsinstrumentes . . . . . . . . . . . . . 52 3. Einige Anmerkungen zur Frage der Gültigkeit der Befragungs- ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Die logische und empirische Gültigkeit der Befragungs- ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . • 55 b) Zur Frage der Gültigkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Teil Bericht über die empirische Untersuchung . . 59 I. Determinanten der Entscheidungstätigkeiten im Aufsichtsrat . 59 1. Struktur des Aufsichtsrates . 59 a) Art der Gesellschaft .6o (1) Einzelunternehmen . 61 (2) Abhängige Unternehmen • 63 b) Eigentumsverhältnisse . • 63 c) Personelle Zusammensetzung des Aufsichtsrates • 65 (1) Interessenvertreter der Anteilseigner . 65 (a) Groß- und Hauptaktionäre . 66 (b) Minderheitsaktionäre .66 (c) Kleinaktionäre ....... . . 67 6 (2) Interessenvertreter der Arbeitnehmer .......... . 67 (3) Vertreter sonstiger Interessenkreise im Aufsichtsrat . 6S (a) Die Rolle der Geschäftsfreunde . 6S (b) Die Rolle der Bankvertreter ................. . 69 (c) Die Rolle der Experten .................... . 71 (4) Fraktionsbildende Aspekte in der gemeinsamen Aufsichts- ratsarbeit ................... . 72 2. Das Entscheidungsfeld des Aufsichtsorgans 74 a) Entscheidungsobjekte ......... . 74 b) Initiativen zur Problemaufdeckung . 76 3. Informationsgrad des Aufsichtsrates, Informationsstruktur innerhalb des Gremiums und Kommunikationsnetz . . . . . . . . . . . . 76 a) Die formale Informationsversorgung . . . . . . . . . . . . 77 b) Das informelle Informations- und Kommunikationsnetz So (1) Informelle Kontakte zum Vorstand . . . . . So (a) Umfang und Bedeutung der Interaktionen ....... ; . . So (b) Interaktionsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S3 (c) Rollenfixierung im informellen Kommunikationssystem S3 (2) Das informelle Kommunikationsnetz innerhalb des Aufsichtsrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S3 (3) Der Interaktionsgrad als Determinante des Entscheidungs- prozesses . . . . . . . . . . . . . . S5 4. Zielvorstellungen im Aufsichtsrat S6 a) Das multivariable Zielsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ·s7 (1) Persönliche Ziele . . . . . SS (2) Ökonomische Ziele . . . . . . . . . . . . . . 9o (3) Soziale Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Konfliktregulierung bei Zieldivergenzen 95 (1) Machtmittel . . 96 (2) Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5. Entscheidungstätigkeit und Entscheidungsvorbereitung durch Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Art und personelle Zusammensetzung der Ausschüsse 99 b) Bedeutung der Ausschüsse für die Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat ................................... 102 II. Der Beitrag des Aufsichtsrates und seiner Mitglieder zum Unternehmerischen Entscheidungsprozeß .................. 103 1. Willensbildung im Aufsichtsrat ......................... 103 2. Systemmerkmale des Aufsichtsrates als Determinanten des Entscheidungsprozesses .................. . . 103 a) Determinanten einer hohen Entscheidungsbeteiligung des Gesamtgremiums ........................... . . 103" 7 b) Determinanten einer niedrigen Entscheidungsbeteiligung des Gesamtgremiums ......... . 107 c) Der Einfluß persönlicher Merkmale .......... . 109 3. Der Anteil am Unternehmerischen Entscheidungsprozeß llo a) Entscheidungstätigkeiten .... . llo (1)Vorstandswahl .......... . llo (2) Prüfungs- und Kontrollaufgaben 112 (3) Mitwirkende Überwachung und Beratung. 113 b) Typen des Aufsichtsrates ..... 115 (1) Aufsichtsrat als Führungsinstanz ... . 116 (2) Aufsichtsrat als Stabstelle ........ . 117 (3) Aufsichtsrat als Repräsentationsorgan . 117 (4) Der 'typische' Aufsichtsrat der Praxis 117 III. Einige Anmerkungen zum Selbstverständnis der Aufsichtsrats- mitglieder ..... . 118 Abkürzungsverzeichnis 12o Anmerkungen 121 Anhang ..... 131 a) Abriß des Leitfadens. . 131 b) Tabellen ........ . . 138 Literaturverzeichnis ............................................. 145 8 Vorbemerkungen " Das Mitbestimmungsrecht (wird) ohne Zweifel von den Arbeitnehmern überwiegend bejaht. Zugleich aber gibt es eine Reihe von Beobachtungen, die zeigen, daß die von den Arbeitnehmern erwartete Aktivität vielfach nicht befriedigend zustande kommt. Bei der Bedeutung des ganzen Problems ist es offensichtlich sehr verdienstlich, hier zu zuverlässigen Beobachtungen zu kommen und die Verhältnisse möglichst weitgehend zu klären." (1) Zur Kennzeichnung bestimmter Demokratisierungsvorgänge in der Wirt schaft hat sich mit zunehmender Bedeutungsvielfalt das Sprachsymbol "Mit bestimmung" in der politischen wie wissenschaftlichen Diskussion durchge setzt. Entsprechend der historischen Entwicklung des Mitbestimmungsge dankens sowie seiner Konkretisierung in Form von praktizierten oder theo retischen Modellen wurden im zeitlichen Ablauf immer wieder neue Be griffsinhalte diesem Sprachsymbol subsumiert, steht heute ein breites Spek trum möglicher Definitionen des Begriffs Mitbestimmung den Diskussions teilnehmern frei, was sicherlich nicht zur Klärung des Problemkreises bei getragen hat (2). Über die gesetzliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer haben bereits ver schiedene empirische Untersuchungen berichtet(3); ihre Ergebnisse orien tierten sich jedoch hauptsächlich an der Einhaltung der einzelnen gesetzli chen Bestimmungen oder an der Zufriedenheit der Mitbestimmungsträger. Es ist aber offensichtlich, daß eine rechtliche Fixierung lediglich die for malen Voraussetzungen für den Vollzug der Mitbestimmung durch die Ar beitnehmer bzw. ihre Repräsentationsorgane schafft; selbst eine juristisch einwandfreie Erfüllung der Normen läßt noch keine Schlüsse zu, in welcher Weise unternehmenspolitisch relevante Entscheidungen zustande kommen und von welchen Personen sie getragen werden. Demgegenüber müssen die Herrschaftsstrukturen im Unternehmen sowie die objektiven Entscheidungs spielräume der Akteure - unabhängig von dem formalen Organisationssy stem und dem Aufgabenzusammenhang - angemessen berücksichtigt werden. Beim heutigen Stand der Mitbestimmungsdiskussion scheint deshalb immer noch die etwas pauschale Feststellung gerechtfertigt, " ... daß die sachli chen Voraussetzungen, auf denen ein solches Reden basieren müßte, nicht hinreichend geklärt sind" (4). Insofern soll auch die vorliegende Arbeit nicht als ein Versuch einer Stellungnahme zur Mitbestimmungsproblematik zu verstehen sein; politische und ideologische Dimensionen solcher Thematik müssen ausgeklammert bleiben. Die Studie soll ausschließlich die Klärung der Frage erleichtern helfen, ob wirtschaftliche Mitbestimmung - hier gleich: Teilhabe an Entscheidungen - gemäß den vielgestaltigen Modellen der einzelnen politischen und sozialen Parteien auf den Aufsichtsrat eines Unternehmens zu lokalisieren ist und dort "systemgerecht" ausgeübt wer den kann. 9 Erkenntnisobjekt bleibt daher das Unternehmen als wirtschaftliche, organi satorische, finanzielle Einheit der Leistungserstellung und -verwertung; durch die besondere Blickrichtung auf den Aufsichtsrat - eine para-organi satorische Einrichtung des Unternehmens - ist der Untersuchungsgegen stand um die juristische Komponente eines notwendigen Gesellschaftstyps, der Kapitalgesellschaft, erweitert. Der Gang der Untersuchung berücksichtigt -nach der Einordnung der The matik in den formaljuristischen Zusammenhang - die grundlegende Stellung und Bedeutung des Entscheidungsbegriffes, seinen prozessualen Charakter und seine Interdependenzen im sozialen Gefüge einer Unternehmung; korres pondierende Phänomene, wie vor allem Machtverteilung und Machtausübung innerhalb des Überwachungsorgans sowie im Wechselverhältnis von Auf sichtsrat zu Vorstand, werden auf ihre Wirkungen im Willensbildungspro zeß hin überprüft. Hierbei ist die Verteilung von Gesellschaftsrechten (Aktien) zwar von hoher Relevanz, als dadurch unternehmenspolitische Ent scheidungen bereits präjudiziert sein können, und werden auch die Kapital verhältnisse entsprechend ihrer Bedeutung gewürdigt; weitergehende sozial politische Fragestellungen nach der personellen Vermögensstruktur der Volkswirtschaft oder nach den Wirkungen wirtschaftlicher Machtkonzentra tion sollen hier jedoch nicht erörtert werden. Die vorliegende Arbeit stellt eine Bestandsaufnahme der tatsächlichen Ent scheidungsvorgänge und Machtverhältnisse an der Spitze der Unternehmens hierarchie ciar; die Darstellung der Forschungsergebnisse in Form von De terminanten, die tendenzielle Wirkungsabläufe ausweisen, zeigen jedoch an, daß es sich dabei um veränderliche und veränderbare Größen handelt. Mit der Isolierung der wichtigsten Determinanten, soweit in der Stichprobe und dem Erhebungszeitraum sichtbar geworden, ist allerdings noch keine impli zite Formulierung von Ansprüche an eine zukünftige Ordnungspolitik ver bunden; die hierzu notwendigen Wertungen müssen durch den Politiker er folgen. 10