WULF D. HUND Rassismus Die Beiträge der Reihe Einsichten werden durch Materialien im Internet ergänzt, die Sie unter www.transcript-verlag.daeb rufen können. Das zu den einzelnen Titeln bereitgestellte Leserforum bietet die Möglichkeit, Kommentare und Anregungen zu veröf fentlichen. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme! BibliografischeI nformation der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2007 transcript Verlag, Bielefeld Lektorat: Kai Reinhardt, Bielefeld Herstellung: Justine Haida, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-3ro-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleich tem Zellstoff. Inhalt 1. Einleitung 5 II. Grundlagen 9 r. Rasse, Kultur, Herrschaft ro 2. Geschlecht, Klasse, Nation r5 3. Konstruktion, Inklusion, Exklusion 20 4. Rassismus als soziales Verhältnis 27 III. Formen 34 r. Kultivierte und Barbaren 36 2. Reine und Unreine 43 3. Erwählte und Teufel 53 4. Zivilisierte und Wilde 6r 5. Weiße und Farbige 68 6. Wertvolle und Minderwertige 74 IV. Methoden 82 r. Desozialisation, Entfremdung 83 2. Differenzierung, Inferiorisierung 9r 3. Stigmatisierung, Verkörperung 99 4. Assimilation, Segregation ro9 V. Einsichten 120 Anmerkungen 127 Literatur 146 1. Einleitung »Today racismo peratesi n societiesa nd institutionst hat explicitlyc ondemn prejudicea nd discrimination.« Howard Winant (2001:307) Rassismus ist weltweit verrufen und dauert überall an. Dabei dürfte es ihn - zumindest, wenn man die offiziellen Zeichen seines institutionellen Niedergangs deutet - eigentlich kaum mehr geben. Als wissenschaftliches System befand er sich schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts auf dem Rückzug (Barkan 1992). Als politisches System wurde er durch den Nationalsozia lismus völlig diskreditiert (Burleigh/Wippermann 1991) und ver lor nach dem Ende der Apartheid seine letzte staatliche Bastion (Maylam 2001). Als soziales System erschütterte der offizielle Übergang von der weißen Vorherrschaft zur Rassendemokratie in Brasilien (Telles 2004), zum Multikulturalismus in Australien (Lopez 2000) oder zur positiven Diskriminierung in den USA (Wise 2005) nachhaltig seine Geltung. Trotzdem fiel die Bilanz der Weltkonferenz gegen Rassismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts pessimistisch aus. Sie stellte fest, dass wesentliche Ziele bei der Bekämpfung des Rassismus durch die internationale Gemeinschaft bislang nicht verwirklicht wur den (Weltkonferenz 2001: 1). Ein Grund dafür liegt in der kom plexen Struktur und den vielfältigen Erscheinungsformen des Rassismus. Darauf deutete bereits die kategoriale Fassung von »racial discrimination« durch die Vereinten Nationen aus dem Jahr 1965 hin. Sie umfasste »any distinction, exclusion, restric tion or preference based on race, colour, descent, or national or ethnic origin«, durch die jemand bei der Ausübung der Men schenrechte eingeschränkt werden könnte (Banton 2002: 47). In Form eines diplomatischen Kompromisses waren hier Bezeich nungen kumuliert, die von »Rasse« bis »Ethnizität« reichen und dadurch auf einen Zusammenhang verwiesen, der biologische, soziale, politische und kulturelle Elemente umfasst. Diese haben sich auch in der wissenschaftlichen Diskussion niedergeschlagen: »Rassismus« wird unterschiedlich definiert. 5 In jedem Fall ist die Bezeichnung jünger als das Bezeichnete und der Rassismus älter als die seine Namensgebung bestimmenden Rassen. In Deutschland ließ sich der »Brockhaus« bis 1972 Zeit, um den Begriff anzuführen. Der »Duden« nahm ihn 1966 zu nächst nur ins Fremdwörterbuch auf und wies ihn erst ab 1973 im Rechtschreibwörterbuch der deutschen Sprache nach. Das hatte seinen Grund nicht zuletzt in der engen Verbindung des Wortes mit der deutschen Geschichte. In Frankreich erklärte der »Larousse« 1932 Rassismus zur Doktrin der Nationalsozialisten (Taguieff 2000: ro4). Auch im englischen Sprachbereich diente der Begriff in den 3oer Jahren des 20. Jahrhunderts der Kritik deutscher Zustände (Fredrickson 2002: 5). Als Ruth Benedict 1940 eine der ersten Definitionen formulier te, zählte sie Rassismus ebenfalls zu den »Hauptgrundlagen der deutschen Politik« (1947: 132). Gleichzeitig verdeutlichte bereits ihre Version zentrale Probleme, die sich bis heute in den unter schiedlichsten Begriffsbestimmungen finden. Benedict setzte Ras sismus in Beziehung zur Rasse. Während diese als natürliche Ge gebenheit und legitimes »wissenschaftliches Forschungsgebiet« gesehen wurde, galt jener als »Aberglaube« und »Dogma« von der »Minderwertigkeit« und »Überlegenheit« der Rassen (ebd.: 131f.). Gleichzeitig räumte Benedict verschiedene Entstehungsetappen des Rassismus ein, der im Zusammenhang des europäischen Ko lonialismus begonnen und sich anschließend in innereuropäi schen Klassenkonflikten und schließlich in nationalen Auseinan dersetzungen entfaltet hätte (ebd.: 149). Außerdem war ihr klar, dass insbesondere der deutsche Rassismus auf Konzepte setzte, die Rasse voluntaristisch verstehen und ihre naturwissenschaftli chen Dimensionen für »völlig irrelevant« (ebd.: 177)h alten. Schon zum Zeitpunkt ihrer ersten Fixierung enthielt die Defi nition des Rassismus eine Reihe ungelöster begrifflicher Pro bleme. Er sollte sich zunächst auf distinkte natürliche Einheiten beziehen, die sich anthropometrisch und genetisch unterschei den ließen (wie das der in den Wissenschaften damals noch sehr viel massiver als heute verteidigte Rassenbegriff unterstellte). Gleichwohl herrschte Rassismus ersichtlich nicht nur zwischen den Rassen, sondern äußerte sich auch innerhalb zu solchen er klärter Gruppen (wie die rassistische Diskriminierung unterer 6 Klassen und anderer Nationen zeigte). Der Rassismusbegriff soll te ferner die ideologische Herabminderung anderer Rassen be zeichnen (wie sie Mitte des 20. Jahrhunderts noch allgemein ge genüber sogenannten Farbigen betrieben wurde). Trotzdem diente der Rassismus offensichtlich auch dazu, andere selbst ge gen den Augenschein zu Rassen zu erklären (wie es die deut schen Faschisten und ihre antisemitischen Vordenker mit den Juden gemacht hatten).' Von Anfang an kombinierte der Begriff des Rassismus natür liche und kulturelle Faktoren. Hinsichtlich ihres Legitimationszu sammenhanges sind erstere als Grundlage letzterer gedacht- die angeblich verschiedene Natur der Rassen wird für ihr unterschied liches Kulturniveau verantwortlich gemacht. Doch ist der Be gründungszusammenhang dieser Argumentation tatsächlich ge nau umgekehrt aufgebaut - essentialistisch konzipierte kulturelle Differenzen sollen sich tendenziell in körperlichen Merkmalen ausdrücken. Deshalb tut es der rassistischen Argumentation kei nen Abbruch, wenn sich die körperlichen Zeichen ihrer angeblich rassischen Andersartigkeit an einzelnen oder ganzen Gruppen nicht nachweisen lassen. Die Geschichte des Rassismus belegt zur Genüge, dass dessen Beweisführung sein phänomenologi sches Glacis im Zweifelsfall ohne Zögern räumt und sich in die ontologische Bastion kulturalistischer Gewissheit zurückzieht. Das gilt auch für den Rassenrassismus. Auch er betreibt die biologistische Verhüllung seines herrschaftlich geprägten kultu rellen Kerns. Zwar versucht er, im Begriff der Rasse die Ge schichte rassistischer Gewalt und Unterdrückung wie die Vertei digung daraus erwachsener Vorteile hinter Hautfarben, Schädel größen und schließlich Genen verschwinden zu lassen. Doch zeigen seine Diskriminierungsmaßnahmen von der one-drop-rule bis zum Judenstern, dass auch er sich nicht auf die Kumpanei der Natur verlassen kann, sondern den Mystizismus des Blutes mit dem Dezisionismus der Macht durchsetzen muss. Die Verbreitung des modernen Rassismus durch den europäi schen Kolonialismus und Imperialismus sowie seine Legitima tion durch die sozialphilosophische Fortschrittstheorie und die biologische Evolutionstheorie haben freilich dazu geführt, dass seine Bezugskategorie Rasse heute nicht nur häufig als zentrales 7 Definitionskriterium des Rassismus angeführt, sondern auch zur Grundlage weiter reichender analytischer Perspektiven gemacht wird. Sowohl die grundlegende Studie zum Rassismus der Anti ke von Benjamin Isaac (2004) als auch die Perspektive eines glo balen Vergleiches bei Yasuko Takezawa (2005) versuchen, die Ka tegorie Rasse nutzbar zu machen, indem sie sie über ihren se mantischen Horizont hinaus ausdehnen. Ihre Überlegungen ge hen davon aus, dass die zentralen Elemente der Rassenidee auch an anderen Orten und zu anderen Zeiten zur Begründung rassis tischer Diskriminierung herangezogen worden sind. Auch wenn das zweifellos für unterschiedliche Bestandteile des Rassenkonzeptes gilt, ist das keine hinreichende Begründung für dessen Ausweitung. Dadurch wird nicht nur der Blick auf an dere Begründungszusammenhänge des Rassismus verstellt, son dern auch die notwendige Dekonstruktion des Begriffs Rasse er schwert. Die Erfindung der Rassen zeigt, dass es sich bei ihnen um eine soziale Kategorie handelt, welche unter spezifischen Umständen zur Grundlage einer Politik rassistischer Herabmin derung entwickelt worden ist, die sich unter verschiedenen Be dingungen verschiedener Legitimationsmuster bedient hat. Die Grundlagend ieser Vorgehens werden in Kapitel II behan delt. Kapitel III untersucht die verschiedenen Formen, die rassis tische Diskriminierung entsprechend der Vielfalt herrschaftli cher Verhältnisse und kultureller Traditionen angenommen hat. Kapitel IV beschäftigt sich mit den dabei entwickelten Methoden. Kapitel V fasst die im Verlauf der Argumentation gewonnenen Einsichtenz usammen. Dabei werden systematische Überlegungen am historischen Material entwickelt, das deswegen häufiger aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet wird und sich erst im Verlauf der Lektüre zu eigenen Themenblöcken zusammenfügen lässt. Die entspre chenden zusammenhänge werden durch Querverweise deutlich gemacht. Da ferner in der Rassismusforschung nach wie vor kei ne Einigkeit über zahlreiche elementare Fragen besteht, kann ei ne vorgezogene Lektüre des Schlusskapitels »Einsichten« sowohl als Vorbereitung auf den Gang der Argumentation dienen, als auch zu deren kritischer Überprüfung beitragen. 8 II. Grundlagen »[AJs ociologyo f racism[ . ..] has everythingt o gainf rom jettisoningt he notion of racea s a categoryo f analysis.B ut it has much to loseb y moving awayf rom the study of relations.« Michel Wieviorka( 1995:2 5) »Racial Theories« gehört zu den Standardwerken zum Thema Rasse und Rassismus. Es ist vielfach aufgelegt und nach gut zehn Jahren in der zweiten Auflage um ein neues Kapitel erweitert wor den (Banton 1998 [19871).U nter der Überschrift »Race as social construct« würdigt es eine rasante theoretische Entwicklung. Galt Rasse zuvor als ein Produkt der Natur und Rassismus als dessen interessierte und vorurteilsbeladene Verfälschung und illegitime ideologische und politische Verwendung, so setzte sich schließ lich die Vorstellung durch, »Rasse« wäre eine soziale Konstruk tion und deswegen nicht Grundlage, sondern »Produkt des Ras sismus« (Solomos 2002: 160). 2 Schon deswegen ist Rassismus als interessierte Herabminde rung von Rassen unzureichend gefasst. Deren herrschaftlichen Elemente sind in die Kategorie Rasse selbst eingeflossen. Der Umstand, dass es vor ihrer Entwicklung und nach ihrer Diskredi tierung Rassismus ohne Rassen gab und gibt, verweist darauf, dass dessen Diskriminierungspotenzial einen kulturellen Kern hat, der sich auch im Rassenbegriff wiederfindet (vgl. Kap. Il/1). Dessen konkreten Filiationen machen deutlich, dass der mit ihm operierende Rassismus sich nie mit dem Entwurf einer Rassen hierarchie begnügte, sondern das darin enthaltene Element des Mangels und der Unvollkommenheit auch auf die Beziehungen der Geschlechter, Klassen und Nationen bezog. Der Vergleich der als niedrig eingestuften Rassen mit Frauen und Unterklassen ist nicht allein symbolisch zu verstehen. Er zeugt von der Kom plexität des Rassismus und der vielfältigen Umsetzung seiner Strategien der Benachteiligung und Unterdrückung wie von sei ner Bedeutung für die Stabilisierung herrschaftlich geprägter so zialer Verhältnisse (vgl. Kap. Il/2), deren Konstitution durch ein 9