ebook img

Reallexikon für Antike und Christentum 14 : Heilig – Hexe PDF

651 Pages·1988·31.697 MB·German
Save to my drive
Quick download
Download
Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.

Preview Reallexikon für Antike und Christentum 14 : Heilig – Hexe

REALLEXIKON FÜR ANTIKE UND CHRISTENTUM SACHWÖRTERBUCH ZUR AUSEINANDERSETZUNG DES CHRISTENTUMS MIT DER ANTIKEN WELT HERAUSGEGEBEN VON ERNST DASSMANN CARSTEN COLPE, ALBRECHT DIHLE, JOSEF ENGEMANN BERNHARD KÖTTING, WOLFGANG SPEYER, KLAUS THRAEDE Band XIV: Heilig — Hexe $ 1988 ANTON HIERSEMANN · STUTTGART BEGRÜNDET VON FRANZ JOSEPH DÖLGER, THEODOR KLAUSER, HELMUT KRUSE HANS LIETZMANN, JAN HENDRIK WASZINK REDAKTION F. J. Dölger-Institut, Lennestraße 41, D-5300 Bonn 1 CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Reallexikon für Antike und Christentum: Sach- Wörterbuch zur Auseinandersetzung d. Christen- turns mit d. antiken Welt / [im Auftr. d. Rhein.- Westfäl. Akad. d. Wiss. bearb. im Franz-Joseph- Dölger-Inst. d. Univ. Bonn]. Hrsg, von Ernst Dassmann... [Begr. von Franz Joseph Dölger...]. — Stuttgart : Hiersemann Bis Bd. 13 hrsg. von Theodor Kiauser ... ISBN 3-7772-5006-6 NE: Dassmann, Ernst [Hrsg.]; Dölger, Franz Jo- seph [Begr.]; Franz-Joseph-Dölger-Institut zur Er- forschung der Spätantike (Bonn) Bd. 14. Heilig - Hexe. - 1988 Abschlußaufnahme von Bd. 14 ISBN 3-7772-8835-7 © 1988 ANTON HIERSEMANN, STUTTGART Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des Nachdrucks und der Übersetzung. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses urheberrechtlich geschützte Werk oder Teile daraus in einem photomechanischen, audiovisuellen oder sonstigen Verfahren zu verviel- faltigen und zu verbreiten. Diese Genehmigungspflicht gilt ausdrücklich auch für die Verarbeitung, Vervielfältigung oder Verbreitung mittels Datenverarbeitungsanlagen und elektronischer Kommu- nikationssysteme. Satz und Druck: Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten Printed in Germany INHALT Heilig.......................................................... 1 Hermeneutik............................................. 722 Heilige Krankheit................................... 63 Hermes...................................................... 772 Heiligenbild ............................................. 66 Hermetik................................................... 78O Heiligenverehrung I................................ 96 Hermias................................................... 808 Heiligenverehrung II (Hagiographie) . . 150 Herodes der Große................................... 815 Heilige Schriften...................................... 184 Herodot ................................................... 849 Heilkunde ................................................ 223 Heros......................................................... 861 Heilmittel ................................................ 249 Herrschaft................................................ 877 Hekataios von Abdera............................. 275 Herrschaftszeichen................................... 937 Hekate...................................................... 310 Herrscherbild .......................................... 966 Helena I (simonianisch)............................. 338 Herrscherkult..............................................1047 Helena II (Kaiserin)................................ 355 Herz.............................................................1093 Hellenen................................................... 375 Hesekiel.......................................................1132 Hen (έν) ................................................... 445 Hesiod..........................................................1191 Henoch...................................................... 473 Heuchelei.......................................................1205 Hephaistion von Theben.......................... 545 Heuschrecke.................................................1231 Hera.......................................................... 550 Hexaemeron.................................................1250 Herakles................................................... 559 Hexe..............................................................1269 Heraklit................................................... 583 Herberge................................................... 602 Register.......................................................1277 Hereditas................................................... 626 Erscheinungsdaten.......................................1281 Hermaphrodit.......................................... 649 Stichwörter....................................................1283 Hermas...................................................... 682 Mitarbeiter....................................................1285 Herme...................................................... 701 Nachtragsartikel..........................................1287 INHALTSVERZEICHNIS Heilig: Albrecht Dihle (Heidelberg) Heiligenverehrung I: Theofried Baumeister Heilige Krankheit: Heinzgerd Brakmann (Bonn) (Mainz) Heiligenbild: Christa Belting-Ihm (Heidelberg) Heiligenverehrung II (Hagiogaphie): Marc Van Uytfanghe (Gent) NACHTRÄGE Die Supplement-Lieferungen 1—4 des RAC enthalten folgende Artikel: Aaron Amt Abecedarius Anfang Aegypten 11 (literaturgeschichtlich) Ankyra Aeneas Anredeformen Aethiopia Aphrahat Africa II (literaturgeschichtlich) Apophoreton Afrika Aponius Agathangelos Aquileia Aischylos Arator Albanien (in Kaukasien) Aristeasbrief Altersversorgung Aristophanes Amazonen Arles Ambrosiaster Ascia Amen Asterios V. Amaseia Ammonios Sakkas Athen I (Sinnbild) Amos In dem bei der Aschendorffschen Verlagsbuchhandlung in Münster erscheinenden ״Jahrbuch für Antike und Christentum“ sind weitere Nachträge zum RAC enthalten: Barbar 10 (1967) 251/90 Constantius I 2 (1959) 158/60 Baruch 17 (1974) 177/90 Constantius II 2 (1959) 162/79 Büchervernichtung 13 (1970) 123/52 Erbrecht 14 (1971) 170/84 Calcidius 15 J972) 236/44 Euripides 8/9 (1965/66) 233/79 Consilium, Consistorium 11/12 (1968/69) 230/48 Fuchs 16 (1973) 168/78 Constans 2 (1959) 179/84 Gans 16 (1973) 178/89 Constantinus II 2 (1959)160f Die im ״Jahrbuch“ erschienenen Nachtragsartikel werden zu gegebener Zeit in die Supple· ment-Lieferungen des RAC aufgenommen ISBN 3—7772—8702—4 (RAC Lieferung 105) Heilig. steigenden Vollkommenheit genannt. H. nennt man aber auch alles, was dieser Macht A. Nichtchristlich. in besonderer Weise zugehört, sowie den I. Griechisch, a. 'Αγνός 2. b. "Αγιος 4. Menschen, der für eine Begegnung mit der c. 'Ιερός 7. d. Andere Wörter. 1. Σεμνός 9. 2. Macht, mag sie nun als Gefahr oder als Segen "Οσιος 10. 3. Θείος 11. 4. Δαιμόνιος 12. erlebt werden, durch Zustand u. Verhalten in e. Rückschlüsse aus dem Sprachgebrauch 13. besonderer Weise qualifiziert ist. Daß ,h.‘ mit f. Philosophische Reflexion auf das Heilige 14. seinen Äquivalenten in den neueren europäi- II. Römisch, a. Allgemeines 16. b. Sprachge- sehen Sprachen ein derart großes Bedeu- brauch. 1. Sacer / sanctus 20. 2. Fas, pius, pie- tas 22. c. Entwicklungen in nachklassischer tungsfeld besetzt, erklärt sich aus der Prä- Zeit 23. gung dieser Sprachen durch die christl. Tra- III. Altes Testament u. Judentum, a. Altes Te- dition. stament 26. b. Judentum 31. c. Hellenistisches A. Nichtchristlich. I. Griechisch, a. 'Αγνός. Judentum. 1. Übersetzungsprobleme 33. 2. Phi- Wohl das wichtigste Wort des griech. Ion 35. H.keitsVokabulars ist αγνός, zu άζομαι gehö- B. Christlich. rig wie σεμνός zu σέβομαι. Es bezeichnet den I. Neues Testament, a. Sprachgebrauch 37. Gegenstand religiöser Scheu u. Verehrung b. Synoptische Tradition 38. c. Paulus u. die frü- (Götter u. Eltern), denn άζομαι ist im Gegen- hen Gemeindetraditionen 40. d. Johanneische satz zu αίδέομαι auf diese Art des Respekts Schriften 42. beschränkt (P. Chantraine, Diet. etym. de la II. Apostolische Väter 42. langue grecque 1 [Paris 1968] s. v. άζομαι; III. Gnosis 44. Herodian. Gramm: Etym. Μ. 22, 30 Gais- IV. Apologeten u. Antihäretiker, a. Apologeten 46. b. Irenaeus 47. c. Tertullian. 1. Sprachliches ford). Die frühesten Belege zeigen αγνός als 48. 2. Theologisches 48. Epitheton chthonischer (Demeter: Hymn. V. Drittes Jh. a. Allgemeines 50. b. Origenes Hom. Cer. 203; vgl. 486 σεμναί τ’αίδοΐαί τε; 53. Kaibel nr. 774, 3) oder furchteinflößender VI. Viertes Jh. a. Kirche u. Staat 55. b. Kult 55. Gottheiten (die strafende Artemis: Od. 5,123) c. Mönchtum 58. d. Theologie 61. u. Heroen, also Totenkultempfänger (Hesiod, op. 122 f; vgl. Plat. Crat. 398a; Williger 38f). Die mit dem dt. Wort ,h.‘ bezeichnete Vor- Es ist mögliches Beiwort aller Gegenstände, Stellung ist komplex, u. mannigfache ihm zu- Örtlichkeiten oder Ereignisse, die einer Gott- geordnete Assoziationen lassen es unmöglich heit gehören u. darum Anspruch auf Vereh- erscheinen, seinen semantischen Gehalt als rung erheben (Ort: Aeschyl. suppl. 223; Ge- Begriff zu definieren. Wohl alle Konnotatio- stalt: Hymn. Orph. 39, 7 Quandt; Fest: Od. nen dieses Wortes beziehen sich aber auf Er- 21, 259; Altar: Bacchyl. 2, 29; Eid: Eur. Hel. scheinungsformen unverfügbarer Macht, von 835; kultischer Tanz: Aristoph. ran. 330; Op- deren Wirken sich der Mensch in der Endlich- fer: Sophocl. Trach. 287). Dieser Sprachge- keit u. Unvollkommenheit seiner Erfahrungs- brauch zieht sich durch die ganze Poesie weit gerade hinsichtlich der fundamentalen (Eur. frg. 443, 1 Nauck2; Aristot. frg. 674 Ro- Gegebenheiten seiner Existenz als abhängig se; Timoth. Lyr. Pers. 197 [nr. 791 Page]), erlebt. Als ,h.‘ werden in diesem Zusammen- reicht aber auch in den prosaischen u. außer- hang diese Macht u. ihre Träger oder Ver- literarischen Sprachgebrauch der Spätzeit mittler sowohl hinsichtlich ihrer Wirkung als (τόπος αγνός: PTeb. 616, 2. Jh. nC.) u. läßt auch ihrer die menschliche Erfahrung über­ das Wort oft geradezu zum Synonym für RAC XIV 1 3 Heilig 4 θείος, ζάθεος oder ήγάθεος, ,göttlich‘, wer- deren Ressort Reinheit u. Reinigung fallen, den. — Kennzeichen des Heiligen ist nicht nur oft das Beiwort άγνός (Apollon: Aeschyl. seine Macht, sondern auch seine Unbefleckt- Eum. 62; Pind. Pyth. 9, 64; Eur. Ale. 22f). heit u. Vollkommenheit (Burkert 132/4). Al- Wie frommes Kultpersonal verrichten göttli- les, was sich ihm aussetzt oder ihm zugedacht ehe Geburtshelferinnen die Waschung des ist, sollte dem entsprechen. Diese Vorstei- neugeborenen Apollon άγνώς καί καθαρώς lung führt zu den vielen Reinigungs- u. Ent- (Hymn. Hom. Apoll. 121; vgl. Hesiod, op. haltsamkeitsriten, die griech. Kulte mit ande- 336f). Darin wird die Entsprechung der Ei- ren gemeinsam haben. Achilleus (II. 16, 230/ genschaften auf beiden Seiten der kultischen 2) bringt ein Trankopfer erst dar, nachdem er Begegnung deutlich. Die im Gebrauch von sich vom Blut der Schlacht gereinigt hat. Am άγνός immer stärker sich durchsetzende Fest der Plynterien, an dem in Athen die Reinheitsvorstellung zeigt sich ferner darin, Kultgegenstände der Athena gereinigt wur- daß das Adjektiv oft mit einem separativen den, ruhte alle Arbeit, um jede unkontrollier- Genetiv (μύσους, μιάσματος o. ä.) vor- te Verunreinigung zu vermeiden (Xen. hist. kommt, ähnlich wie άγνεύειν (Aeschyl. suppl. Gr. 1, 4, 12). Die Reinigung kann merkwürdi- 226; Herodt. 1, 140). Kultische Reinheit kann ge Formen annehmen, zB. Entblößung (J. weit über die rituellen Vorschriften hinaus Heckenbach, De nuditate sacra sacrisque vin- die gesamte Lebensführung in Taten, Worten culis [1911]), Züchtigung oder die völlige Be- u. Gesinnungen einschließen. In diesem Sinn seitigung des wirklichen oder möglichen Trä- findet sich das Wort άγνός seit dem 5. Jh. vC. gers der Unreinheit wie im Pharmakos-Ritus verwendet: άγνός τάς χεΐρας άλλ’ ού τάς φρέ- (Nilsson, Rei. I3, 107f) oder Steinigung u. νας (Eur. Orest. 1602 f; vgl. Herodt. 6, 86) Aussetzung (G. Radke, Acca Larentia u. die oder βιοτάν άγιστεύει καί θιασεύεται ψυχάν Fratres Arvales: AufstNiedergRömWelt 1, 2 (Eur. Bacch. 75; dazu Bernays 68). Auch [1972] 430/2). — Wasser u. Feuer, Elemente, Kultsatzungen verwenden άγνός in diesem die zugleich reinigen u. Reinheit anschaulich umfassenden Sinn (Ditt. Syll.3 nr. 980, 4. Jh. machen, tragen oft wie Himmel, Licht u. vC.; ebd. nr. 985, 1. Jh. nC.). Die sakralrecht- Äther das Beiwort άγνός (Pind. Pyth. 1, 20; liehe Unbedenklichkeit kann mit demselben Isthm. 6, 74; Sophocl. Ant. 1201; Trach. 258; Wort bezeichnet werden (άγνώς προς τού Electr. 86; vgl. Williger 25). Kultische Rein- θεού: ebd. nr. 986, 5. Jh. vC. aus Chios). In heit bezieht sich besonders auf die Freiheit einer spiritualisierten Religion kann jede von jeder Berührung mit Zeugung, Geburt u. praktische Kulthandlung umgekehrt als inne- Tod, mit Vorgängen also, die einerseits die re Reinigung gedeutet werden (Marin, vit. Unverfügbarkeit von Leben u. Tod, also Procl. 19, 30). Die Konnotation ,rein‘ (Willi- einen entscheidenden Aspekt des H., ande- ger 37f) hat jedoch die umfassende Bedeu- rerseits physische Befleckung deutlich ma- tung ,h.‘ nie zum Verschwinden gebracht. chen. Gerade weil sie eigenständige Erfah- Das liegt nicht nur an der poetischen Sprach- rungen mit dem H. auslösen, können sie eine tradition, die άγνός gegenüber άγιος bevor- intendierte Begegnung mit ihm stören. Dar- zugte. In Verben wie άφαγνίζω u. καθ- um kann άγνός sich terminologisch auf die αγνίζω, vorwiegend im Blick auf Begräbnis- Keuschheit (E. Fehrle, Die kultische Keusch- riten verwendet, sowie άγνεύω zeigt sich das heit im Altertum [1910] 42/54) u. die Freiheit deutlich (Eur. Ale. 1146; Orest. 40 mit von Blutschuld beziehen (Pind. Pyth. 4, 103; Schol.), wobei hier freilich die Nähe zu καθ- Eur. Hipp. 102; Sophocl. Ant. 889; Vorschrift αγίζω (s. u. Sp. 5) eine Rolle spielt (Sophocl. für ein Priesteramt Ditt. Syll.3 nr. 985, 1. Jh. Ant. 1081; Plut. Ant. 14; Lucian, luct. 9). nC.). 'Αγνεία bezeichnet nicht nur die Rein- Nachklassisch verwendet man das poetisch heit selbst (Sophocl. Oed. rex 864), sondern klingende άγνός u. seine Derivate meist in den Reinigungsritus (Isocr. or. 11, 21; BGU der Bedeutung der Reinheit der Gesinnung 1198; 1. Jh. vC.: άγνείας και θυσίας ποιεί- (Demosth. or. 59, 78; SVF 3 nr. 604. 608; Phi- σθαι), wohl auch die genaue Beachtung sol- lod. lib. 26 Olivieri), der freilich durchaus reli- eher Riten (Plat. leg. 10, 909e); ähnliches gilt giöse Relevanz zukommen kann (Corp. für die Verben άγνεύω u. άγνίζω. Umge- Herrn. 1, 31 Nock/Festugiere; Porph. abst. 2, kehrt tragen die Gottheiten, die entweder als 45). jungfräulich gedacht sind (Chariten: Ale. frg. b. "Αγιος. "Αγιος ist eine jüngere Bildung 386 Lobel/Page; Aeschyl. suppl. 144 f) oder in (erster Beleg Simonid. frg. 519, 9, 6 Page als 5 Heilig 6 Beiwort zu βωμός). Zahlreichen mit άγνός zu- άγνός nicht geltende Erscheinung auf die sammengesetzten Eigennamen steht kein Verwandtschaft von άγιος u. άγος zurückzu- einziger mit άγιος gegenüber (F. Bechtel, Hi- führen sei (anders A. Dihle, Beobachtungen storische Personennamen [1917] 14). Die von zur Entstehung sakralsprachlicher Besonder- άγιος abgeleiteten Wörter wie αγιάζω, heiten: Vivarium, Festschr. Th. Kiauser = αγιασμός, άγιωσύνη u. a. sind zum größten JbAC ErgBd. 11 [1984] 107/10). Das Wort Teil erst jüdisch oder christlich nachweisbar, άγος bezeichnet jede Erscheinung, die von doch gibt es mehrere parallel zu άγιος gebil- den Menschen eine religiöse, an das H. ge- dete Wörter wie άγίζω, άφαγίζω, καάαγίζω, richtete Reaktion fordert, sowie diese Reak- άγιστεύω, die seit dem frühen 5. Jh. vC. auf- tion selbst. Es kann dabei eine Befleckung tauchen u. die rege Produktivität der Wurzel (μίασμα; dazu R. Parker, Miasma [Oxford άγ- bezeugen. — "Αγιος deckt in der Prosa 1981]) oder ein Frevel gemeint sein, die man seit dem 5. Jh. vC. das Bedeutungsfeld von beseitigen muß (άγηλατέω: Sophocl. Oed. rex άγνός, etwa zur Bezeichnung der H.keit von 402; Herodt. 5, 72; Aristot. resp. Ath. 20, 3), Plätzen, Tempeln, Festen, Altären, Eidesfor- aber auch das Sühneopfer, das die Befleckung mein u. dgl. 'Ιερόν ’Απόλλωνος άγιον ist ein beseitigt (Sophocl.: TrGF 4 F 689), oder ein verbreiteter Ausdruckstypus (zB. IG 12, 1, sakraler Gegenstand, Tempel oder dgl. (He- 694 aus Rhodos, 4. Jh. vC.; vgl. Williger 80f). sych. lex. s. v. άγεα, άγος; Synag. lex.: Bek- Platons Aussage μητρός ... πατρίς ... άγιώ- ker aO. 212, 31). Dieselbe Mehrdeutigkeit gilt τερον (Crito 51a) kann entweder eine Abwä- für eine Reihe von Ableitungen. Παναγής gung der religiösen Bindungen an Familie u. heißt ,ganz h.‘ (Callim. frg. 228, 36 Pfeiffer; Gemeinde enthalten oder aber mit einem Schol. Eur. Orest. 40), wird als Priestertitel Wort religiösen Klanges auf das Teuerste (Pollux 1, 35) u. Übersetzung des lat. sacro- verweisen. Die parallele Verwendung von sanctus (Plut. Cam. 20) verwendet, heißt άγνός u. άγιος (gelegentlich als Hendiadyoin: aber auch ,verflucht‘ (Philonid. frg. 5 Kock = SupplEpigrGr 8 nr. 550, 2, 1. Jh. vC.) findet Pollux 9, 29; Manetho Astrol. 4, 120). Εναγής darin ihre Begrenzung, daß dieses in vorhel- bezeichnet durchweg den Träger eines άγος lenist. Zeit nur selten auf Personen angewen- (Herodt. 1, 161; Aeschin. 3, 110; Thuc. 1, 126) det wird. Platon spricht gelegentlich mit dem u., verallgemeinernd, den Schuft (Hipponax Wort άγιος von der H.keit einer Gottheit frg. 95 a West ό μέν (έν)αγής), während das (soph. 249a). Aristophanes (av. 522) ge- zugehörige έναγίζω mit seinen Ableitungen braucht das Wort zur Bezeichnung der ehe- (ένάγισμα, έναγισμός, έναγιστήριον) zum mals göttlichen Würde der Vögel. Aber als terminus technicus des Totenkults geworden Kultepiklese setzten sich άγιος u. άγιώτατος ist (zuerst Herodt. 1, 167; vgl. Pollux 3, 102). erst in hellenist. Zeit durch, u. zwar vor- Dieselbe Spezialisierung gilt für καάαγίζω nehmlich bei Göttern nichtgriechischer Her- (zuerst Sophocl. Ant. 1081), nicht aber für das kunft (zB. Isis: POxy. 1380, 1./2. Jh. nC.; vgl. Simplex άγίζω (zuerst Pind. 01. 3, 19), wäh- Festugiere 23). Während es nun zur Bezeich- rend έξαγίζω (Aeschyl. Ag. 641) mit άγηλα- nung religiös bewerteter Unreinheit u. Fre- τέω synonym ist. Das Territorium Kirrhas velhaftigkeit das Wort άναγνος gibt war nach dem hl. Krieg έξάγιστος καί έξάρα- (Aeschyl. Ag. 220 parallel mit άνίερος; Anti- τος (Aeschin. 3, 107). Man hat die von άγ- u. pho Or. tetr. 1, 1, 10; H. Dörrie, Der Königs- άγ- abgeleiteten Wörter meist als einheitliche kult des Antiochos v. Kommagene im Lichte Wortgruppe verstanden (Etym. Μ. 22, 30 neuer Inschriften-Funde [1964] 101 [Inschr. G.), freilich deshalb Wörter oft mißverstan- 7, 1]; MonAsMinAnt 4 nr. 288f), fehlt das pa- den. Daß άναγής die Freiheit vom άγος, also rallele άνάγιος. Dafür ist άγιος ein διπλόση- Reinheit bezeichnet u. nicht gleichbedeutend μον (Eustath. II. 24, 419 [1356, 59 ed. Rom.]), mit dem nichtbelegten άνάγιος ist, hat man das nach mehreren Grammatikerzeugnissen gewußt, das Wort aber gelegentlich gerade auch ,befleckt, verflucht‘ bedeuten kann als βέβηλος ή έναγής verstanden (Hesych. (Synag. lex. s. v. [I. Bekker, Anecdota Grae- lex. s. v. άναγής; Harpocr. lex. s. v.). Daß ca 1 (1814) 337, 16/8] nach Cratin. frg. 373 ευαγής u. δυσαγής zu άγος gehören (Hymn. Kock). Antike (Herodian.: Gramm. Graec. 3, Hom. Cer. 269; Pollux 1, 33), weiß man zwar, 2, 256, 11 = Etym. Μ. 22, 30 G.) u. moderne doch gibt es schon im 5. Jh. vC. den Namen Grammatiker (Chantraine aO. [o. Sp. 2] s. v. Εύΐιάγης (IG 12, 9, 56, 118 Euboia), bei dem άζομαι) stimmen darin überein, daß diese für man, ähnlich wie bei Θεάγης, an άζομαι, 7 He ilig 8 άγιος gedacht haben wird. Die Kontamina- komplementärer Ausdruck zu θύω, ,einem tion der Wurzeln άγ- u. άγ- läßt erkennen, Gott opfern u. den Opferschmaus halten‘, wie intensiv man den Doppelcharakter der bleibt das Wort der Sakralsprache erhalten. H. keit in Segen u. Bedrohung empfand. Das Viele Spezialbezeichnungen des Kultes wer- war nur möglich, weil die Spiritualisierung den mit ιερός gebildet (ίεροποιέω u. ιερουρ- der Vorstellungen von h., ihre ausschließliche γέω, ίεροκήρυξ, ιεροδιδάσκαλος, ίεροσαλ- Beziehung auf Sittlichkeit u. Gesinnung des πιγκτής, ιεροφάντης u. -τέω usw.). 'Ιέρωμα Menschen, erst relativ spät aufkam (Corn. ist der terminus technicus für das Amulett, Adesp. 244, 143 Austin; vgl. Boyance 61/80). durch das sich der Träger der steten Anwe- c. Ιερός. 'Ιερός dient durchgehend der Cha- senheit göttlicher Macht versichert (L. Ro- rakterisierung von Gegenständen, Lokalitä- bert: CRAcInscr 1981, 517f). Die sakral- ten, Handlungen oder Personen, die mit nu- sprachliche Fixierung des Wortes ιερός zeigt minoser Macht in Berührung stehen, sei es sich auch in den Gegenbegriffen: Was nicht als ihr Träger, ihr Eigentum oder als Objekt einer Gottheit zugehört, gilt als ,zugänglich‘, ihrer Wirkung in Segen oder Fluch (Burkert βέβηλος. Dieses Wort wird meist als vox me- 402/4). Es ist unter den Wörtern der griech. dia gebraucht (ιερά καί βέβηλα: Dion. Hal. Sakralsprache dasjenige, das am ehesten dem ant. 7, 8), u. nur sekundär kann es als ,un- in der Religionswissenschaft viel verwende- rein‘, ,höherer Weihen unteilhaftig‘, auch ten Begriffspaar Mana u. Tabu zugeordnet einen negativen Klang bekommen, meist im werden kann. 'Ιεροί sind alle Kultpersonen, Zusammenhang metaphorischer Ausdrucks- ob Priester (Paus. 8, 36, 3; IG 5, 1611 Sparta; weise (zB. Plat. conv. 218b). Der andere Ge- 1390 Andania; gleichbedeutend ist άναάημα- genbegriff ist όσιος: Im Umgang mit einem τικός), Tempelsklaven (ιερά σώματα: Eur. ιερόν sind viele Verhaltensweisen untersagt, Ion 512; Strab. 6, 2, 5) oder Mysten (Απ­ die normalerweise gegen Ansprüche der stoph. ran. 652), gelegentlich auch die Götter Gottheiten nicht verstoßen, dann also ebenso selbst (ίεράν ιερών άνασσαν Εστίαν; Aristo- als όσιον zu klassifizieren sind wie der richti- nous hymn. Vest. If [164 Powell]). Jedes Te- ge rituelle Umgang mit dem ιερόν. So erklärt menos, jedes Weihgeschenk, jedes Opfer ist sich der Wortgebrauch ιερά καί όσια, ,Sa- ein ιερόν. Es hat teil an der Macht des Kult- krales u. Profanes‘, der auf Gebäude, Ver- empfängers, auf die sich der Mensch in sei- mögenswerte, Verwaltungsangelegenheiten nem Verhalten einzustellen hat. Eine Kult- u. a. angewendet werden kann (Thuc. 2, 52; Satzung ist ein ιερός νόμος, eine Kultlegende Isocr. or. 7, 66; Demosth. or. 24, 9). 'Ιερός ein ιερός λόγος, u. Kulthandlungen sind ιερά löst sich nie von der Tabu- oder Machtvorstei- (II. 1, 147. 199; Herodt. 2, 63; Xen. exped. 1, lung. Auch dort, wo es mit άγνός bzw. άγιος 8, 15; Inscr. Olymp. 56). Der wegen eines Sa- konkurriert (s. o. Sp. 5), bleibt der Unter- krileges geführte Krieg ist ein ιερός πόλεμος schied. 'Αγνόν, ,h.‘, ist der Gegenstand, weil (G. Forrest: BullCorrHell 80 [1956] 33), Pro- er an der Verehrung der Gottheit u. der kulti- Zessionsstraßen wie die im delphischen Hei- sehen Reinheit Anteil hat. 'Ιερός hingegen ligtum sind ίεραι οδοί (Herodt. 6, 34; Paus. verweist auf den Träger numinoser Macht. I, 35, 3 u. ä.) usw. Die Übereignung an eine Deshalb gibt es zwar die Charakterisierung Gottheit wird durch ίερόω oder καάιερόω eines substantivischen ιερόν durch die Adjek- ausgedrückt. Das kann eine verfluchende tive άγνόν oder άγιον (zB. Herodt. 2, 41 ίε- Auslieferung (Sophocl. Oed. Col. 287; De- ρόν άγιον; Paus. 3, 23 ιερόν άγιώτατον; vgl. mosth. or. 18, 149) sein, aber auch eine an Williger 72/80), nie aber das Umgekehrte. - ihre schützende Macht. 'Ιερός καί άσυλος An das Wort ιερός knüpft auch die Religions- wird als Übersetzung des lat. sacrosanctus kritik an, die nicht mehr einen ausgegrenzten gebraucht (Res gest. div. Aug. 5, 17; Plut. Sakralbereich mit eigenen Verhaltensregeln, Tib. Gracch. 15). Die wichtigste Kulthand- sondern die ganze, vernünftig geordnete u. lung ist das blutige Opfer (ίερεΐον), das der der menschlichen Vernunft erkennbare u. ίερεύς vollzieht. Das dazugehörige Verb deshalb verehrungswürdige Natur als h. an- ίερεύω kommt zwar gelegentlich in späterer erkennt (Hippocr. morb. sacr. 1, 4f). Dem Zeit in der allgemeinen Bedeutung ,weihen‘ entspricht es, wenn auch die Philosophie, die vor (Paus. 3, 18, 4), verallgemeinert aber eine naturgemäße Sittlichkeit lehren will, je- seine Bedeutung schon seit Homer auch de Sonderstellung des Sakralen (ιερόν) leug- von ,opfern‘ zu ,schlachten‘ (Od. 2, 56). Als net (Diog. Cyn.: Diog. L. 6, 73). — Aus der 9 Heilig 10 sakralsprachlichen Fixierung des Wortes er- wie δέος, Οάμβος, έκπληξις, φόβος, τάρβος geben sich seine redensartlichen Verwendun- (zB. Hymn. Hom. Bacch. 50; Ven. 189; Apoll. gen, in denen es mit Wörtern wie ζάΟεος, 415), mit denen die menschliche Spontanreak- θείος, ήγάΟεος konkurriert u. ein Tabu-Be- tion auf ein Offenbarwerden göttlicher Macht griff nur noch abgeschwächt (Τροίης ιερόν mit ihren Begleiterscheinungen (Glanz, Duft, πτολίεΟρον: II. 16, 100; ιεροί βασιλέες: Pind. zB. Hymn. Hom. Cer. 292f; Bacch. 35/48) be- Pyth. 5, 97) oder gar nicht mehr verstanden schrieben wird, ist σέβας wohl das der Situa- wird, wie im Fall von ιερά γραμμή, ,letzte tion angemessenste (Hymn. Hom. Cer. 190 Linie auf dem Brettspiel‘, ιερά άγκυρα, ,letz- αιδώς τε σέβας τε ίδέ χλωρόν δέος). Von die- te Chance‘ (Pollux 1, 93), u. ä. Freilich kann sem Stamm sind zahlreiche andere Wörter eine solche Ausdrucksweise auch wieder sub- wie σεβάζομαι, σέβομαι, σεβαστός, σέβασμα limiert werden: Wenn Platon vom Dichter als u. a. abgeleitet, die oft, aber durchaus nicht einem χρήμα κοΰφον, πτηνόν, ιερόν spricht immer, sich auf religiös motivierten Respekt (Ion 534 b), verweist er damit auf die Unver- beziehen. Lediglich ευσεβής sowie ασεβής u. fügbarkeit u. Unerklärlichkeit der Macht poe- δυσσεβής mit den dazugehörigen Substanti- tischer Inspiration. — In der epischen Spra- ven werden nur im Zusammenhang des Um- ehe gibt es neben Stellen, an denen ιερός auf gangs mit numinoser Macht verwendet. — die Gegenwart numinoser Macht verweist, Σεμνός bezeichnet als Attribut von Göttern auch solche, wo dieses Verständnis ferner seit Homer deren Erhabenheit u. Unnahbar- liegt, etwa wenn ein Fisch oder ein Wagen keit (Hymn. Hom. Cer. 486, mit αίδοΐος ver- dieses Epitheton in einer Gleichniserzählung bunden). Auch Gegenstände u. Handlungen, erhält (II. 16, 407; 17, 464). Man hat diesen die den Göttern zugeordnet sind, können das- Sachverhalt dadurch erklärt, daß man mit selbe Attribut erhalten (όργια: ebd. 478; dem Verweis auf altind. isira, ,stark, leben- Ουσία Pind. 01. 7, 42; δόμος = Tempel: Pind. dig, beweglich‘ für ιερός diese Grundbedeu- Nem. 1, 72), so daß σεμνός durchaus mit tung erschlossen hat (so zuletzt J. T. Hooker, ιερός u. άγιος bzw. άγνός konkurriert (De- 'Ιερός in early Greek: InnsbrBeitrSprachwiss mosth. or. 21, 126). Das gilt auch im Hinblick 22 [1980] gegen P. Wülfing-v. Martitz, 'Ιερός darauf, daß das richtige Verhältnis des Men- bei Homer u. in der älteren griech. Literatur: sehen gegenüber der numinosen Macht mit Glotta 38 [1959/60] 272/307; 39 [1960/61] 24/ demselben Wort gekennzeichnet werden 43). Freilich lassen sich nicht alle Homer- kann: σεμνά φΟέγγειν ziemt sich bei Kult u. Stellen, an denen das Wort keine sakrale Gebet (Aristoph. nub. 364 ιερόν καί σεμνόν Konnotation aufweist, derart verstehen, zB. καί τερατώδες). Der σεμνός βίος, den Ion im II. 18, 504. Auf der anderen Seite ist Leben- Tempeldienst für Apollon führt, ist zugleich digkeit die wichtigste Manifestation numino- (objektiv) geweiht u. kommt (subjektiv) aus ser Macht überhaupt, u. Leben schlechthin reiner Gesinnung (Eur. Ion 56). nur numinos zu begreifen. Die Entstehung 2. "Οσιος. 'Όσιον ist alles, was nicht im des homerischen Ausdruckstypus ιερή ϊς Widerspruch zu den Regeln u. Forderungen Τηλεμάχοιο (zB. Od. 2, 409) ist vermutlich steht, denen sich die Menschen im Umgang aus diesem Zusammenhang zu verstehen (zu mit den Göttern zu fügen haben (J. Bolke- ιερός ferner C. Gallavotti, II valore di hieros stein, Όσιος en ευσεβής [Utrecht 1936]; W. in Omero e in Miceneo: AntClass 32 [1963] J. Terstegen, Ευσεβής en όσιος in het 409/28; E. Risch: MusHelv 24 [1967] 236f). grieksch taalgebruik na de IVe eeuw [ebd. d. Andere Wörter. 1. Σεμνός. Σεμνός wird 1941]). Das Adjektiv ist als Attribut von Ver- gleichfalls in der Rede vom Numinosen ver- haltensweisen, Gesetzen u. dgl. sowie zur wendet, ohne aber auf diesen Bereich be- entsprechenden Charakterisierung von Per- schränkt zu sein. Es gehört zu σέβας, das bei sonen erst seit dem frühen 5. Jh. vC. belegt, Homer u. in der poetischen Sprache sowohl häufig auch mit einer Negation: ούχ όσια die ehrfürchtige Scheu (II. 18, 178; Aeschyl. ϋβρις (Eur. Bacch. 374), όσιαι Ουσίαι (Eur. Choeph. 54 u. ö.) als auch die solche Scheu Iph. Taur. 465), όσιοι μύσται (Aristoph. ran. hervorrufende Eigenschaft des in Erschei- 327. 336). Jede Übertretung göttlichen nung tretenden H. (Hymn. Hom. Cer. 10 Rechts ist ein άνόσιον: Ούχ όσίως παραβάς u. a.) bezeichnet u. seinerseits άγνόν genannt μακάριον ϋέμιν άγνήν formuliert Aristoteles werden kann (άγνόν Ζηνός ύψίστου σέβας: in einem Gedicht (frg. 674 Rose). "Οσιοι als Sophocl. Philoct. 1289). Unter allen Wörtern Beteiligte an einem Kult gibt es in Delphi 11 Heilig 12 (Plut. def. orae. 51, 438B u. ö.; vgl. W. Bur- oder dgl. in Verbindung bringt. Das gilt etwa kert, Homo necans [1972] 142f). Όσιόω u. für den θείος άοιδός (Od. 22, 785). Da nun καθοσιόω heißt dementsprechend ,etwas zu nach griechischer Vorstellung die Grenzlinie einem όσιον machen‘, also einen Zustand zwischen h. u. profan zwar deutlich, zwischen göttlichem Recht anpassen. Damit kann die Mensch u. Gott aber viel weniger klar gezo- Bestrafung eines Verbrechens oder ein Reini- gen ist, kann θείος durchaus auf die einem gungsritus gemeint sein. Die Bakchen in der Menschen unmittelbar eignende numinose gleichnamigen Tragödie des Euripides ,heili- Qualität hinweisen. Sie wird dem Totenkult- gen‘ im Dienst des Gottes ihr ganzes Leben empfänger (*Heros) zugeschrieben, aber (114 u. ö.; ähnlich frg. 472, 12 N.2 όσιωθείς, auch dem Menschen, der durch große Lei- dazu Bernays 160). Anders als (καθ)ιερόω, stungen in göttlichen Rang aufsteigt (*Hera- das die Übereignung an den Gott durch Fluch kies, Städtegründer, Gesetzgeber u. a.; oder Weihung bezeichnet, also ein Tabu *Gottmensch II, *Gründer). - Seit Platon schafft, verweist (καθ)οσιόω (auch έξοσιόω: spielt das alte Motiv, der Mensch könne durch Plut. Cam. 20) auf ein Tun, das die von jedem Leistung (Festugiere 27 f) oder im Glück der ιερόν ausgehende Bedrohung neutralisiert. Festesfreude (Hymn. Hom. Apoll. 151 f) gott- Καθοσιοΰμαι bedeutet geradezu ,in Myste- ähnlich werden, in der Philosophie eine wich- rien eingeweiht werden‘ (Plut. Is. et Os. 35), tige Rolle. In diesem Zusammenhang ge- u. Xenophon (hist. Gr. 3, 5, 1) spricht vom winnt schon vorher die Kunde von den Wun- όσιωθήναι der Tage des Königsbegräbnisses dertätern des Schamanentypus (Aristeas, u. der Königswahl in Sparta. Merkwürdig ist Epimenides, Pythagoras u. a.; vgl. Dodds der Gebrauch von άφοσιόω. Es begegnet ein- 133/56) Bedeutung, deren Taten auf ihren h. mal als Synonym zu (καθ)οσιόω (Herodt. 4, Status hinweisen. Sie heißen durchweg θείοι, 203; Plut. Cam. 18; in spirituell-moralischem nicht άγιοι. Dasselbe gilt für Gestalten der Sinn Piat. Phaedo 60 e). Daneben aber kommt Kaiserzeit wie *Apollonius v. Tyana (Phi- es in der Bedeutung ,weihen‘, also im Sinn lostr. vit. Apoll. 7, 38), *Alexander v. Abonu von ίερόω, vor (Ditt. Or. nr. 383, 202, 1. Jh. Teichos u. a. Sie erweisen die Erreichbarkeit vC.; ebd. 192 καθιερόω in derselben Bedeu- des Zieles einer Angleichung an die Gottheit. tung) sowie in dem Sinn, daß man etwas aus 4. Δαιμόνιος. Θείος hat stets andere Be- religiöser Scheu verwirft u. zum άνόσιον er- deutung gehabt als δαιμόνιος, wiewohl θεός klärt (so schon Sophocl.: TrGF 4 F 253; vgl. u. δαίμων im älteren Griechisch gleichberech- Hesych. lex. s. v. άφοσιωμέναι: άνόσιαι, tigte Gottesbezeichnungen sind. Aber ent- άποθεν όσιου γεγενημέναι [1, 295 Latte]). sprechend den Konnotationen der Substanti- Άφοσιόω wird hier nicht von όσιόω, sondern ve dient θείος dazu, die Göttlichkeit nur zu von άφόσιος abgeleitet (vgl. Preisigke, Sam- beschreiben, während δαιμόνιος sich stets melb. 3 nr. 6152, 15; 1. Jh. vC.). — Früher als auf die erfahrene, unerklärliche Wirkung be- das Adjektiv ist das Substantiv όσίη belegt, zieht, die von einer derart bezeichneten Per- das bei Homer in der Redensart ούχ όσίη mit son ausgeht (zB. II. 6, 407). Δαιμόνιος der Bedeutung ,es entspricht nicht göttli- kommt damit, sofern es nicht im kolloquial- ehern Recht‘ vorkommt (zB. Od. 16, 423 ούχ ironischen Sprachgebrauch abgegriffen wird όσίη κακά ράπτειν άλλήλοισιν, vergleichbar (Aristoph. ran. 44; Plat. resp. 1, 344 d), der Ausdrücke wie ού μοι θέμις έστί ξεΐνον Bedeutung von δεινός nahe, das auf Furcht άτιμήσαι: Od. 14, 56). In den ,Bakchen‘ des u. Staunen erregende Fähigkeiten verweist. Euripides erscheint die zugrundeliegende To δαιμόνιον ist gängige Bezeichnung einer Vorstellung von einem göttlichen Recht (ähn- Gottheit, sofern man von ihrer Wirkung lieh wie θέμις oder δίκη) auch personifiziert weiß, ohne sie als Person identifizieren zu (370). Όσια ist umfassende Bezeichnung all können (zB. Xen. mem. 1, 1 mit der Formu- dessen, was göttlichem Recht entspricht lierung der Anklage gegen Sokrates oder (Hymn. Hom. Apoll. 237; Iambi, vit. Pyth. Corn. Adesp. frg. 239, 1 Austin). Erst bei Pia- 184). ton wird δαίμων zum terminus technicus für 3. Θείος. Tai erwähnen ist schließlich noch die Wesen zwischen Mensch u. Gott, wenn θείος, ,göttlich‘, als H.keitsbezeichnung. dieser Sprachgebrauch auch an Vorstufen an- Schon früh wird es Menschen beigelegt, wenn knüpfen kann (Hesiod, op. 119f. 153f. 252/5). sie sich durch besondere Qualitäten hervor- Die platonische Konzeption wurde bald auf tun, die man mit göttlicher Hilfe, Inspiration die vielen Wesen des Volksglaubens ange­

See more

The list of books you might like

Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.