Heinz Dedering . Peter Schimming Qualifikationsforschung und arbeitsorientierte Bildung Beitrage zur sozialwissenschaftlichen Forschung Band 69 Westdeutscher Verlag Heinz Dedering . Peter Schimming Qualifikationsforschung und arbeitsorientierte-Bildung Eine Analyse von Konzepten zur Arbeitsqualifikation aus padagogischer Sicht Westdeutscher Verlag CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Dederi ng, Hei nz. Qualifikationsforschung und arbeitsorientierte Bildung: e. Analyse von Konzepten zur Arbeits Qualifikation aus padag. Sicht / Heinz Dedering; Peter Schimming. - Opladen: Westdeutscher Verlag, 1984 (Beitrage zur sozialwissenschaftlichen Forschung; Bd. 69) ISBN-13: 978-3-531-11725-6 e-ISBN-13: 978-3-322-88526-5 DOl: 10.1007/978-3-322-88526-5 NE: Schimming, Peter; GT UJ 1984 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Softcover reprint of the hardcover 1s t edition 1984 Umschlaqgestaltung: Hanswerner Klein, Opladen Druck und buchbinderische Verarbeitung: lengericher Handelsdruckerei, lengerich Aile Rechte vorbehalten. Auch die fotomechanische Vervielfaltigunq des Werkes (Fotokopie, Mikrokopie) oder von Teilen daraus bedarf der vorherigen Zu stimmung des Verlages. Printed in Germany Inhaltsverzeichnis Seite A. Zur EinfUhrung B. Theoretischer Bezugsrahmen 12 I. Theoretischer Ansatz und methodische Vor- gehensweise 12 1. Die gesellschaftstheoretische Fundierung: Arbeit als Handeln und Struktur 13 2. Die padagogische Orientierung: Vorberei tung auf die Arbeitswelt und Entwicklung der Personlichkeit 22 II. Hypothesen Uber aktuelle Erscheinungsformen und Entwicklungstendenzen gesellschaftlicher Arbeit 29 1. Die These von der Differenzierung der Arbeitsplatze 31 2. Die These von der Sensibilisierung der Arbeitskrafte 39 3. nie These von der Dynamik der Arbeits- situationen 54 III. Zur Relevanz arbettsorientierter Bildung 65 1. Die Qualifizierung zur Bewaltigung konkreter Arbeitshandlungsstrukturen 70 2. Die Qualifizierung zur Bewaltigung kom- plexer Arbeitshandlungsstrukturen 75 3. Die Qualifizierung zur Bewaltigung dynamischer Arbeitshandlungsstrukturen 80 IV. Zur Ableitung eines Kriterienkatalogs fUr die Analyse von Qualifikationskonzepten 90 1. Die Bestimmung von Qualifikationsstruk- turen 91 1.1 Die Bestimmung konkreter Qualifikationen 92 1.2 Die Bestimmung komplexer Qualifikationen 93 1.3 Die Bestimmung dynamischer Qualifika- tionen 94 2. Die Bestimmung des Verhaltnisses von Arbeit und Bildung 96 c. Analyse der Qualifikationskonzepte 99 I. Zur Auswahl und Klassifikation der Konzepte 99 VI Seite II. Einzelanalyse der Konzepte 103 1. Der bildungsokonomische Ansatz der arbeitsmarktorientierten Flexibili- tatsforschung (lAB) 103 2. Der industriesoziologische Ansatz der Qualifikationspolarisierung (SOFI) 145 3. Der betriebssoziologische Ansatz der tatigkeits- und personenbezogenen Qualifikationen (ISF) 174 4. Der berufssoziologische Ansatz der Entberuflichung der Qualifikations- strukturen (SFB) 206 5. Der arbeitspsychologische Ansatz der Handlungsstrukturanalyse (Volpert u.a.) 243 III. Vergleichende Gesamtanalyse der Konzepte 284 1. Zur Qualifikationsstruktur 288 1.1 Zur Praxisnahe der Qualifikationen 288 1.2 Zur Vollstandigkeit der Qualifika- tionsstruktur 294 1.3 Zur Veranderbarkeit der Qualifika- tionsstruktur 308 2. Zum Verhaltnis von Arbeit und Bildung 335 D. Praktische und wissenschaftliche SchluBfol- gerungen 350 1. Konsequenzen fUr die Entwicklung arbeitsorientierter Curricula 350 2. Konsequenzen fUr die Qualifikations- und Curriculumforschung 357 Literaturverzeichnis 360 - 1 - A, ZUR EINFUHRUNG Aktuelle Probleme wie Jugendarbeitslosigkeit, Lehrstellenknapp heit, Numerus clausus, fehlende Planstellen fUr Lehrer haben in der Bundesrepublik in den letzten Jahren das Klima fUr Bil dungsreformen zunehmend verschlechtert. Standen in den sechzi ger und siebziger Jahren qualitative Verbesserungen des Bil dungswesens im Vordergrund der Oberlegungen, so wird nunmehr fast nur noch Uber die quantitative Bewaltigung der 'Bildun~s krise' diskutiert. Entsprechend richten sich die BemUhungen der Politiker hauptsachlich auf MaBnahmen zur Beschaffun~ der not wendigen Ausbildungs- und Arbeitsplatze. Ober diese, in der gegenwartigen Situation natUrlich vordringlicha der Be Auf~abe seitigung quantitativer Mangel im Bildungswesen darf indessen die inhaltliche Bildungsreform nicht in Vergessenheit peraten; sie ist so notwendig wie zuvor. Zudem ist zu bedenken, daB quantitative und qualitative MaBnahmen im Bereich der Bildung wie auch ander~wo in einem weahselseitigen Bedingungs- und Wirk verhaltnis stehen und infolgedessen die unterschiedlichen Ent scheidungen nicht losgelost voneinander getroffen und realisiert werden dUrfen. Soweit es urn die pegenwartip im Vordergrund ste henden quantitativen MaBnahmen geht, mUssen sich diese an den Zielen der Bildung und an deren Wirksamkeit messen lassen.1) So ist es beispielsweise nicht damit getan, arbeitslose Jugend liche durch langere Beschulung, etwa in Form eines 10. Haupt schuljahres, eines Berufsvorbereitungs- oder Berufsgrundbildun~s jahres, 'von der StraBe zu holen', ohne daB zugleich Oberlegun gen darUber angestellt werden, inwieweit solche MaBnahmen einer allgemeinen und beruflichen Bildung der Betroffenen dienen. ~hnlich hat es - zumindest langerfristig gesehen - wenig Sinn, junge Mehschen in Berufen auszubilden, in denen sie spater kei ne Beschaftigungsmoglichkeiten haben werden. Das heiBt aber, daB inhaltliche Fragen des Bildungswesens objektiv keineswegs an Bedeutung und Aktualitat verloren haben, wenn sie in den letzten Jahren auch infolge der starken Konzentration der of fentlichen Diskussion und der Bildungspolitik auf quantitative 1) Vgl. hierzu auch RtlTZEL, J. , Tatigkeit und Tatigkeitsfelder, S. 9 f. - 2 - Aspekte in den Hintergrund des Problembewu8tseins breiter Krei se der Bevolkerung getreten sind. Dieser Befund notigt zur Aus einandersetzung gerade auch mit inhaltlichen Problemen der Bil dung und zu Ma8nahmen zu deren Bewaltigung. Zumal die Wissen schaft ist aufgefordert, der tatsachlichen Bedeutung der quali tativen Seite des Bildungswesens durch erhohte Forschungsan strengungen gerecht zu werden und ihrer Vernachlassigung durch bessere Aufklarung entgegenzuwirken. Diese Arbeit ist eine we sentliche Voraussetzung dafUr, da8 das Bewu8tsein von der Not wendigkeit der Bildungsreform in der Bevolkerung nicht vollig verlorengeht - eine ,Gefahr, die aufgrund der neueren Entwicklun gen im Bildungsbereich wie in der Gesellschaft Uberhaupt allzu offensichtlich ist. Soweit es nun urn die arbeitsorientierte BiZdung als jenem Be reich des Bildungswesens geht, in dem es gilt, den jungen Men schen wie auch den Erwachsenen fUr die Arbeitswelt zu qualifi zieren und zugleich dessen Personlichkeit zu fordern (Arbeits lehre in der Sekundarstufe I und II, berufliche Bildung in den verschiedenen Lernorten der Sekundarstufe II, berufliche Erwach senenbildung), stellt sich angesichts der angedeuteten Notwendig keit einer starkeren Akzentuierung von qualitativen Bildungsas pekten die wohl zentrale Frage, welche Qualifikationen der Arbei tende benotigt und welche Qualifikationen im Bildungsbereich zu vermitteln sind. Diese Frage, die so alt ist wie das berufliche Bildungswesen selbst, kann nicht ein fUr allemal beantwortet werden; sie stellt sich mit der technologischen und gesellschaft lichen Entwicklung immer wieder neu. Gegenwartig ist sie offener denn je: Welche Spezial- und/oder Basisqualifikationen sollen vermittelt werden? Welche kognitiven Fahigkeiten,manuellen Fer tigkeiten und affektiven Verhaltensmuster sind notwend1g? Welche theoretischen und praktischen Kompetenzen sind zu erzeugen? Auf diese Fragen gibt es gegenwartig keine zufriedenstellenden Antworten. Insofern ist es zu verstehen, da8 die curricuZaren GrundZagen der arbeitsorientierten Bildung vielfaltige Mangel aufweisen, die das Lernen in verschiedener Weise beeintrachtigen. Sie reichen von einer leerformelhaften Formulierung der Lernzie le und einer fehlenden Strukturierung, Prazisierung und Ver- - 3 - knUpfung des Lernstoffs bis zur geringen inhaltlichen und zeit lichen Verbindlichkeit der Curricula und ihrer manaelnden Aktua litat.1) Besonders gravierend ist die Tatsache, da~ die arbeits orientierten Curricula meist als einseitige Konstrukte mit be grenzter inhaltlicher Reichweite konzipiert sind. So praferie ren die Curricula zur Arbeitslehre aufgrund ihrer Verpflichtung auf eine allgemeine, wissenschaftsorientierte Bildung stark theoretisch-kognitive Ziele und Inhalte, die meist nur die Er zeugung abstrakter Qualifikationen erlauben. Insoweit sie auch sensumotorische Befahigungen vorsehen, erscheinen die entspre chenden Gegenstande oft nur als Anhangsel des eigentlichen Ziel- und Inhaltskatalogs. DemgegenUber sind die Curricula fUr die berufliche Jugend- und Erwachsenenbildung primar auf kon kretes Arbeitshandeln und damit verbundenes Wissen ausgerich~ tet. Sie sind also - zumindest yom Anspruch her - starker praxisorientiert und zielen vor allem auf Vermittlung konkre ter Qualifikationen. In beiden Fallen wird Ubersehen, daB theo retisches Lernen (im Sinne einer Reflexion Uber Praxis) und praktisches Lernen (im Sinne eines Handelns in der Praxis) eine dialektische Einheit bilden und insofern aufeinander ver wiesen sind. Mit diesen einseitigen Ausrichtungen der vorlie genden Curricula fUr die VQrbereitung auf die Arbeitswelt wer den Arbeitssituationen in ihrer technisch-okonomischen, sozia len und naturbedingten Komplexitat als die zentralen inhaltli chen Bezugskategorien arbeitsorientierter Curricula nur zum Teil und perspektivisch verengt erfaBt. Auch wird der Gegen stand der Curricula oft dadurch reduziert, daS sich diese nur auf bestimmte Teilbereiche komplexer Arbeitssituationen (Ar beitsplatze, Betrieb, gesamtwirtschaftliche Zusammenhange) un ter weitgehender Ausblendung der jeweils anderen Bereiche kon zentrieren. Zudem beziehen sich viele der arbeitsbezogenen Curricula lediglich auf die technisch und okonomisch determi nierten Anforderungsstrukturen der Arbeitswelt, ohne auch die Interessenlage der Arbeitnehmer selbst in den Blick zu nehmen. Es bleibtunberUcksichtigt, daB arbeitsorientierte Curricula 1) Vgl. BOEHM, U. u.a., Qualifikationsstruktur und berufliche Curricula, s. 12 ff. - 4 - die didaktischen Grundlagen fUr ein Lernen sind, das den Er werbstatigen hinsichtlich beider Aspekte befahigen soll " )nam lich - die gegenwartig und zukUnftig an ihn gestellten k@nkreten Anforderungen an seinem Arbeitsplatz zu erfUllen und - in solidarischem Handeln zur Verbesserung seiner komplexen Arbeitssituation entsprechend seinen, auf Humanisierung der Arbeit gerichteten Interessen beizutragen (wobei das Ziel der Arbeitshumanisierung auf die konkreten Arbeitsbedingungen und das konkrete Arbeitshandeln hin jeweils zu konkretisie ren ist). Arbeitsorientierte Curricula in diesem Sinne einer auf die kom plexe Arbeitssituation bezogenen Bildung haben Inhalte anzu bieten, die die Ausbildung fachlicher und politisch-sozialer Kompetenzen qleichermaBen ermoglichen. 1st unter "Qualifika tion"2~11gemein die in Sozialisations- und Bildungsprozessen erworbene Handlungsfahigkeit fUr die Obernahme der verschiede nen Lebensrollen zu verstehen, so richtet sich "Arbeitsaualifi kation" (berufliche Qualifikation) primar auf die Rollen im Bereich der erwerbswirtschaftlichen (beruflichen) Arbeit. Mit "Arbeitsqualifikati@n" ist das individuelle Arbeitsvermogen gemeint, d.h. die Gesamtheit der Fahi9keiten (Kenntnisse, Fer tigkeiten, Verhaltensmuster), die dem einzelnen die ErfUllung von Anforderungen in bestimmten Arbeitssituationen auf Dauer ermoglichen (und zwar sowohl die Anforderungen, die an den Ar beitenden von auBen herangetragen werden als auch jene auf grund seiner eigenen AnsprUche und Interessen). Entsprechend bezieht sich der Begriff der Arbeitsqualifikationsstruktur (berufliche Qualifikationsstruktur) auf die Gesamtheit der Ar beitsvermogen einer Gesellschaft. Dieser, im Sinne eines Quali fikationspotentials gefaBte Begriff von Arbeitsqualifikation erstreckt sich sowohl auf die teehnisehe (zweckrationale) als auch auf die pelitiseh-seziale(kommunikative) Dimension von 1) Vgl. ebenda, s. 8 2) Zu den folgenden Definitionen vgl. DEDERING, H., Qualifikation, beruf liche, s. 244 f.