Max Planck Institutefor Intellectual Property, Competition and Tax Law MPI Studies on Intellectual Property, Competition and Tax Law Volume 7 Edited by Josef Drexl Reto M. Hilty Wolfgang Schön Joseph Straus Wolfgang Schön (Editor) Rechnungslegung und Wettbewerbsschutz im deutschen und europäischen Recht 123 Professor Dr. Wolfgang Schön Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht Marstallplatz 1 80539München [email protected] ISBN978-3-540-85374-9 e-ISBN978-3-540-85375-6 DOI10.1007/978-3-540-85375-6 BibliografischeInformationderDeutschenNationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detailliertebibliografischeDatensindimInternetüberhttp://dnb.d-nb.deabrufbar. (cid:176)c 2009Springer-VerlagBerlinHeidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung,desNachdrucks, desVortrags,der EntnahmevonAbbildungenund Tabellen,derFunk- sendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungs- pflichtig.ZuwiderhandlungenunterliegendenStrafbestimmungendesUrheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigtauchohnebesondereKennzeichnungnichtzuderAnnahme,dasssolcheNamenimSinneder Warenzeichen-undMarkenschutz-Gesetzgebungalsfreizubetrachtenwärenunddahervonjedermann benutztwerdendürften. Einbandgestaltung:WMXDesignGmbH,Heidelberg GedrucktaufsäurefreiemPapier 9 8 7 6 5 4 3 2 1 springer.de Vorwort Publizität und Transparenz gehören zu den Zauberworten der Gesetzgebung im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht. In der politischen Öffentlichkeit, aber auch in Fachkreisen der Rechtswissenschaft und der Volkswirtschaftslehre, wird der Aus- weitung der öffentlich verfügbaren Informationen ein prinzipieller Mehrwert bei der Verbesserung rechtlicher Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln, ins- besondere für die Lösung von Interessenkonflikten, zugesprochen. Vor allem die europäische und internationale Gesetzgebung auf dem Feld der Rechnungslegung ist vom Transparenzdenken geleitet; eine Berücksichtigung entgegenstehender Geheimhaltungsinteressen privater Akteure findet stetig weniger statt. Das hiermit der Öffentlichkeit vorgestellte Buch unternimmt es, vor dem Hinter- grund zivil-, europa-, verfassungs- und kartellrechtlicher Rahmenbedingungen einen angemessenen Ausgleich zwischen den Informationsansprüchen der Öffent- lichkeit und den Geheimhaltungsinteressen von Unternehmen zu erarbeiten und auszudifferenzieren. Dafür werden die bilanzrechtlichen, kapitalmarktrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Instrumente untersucht und um kartellrechtliche Rechtsbehelfe ergänzt. Das Werk ist aus einem Forschungsprojekt der Abteilung „Rechnungslegung und Steuern“ am Münchner Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wett- bewerbs- und Steuerrecht hervorgegangen, an dem sich in den Jahren 2005–2008 eine große Anzahl von Mitarbeitern des Instituts beteiligt hat. Sämtliche Autoren des Buches waren oder sind am Institut wissenschaftlich tätig; dabei wurde sowohl die bilanz- und gesellschaftsrechtliche als auch die wettbewerbsrechtliche Kompetenz des Hauses genutzt. Die Autoren danken für die umfassende und verlässliche redaktionelle Be- treuung Herrn wiss. Mitarbeiter Philipp Redeker, der von stud. iur. Markus Gromeier, Leif Klinkert, Andreas Niedermeier, Erik Pöttker und Joost Osmers tat- kräftig unterstützt wurde. Frau Gabriele Auer und Frau Petra Golombek haben viel- fältige organisatorische und bibliothekarische Hilfe geleistet. München, im August 2008 Wolfgang Schön Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V 1. Geheimschutz und Wettbewerb – eine Einführung . . . . . . . . . . . . . . 1 Wolfgang Schön 2. Rechtliche Grundlagen zum Verhältnis von Informationspflichten und Geheimnisschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2.1. Geheimnisschutz und Informationsinteresse bei der Durchsetzung privater Rechte – vorbereitende Auskunftsansprüche und Aufklärung im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Christine Osterloh-Konrad 2.2. Verfassungsrechtliche Vorgaben für den Geheimnisschutz von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Lucas Wartenburger 2.3. Der europarechtliche Rahmen für die Unternehmenspublizität . . . . . . . . 105 Axel Cordewener 2.4. Kartellrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Stefan Enchelmaier 3. Der Schutz wettbewerblicher Interessen im Gesellschafts-, Bilanz- und Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . . . . 285 3.1. Geheimnisschutz im Jahres- und Konzernabschluss nach HGB und IAS/IFRS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Susanne Eßbauer 3.2. Eine Schutzklausel für den Lagebericht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Christina Palmes 3.3. Auskunftsverweigerung im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht . . . . . 411 Christian Kersting VIII Inhaltsübersicht 4. Ökonomische Einsichten und rechtspolitische Vorschläge . . . . . . . . 527 4.1. Unternehmensinformation und Wettbewerbsschutz – Problemeinschätzung deutscher börsennotierter Unternehmen . . . . . . . . 529 Simon Patrick Link 4.2. Unternehmenspublizität und Wettbewerb – eine ökonomische und rechtspolitische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . 563 Wolfgang Schön 1. Geheimnisschutz und Wettbewerb – eine Einführung 1 1. Geheimnisschutz und Wettbewerb – eine Einführung Wolfgang Schön* 1.1. Der Grundkonflikt Eine Information ist ein wertvolles Gut. Dieser Wert ist in hohem Maße davon abhängig, ob sie nur einzelnen Personen oder einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist. In vielen Fällen wird der Inhaber einer Information Wert darauf legen, als ein- ziger Kenntnis von den zugrunde liegenden Tatsachen zu besitzen. Diesem Inter- esse kommt die Rechtsordnung nach, indem sie traditionell auch „Geheimnisse“ schützt, d.h. nur einem begrenzten Personenkreis zugänglichen Tatsachen, Gegen- stände oder Erkenntnisse. Dazu zählen nicht nur „Staatsgeheimnisse“ (§ 93 StGB), sondern auch „Privatgeheimnisse“ (§ 203 StGB), unter denen sich neben Informati- onen zum persönlichen Lebensbereich wiederum die „Betriebs- und Geschäftsge- heimnisse“ finden, deren Verwertung durch unbefugte Personen gesondert in § 204 StGB unter Strafe gestellt ist. Unter diese Kategorie von „Betriebs- und Geschäfts- geheimnissen“ eines Kaufmanns subsumierte das Reichsgericht noch im Jahre 18971 auch dessen Bilanz: die Weitergabe des Jahresabschlusses durch einen unbe- fugte Person erfüllte damit den Tatbestand einer Straftat. Die persönliche Verfügung des Kaufmanns über seine wesentlichen finanziellen und wirtschaftlichen Daten und damit auch die Nutzung für eigenwirtschaftliche Zwecke war damit strafrecht- lich geschützt. Nur auf freiwilliger Grundlage sollte eine Offenlegung dieser Daten an vom Kaufmann selbst ausgewählte Personen erfolgen. Mehr als 100 Jahre später hat sich die Situation dramatisch verändert. Das euro- päisch harmonisierte Bilanz- und Kapitalmarktrecht verlangt nach einer weitgehen- den Offenlegung finanzieller Daten von Kapitalgesellschaften und bestimmten – ihnen gleichgestellten – Personenunternehmen. Gesellschaftsrechtlich wird dies durch weit reichende Auskunftsrechte der Anteilseigner – etwa im GmbH-Recht oder im Aktienrecht – unterstützt. Hinzu treten anlassbezogene Publizitätspflichten im Kapitalmarktrecht, etwa im Rahmen der Regeln über die Ad-Hoc-Publizität. Die öffentliche Transparenz von Unternehmensdaten gehört zu den Selbstverständlich- keiten der Wirtschaftspraxis, deren Legitimation weitgehend nicht (mehr) in Frage gestellt wird. Publizität gilt als Preis der Marktteilnahme2 oder zumindest – bei Kapitalgesellschaften – als Preis der Haftungsbeschränkung. Der Europäische Gerichtshof hat diese Grundtendenz in mehreren viel beachteten Urteilen unter- *1 Dr. iur., Direktor am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuer- recht in München, Honorarprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 1 RGSt 29, 426, (430). 2 MERKT, Unternehmenspublizität, 2001, 389 ff. 2 Wolfgang Schön stützt und die Mitgliedstaaten verpflichtet, die generelle Offenlegung von Unter- nehmensdaten durchzusetzen3. Demgegenüber sind die Kosten der Produktion und Publizität von Unterneh- mensinformationen im europäischen und deutschen Schrifttum weitgehend in Ver- gessenheit geraten4. Zu diesen Kosten gehören wesentlich auch Nachteile im Wett- bewerb, die durch die Veröffentlichung von technologischen oder strategischen Innovationen oder auch durch die Publizität finanzieller Daten gegenüber markt- starken Wettbewerbern, Nachfragern oder Zulieferern eintreten können. Das gel- tende Bilanzrecht – und vor allem das Kapitalmarktrecht – schenken diesem Kos- tenproblem nahezu keine Aufmerksamkeit, obwohl ungebremste Transparenz auch erhebliche Wohlfahrtsverluste mit sich bringen kann. Schutzklauseln sind stückwei- se abgebaut und im System der internationalen Rechnungslegung überhaupt nicht mehr eingerichtet worden. Publizität – auch Zwangspublizität – wird als grundsätz- lich überlegene rechtspolitische Lösung empfunden; die Mehrung der öffentlich verfügbaren Informationen gilt als eine in ihren positiven Effekten unbezweifelte Zielsetzung. Die Fakten sehen jedoch anders aus. In einer statistischen Erhebung konnte festgestellt werden, dass Unternehmen die Wettbewerbsrelevanz von Publi- zitätspflichten deutlich wahrnehmen, ja dass sie vielfach den Nutzen fremder Bilanzinformationen für ihre eigenen wettbewerblichen Verhaltensweisen höher einschätzen als die Nachteile, die sie selber aus fremdem Datenzugriff zu erwarten haben5. Die Grundproblematik von Geheimnisschutz und Wettbewerb liegt nun darin, dass eine weitgehende Offenlegung von Unternehmensdaten bei einer bestimmten Gruppe von Adressaten (Fremd- und Eigenkapitalgeber, potentielle Investoren) positive Effekte zeitigen kann, während die gleiche Information in der Hand ande- rer Nutzer (Wettbewerber oder Geschäftspartner auf Produktmärkten) individuelle, aber auch volkswirtschaftliche Nachteile mit sich führen kann. Gerade in einem System allgemeiner Marktpublizität kann jedoch der sektorale Ausschluss einzelner Nutzergruppen kaum gelingen; man steht vor der Wahl zwischen einer Unterversor- gung des Kapitalmarktes mit Informationen und der zweckwidrigen Nutzung der- selben Informationen durch Akteure des Produktmarktes. 1.2. Lösungen im Zivil- und Gesellschaftsrecht Dieser Grundkonflikt existiert nicht nur im Bilanz- und Kapitalmarktrecht. Bereits die allgemeinen Regeln des Zivilrechts (einschließlich des Zivilprozessrechts) müs- sen sich der Frage widmen, wie bei der Durchsetzung von Auskunftsansprüchen (bei unsicherer Rechtslage) mit den berechtigten Interessen des Auskunftsgegners auf Geheimhaltung seiner wirtschaftlichen Daten umzugehen ist. Mit diesen Grund- 3 Siehe dazu die Darstellung bei CORDEWENER, in diesem Buch S. 105 ff. 4 Zum Problem der Informationskosten im Zivilrecht siehe allgemein REHBERG in: EGER/SCHÄ- FER (Hrsg.), Ökonomische Analyse der Zivilrechtsentwicklung, 2007, 298 ff.; SCHÖN in: HEL- DRICH u. a. (Hrsg.), FS Canaris, 2007, 1191 (1205 ff.). 5 Siehe dazu den Beitrag von LINK, in diesem Buch S. 529 ff. 1. Geheimnisschutz und Wettbewerb – eine Einführung 3 fragen befasst sich in diesem Band der Beitrag von Christine Osterloh-Konrad6, der anhand der Thematik zivilrechtlicher Auskunftsansprüche sowohl die fein geschliffenen Instrumente der Darlegungs- und Beweislastregeln als auch die mög- lichen verfahrensrechtlichen Instrumente einer begrenzten Weitergabe von sensib- len Informationen an vertrauenswürdige Dritte (Wirtschaftsprüfervorbehalt) oder sogar eine von der Wahrnehmung der Parteien abgeschottete gerichtliche Würdi- gung von vertraulichen Tatsachen in einem in-camera-Verfahren präsentiert. In die- sem Beitrag wird deutlich, dass es zwischen der allgemeinen Publizität und dem strikten Geheimnisschutz intermediäre Stufen der Konfliktlösung gibt. Allerdings beschränkt sich die zivilrechtliche Betrachtung auf Zweipersonen- oder höchstens Dreipersonenbeziehungen, bei denen eine allgemeine Streuung von Informationen nicht zu besorgen, aber auch nicht erforderlich ist. Eine weitergehende Beteiligung von Personen vollzieht sich im Gesellschafts- recht, wo mehreren Teilhabern sowohl im Personengesellschafts- als auch im Kapi- talgesellschaftsrecht gleichartige Informationsrechte gegen die geschäftsführenden Organe zustehen. In seinem einleitenden Überblick zum Gesellschaftsrecht macht Christian Kersting7 deutlich, dass das Gesellschaftsrecht zwei unterschiedliche Lösungswege kennt, um den Konflikt zwischen Vertraulichkeit von betrieblichen Informationen einerseits und Transparenz zwischen Mitgliedern und Organwaltern zu lösen: Entweder wird (etwa bei persönlich haftenden Gesellschaftern) ein umfas- sendes Informationsrecht mit einem Wettbewerbsverbot kombiniert und damit die individuelle Nutzung wettbewerbsrelevanter Informationen unterbunden oder es wird der Geschäftsführung (etwa in Kapitalgesellschaften) erlaubt, sensible Daten im Interesse des Unternehmens zurückzuhalten. Die Wahl des passenden Instru- ments richtet sich nach der Nähe der Teilhaber zum Unternehmen und ihrer Anzahl: bei der großen Publikums-AG ist die Situation so gelagert, dass die begrenzte Öffentlichkeit der Hauptversammlung so viele Personen einschließt, dass von einer faktischen Publizität gegenüber der Allgemeinheit gesprochen werden muss. Dem- entsprechend sind die Auskunftsverweigerungsrechte des Vorstandes in der AG deutlich stärker ausgeprägt als diejenigen der Geschäftsführung in der GmbH oder in den Personengesellschaften. 1.3. Vorgaben im Verfassungsrecht und im Europäischen Gemeinschaftsrecht Die Preisgabe von geschäftlichen Informationen berührt einen Bereich persön- lichen wirtschaftlichen Handelns, der in der Rechtsprechung des Bundesverfas- sungsgerichts von mehreren grundrechtlichen Positionen unter Schutz gestellt wird. So können sowohl die wirtschaftsorientierten Grundrechte der Berufsfreiheit (Art.12 GG) als auch der Eigentumsfreiheit (Art.14 GG) sowie die allgemeine Handlungsfreiheit (Art.2 Abs.1 GG) eine Rolle spielen, wenn Einzelpersonen mit Publizitätspflichten belastet werden. Diese Thematik wird in diesem Band von 6 In diesem Buch S. 9 ff. 7 In diesem Buch S. 411 ff.