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Rassismus und Kulturalismus PDF

60 Pages·2014·10.29 MB·German
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RASSISMUS UND ULRIKE DAVY: VERFOLGUNG UND KULTURELLE DIF FERENZ 0 JOHANN ÖVORAK: ASTHETISCtJE THEORIE UND RASSISMUS IN WIEN UM 1900 0 MONIKA FIRLA: KANTS THESEN VOM "NATIONALCHARAKTER" DER AFRI KANER, SEINE QUELLEN U N D D E R N I C H T V 0 R HANDENE ,ZEITGEIST' 0 GERO FISCHER: DIE WUCHERNDEN DIMEN SIONEN RASSISTISCHER SPRACHPRAXIS 0 HAKAN GÜRSES: VOM NATIONALIS MUS DER ELITE ZUM RASSISMUS DER MITTE 0 NADINE HAUER: FREMD IST DER FREMDE NUR IN DER FREM DE 0 VLADIMIR MALACHOV: WAS HEISST ES, NATIO NAL ZU DENKEN? D FRANZ M. WIMMER: EINLEITUNG KULT URALISMUS RASSISMUS UND KUL TURALISMUS Franz M. Wimmer EINLEITUNG ............................................................................................................ 1 Hakan Gürses VOM NATIONALISMUS DER ELITE ZUM RASSISMUS DER MITIE Eine Beobachtung .................... : ... : .................... .' ...............: ......................... 2 Monika Firla KANTS THESEN VOM "NATIONALCHARAKTER" DER AFRIKANER, SEINE QUELLEN UND DER NICHT VORHANDENE ,ZEITGEIST' ....................................................... 7 Johann Dvofak .ÄSTHETISCHE THEORIE UND RASSISMUS IN WIEN UM 1900 ....................................................................................... 18 V/adimir Malachov WAS HEISST ES, NATIONAL ZU DENKEN? ................................. : ............. :. 25 Ulrike Oavy VERFOLGUNG UND KULTURELLE DIFFERENZ ............................ ·. ........ , ..... 31 Gero Fischer DIE WUCHERNDEN DIMENSIONEN RASSISTISCHER SPRACHPRAXIS Zu Ethnopluralismus-, Multikulturalitäts- und verwandten Diskursen ........ 40 Nadine Hauer FREMD IST DER FREMDE NUR IN DER FREMDE Aktivitäten gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Österreich. Eine politisch-psychologische Analyse ............................... 48 DIE AUTOR/INN/EN ..................................................................................... 111 ·, ABBILDUNG UMSCHLAG: Flächentreue, pseudozylindrische Darstellung der Welt (Ecker! Projektion) Software: Freehand, Institut für Geographie der Universität Wien, 1995 MITTEILUNGEN DES INSTITUTS FÜR WISSENSCHAFT UND KUNST ISSN: 0020 -23 20, 52. JAHRGANG 1997, NR. 3, öS 75,- Linie des ~lattes: Verständigung der Öffentlichkeit über die Arbeit des Instituts für Wissenschaft und Kunst sowie Veröffentlichungen von wissenschaftlichen Arbeiten, die damit in Zusammenhang stehen. Eigentümer, Herausgeber und Verleger: Institut für Wissenschaft und Kunst. Redaktion, Umbruch, Layout: Dr. Helga Kasch I, Lektorat: Mag. Eva Waniek.'AIIe: 1090 Wien, Berggasse 17/1, Telefon I Fax: (1) 317 43 42. Druck: Glanz & Hofbauer Ges.m.b.H., 1200 Wien, Treustraße 5, Telefon: (1) 330 73 67. I IWK-MITTEILUNGEN 3/1997 EINLEITUNG Der Arbeitskreis zu "Theorie und Praxis der lnter sich von diskriminierenden Vorurteilen freimachen kulturalität" konzentrierte sich im Sommersemester können. Vorsichtiges Mißtrauen scheint angebracht. 1997 auf Erscheinungsformen von "Rassismus" und Johann Dvofaks Beitrag befaßt sich mit einer "Kulturalismus" in der Gegenwart. Die meisten der Form von Rassismus und Sexismus, wie sie in der hier versammelten Texte gehen auf Vorträge in die intellektuellen hochkultureilen Szene des Wiener fin sem Semester zurück. de siecle durchaus gesellschaftsfähig waren. Er Rassisten glauben gewöhnlich zweierlei: daß es zeigt das Syndrom bei Chamberlain und Weininger verschiedene Rassen unter den Menschen gibt und und führt am Beispiel Hofmannsthals aus, wie die man sie auch eindeutig erkennt. Das ist das eine. nationalistische Denkweise mit Rassismus und Eli Der andere Glaubenssatz lautet: Meine Rasse ist tendünkel zusammen eine gegen die Arbeiterbewe die beste. gung gerichtete Ideologie bildete. Theoretisch könnte man sich vorstellen, daß je Vladimir Malachov hat den "neuen Nationalis mand den ersten Glaubenssatz annimmt und an mus" bei deutschsprachigen Philosophen der Ge den zweiten nicht denkt. Dann wäre das ein rein genwart analysiert. Dabei zeigt sich, etwa in den "wissenschaftliches" Problem und ganz wertfrei. Arbeiten von Kurt Hübner, daß neuer Wein in Form Praktisch ist das aber nicht der Fall, wenn es um von komplizierterer Ausdrucksweise doch nur in al gesellschaftliche und politische Fragen geht. Dazu te Schläuche gefüllt wird, wenn nicht mehr von ei kommt noch ein zweiter Umstand: Man kann vom nem "Wesen" eines "Volkes", sondern von der ersten Glaubenssatz ganz absehen und dennoch .. Identität" und dem "Nationalen" die Rede ist. Frü eine absolute Überlegenheit der eigenen Art an here Chauvinisten drückten sich eindeutiger aus, nehmen. Dann wird man nicht mehr von "Rassen" und Malachov stellt auch dies dar, indem er in sich sprechen, sondern von "kulturell Anderen" oder und untereinander höchst widersprüchliche Versu auch von der eigenen "kulturellen" oder "nationalen che vorstellt, das "Wesen" des jeweils eigenen (deut Identität". schen, russischen, französischen etc.) und das des Solche "Diskriminierungen", also Ausgrenzun anderen Volkes zu beschreiben. Wüßte man nicht gen von etwas, das als Besonderes oder Niedrige um üble Folgen, so wäre die Lektüre amüsant. res gegenüber dem Allgemeingültigen oder Höhe Ulrike Davy geht konkret der Frage nach, welche ren gewertet wird, sind das gemeinsame Thema der Formen das Asylrecht in der Gegenwart angenom vorliegenden Beiträge. Es werden aber auch Wege men hat. Entscheidend dabei ist, daß die Anerken aufgezeigt, menschenverachtenden Ausgrenzun nung des Flüchtlingsstatus voraussetzt, daß sich gen theoretisch wie praktisch zu begegnen, ohne in der asylgewährende Staat von der Wert- und die schlechte Alternative zu verfallen, entweder Staatsordnung des Herkunftslandes distanziert. So Ghettos in einem "ethnischen Zoo" oder aber eine mit ist "Empörung" vonnöten, die jedoch wiederum differenzenlose Einheitsgesellschaft schaffen zu nur bei kultureller Differenz rechtliche Folgen hat. wollen. Gero Fischer untersucht Merkmale rassistischer Das Thema der Transformation von Nationalis Sprachpraktiken sowohl in humanwissenschaftli mus, Rassismus und Kulturalismus behandelt Ha ehen Disziplinen als auch in der Mediensprache der kan Gürses. Wenn heute nur mehr selten rassisti Gegenwart. Gerade in Debatten um die Multikultu sche Thesen öffentlich vertreten werden, so sind ralität in modernen Gesellschaften finden sich dafür doch die Grenzlinien gegenüber den jeweils "An bestürzende Belege. Wirklich gefährlich wird dis deren" nicht weniger deutlich: Auch bei .. kulturell" kriminierendes Sprechen - und Darstellen - aber Anderen wird regelmäßig eine Rangordnung und dann, wenn es von denen, die es praktizieren, gar natürlich im Vergleich zur eigenen Kultur eine Un nicht mehr als solches erkannt wird; am Negativbei terordnung angenommen. Die Popularität dieser spiel aus einem Kinderbuch von Thomas Brezina Denkweise sieht Gürses begründet in der Gleich wird dies deutlich. zeitigkeit eines elitären Universalismus mit einem Nadine Hauer hat Aktivitäten gegen Rassismus partikularistisch-rassistischen Kulturalismus der und Fremdenfeindlichkeit in allen neun österreichi großen Mittelschicht schen Bundesländern untersucht und ihf' Augen Monika Firla behandelt ein heikles Thema der merk vor allem auf solche Dinge gerichtet, die kaum Philosophiegeschichte anhand einer Fallstudie zu oder gar keine Bekanntheit erlangen. Sie ist dabei lmmanuel Kant. Obwohl daraus keinerlei Zweifel an auf wenig Spektakuläres, aber durchaus Eindrucks Kants überragender philosophischen Bedeutung volles gestoßen. ln ihrem Beitrag schildert sie ge abzuleiten ist, ist doch auch nicht zu leugnen, daß lungene und auch mißlungene Projekte von einzel er in seinen Vorlesungen rassistische und kultur nen wie von Organisationen, Verständnis und Zu rassistische Vorurteile nicht nur geteilt, sondern sammenleben zu fördern und Vorurteile abzubauen. wohl auch befördert hat. Hier drängt sich die allge meinere Frage auf, ob und wieweit Philosophen Franz M. Wimmer 1 IWK-MITTEILUNGEN 3/1997 HAKAN GÜRSES VOM NATIONALISMUS DER ELITE ZUM RASSISMUS DER MITTE Eine Beobachtung Ich möchte mit Ihnen eine Beobachtung teilen. Ge den obsolet gewordenen Begriff Rasse durch Kultur nau genommen sind es zwei Beobachtungen. Die ersetzt und die axiomatische Hierarchisierung der erste betrifft eine Beständigkeit, just an dem Punkt, Kulturen gegen eine Verabsolutierung der Differen an dem eine neue Dynamik des Rassismus konsta zen ("Lob der Differenz") austauscht. Weiters wird ein tiert wird: Es geht um die Analysen des Neo strategischer Retorsionseffekt des Rassismus identi Rassismus, denen ich einige Überlegungen entge fiziert: Die Rassisten erklären die Antirassisten zu genstellen beziehungsweise hinzufügen möchte. Befürwortern der Vermischung von Kulturen, somit Meine zweite Beobachtung zielt hingegen auf einen zu "eigentlichen Rassisten". Denn Vermischung ver Wandel ab, genau an dem Punkt, an dem eher be ursache, so der rassistische Diskurs, einen Ethnozid, ständige Strukturen ausgemacht werden: Es han der von Antirassisten an der eigenen Kultur began delt sich um eine historische Reversion bezüglich gen werde (die deutschen Differentialisten reden in der Adressaten der rassistischen Theorie und diesem Zusammenhang von einem Ethnosuizid). Ideologie, also um potentielle oder manifeste Akteu Nun glaube ich, daß diese Analyse des neuen re des Rassismus. Den letzten Teil meines Vortrags Rassismus und seiner Strategien lebenswichtig ist, wird dann der Versuch bilden, ausgehend von be um ihn bekämpfen zu können. Aber ich denke - ständigen und gewandelten Strukturen der rassisti und dies ist meine erste Beobachtung, besser: schen Formation, eine Frage und eine der mögli Verwunderung -, gleichsam wird darin die histori chen Antworten darauf zu formulieren. Noch nicht sche Beständigkeit jener Charakteristika ausge sehr präzise gestellt lautet diese Frage: Wieso hö blendet, um die herum die Anatomie und die Aus ren und sehen wir in den Fernsehnachrichten täg wirkungen des (Neo-)Rassismus beschrieben wer lich Berichte über Internationalisierung, über Globa den. Vier wesentliche Themen möchte ich diesbe lisierung und werden schon nach dem nächsten züglich in aller gebotenen Kürze aufgreifen und ei Schnitt mit der Forderung eines Politikers konfron nige Autoren in den Zeugenstand rufen: tiert, österreichische Baufirmen sollten national ,.rein" gehalten werden? Wieso wird die Beteuerung, DAS FREMDE UND DAS EIGENE: wir würden uns nun in einem globalen Dorf befin Auf glänzende Weise beschreibt der deutsche Hi den, von der Apotheose der Differenzen begleitet? storiker Arno Borst ( 1990) die historischen Statio Natürlich muß die Frage anders gestellt werden, nen des Begriffs Barbar, den er "ein europäisches wenn wir vereinfachende Antworten vermeiden Schlagwort" nennt. An Borsts Darstellung fällt eine wollen, die unter den Schlagwörtern "Reaktion", "Re bestechende Ähnlichkeit der unterschiedlichsten gression", "Angst" oder "Manipulation" kursieren. Das (chronologischen) Funktionen, die der Barbar von Fragewort sollte nicht wieso lauten, sondern wie: der Antike bis zur Aufklärung erfüllte, mit den Funk Wie können diese offenbar diametral entgegenge tionen auf, die der Begriff das Fremde seit etwa drei setzten Tendenzen der Globalisierung und der be Jahrzehnten erfüllt. Diese Ähnlichkeit zwischen obachtbaren Verfestigung des Rassismus neben Fremden und Barbaren springt nicht nur in Anbe einander und beide in so starker Weise existieren? tracht ihrer vielfältigen Rollen in Ein- und Aus Aber gleich zu Beginn: Ich kann heute diese schließungsmechanismen ins Auge, sondern auch Frage eher präziser formulieren als beantworten. in ihren kritisch-theoretischen Darlegungen. Ein be Ich werde versuchen, ihr erkenntnistheoretische liebiges Beispiel: "Ja, wir sind Barbaren", sagt Kle Einsichten abzugewinnen. Allen voran handelt es mens von Alexandria, einer der ersten Kirchenväter, sich um den ewigen Streit zwischen Universalismus und rekurriert damit auf die Tradition von Stoikern und Partikularismus, der auch in der Rassismusfor und von Cicero, die den Barbaren nicht im Ausland, schung zentralen Platz einnimmt. sondern "in jedem von uns" verortete. Denken Sie da nicht auch an die allseits beliebte Formulierung der letzten Jahre, die "das Fremde in uns" ausfindig VON DER BESTÄNDIGKEIT gemacht und einer ordentlichen Analyse unterzo DES NEO-RASSISMUS gen hat? KUL TURALISIERUNG: Die Analysen des Neo-Rassismus sind Schauplatz meiner ersten Beobachtung. Den konsensuellen Mit der Kulturalisierung der nach Rassen unterteil Ausgangspunkt dieser Analysen 1 bildet die Fest ten (oder mit der Rassisierung der nach Kulturen stellung, daß der Antirassismus2 angesichts der unterteilten) menschlichen Gruppen verhält es sich neuen Erscheinungsformen des Rassismus als ge ähnlich. ln einem Aufsatz zeigt Franz M. Wimmer scheitert zu betrachten sei. Ein differentialistischer (1997) anhand zweier Autoren des 18. Jahrhun Neo-Rassismus wird konstatiert, der bekanntlich derts auf, wie rassentheoretische Positionen sowie 2 IWK-MITTEILUNGEN 3/1997 deren Kritik seit 200 Jahren in nahezu kontinuierli EINHEIT & VI ELF ALT: cher Weise auf kulturelle Argumente zurückgreifen. Schließlich das große Thema, das geradezu alle Rufen wir uns die allererste Funktion der - auf so Achsen der lnterkulturalitäts- und Rassismusdis ziale Verhältnisse zugeschnittenen - Rassenlehre kussion zu enthalten scheint: Die Dichotomie Ein als Kasten-Rassismus in Erinnerung, so befindet heiWielfalt. Nirgendwo wird diese Dichotomie in all sich bereits in dieser sozial-aristokratischen Auffas ihren Schattierungen und Konsequenzen deutlicher sung (Gobineau, Galton, Vierkant) neben der gro wiedergegeben als im alttestamentarischen Mythos ßen Linie des Blutes die Kulturargumentation. Kultur des Turmbaus von Babel.8 Und niemand hat die ist seit der Anthropologie der Aufklärung ein fester Geschichte ihrer abendländischen Rezeption so gut Bestandteil der Unterteilung der Menschen.3 Auch rekonstruiert wie - wieder einmal! - Arno Borst.9 Taguieff, der den Begriff des differentialistischen Das Verblüffende sind auch hier die verschiedenen Rassismus geprägt hat, spricht vom rassistischen Stationen, die der Rezeptionsprozeß durchlief, und Antisemitismus des Nationalsozialismus als bereits an denen der Turmbau-Mythos jeweils zur Legiti kulturalistischem Rassismus4 mation oder zur Konzeption sozialer Ordnung her Die These, der kulturalistische Neo-Rassismus angezogen wurde. Hervorheben möchte ich aber verzichte auf Hierarchisierungen, ist m. E. keine den sprachbezogenen Charakter des Anfangs und haltbare: Bereits in der Feststellung distinkter Kultu Endes vom Turmbau: ren und deren lnkonvertibilität5 liegt eine Hierarchi "Über die Sprache denkt der Mensch nicht schon sierung der Differenzen verborgen - sei es auch nach, seitdem er sie spricht, sondern nachdem ihm "nur" mit der Absicht, die "absolut nicht-assimilier sein Wesen und sein Weltbild fragwürdig geworden bare" Unterschiedlichkeit aufzufinden.6 Ich meine: sind". (Borst 1990, S. 32) Auch im Hinblick auf Hierarchisierungen kann eine Beständigkeit in der rassistischen Argumentation EinheiWielfalt: ein altes Paar! festgestellt werden. SELBST-REORGANISATION ÜBER DAS "ANDERE": DER NATIONALISMUS DER ELITE Niklas Holzberg (1983) berichtet von einem Streit am Vorabend der Reformation, der zwischen einem Diese kurzen Skizzen der Beständigkeit sollen kei Denunzianten (Johannes Pfefferkorn) und einem neswegs bedeuten, daß der Neo-Rassismus ei Humanisten (Johannes Reuchlin) entfacht wird: gentlich ein alter Hut sei oder diese Themen "meta Pfefferkorn verlangt die Konfiszierung aller greifba historisch" beziehungsweise "anthropologische ren jüdischen Literatur. Reuchlin widersetzt sich mit Konstanten" genannt werden sollten. Ich bin eben dem Hinweis auf den hohen geistigen Wert von sowenig ein Verfechter der ewigen Wiederkehr. Talmud und Kabbala. Der Denunziant bekommt Meine Absicht ist das Aufzeigen einer hartnäckigen Unterstützung von der Kölner Theologischen Fakul Konfiguration, besser: eines Dilemmas, das in der tät, doch kann Kaiser Maximilian I. zehn Jahre lang Geschichte des Abendlandes immer wieder auf kein Urteil fällen. So beginnt eine geistige Ausein taucht, wenn große Veränderungen ins Haus ste andersetzung in ganz Europa, und die Protagoni hen. (Und große Veränderungen sind - nach eige sten dieses Zwischenfalls finden sich nur sieben nem Verständnis - das einzig Beständige in Euro Jahre später an den Fronten Luthers und der katho pa.) Diese Beständigkeit im Wechsel halte ich für lischen Kirche wieder - bekanntlich ging es in die verwunderlich und erklärungsbedürftig. Darauf wer ser ersten Phase der Reformation um den Streit de ich zurückkommen. zwischen dem Traditions- und dem Schriftprinzip. Um meine eingangs gestellte Frage zu präzisie Natürlich werde ich jetzt nicht die Kühnheit auf ren und ihren Konnex mit neueren Erscheinungs bringen und behaupten, die Pfefferkorn-Reuchlin formen des Rassismus zu formulieren, möchte ich sche Auseinandersetzung könne etwa als unmittel nun zu meiner zweiten Beobachtung übergehen, barer Beginn der Religionskriege bezeichnet wer die diesem Vortrag auch den Titel gab: Die histori den. Aber eine der Wolken, durch die sich das auf sche Wende vom Nationalismus der Elite zum geladene Wetter des 16. Jahrhunderts zu "entla Rassismus der Mitte. den" begann, können wir darin durchaus erblicken. Dieser Sachverhalt ist viel prosaischer als sein Von einem ähnlichen Mechanismus sprechen Klang. Der Nationalismus wird in einschlägigen auch die Forscherinnen des Neo-Rassismus: Studien jüngerer Zeit10 als ein theoretisch-ideolo Rückübersetzung der Judeophobie, die Definition gisches Gebilde beschrieben, das eine nation der eigenen nationalen Identität über den Antisemi konstruierende Rolle spielt. Der Nationalismus un tismus (im Zeitalter der europäischen Nationenbil terhält aus historischen und strukturellen Gründen 11 dungen), die Neupositionierung der ldentitäten im eine "immanente" Beziehung zu einer Elite, einer vereinten Europa über die Immigrantinnen etc. Seit Mischung aus intellektuellen und technokratischen jeher wird die Selbst-Reorganisation des Abend Rekruten. Diese Elite hat nicht nur die bloß legiti lands vermittels jeweils "Anderer" vorgenommen, mative Funktion inne - also nicht nur die Aufgabe, und in dem dadurch entstehenden "Vakuum" findet das Getane zu rechtfertigen, wie Gramscis organi der Rassismus einen fruchtbaren Boden? sche Intellektuellen -, sondern bildet auch allmäh- 3 IWK-MITTEILUNGEN 3/1997 lieh die politische Klasse der Konzipierenden und großes Gefälle zur höheren Schicht aufweist. Zu Agierenden. Das "Volk" oder die "Nation" wird u. a. mindest sind die "Grundbedürfnisse" großteils er in der Terminologie dieser Elite angerufen, d. h., die füllt, deren Nichterfüllbarkeit noch um die Jahrhun Elite stellt Symbole, Notionen und Konzepte zur dertwende eine der (vulgär-)sozialistischen Ansich Verfügung, die eine "dauerhafte Form der Erinne ten darstellte. rung" (Balibar) ermöglichen. Sie definiert sich als Kaste, durch eine doppelte untere Grenzlinie: Nach "außen" (Kolonien) mit dem rassistischen Hinweis DER RASSISMUS DER MITTE auf die eigene überlegene Kultur (oder Rasse); nach "innen" (Volk) durch einen Kasten-Rassismus, Diese Mitte scheint nun nicht für supra- oder inter den die Rassenlehre, wie erwähnt, von ihrem An nationale Projekte, für Solidarität mit sozial und fang an bereithält. Mitglieder dieser Kaste betrach ökonomisch schlechter Gestellten (wie Migrantl n ten sich zugleich als Angehörige der Nation und als nen) zu gewinnen zu sein. Sie verschließt sich ge von anderen Angehörigen verschieden: Denn ihre gen politisch-geographische Öffnungen, gegen In Zugehörigkeit basiert auf kognitivem Nationalismus. ternationalisierungen, gegen Zuwanderung, gegen Bereits diese nach innen gerichtete Abgrenzung europäische Integration-kurz: gegen alles, was die (durch Kasten-Rassismus) enthält einen kulturellen Elite als "urban" bezeichnet. Weiter noch: Heute Aspekt. Die Elite kann sich immer weniger auf die stellt diese Mitte eine der wichtigsten Rekrutie Blut-Linie (Aristokratie) berufen als vielmehr auf die rungsreserven der neo-rassistischen Bewegungen eigene "Kultiviertheit" (Kultur in der "Hoch"-Bedeu in ganz Europa. Und dies nicht nur in Ländern mit tung des Wortes). großer Arbeitslosigkeitsrate (man denke etwa an Heute, nur fünfzig Jahre nach dem größten Österreich und Niederlande), und dieses Potential "Überschuß des Nationalismus" (Balibar), für den vermag die Rechte nicht nur gegen Immigrantinnen diese Kaste maßgeblich mitverantwortlich war, zu richten 13 · Der Rassismus der Mitte ist nicht nur spielen die Eliten vermeintlich eine andere Rolle: ein spontaner, sondern ein zunehmend struktureller Sie sind europaweit damit beschäftigt, dem eigenen Rassismus, ein "Normalfall". "Volk" eifrig die paradiesischen Vorteile des supra Eine Geschichte der Reversion also, die ich in nationalen Europa zu preisen, die Vorteile des glo sehr groben Zügen und - wie ich gestehen muß - balen Dorfs und der Menschenrechte. Den Rassis ziemlich überzeichnend erzählt habe. Ich weiß au mus finden sie verabscheuungswürdig; wenn sie ßerdem, daß solche Gegenüberstellungen von hi manchmal Gesetze formulieren oder legitimisieren storisch determinierten Verhaltensmustern nicht sollen, die xenophobe Züge tragen und Menschen unbedingt zulässig sind; daß beide Gruppen (Elite rechte verletzen, weisen sie auf das ,,Volk" hin, des wie Mitte) jeweils eine innere ideologische Vielfalt sen Xenophobie begegnet werden müsse, bevor aufweisen; daß die Klassen inzwischen durch ande diese in Rassismus ausarte. re soziale Unterteilungslinien (Geschlecht, Ethnizi Anders verhält es sich mit der Arbeiterklasse. tät, Gesundheit etc.) mehrfach durchbrachen wur Bereits in den früheren Rassentheorien gelten die den, und daß schließlich supranationale Gebilde "ungebildeten und besitzlosen Stände" als Fremde, wie die Europäische Union sehr wohl als eine als Naturvölker, als potentielle Entartungsursache. "Quasi-Nation" fungieren können und somit keinen Das Proletariat12 läßt sich anfangs nicht ohne wei Gegensatz zum "klassischen" nationalen Projekt teres für das Projekt "Nation" gewinnen, kann nicht darstellen müssen etc. sofort in das Gebilde ,,Volk" eingegliedert werden. Aber meine aus dem Reversionsprisma betrach Einerseits konkurriert der theoretische Internationa tete Geschichte hat zumal den Vorteil, daß sie lismus, andererseits der spontane Sozialismus mit Analysen des Neo-Rassismus, die sich allzu sehr der Nationisierung. Der Erste Weltkrieg ist ein dies mit den neuen Ideologen des Rassismus befassen, bezüglich wichtiger Einschnitt; das Proletariat durch die historisch-deskriptive Darstellung seiner kämpft darin für die eigene Nation gegen das Prole neuen Adressaten ergänzen kann. Denn die Über tariat einer anderen Nation. Der Weltkrieg zeitigt betonung der immer subtiler und unsichtbarer wer aber verschiedene, auch unerwünschte Folgen (wie denden Strategien der Rassisten ruft die Frage her 1917 die Revolution in Rußland oder nach Kriegs vor, ob diese subtile rassistische Propaganda über ende die Räterepubliken in Deutschland). Die Zwi haupt auch von ihren Zielgruppen als solche er schenkriegszeit wird von den Arbeiterunruhen ge kannt oder "verstanden" wird. Und das meine ich prägt. Die Rolle der Arbeiterklasse im Nationalso durchaus ohne Ironie, weil ich tatsächlich der Mei zialismus ist eine vieldiskutierte Frage; ich möchte nung bin, daß der Rassismus der Mitte nach einer mich hier mit dem Hinweis begnügen, daß die Ge "Theorie" und nach Wegweisern verlangt. winnung der Arbeiterklasse für nationalistische Ich glaube, daß ich nun - anhand der Beschrei Zwecke nur durch eine "Flucht nach vorn", in einem bung des Beständigen und des Wandels - meine verstaatlichten Rassismus, möglich war. Die Nach zentrale Fragestellung präzisieren kann: Wie kann kriegszeit ist auch die des "Verschwindens" des eine zunehmend um sich greifende Universalisti Proletariats: Eine mittlere Schicht entsteht, die we sche Tendenz (getragen von einer relativ deutlich der im Lohn- noch im Lebensstandard mehr ein abgegrenzten Schicht der Intellektuellen und 4 IWK-MITTEILUNGEN 3/1997 Technokraten) neben einer genauso stark in Ent stischen Ideen mit jenen der Rationalisierung von wicklung befindlichen partikularistischen Tendenz Rassendiskriminierung oder auch an der Personal (getragen von der sozialen Schicht der Mitte, die union des Aufklärers mit dem Rassentheoretiker schon immer aufgrund ihrer "Offenheit nach unten" (etwa in Voltaire oder Buffon) kann die These vom gefürchtet wurde) existieren? Wie kann die Univer "universellen Rassismus" belegt werden. Auch darf salistische Globalisierung als Massenphänomen mit ich als erkenntnistheoretischen Beleg das große dem partikularistischen Rassismus als Massenphä Projekt der Taxinomie (der Enzyklopädisten und nomen in einem Atemzug erwähnt werden? Wie anderer Aufklärer) anführen, die Rassisierungen in sollen wir diesen Zustand, der uns allmählich als unsere moderne Erkenntnis "eingepflanzt" hat. selbstverständlich erscheint, unseren Kindern rela "Gott schuf und Linne klassifizierte", zitiert Leon 19 tiv logisch erklären? Poliakov einen verbreiteten Satz über den schwedischen Naturforscher des 18. Jahrhunderts, der die vier "normalen" Menschenarten wie folgt be DER UNIVERSALISMUS DES RASSISMUS schrieb: "Europaeus albus ... einfallsreich, erfinderisch ... , Drei verschiedene, m. E. aber komplementäre Er weiß, sanguinisch ... Er läßt sich durch Gesetze len- klärungsansätze möchte ich hierzu erwähnen. Der ken. erste Ansatz ist ein historischer und orientiert sich Americanus rubescus: mit seinem Los zufrieden, liebt an drei Problemen: die Freiheit ... , gebräunt, jähzornig ... Er läßt sich 1) an der historisch determinierten Polarisation durch die Sitte lenken. von Klasse und Rasse; Asiaticus luridus: habsüchtig ... , gelblich, melancho 2) an der historischen Artikulation der Elemente lisch .. . Er läßt sich durch die allgemeine Meinung lenken. der geschichtslosen Ideologien; Afer niger: verschlagen, faul, nachlässig ... schwarz, 3) an der historischen Dynamik der Globalisie phlegmatisch ... , er läßt sich durch die Willkür seiner rung. Diesen Ansatz kann ich hier nicht weiter be Herrscher lenken" sprechen.14 (zit. nach Poliakov u. a. 1992, S. 79) Der zweite Ansatz, der strukturelle, lenkt sein Auch in der Kultur-Konzeption, die immer minde Augenmerk auf die Machttechniken und -formen: stens zwei verschiedene Bedeutungsniveaus kon So hat Michel Foucault von einer Bio-Macht und ei notiert (Hochkultur und "Kulturen") und die wir alle ner Pastoralmacht gesprochen. Diese regulieren, so mehr oder weniger miteinander teilen, sind struktu Foucault, seit unterschiedlichen Zeiten die Dialektik relle Spuren der kulturellen Hierarchisierung ver vom Leben und Tod sowie die Dialektik von Indivi borgen - ja diese Kultur-Konzeption ist die Quelle dualisierung und Totalität. Auch auf diesen Ansatz 15 des Neo-Rassismus. kann ich hier nicht ausführlicher eingehen. Den dritten Erklärungsansatz nenne ich den epistemologischen, der neben Balibar und Waller stein auch wieder von Foucault, aber auch in der RASSISMUS ALS DENKWEISE eher Jungen Tradition der Interkulturellen Philoso 1 phie ausgearbeitet wurde: Dieser Ansatz besagt, Ich möchte nicht mißverstanden werden. Daher daß der Rassismus und der Universalismus nicht formuliere ich meine Schlußfolgerungen noch ein nur keine Gegensätze bilden, sondern sogar einan mal in Negativform: der bedingende Ideologien sind. Ich meine nicht, daß der Neo-Rassismus immer Ausgehend von diesem letzten, dem epistemo schon da war. Aber bestimmte seiner Merkmale logischen, Ansatz möchte ich abschließend versu haben schon eine längere Geschichte als die Ana chen, einige Aussagen über den "Charakter" des lysen des Neo-Rassismus annehmen. Daher müs Rassismus und daran anschließend über mögliche sen diese (auch) als Merkmale eines strukturellen, Strategien seiner Bekämpfung zu formulieren. beständigen Rassismus betrachtet und bekämpft Jede systematische Bemühung, die Menschheit werden. Außerdem blendet die Überbetonung der oder den Menschen als solchen zu definieren, zieht subtilen Methoden und Theorien der rassistischen 17 eine Rassisierung nach sich. Denn es ist nicht Regisseure den Wandel aus, den die latenten oder möglich, eine alle individuellen Unterschiede um manifesten Akteure des Rassimus durchgemacht fassende Definition des Menschen zu entwerfen. haben. Daher wird mit dem Akt des Definierens auch der Ich meine nicht, daß die soziale Schicht der Idealtypus, und damit logischerweise auch der Mitte durch und durch rassistisch ist und die andere "Über-" und .. lnframensch" mitdefiniert. Es ist eben Schicht (die Elite) nur aus antirassistischen Kosmo sowenig möglich, eine Geschichtsphilosophie zu politen besteht. Ich will lediglich auf die universali entwerfen, die nicht vom Rassismus instrumentali stisch-partikularistische Dialektik des Rassismus siert wird. Denn die Vorstellung des Fortschritts verweisen. Sie beinhaltet zwei Formen der Anru (oder des Rückschritts) trägt die Hierarchisierung fung, zwei Strategien, die verschiedene Anfällig 18 der Menschheit nach Gruppen in sich. keitsgrade der beiden Schichten sichtbar machen. An der historischen Verzahnung der universali- Natürlich ist auch die Elite eine für den Rassismus 5 IWK-MITTEILUNGEN 3/1997 anfällige Gruppe - nur sie wird in anderen, eben 2 Taguieff (1991) nennt diesen traditionellen Antiras- Universalistischen Notionen angerufen - während sismus "kommemorativ". partikularistische Symbole eher die Mittelschicht 3 Vgl. Kraus (1987) 4 Vgl. Taguieff (1991), S. 246 ff. ansprechen. 5 Ebd., S. 243 Ich meine nicht, daß der Universalismus gleich 6 Vgl. Balibar I Wallerstein (1990), S. 33 f. Rassismus ist oder immer Rassismus produzieren 7 Vgl. Aymard (1989.) muß. Es gibt aber eine historisch, strukturell und 8 Vgl. Gürses, Averroes' Suche (1995), S. 8 epistemologisch bedingte Relation zwischen ihnen. 9 Vgl. Borst (1995) Natürlich meine ich nicht, daß etwa der Partikula 10 Hervorzuheben sind die Arbeiten von Benedict An rismus antirassistisch wäre. Es handelt sich um die derson (1983), Ernest Gellner (1991) und Eric J. zwei Seiten einer Medaille. Weniger in der Berüh Hobsbawm (1991 ). rungsangst vor der Relation zwischen Rassismus 11 Der historische Zusammenhang zwischen dem Be und Universalismus liegt aber m. E. das eigentliche griff natio und der Universität; der anfangs "theore tische" Charakter des Nationalismus und die Bildung Dilemma der antirassistischen Position. Vielmehr einer Technokratenschicht aus Verwaltungsgründen geht es um den Fehler, den Rassismus und seinen sind einige der vielen Indizien, die auf diese "imma Gegner in den antagonistischen Kategorien Partiku nente" Beziehung zwischen Nationalismus und der larismus und Universalismus zu denken. So ver "Elite" verweisen. sucht ein bestimmter Antirassismus - paradoxer 12 Etymologisch betrachtet, verdient der Begriff Proleta weise in Anlehnung an Adorno - dem angeblich riat in zweierlei Hinsicht Aufmerksamkeit: Erstens partikularistischen Rassimus die eine, sichtbare, entstand er in der römischen Tradition, die nicht nur Wange des Universalismus entgegenzuhalten: die zwischen Barbaren und Römern, sondern auch zwi der pädagogischen Aufklärung, der antirassisti schen freien Bürgern und Sklaven strikt unterschied und eine sehr krasse soziale Hierarchie pflegte; schen Erziehung und der humanen Werte. Aber ge zweitens bezeichnete er damals die unterste Steuer rade dieser Dualismus vernebelt den Blick für die klasse, die dem Staat nur durch Nachkommenschaft Verortung der strukturellen Quellen des Rassismus. (proles) diente. Schließlich meine ich nicht, daß der Rassismus 13 An anderer Stelle (Gürses, Reden von Oberwart, "transzendent" und somit unbekämpfbar ist. Ich 1995) habe ich versucht, die "Zielscheiben" und die meine aber, daß er nicht nur mehrere Gesichter hat, gegenwärtigen Tendenzen dieses "Rassismus der sondern auch aus mehreren Quellen gespeist wird. Mitte" im Österreichischen Kontext darzustellen. Daher können die Kritik und die Bekämpfung des 14 Vgl. hierzu Balibar I Wallerstein (1990), Miles (1991) Rassismus nicht a priori bei der Identifizierung der und Hall (1994). 15 Vgl. hierzu Foucault (1993 und 1994). Rassisten ansetzen, sondern bei der Analyse des 16 Siehe hierzu Wimmer (1990) strukturellen Rassismus, der sich nicht durch Ver 17 in diesem Zusammenhang scheint mir die Etymologie bote oder Gefängnisstrafen sanktionieren läßt. des Rasse-Begriffs interessant zu sein: Albert Memmi Auch kann der Antirassismus nicht der Name eines (1992) leitet ihn von ratio ab, was ursprünglich "chro politischen Programms oder Standpunktes sein; nologische Ordnung" bedeutete, während andere das denn die Bekämpfung des Rassismus ist, um mit derselben Familie angehörende Wort radix (Wurzel, Balibar zu reden, die Bekämpfung einer Denkweise. Geschlecht) vorziehen. Also muß diese Denkweise, wie im Falle des Se 18 Vgl. die umgekehrte Formulierung Balibars (Balibar I xismus, von innen zersetzt werden. Und dieses Wallerstein, 1990, S. 70): "Theoretisch betrachtet ist der Rassismus eine Geschichtsphilosophie oder, "Innen" schließt beim Rassismus sehr wohl auch besser gesagt, eine Historiosophie, derzufolge die unsere Konzepte des Universalismus und der Ra Geschichte einem verborgenen und den Menschen tionalität ein. So setze ich mich als Philosoph bei enthüllten ,Geheimnis' entspringt, das ihre eigene spielsweise gegen folgende Sätze: Natur, ihre eigene Herkunft betrifft. Es ist eine Philo "Das beste Beispiel einer geistig-intellektuellen sophie, die die unsichtbare Ursache des Schicksals Schöpfung, die nicht auf ihre Entstehungsbedingun der Völker und Gesellschaften sichtbar macht; wird gen reduziert werden kann, gibt vielleicht die Philo diese nicht erkannt, verweist das auf eine Entartung sophie, deren Ursprung und Geschichte im Okzident oder auf die historische Macht des Bösen." liegt, die aber gleichzeitig über die Geschichte hin 19 Poliakov u. a. (1992), S. 78 ausgeht, als ob sie, kaum geboren, sich von ihrer Herkunft losgerissen hätte, um ein eigenständiges Leben zu führen". (Taguieff 1991, S. 258) LITERATURHINWEISE Diese Sätze des Pioniers der Neo-Rassismus Anderson, Benedict: lmagined Communities. On the ori Forschung könnten auch eine kurze Biographie des gins and spread of nationalism. London 1983 Rassismus abgeben. Aymard, Maurice: Die Minderheiten. ln: Braudel, Fernand (Hg.), Europa: Bausteine seiner Geschichte. Frank furtiM. 1989, S. 69-97 ANMERKUNGEN: Balibar, Etienne I Wallerstein, lmmanuel: Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente /dentitäten. Hamburg, Berlin 1 Besonderen Anklang finden in der letzten Dekade 1990 verschiedene Veröffentlichungen von Colette Guil Borst, Arno: Barbaren, Ketzer und Artisten. Welten des laumin, Pierre-Andre Taguieff und Etienne Balibar. Mittelalters. München 1990 6 IWK-MITTEILUNGEN 3/1997 Borst, Arno: Der Turmbau von Babel. Geschichte der Holzberg, Niklas: Nachwort zu: Willibald Pirckheimer; Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen Eckius dedolatus I Der enteckte Eck. Stuttgart 1983, und Völker, 4 Bde. München 1995 S. 115-127 Foucault, Michel: Leben machen und sterben lassen. Zur Kraus, Werner: Zur Anthropologie des 18. Jahrhunderts. Genealogie des Rassismus. Ein Vortrag. in: Lettre Die Frühgeschichte der Menschheit im Blickpunkt der lntemational, Frühjahr 1993, S. 62-67 Aufklärung. Frankfurt/M., Berlin 1987 Foucault, Michel: Warum ich die Macht untersuche: Die Memmi, Albert: Rassismus. Harnburg 1992 Frage des Subjekts. in: Dreyfus, Hubert L. I Rabinow, Miles, Robert: Rassismus-Einführung in die Geschichte Paul (Hg.), Michel Foucault- Jenseits von Struktura und Theorie eines Begriffs. Harnburg 1991 lismus und Hermeneutik. Weinheim 1993, S. 243-250 Poliakov, Leon u. a.: Rassismus. Über Fremdenfeind Gellner, Ernest: Nationalismus und Moderne. Berlin 1991 lichkeit und Rassenwahn. Hamburg, Zürich 1992 Gürses, Hakan: Averroes' Suche oder das fehlende Taguieff, Pierre-Andre: Die ideologischen Metamorpho Wörterbuch. in: WiGiP-News'n'Too/s- Mitteilungsblatt sen des Rassismus und die Krise des Antirassismus. der Wiener Gesellschaft für interkulturelle Philosophie, in: Bielefeld, Uli (Hg.): Das Eigene und das Fremde: Nr. 2., Wien 1995, S. 3-10 neuer Rassismus in der alten Welt? Harnburg 1991, Gürses, Hakan: Reden von Oberwart. in: springer- Hefte S. 221-268 für Gegenwartskunst, Bd. I/Heft 1. Wien 1995, S. 42-44 Wimmer, Franz M.: Interkulturelle Philosophie. Wien Hall, Stuart: Rassismus und kulturelle Identität. Ausge 1990 wählte Schriften 2. Harnburg 1994 Wimmer, Franz M.: Von der ,,Race" zur "Rasse". ln: Hobsbawm, Eric J.: Nationen und Nationalismus. Mythos STIMME von und für Minderheiten, Nr. 22 (1-1997). und Realität seit 1780. Frankfurt/M., New York 1991 Wien/lnnsbruck 1997 MONIKA FIRLA KANTS THESEN VOM "NATIONALCHARAKTER" DER AFRIKANER, SEINE QUELLEN UND DER NICHT VORHANDENE ,ZEITGEIST' FÜR KEN SARO-WIWA (1941-1995) EINLEITUNG DIE BEIDEN RELEVANTEN PASSAGEN IN DEN "BEOBACHTUNGEN ÜBER DAS GEFÜHL DES Kant war ein leidenschaftlicher Leser von Reisebe SCHÖNEN UND ERHABENEN" schreibungen, 1 und bereits für seine ab dem Som mersemester 1756 gehaltenen2 Vorlesungen über Kant äußert sich in zwei Passagen über den ver "physische Geographie", in denen er auch Afrika meintlichen "Nationalcharakter" der Afrikaner, die im behandelte,3 hatten ihm Peter Kalbs "Beschreibung folgenden Satz für Satz zitiert und kommentiert des Vorgebürges der Guten Hoffnung" in der Aus werden, um seine Diffamierungsstrategien exakt zu gabe von 17 45 und die Bände 11.17 48 - V.17 49 der dokumentieren. zu jener Zeit berühmten Kompilation von Reisebe PASSAGE I richten mit dem Titel "Allgemeine Historie der Rei sen zu Wasser und Lande" gedient4 thematisiert die emotionale, künstlerische und wis 1764 veröffentlichte Kant die "Beobachtungen senschaftliche Befähigung der Afrikaner, ihre Reli über das Gefühl des Schönen und Erhabenen", zu gion und ihren Fleiß. deren Vorläufer die einschlägigen Schriften von SATZ 1 Shaftesbury, Hutehesan und Burke gehören.5 Doch anders als diese beschäftigte er sich in seinen "Die Negers von Afrika haben von der Na "Beobachtungen ... " in einem eigenen Kapitel mit tur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege." (AA II, S. 253) dem - an sich bereits fragwürdigen - Thema "Von den Nationalcharaktern" (AA II, S. 343-56), wozu er Kant betrachtet hier die Afrikaner nicht in ihrer kultu ohne Zweifel durch Humes Essay "Of National Cha rellen, politischen und staatlichen Vielfalt, so wie er racters"6 angeregt worden war, auf den ich unten es z. B. mit Blick auf die Europäer (ibid., S. 243- noch ausführlich zu sprechen komme. Im Rahmen 250), Araber, Perser, Japaner und Chinesen (ibid., des Kapitels "Von den Nationalcharaktern" behan S. 252) tut, sondern als schwarzhäutige Menschen delt Kant auch das, was er für den "National und damit als ,Rasse'. Diese ,Rasse' interpretiert er charakter" ,der' Afrikaner hält.l Doch anstatt seine um zu einer einzigen ,Nation', obwohl er durch sei früheren Quellen objektiv auszuwerten, vereinigt er ne Lektüre von Kolb8 und der "Allgemeinen Historie wider besseres Wissen und mit Absicht ,rassen' ... " mindestens die folgenden einzelnen ,Nationen' und kolonialideologische Thesen, die weder "Beob und Staaten kennengelernt hatte: die Khoi-Khoin9, achtungen" sind noch das mindeste zur vermeintli die Wolof10, Fulbe11, Manding12, die Königreiche chen Erforschung der Afrikaner beitragen. Whida13, Dahomey14, Kommendo15, Fetu16, Sabu IWK-MITTEILUNGEN 3/1997 und Fantin17, Akron und Agoma18, Akkra, Labbade, des ,genetischen Anartens'33 und erklärt, die Afrika Ningo und Lampi19, Ardrah20, Benin21, Kongo22, An ner hätten bestimmte negative Eigenschaften gola23, Benguela24, und Monomotapa25. "schon von Natur (nicht blas durch Erziehung)"34. Obwohl Kant in den "Beobachtungen ... " erklärt Da die Afrikaner in der heißen Zone leben, muß hatte, er wolle nicht entscheiden, ob Zufall oder nach Kant für sie gelten: "Nothwendigkeit" zur Entstehung der "National "Die in Zona torrida haben nicht feine Empfindungen unterschiede" führe (AA II, S. 243 Anm. *), be vor Ordnung und Schönheit"35, hauptet er im oben zitierten Satz 1 durch seine und so erfuhr das Publikum auch hier: "Negers sind Wendung "Von der Natur", die emotionale Befähi 36 ( ... ] sehr läppisch" . Wie das "Läppische" ent gung der Afrikaner sei determiniert. steht, verkündet Kant in den "Beobachtungen ... ", Die Erklärung für diesen biologischen Determi indem er erklärt, "wenn das Edle [ ... ] gänzlich man nismus findet sich in Kants Vorlesungen über gelt", dann "physische Geographie" aus dem Wintersemester "artet das Gefühl des Schönen aus [ ... ], und man 1763/64, von denen eine Nachschrift Herders exi nennt es läppisch" (AA II, S. 214), stiert, der damals bei Kant studierte und in dieser Zeit dessen rassistische Thesen übernahm.26 Diese und Nachschrift hat Menzer exzerpiert und auszugswei "[w]ichtige Dinge werden [dann] als Spasse behan 27 se zitiert. delt, und Kleinigkeiten dienen zur ernsthaften Be Auch in diesen Geographievorlesungen von schäftigung" (ibid., S. 247). 1763/64 behandelt Kant die "Charaktere der Natio Diese "Kleinigkeiten" weiß Kant in den Geographie nen"28 und verpflichtet sich wie bereits in seinen vorlesungen von 1763/64 sehr genau zu benennen, Geographievorlesungen aus der Zeit vor 1760 indem er behauptet, die Afrikaner seien "läppisch", 29 (AA IX, S. 311 ff.) der Klimatheorie, deren promi denn sie "freuen sich an Kinderei, Glaskorallen 37 nenteste Vertreter zu jener Zeit und auch für Kant, [d. h. Glasperlen; M.F.]". 30 38 der diese namentlich nennt, Buffon (AA II, S. 4) Wie bereits Pietz zu Recht bemerkte, über 31 und Montesquieu waren. nahm Kant mit seiner Unterstellung, die Afrikaner Die Klimatheorie behauptete die grundlegende seien "läppisch" bzw. schätzten Gegenstände von Bedeutung der klimatischen Verhältnisse für die (nach europäischen Maßstäben) geringem Wert ei physische und psychische Befindlichkeit der ihr ne Behauptung, die seit den späten 1450er Jahren ausgesetzten Menschen und unterschied die als von europäischen Kaufleuten, die mit dem Über ideal betrachtete gemäßigte Zone von der kalten seehandel befaßt waren, wiederholt wurde. Doch Zone im Norden und der heißen im Süden als deren Kant lehnt sich auch ganz konkret an Montesquieu Extreme. Dabei unterstellte man, daß das Klima der an, den er in den "Beobachtungen ... " namentlich gemäßigten Zone - eben durch seine gemäßigte nennt (AA II, S. 247) und auf dessen "Esprit des Temperatur - die dort lebenden Menschen nicht Loix" (sie!) er in den Geographievorlesungen von 39 beeinträchtige bzw. nicht bestimme, die Klimate der 1763/64 verweist. Montesquieu* listet in Buch XV, kalten und heißen Zone jedoch mit ansteigender Kap. 5 mit dem Titel "Oe l'esclavage des negres", Kälte oder Hitze die dort befindlichen Menschen nachdem er erklärt hat physisch und psychisch beeinträchtigen und damit a "[s]i j'avois soutenir le droit que nous avons eu de 32 determinieren würden. rendre les negres esclaves, voici ce que je disois"40, Kant verband bereits in seinen Geographievor einige rassistische Scheinargumente für dieses lesungen aus der Zeit vor 1760 in Anlehnung an 41 vermeintliche Recht auf. Und eines dieser Buffon die Klimatheorie mit einer Vererbungstheo Scheinargumente war: rie, wonach sich die klimatischen Auswirkungen auf "Une preuve que les negres n'ont pas le sens com Physis und Psyche in vorgeschichtlicher Zeit gene mun, c'est qu'ils font plus de cas d'un collier de verre, tisch fixiert hätten und so eine que de l'or, qui, chez les nations policees, est d'une "Nation nach langen Perioden in das Naturell desje si grande consequence."42 nigen Klimas ausarte[.], wohin sie gezogen ist" Kant wußte aus der Lektüre der "Allgemeinen Histo (AA IX, S. 318), 43 rie ... " und von Kolb genau, daß die Wertschät und man es dann jeweils mit "angearteten Bildun zung von Glasperlen nur gelegentlich zutraf44, und gen und Naturelle[n]" (ibid., S. 317) bzw. "ange daß jene Afrikaner, für die diese Wertschätzung zu borenen Eigenschaften" (ibid., S. 315; dort gesperrt) traf, nämlich die an der "Goldküste", gleichzeitig bei zu tun habe. Kant schreitet dann fort zu einer ,Ras den Europäern als versierte Händler galten.45 Au sentheorie', wonach in den "temperirten Zonen" die ßerdem war ihm ohne Zweifel das Phänomen des "Menschheit [ ... ] in ihrer größten Vollkommenheit", ideellen Werts bekannt - und trotzdem übernimmt nämlich "in der Race der Weißen" zu finden sei und er die diskriminierenden Scheinargumente. die Afrikaner auf der zweitletzten von vier mögli Im folgenden Satz 2 von Passage I beruft sich chen Stufen einer ,Rassenhierarchie' stünden (ibid., Kant auf eine weitere diffamierende Quelle: S. 316). Auch in den Geographievorlesungen von * Übersetzung der französischen Textstellen nach den Anmer 1763/64 verpflichtete sich Kant wieder der Theorie kungen (S. 17) 8

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IWK-MITTEILUNGEN 3/1997. EINLEITUNG. Der Arbeitskreis zu "Theorie und Praxis der lnter- kulturalität" konzentrierte sich im Guinea and the enlightenment theory of fetishism. ln: Res 16 (1988), S. 105-123, hier S. 105, S. 116 ff. 77 AH IV, S. 173 ff. 78 lbid., S. 181. 79 lbid., S. 185 Anm. f, S. 1
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