Franz Breuer (Hrsg.) Qualitative Psychologie Franz Breuer (Hrsg.) Qualitative Psychologie Grundlagen, Methoden und Anwendungen eines Forschungsstils Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1996 Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Qualitative Psychologie: Grundlagen, Methoden und Anwendungen eines Forschungsstils / Franz Breuer (Hrsg.). - Opladen: Westdt. Verl., 1996 ISBN 978-3-531-12751-4 NE: Breuer, Franz [Hrsg.] Aile Rechte vorbehalten © 1996 Springer Fachmedien Wiesbaden UrsprUnglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen 1996 Das Werk einschlieBlich aller semer Teile ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulas sig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfaltigungen, Obersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. U mschlaggestaltung: Horst Dieter Burkle, Darmstadt ISBN 978-3-531-12751-4 ISBN 978-3-663-07902-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-07902-6 Inhalt Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Teil I: Theoretische und methodologische Grundlagen, sozialwissen schaftliche Traditionen und Vorbilder, methodisches Vorgehen, Arbeitsschritte, Berichte aus der Forschungswerkstatt. . . . . . . . . . . . . . . 13 Franz Breuer Theoretische und methodologische Grundlinien unseres Forschungsstils ...... 14 Basisorientierungen.. . . . .. ... . . . . . ... . ..... . .. . . . . . ... ...... . .. . ... . . . 14 Grounded Theory, Selbstrefiexivitat, Feldforschung.................... 16 Theorie-Entwicklung, Induktion, Grounded Theory-Methodik. . . . . . . . . . 21 Perspektiven und Darstellung~versionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Verstehensproblematik ..... '. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Alltagsweltliche und wissenschaftliche Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Niitzlichkeit und Anwendp.ngsbezug. . . .. . .. .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. 33 Bewertungskriterien ....' . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Paul Heeg Informative Forschungsinteraktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Einfiihrung........................................................... 41 Interaktionstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Modell der Entwicklung von Interaktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Forscher als Fremde: Das erste Betreten des Untersuchungsfelds. . . . . . . . 49 Forscher als Neulinge: Das erste wechselseitige Abschatzen. . . . . . . . . . . . . 50 Forscher als Lehrlinge: Der Erwerb einer bestimmten Sichtweise. . . . . . . . 51 Forscher als Mitarbeiter: Der Erwerb einer niitzlichen Position.. .. .. . . . 53 Forscher als Kandidaten: "Drinnen" und "drauBen" sein............... 54 Forscher als Informationsgeber: Riickmeldungen iiber Forschungsergebnisse.............................................. 57 Forscher als Berater: Die Mitgestaltung . .. . . . . . . .. . .. .. .. . .. .. .. .. .. . . 58 Forscher als Publizisten: Neue Diskurskontexte. ....................... 60 Petra Muckel Selbstrefiexivitat und Subjektivitat im ForschungsprozeB.................... 61 Einfiihrung........................................................... 61 Empirische Relevanz der Subjektivitat: Der handwerkliche Alltag der Forscherin als deskriptiver Ausgangspunkt ......................... 62 Theorie der forschungspraktischen Relevanz der Subjektivitat: Der Devereuxsche Standpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Das Gegeniibertragungskonstrukt als Monopol der Psychoanalyse? ..... 68 Wissenschaftstheoretische und forschungspraktische Konsequenzen einer selbstrefiexiven Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Forschungsstrategien zur Integration und Nutzbarmachung der Subjektivitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 6 Inhalt Der Weg zu einer datenbegriindeten Theorie: UngewiBheit und kein Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Fazit................................................................. 78 Franz Breuer u. a. Schritte des Arbeitsprozesses unter unserem Forschungsstil. . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Einfiihrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Rahmenbedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Christine Mahler und Anke Niemeier: Anmerkungen zum Arbeiten zu zweit........................................................... 82 Norbert Vielhaber: Erfahrungen mit dem Arbeiten zu zweit ............ 85 Fahigkeits- und Qualifikationsvoraussetzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Petra Muckel: Zur Aneignung unseres Forschungsstils und zur Frage der Lernbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Konzeptualisierung eines Untersuchungsproblems und die Dynamik der Themenfokussierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Andreas Stratkotter: Erfahrungen mit dem Theoretical Sampling....... 95 Dirk Klute: Die Veranderung der Fragestellung als Erkenntnisfortschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Reaktivitat, Ubertragung, Gegeniibertragung..... .. .................. 100 Christine Mahler und Anke Niemeier: Erfahrungen mit dem gegen- seitigen Reizwert zweier Gesprachsparteien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Kontaktgeschichte als Information. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Norbert Vielhaber: Herstellung von Kontakt zum Untersuchungsfeld. . . 107 Martina Lange: Erfahrungen aus der Kontaktgeschichte mit Arzten und Pfiegepersonal in einem Krankenhaus im Rahmen einer Institutionsuntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Tine Doggaz: Zur Kontaktgeschichte aus der Perspektive eines Feldmitglieds.. . . . . . . .. . .. . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 114 Forschungstagebuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Dirk Klute: Der Gebrauch des Forschungstagebuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Forschungskolloquium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Christine Mahler und Anke Niemeier: Einige Erfahrungen mit dem Forschungskolloquium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Interviewen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Andreas StratkOtter: Erfahrungen mit dem Interviewen ............... 132 Christoph Volpert: Zur Fixierung von Verganglichem...... ............ 135 Beobachten und Aufzeichnen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Barbara Bagge-Schroder: Erfahrungen bei der Beobachtung auf einer Krankenhaus-Station.......... ............................ .. 141 Kodieren und Memos. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Heike Lange: Praktisches Vorgehen beim Kodieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Modellieren ................................................... ...... 149 Jurgen Ortmann: Modellieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Schreiben ........................................................... 155 Computer-Gebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Dirk Klute: Erfahrungen mit dem Computer als Werkzeug. . . . . . . . . . . . 161 Forschungsethik, Werthaltungen ..................................... 163 Methode, Person, ProzeB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Paul Heeg Entwicklung von Lesarten einer Gesprachspassage aufgrund intensiver Lektiire. . . .. ..... .. . . . . . .. . ... ..... . ... . ............ . . . . . . . . .. .. 174 Einfiihrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Die Gesprachspassage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Analyse Zeile fUr Zeile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Modelle zu Deutungen des Texts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Hintergrundinformationen zur Textpassage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Entfaltung im weiteren Gesprachsverlauf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Modell zur Strategie des Schulleiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Teil II: Vier Beispiele gegenstandsbegriindeter Theorie-Entwiirfe . . . . . . . . . . 195 Heike Lange Deutsche Einwanderer in Kalifornien: Lebenslaufe zwischen zwei Welten. . . . 196 Einfiihrung. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . .. .... . . . . . . . . ..... . .. 196 Einige methodische Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Der kategoriale Bezugsrahmen subjektiver Wirklichkeiten deutscher Einwanderer in Kalifornien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Das Kernthema: Der Einwanderer als Mensch ohne Land bzw. zwischen zwei Landern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Heimweh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 SchluBbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Thomas ltuchs Autonomieentwicklung im familiaren Weihnachtsritual . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Einfiihrung. . . .. . .. . . .. . . . . .. . . .. ... . . . . . . . . .. ... . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. 212 Traditionelle Erlebnisarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Normalitatskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Briiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Einweihungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Perspektiven der Autonomieentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Norbert Vielhaber Erwachsene Kinder aus Alkoholikerfamilien: Belastungen, Bewaltigungsversuche, Entwicklungschancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Einfiihrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Alkoholismusdeterminierte Familienstruktur: Alkohol als Interaktionsregulativ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Psychische Belastungen. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Umgehensweisen: Ressourcen und ihre Vermittlungsbereiche.......... 232 Das Emotionale Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Auseinandersetzung mit der Entwicklungsaufgabe Selbstzentrierung. . . 237 Aktuelle Lebensthematiken und Daseinszustande.... . ....... .. . ..... . 241 Zusammenfiihrung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 8 Inbalt Marianne Tolle und Andreas Stratkiitter Die GeschlechtszugehOrigkeit von Therapeutinnen und Therapeuten in der psychotherapeutischen Arbeit: Ein integratives Modell .........~ ...... 251 Einfiihrung.............................................. ............ 251 Zur Methode. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Die Kernkategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Stellenwert der Geschlechterkonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Geschlecht als Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Geschlechterdynamik.......................... .. .................... 257 Wirkung des Mann-Seins/Frau-Seins................................. 260 Integratives Modell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Die Autorinnen und Autoren dieses Buchs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Vorbemerkung Dies ist ein Buch iiber einen spezifischen "qualitativen" Forschungsstil einer sozial wissenschaftlich verstandenen Psychologie. Es werden die Programmatik und Logik des Forschungsvorgehens dargestellt und die wissenschaftlichen Traditionen skiz ziert, die der Ansatz in eigenstandiger Weise integriert. Vorab und vergrobernd ge sagt, sind hier das Grounded Theory-Modell von Anselm Strauss und Barney Glaser, Konzepte der Thematisierung der Rolle des Forscher-Subjekts bzw. der Forscher Reflexivitiit im ForschungsprozeB (v.a. gestiitzt auf Grundgedanken von Georges Devereux) sowie "naturalistische" V01:cJehensweisender Gegenstandsexploration und Feldforschung (iiber Gesprache, Beobachtungen etc.) von zentraler Bedeutung. Es werden in Ted I des Buchs Vorgehensprinzipien, Leitlinien, Kriterien und die Arbeitsweise unter diesem Stil in konkreter Weise - anhand von Beispielen ails un serer Forschungswerkstatj - expliziert und illustriert. Empirische Veranschaulichun gen des Vorgehens stammen aus einem breiten Spektrum psychologischer Problem und Themenfelder: kontextuelle Sozialisation, psychologische Therapiepraxis, Arbeit in padagogischen und medizinischen Institutionen bzw. Organisationen, seelsorger licher Umgang mit Todkranken, Kommunikationsprobleme Horgeschadigter, Um gangsweisen jiidischer Nachfahren von Holocaust-Opfern mit der Geschichte und den Erfahrungen ihrer Eltern u.a. - 1m Teil II werden exemplarisch Forschungs ertrage und gegenstandsbegriindete Theorieansatze an vier Themenfeldern vorge stellt, in denen es urn familiare, professionelle, geschlechtsbezogene und kulturelle Sozialisation geht. Ich betrachte die Wahl einer wissenschaftlichen Methodik als eine Festlegung hinsichtlich des Modus' der Interaktion mit dem fokussierten Gegenstand und damit als eine Entscheidung iiber die Wahl der Fakten: Was am thematisierten Objekt ist im Rahmen der von mir gewahlten Interaktionsweise fest stell bar und registrierbar? In dieser Hinsicht gibt es keinen rational begriindbaren verbindlichen "Konigs weg" - unterschiedliche Vorgehensweisen konnen "verniinftig" sein. Ich halte die Vor stellung eines Aushandlungs-und Passungsprozesses im Systemgefiige der Merkmale und Dimensionen von Forschungsobjekt, Wissensstand, Wissenschaftler-Person, hi storisch sich wandelnden kulturellen bzw. intellektuellen Stromungen und Moden, instrumentellen Moglichkeiten (technischen Optionen u.a.), aktuellen Konventionen der disziplinaren Wissenschaftlergemeinschaft sowie Rationalitats-Uberlegungen fUr angemessen (vgl. BREUER 1991, S. 65ff.). Die in diesem Buch dargestellte methodologische und methodische Orientierung unterscheidet sich in mancherlei Hinsicht von den derzeit in der Wissenschaftler gemeinschaft der Psychologie vorherrschenden Auffassungen. Sie stellt einen be stimmten Entwicklungspunkt in der Auseinandersetzung mit und Abgrenzung von der psychologischen Standardmethodologie dar, die noch immer (wenigstens auf der "Bekenntnisebene") dem nomothetischen und quantifizierenden Erkenntnisideal der Naturwissenschaften verpflichtet ist. Aus Griinden, die mit meinem eigenen wissen schaftsbezogenen Biographie-Hintergrund (und dem mancher Mitautorinnen und -autoren) sowie der "intellektuellen Landschaft" der gegenwartigen Psychologie zu sammenhangen, bleiben im Laufe der Darstellungen im Buch Beziige auf diese Wis- 10 Vorbemerkung senschaftsauffassung nicht ganz aus - ist die vorgestellte Orientierung doch nicht zuletzt aufgrund der personlichen Unzufriedenheit mit der vorherrschenden Stan dardkonzeption der Psychologie als Wissenschaft entstanden. Jedoch geht es hier im Kern nicht urn eine argumentative Auseinandersetzung mit anderen Methodologie Auffassungen, vielmehr schwerpunktmaBig urn die Begriindung, Entfaltung, Kon kretisierung und Veranschaulichung unserer eigenen Konzeption. Die Beitrage stammen aus dem Arbeitszusammenhang des Herausgebers am Psy chologischen Institut III der Universitat Miinster, in dem seit Ende der achtziger Jahre eine Reihe von empirischen Untersuchungen in Stilvarianten qualitativer So zialforschung entstanden sind. Die Autorinnen und Autoren dieser Arbeiten waren - iiberwiegend im Rahmen von Diplomarbeiten und Dissertationen - mit inhaltlich sehr unterschiedlichen Themen und Problembereichen befaBt, wie durch das Spek trum der Veranschaulichungsbeispiele in diesem Buch deutlich wird. Es fand - iiber die Heterogenitat der bearbeiteten Felder hinweg - ein recht intensiver Austausch auf der Ebene der bei diesem Forschungsstil gemeinsam geteilten methodologischen und methodischen Orientierung statt: Es gibt eine Tradition des Freitagsvormittags Treffens der in diesem Kontext arbeitenden Forscherinnen und Forscher (unser For schungskolloquium), bei dem der Bearbeitungsstand einzelner Untersuchungen sowie allgemeine methodische Probleme, die mit diesem Forschungsstil verbunden sind, be sprochen werden. Die Beitrage des vorliegenden Buchs sind nicht zuletzt durch diese gemeinsamen Uberlegungen und Diskussionen gepragt. In gewissem Sinn ist der entstandene Text ein Lehrbuch zu einer Konzeption sozialwissenschaftlich-qualitativer Methodik in der Psychologie. Dieser Methodik Entwurf ist nicht losgelost von inhaltlichen Kontexten - nicht ohne Bezugnahme auf thematische Forschungsgegenstande, -felder, Beteiligte und deren Interaktions dynamik - darstellbar. Die methodischen Uberlegungen werden im Laufe des Buchs riickgebunden an die Auseinandersetzung mit spezifischen Untersuchungsbereichen, in solchen Zusammenhangen erlautert, an konkreten Beispielfallen vorgefiihrt. So soll einerseits ein hohes MaB an Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Ansatzes erreicht und andererseits deutlich gemacht werden, daB das Untersuchungsvorge hen unter dieser Orientierung in jedem Einzelfall den jeweiligen Umstanden und Bedingungen angepaBt, innerhalb eines gesteckten Rahmens neu erfunden und aus balanciert werden muB. Eine Bemerkung zur Verwendung miinnlicher und weiblicher Sprachformen ("Wissenschaftlerinnen" und "Wissenschaftler", "Forscherinnen" und "Forscher", "Untersuchungspartnerinnen" und "-partner", "ihre" und "seine" Reaktionsweisen etc.), wie sie heutzutage fallig ist: Jede Autorin und jeder Autor in diesem Buch verflthrt damit nach eigener Wahl- die Umgangsweise ist nicht vereinheitlicht, von jeder und jedem aber iiberlegt gewahlt und nicht von der Auffassung bestimmt, die Menschheit bestiinde nur aus Mannern oder nur aus Frauen. "Von Amts wegen" aus geschlossen habe ich als Herausgeber allerdings die Verwendung des "I" innerhalb eines Wortes (wie bei "LeserIn"). Beim Zustandekommen des Buchs waren eine Reihe von Personen hilfreich. Zum einen alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer unseres Freitags-Kolloquiums in den zuriickliegenden Jahren: Das Zusammentragen von Forschungserfahrungen und -pro blemen, die Gesprache und Diskussionen dort haben viele der hier vorgestellten Gedanken angeregt und klaren helfen. Die Mitautorinnen und -autoren haben mein
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