PSYCHOPATHOLOGIE UND PSYCHOTHERAPIE PSYCHOPATHOLOGIE UND PSYCHOTHERAPIE VON CARL-FRIEDRICH WENDT PROFESSOR FOR PSYCHIATRIE UND NEUROLOGIE AN DER UNIVERSITXT HEIDELBERG SPRING ER-VERLAG BERLIN· GOTTINGEN . HEIDELBERG 1962 Aile Redne, insbesondere das der Obersetzung in fremde Spramen, vorbehalten. Ohne ausdriicklime Genehmigung des Verlages ist es aum nimt gestattet, dieses Bum oder Teile daraus auf photomema nismem Wege (Photokopie, Mikrokopie) oder auf andere Art zu vervielfaltigen ISBN-13: 978-3-540-02923-6 e-ISBN-13: 978-3-642-88001-8 001: 10.1007/978-3-642-88001-8 © by Springer-Verlag OHG., Berlin' Gottingen· Heidelberg 1962 Library of Congress Catalog Card Number 62-22224 INHALT SVERZEICHNIS ERSTER TElL A. Die Fragestellung und ihre Auffassung . 1 B. Die Durchfiihrung der Fragestellung . . 2 I. Die Methode als Konsequenz der Idee des Moglichen . 2 1. »Die Idee des Moglichen" in der Psychoanalyse. . 3 a) Grundauffassungen, von denen der methodische Ansatz ausgeht 3 b) Die Methode iibernimmt das fur »moglich" Erachtete als Voraussetzung ihres Aufbaues. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 c) Das Grenzenlose der Methode auf Grund des mit ihr antizipierten »Mog- lichen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2. Die Idee des Moglichen in der Psychopathologie. . . . . . . . . . . 5 a) Grundauffassungen, von denen der methodische Ansatz ausgeht . 5 b) Das in der Psychopathologie fiir »moglich" Erachtete und das fiir »nicht moglich" Erachtete. . .. ....... ....... 6 c) Die Methode iibernimmt das fiir »moglich" Erachtete als Voraussetzung ihres Aufbaues. . . . . . . . . . . . . . 6 d) Die beiden Grundvoraussetzungen der Methode als die formenden Prin- zipien ihrer Gestalt und die damit entstehenden Grenzen der Methode . 7 e) Die Begrenzung der Methode mit dem Beriihren des »Nichtmoglichen" . 8 3. Die Idee des Moglichen in der Daseinsanalyse . . . . . . . . .. 10 a) Grundauffassungen, von denen der methodische Ansatz ausgeht. .. 11 b) Fragestellung und Fragebereich der Daseinsanalyse enthalten das hier fiir »moglich" Erachtete . . . . . .. ....... 11 c) Die Methode iibernimmt das fiir »moglich" Erachtete als Voraussetzung ihres Aufbaues. . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . 11 d) Das Grenzenlose der Methode auf Grund des mit ihr antizipierten »Mog- lichen" . . . . . . . .. ..... ........ 12 e) Das »Mogliche" methodischer Existenzerhellung in der Psychopathologie und in der Daseinsanalyse . . . . . .. ..... 12 f) Die Divergenz der Methoden als Konsequenz der unterschiedlichen philo sophischen Positionen von M. HEIDEGGER und K. JASPERS . . . . . . 13 g) Die Methode findet ihre Resultate, weil sle von dem antizipierten Ziel- bereich gelenkt und geformt wird . 13 II. Phanomenologie als Chiffre eines Ganzen . 14 1. Die Phanomenologie der Psychoanalyse. Die Phanomenologie der Psycho analyse macht ein vermeintliches Ganzes (des Seelenlebens) als Teilganzes durchschaubar, wobei sie sich weitgehend auf das Abnorme stiitzt. . . . . 14 2. Die Phanomenologie der Daseinsanalyse. Die Phanomenologie der Daseins analyse entsteht von einem antizipierten Wissen urn das Ganze des Seelischen. Sie bestatigt dieses Wissen mit zwei verschiedenen, aber sich erganzenden phanomenologischen Perspektiven, wobei das Abnorme ein signifikanter Be standteil dieser Phanomenologie ist . . . . . . . . . . . . . . . 16 3. Die Phanomenologie der Psychopathologie. Die Psychopathologie stutzt sich auf eine vielfaltige Phanomenologie, deren Gesichtspunkte auf der Philo sophie JASPERS' beruhen. Ihr Verhaltnis zum Ganzen des Seelischen wie auch ihre Sicht auf das Abnorme ist hierdurch gegeben 18 4. Das Gemeinsame der drei Phanomenologien. . . . . . . . . 20 VI Inhal tsverzeichnis 5. Das Verhaltnis zur Psychotherapie hat durch die Wahl der Phanomenologie (durch das "Sichtbar" Gemachte) seine Festlegung erfahren. . . . 21 III. Verstehen als Deutlichmachen eines vorschwebenden Sinngehaltes. . . . . . 22 1. Exkurs: Verstehen in seiner ursprlinglichen Form; "ideales Verstehen" . . . 23 a) Nicht Fremdseelisches wird verstanden, sondern am Fremdseelischen wird Eigenes entdeckt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 b) Das Verstehen greift nach dem Ganzen, wobei nur Teilganze abbildhaft vergegenwartigt werden konnen . . . . . . • . . . . . . . . 24 c) Die utopische Zielrichtung des idealen Verstehens . . . . . . . . . 24 d) Im Idealverstehen tragt das Faktische nicht den Verstehenszusammen hang als seine Bedingung, sondern das Faktische hatte sich als Glaubens position eroffnet, die den Zusammenhang bereits umschloB. . . . . . 25 e) Das Nachvollziehen des idealen Verstehens ist kein sicherer Vorgang . . 25 f) Das Vollkommene des idealen Verstehens bewirkt seine methodische Un- vollkommenheit .................... 26 2. Das Verstehen der klassischen Psychopathologie. . . . . . . . .. 26 a) Die Psychopathologie wendet das ideale Verstehen erst mit dem Erreichen ihrer Grenzen an . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 b) Die Verstehensarten der Psychopathologie halten den methodischen Kri terien, auf Grund derer sie die Verstehensarten der Psychothera pie ab lehnen, seIber nicht stand . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Exkurs uber "Erklaren" a) Die Grundstruktur des Erklarens und seine Verbindung mit dem Ver- stehen. . . . . . . . . . . . . . . . .. .... 28 {J) Eine exakte Trennung von Verstehen und Erklaren ist in der prak tischen Anwendung nicht durchflihrbar . . . . . . . . . . . 29 c) Die methodische Unsicherheit der Verstehensarten der Psychopathologie . 29 a) Phanomenologisches Verstehen als innere Vergegenwartigung des Er lebens des Kranken mit Hilfe seiner Selbstschilderungen. . . . . . 30 {J) Das Phanomen wird am MaBstab eines eigenen "Normalverstehens" als abnorm ausgesondert. . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 y) Statisches Verstehen, genetisches Verstehen und Erklaren . . . . . 30 d) Die Psychotherapie wird weder durch den Gesamtentwurf der Psycho pathologie, noch durch die Beschaffenheit ihrer Methoden ausgeschlossen . 31 e) Psychotherapie als mogliche "Perspektive" der Psychopathologie. . . . 33 f) Die Psychopathologie leugnet die ihr gegebene Beziehung zur Psycho therapie nicht auf Grund des Menschenbildes, sondern auf Grund eines Menschenbildes, wie sie es fordert . . . . . . . . . . . . . . 33 3. Verstehen in der theoriebezogenen Psychotherapie (Psychoanalyse und von ihr abstammende Psychotherapien). . . . . . . . 36 4. Das Verstehen der Daseinsanalyse. . . . . . . . . . . . 39 a) Daseinsanalyse im Bereich "normalen seelischen Lebens". . . 39 a) Die Fundamentalontologie als Symbolverband des Ganzen . 39 {J) Die Voraussetzung dieses Verstehens . . . . . . . . 40 y) Die Erhellung der Existentialien im Symbolverstehen . . 40 b) Das Verstehen der Daseinsanalyse im psychopathologischen Bereich. 41 c) Verstehensweisen in der Daseinsanalyse und ihre methodischen Schwierig- keiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Die beiden Zielrichtungen des an der Psychose ansetzenden Verstehens 43 {J) Die Sprachsymbolik als eine Bekundung des gesuchten Gesamtzusam- menhanges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 r) Im methodischen Vorgehen muB das Verstehen des "Werdens" durch ein Verstehen der "Entwicklung und ihrer Bedingung" erganzt wer den. Das angestrebte ganzheitliche Verstehen wird dadurch im Ansatz wie im Ergebnis entscheidend beeinfluBt . . . . . . . . . . . 45 Inhaltsverzeichnis VII <5) Die Psychose wird als Protest gegen das Walten der Fundamental ontologie oder aber als ein Versagen dieses Waltens verstanden. . . 47 s) Das in der Methode aufgenommene dialektische Element kann im Dberhandnehmen die Methode sich seIber entfremden . . . . . . 48 C) Auch ein "existentielles dialektisches Verstehen" fuhrt bei den Psy chosen zu einem dialektischen Resultat. Es ergibt sich entweder ein ontologischer Dualismus (in der Psychose bricht das empirische Dasein vor den Forderungen des Seins zusammen) oder ein Auseinander brechen der Seinsfundamente selbst in einen dialektischen Gegensatz . 48 c. Die Auffassung der Ergebnisse .. ..... . . .. 49 I. Der Erkenntnisgehalt der untersuchten Forschungsrichtungen steht jenseits der Widerspruche ihrer methodischen Ergebnisse. . . . . . . . . .. 49 II. Das Problem des Ganzen als Gesichtspunkt einer synoptischen Betrachtung . 52 ZWElTER TElL Der Entwurf einer psychotherapeutischen Arbeitshypothese . 54 I. Der zweifaltige Erlebensmodus . . . 54 1. Ganzheitliches Erleben . . . . . 54 2. Erleben in Subjekt-Objektperspektiven 55 3. Das ErschlieBen von Subjekt-Objektperspektiven vermittels Einstellung und Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4. Das Miteinander der beiden Erlebensweisen. . . . . . . . . .. 57 II. Der zweifaltige Erlebensmodus in seiner Bedeutung fUr das Individuum.. 58 1m zweifaltigen Erlebensmodus wird die Idee des Ganzen als Impuls zur lebens- geschichtlichen Ganzheit erfahrbar . . 59 III. Der zweifaltige Erlebensmodus in der Neurose. . . . . . 61 IV. Der zweifaltige Erlebensmodus in der Schizophrenie. . . . 63 1. Schizophrene Erlebensweisen als Ausdruck des auBer Kraft gesetzten zweifaltigen Erlebensmodus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Der Verlust der Ganzheitsbeziehung im Erleben fuhrt zu den typischen schizo- phrenen Ichbeeintrachtigungen . . . . . . 66 V. Erfahrungen bei der Psychotherapie von Schizophrenen . 66 1. Methodisches . . . . . . • . . . . . 68 2. Verlaufsbeobachtungen . . . . . . . . . . . 69 VI. Auswertung der psychotherapeutischen Erfahrungen . . 71 1. Die Verschiedenheit des schizophrenen und des neurotischen Fehlerlebens . 74 2. Die Verschiedenheit des neurotischen und des schizophrenen Symbolgebrauches. 75 VII. Das Offenbleiben der von uns verfolgten Zusammenhange und die WeiterfUhrung der Hypothese auf dem empirischen Gebiet. . . . . . . . . . . . . • 77 1. Die Weiterfuhrung der Arbeitshypothese. . . . . . . . . . . . . . 77 2. Die ZuruckfUhrung der Quantitaten auf Qualitaten als ein phanomenologischer Gesichtspunkt der Arbeitshypothese . . . . . . . 80 VIII. Die Wirkungsbereiche der Psychotherapie der Schizophrenie . . . . . . . . 80 ERSTER TElL A. Die Fragestellung und ihre Auffassung Wahrend im allgemeinen der Titel einer Arbeit die Richtung eines fruchtbaren Nachdenkens weist, geht von dem Thema "Psychopathologie und Psychotherapie" ein eigentiimliches Unbehagen aus. Werden mit einer solchen Themenwahl nicht zwei unvergleichbare Potentiale einander gegeniibergestellt, von denen jedes nur seinen eigenen MaBstab kennt? Pflegt nicht so gar jede dieser Forschungsrichtungen von ihrer unbestreitbaren GroBe einzubiiBen, wenn ihre Wege sich kreuzen und die gegenseitige Auseinandersetzung nur das Unproduktive ergibt, wie es aus einer offenbaren Be ziehungslosigkeit erwachst? 1st nicht sogar fUr denjenigen, der Psychopathologie und Psychotherapie treiben will, eine Zweigleisigkeit unvermeidbar, die jeweils einen Wechsel wissenschaftlicher Grundiiberzeugung bedeuten muB? Wenn aber Psychopathologie ein Weg ist, seelisch Abnormes klar zu erkennen und seine Ordnungen zu begreifen, so miiBte sie einmal das natiirliche Fundament sein, auf dem die Psychotherapie sich aufbaut und dariiber hinaus auch der gegebene MaB stab, der das der Psychotherapie Mogliche und das ihr Nichtmogliche erkennen laBt. Bekanntlich ist nun ein derartiges kommunikatives Verhaltnis zwischen Psycho pathologie und Psychotherapie nicht vorhanden. Wir versuchen die Griinde fiir das Entstehen dieser so unnatiirlichen Divergenz zu finden und wir bemiihen uns, weitere Wege zu finden, auf denen das an sich gegebene fruchtbare Verhaltnis zu erreichen ware. Bei dem Versuch, die Griinde zu erfahren, wahlen wir dieses Vorgehen: Wir fragen zunachst, ob Forschungsmethoden als solche in der Psychologie den Weg zu neuen Entdeckungen bedeuten konnen, oder ob sie nicht nur den Weg zu bereits erahnten Zielen ebnen. Es zeigt sich dabei, daB die Methode jeweils von einer Idee des fiir moglich Erachteten geformt, ja geschaffen wird. Es ergibt sich schon damit, daB die zu untersuchenden Forschungsrichtungen von unterschiedlichen Pramissen ausgehen, die in ihrer Verschiedenheit eigentlich eine nahezu kontrare Auffassung hinsichtlich des Gegebenen und zu Erforschenden bedeuten. Jeder methodische Ansatz bezieht sich auf das Vorhandensein sicherer Gegeben heiten. 1m methodischen Ansatz der Psychologie werden diese Gegebenheiten durch empirisch Vorhandenes und phanomenologisch Evidentes dargestellt. Wir miissen uns nun in bezug auf unsere Fragestellung vergegenwartigen, wie ein so eindeutiges Prinzip in seiner Anwendung vieldeutig werden kann. Die Frage nach der Phanomenologie fiihrt weiter auf die Frage der existierenden Zusammenhange, sei es nach den unmittelbar erscheinenden, sei es nach den latenten, und sie fiihrt damit auf das methodische Verstehen. Diese drei miteinander in einem Zusammenhang stehenden Fragestellungen (wel ches ist hier die "Idee des Moglichen", was bedeutet hier Phanomenologie, was "Ver stehen"?) werden im einzelnen und vergleichend angewendet auf: die Psychoanalyse Wendt, Psychopathologie 1 2 Die Durchfiihrung cler Fragestellung SIGMUND FREUDs, die Psychopathologie KARL JASPERS' und die Daseinsanalyse, die sich in konsequenter Konzeption an der Philosophie MARTIN HEIDEGGERs orientierte (wir verzichten dabei also auf die Darstellung der Wendung, die sich jetzt in der Daseinsanalyse abzeichnet, indem nun die Existentialien diesseits ihrer Seinsver weisungen vornehmlich als Phanomene eines "Inderweltseins" untersucht werden). In dies em Vorgehen wird also von einer systematischen Darstellung der Ent wicklung dieser Forschungsrichtungen und ihrer gegenseitigen Auseinandersetzungen abgesehen. Mit der Beschrankung der Untersuchung auf jeweils die idealtypische Reprasentanz dieser drei Forschungsrichtungen erhalt diese Arbeit den Charakter des "Versuches". Wir richten die von uns aufgeworfenen Fragen an die urspriinglichen Konzeptionen dieser Forschungsrichtungen von der Vberlegung ausgehend, daB dieser Ursprung das Wesentliche ist und daB auch die inzwischen erreichten Positionen der Weiterentwicklung ohne das Wirksambleiben dieses Ursprunges nicht denkbar waren. Die Fragen, so wie wir sie stellen, lassen sich nicht an Hand der Ausformungen der Meinungen beantworten, ihrer Verzweigungen und Kontroversen, sondern an Hand der Substanz der Meinungen, der ihnen zu Grunde liegenden Ideen. (Bei dem Versuch, das Gedankengut der Daseinsanalyse nach den von uns ge wahlten Gesichtspunkten mit dem der Psychopathologie bzw. dem der Psychoanalyse zu vergleichen, ergibt sich die Notwendigkeit, eine gemeinsame Begriffssprache zu verwenden. Damit aber konnen im einzelnen unbefriedigende Definitionen erscheinen, die bei der Benutzung der jeweils eigenen Begriffssprache vermeidbar sind. Diesen Nachteil haben wir als nicht umgehbar in Kauf nehmen miissen.) Wir versuchen an Hand der in diesem Gang der Untersuchung erhaltenen Resul tate die Griinde fiir die Divergenz der Psychopathologie und Psychotherapie ver standlich werden zu lassen. Es wird dann ein diese Forschungsrichtungen verbindender Aspekt aufgezeigt, der auf Grund dieser Ergebnisse gewonnen wurde. Der Verfolg dieses Aspektes wird dann im zweiten Teil beschrieben. B. Die Durchfiihrung cler Fragestellung I. Die Methode als Konsequenz der Idee des Moglichen Jede systematische Betrachtungsweise des Seelischen erfolgt gemaB einer Methode. Die Methode ist dabei nicht nur das Werkzeug in der Hand des Forschers, sondern gleichzeitig auch der MaBstab, an dem das Gewonnene seinen Wert und seine Ordnung erhalt. Geisteswissenschaftliche Methoden werden nicht gleichsam blind ersonnen, sondern sie enthalten in ihrer Konzeption bereits das mit ihrer Hilfe erreichbare mogliche Ziel und ebenso auch den AusschluB dessen, was mit Sicherheit als fiir nicht moglich gel ten kann. So ist die Methode zwar der Weg, ein noch ausstehendes Ergebnis zu erreichen, dabei ist ihr Bau aber bereits von ihrem Ziel inspiriert. 1st der Zielbereich der Methoden, der Bereich also dessen, was fiir moglich gilt, ein sehr verschiedener, so sind die Zwischenergebnisse - wenn sie auch aus derselben Welt des Erscheinenden stammen - unvergleichbar, bzw. an der anderen Methode gemessen, falsch, da sie der Bewegung, die diese Methode ihnen geben mochte, nicht folgen konnen. Die Methode als Konsequenz der Idee des Moglichen 3 1. "Die Idee des Moglichen" in der Psychoanalyse a) Grundauffassungen, von denen der methodische Ansatz ausgeht. Die Anwen dung dieses Gesichtspunktes auf die Psychoanalyse als die Grundlage psychothera peutischer Intention und auf die klinische Psychopathologie wlirde flir erstere dieses ergeben: Die Entdeckung der Chiffren des unbewuBten Seelenlebens im BewuBten und ihre weitere Erforschung flihrt S. FREUD zu dem Ergebnis, daB 1. eine Reihe von Er scheinungen des seelischen Lebens die bisher mehr oder weniger flir sinnlos gehalten wurden (neurotische Symptome, Fehlleistungen und gewisse Manifestationen des Trau mes) von verstandlichen Individualzusammenhangen Kunde geben und daB 2. diese Zu sammenhange der betreffenden Personlichkeit nicht bewuBt waren und daB das, was sie bekunden, von ihr nicht akzeptiert wird. FREUD findet zunachst als Motiv dieser Verdrangung den Konflikt zwischen zwei Gruppen von seelischen Strebungen. MaB lose Selbstsucht, Aggression und schrankenlose sexuelle Wlinsche, auf der anderen Seite ethische und moralische Strebungen, stehen in einem nie endenden unversohnlichen Streit, den das bewuBte Ich, das sich mit den positiven Strebungen identifizieren mochte, in das UnbewuBte verdrangte. Die Neurose schien demnach »einer unvoIl kommenen Bandigung des Unmoralischen im Menschen zu entsprechen". Die Vorstellung des Moglichen, von der die Methode induziert wird, bewegt sim bis zu diesem Zeitpunkt im Rahmen bekannter, allgemein akzeptierter Anthropo logien. Die Methode ist zunachst demnam auch darauf gerichtet, in den Bekundungen der Neurose metaphorische Darstellungen der smweren Gewissenskonflikte des Guten und des Bosen im Menschen zu sehen. b) Die Methode ubernimmt das fur "moglich" Erachtete als Voraussetzung ihres Aufbaus. Die Methode erhielt dann eine spezielle Ausformung, nachdem diese Vorstellung des Moglichen durch eine andere ersetzt wurde. In seinen analytischen Gespdichen war FREUD bei seinen Patienten wiederholt auf Bekenntnisse gestoBen, die aus der frlihesten Kindheit stammend, liber sexuelle Vorkommnisse berichteten, die sich zwischen Sohn und Mutter, bzw. Vater und Tochter abgespielt haben sollten. Es stellte sich dann aber heraus, daB diese angeblichen Erinnerungen, die die Patien ten in groBer Gemlitsbewegung preisgaben, pseudologistische Erfindungen waren. 1m Bemlihen, das merkwlirdige Phanomen zu verstehen, daB diese Neurotiker im tiefsten Grunde ihrer Seele an einer Belastung leiden wollten, die ihnen tatsachlich nie wider fabren war, entschloB sich FREUD zu einer intensiven Vergegenwartigung seiner eigenen Kindheitserlebnisse. Er entdeckte dabei in mlihsam wieder bewuBt gemachten Erinnerungen, daB er seinerzeit im frlihkindlichen Alter libidinose Empfindungen gegenliber der eigenen Mutter mit den Geflihlen eines schlechten Gewissens, die sich auf den Vater bezogen, abgewiesen hatte (Freud-Biographie von JONES). Der Odipus komplex, den der Gesunde aus seinem BewuBten erfolgreich verdrangen konnte, war also bei den Neurotikern als die Quelle der nervosen Storungen bestehen geblieben. In der Exploration hatten sie schlieBlim den sie bedrangenden unbewuBten Wlinschen mit Hilfe der Phantasie Gestalt und und Erflillung gegeben. Das Mogliche, das jetzt die Methode bestimmt, soll nun in den Bereichen klarender Zusammenhange liegen, die erhellen sollen, wie und warum ein Trieb, der ein biologismes a priori bedeutet, sein erstes Wirken unentrinnbar mit einem Schuld erlebnis beginnen laBt. Der Mensch selbst, bis in die undeutlichen Tiefen semer 1* 4 Die Durchfiihrung der Fragestellung Selbstverborgenheit, was sein Geist schuf und was ihm als Erkenntnis zufiel, wird nun von dieser Fragestellung her analysiert, und die Methode ist dazu so entwickelt, dag sie elektiv und empfindlich wie ein Seismograph bis zu den feinsten Regungen alles registriert, was auf dieses "Mogliche" hinweist. c) Das Grenzenlose der Methode auf Grund des mit ihr antizipierten "Mog lichen". Die mit der so induzierten Methode geschaffenen Arbeiten zur Sexualtheorie fiihren zu dem Ergebnis, dag kindliches, normales und perverses Sexualleben in einem verstandlichen Zusammenhang stehen. Die konsequente Weiteranwendung der Methode ergibt: Die Forderungen von Zivilisation und Recht wurden gescha.ffen, urn den Einzelnen in der menschlichen Gemeinscha!ft wirksam vor seinen urtiimlichen Triebforderungen zu bewahren, die mit dem Odipuskomplex ihren Ursprung nehmen. Kunst und Kulturschaffen sind aus sublimierten Triebforderungen entstanden. Sie stellen jedoch nicht eine anspruchsvolle Maskerade dar, sondern vermitteln echte Werte. Diese Werte lassen aber trotz ihrer giiltigen Pragung ihre Herkunft, ihre urspriingliche Substanz erkennen. Die Religion kann sich mit der Starke des Glaubens behaupten, weil sie eine notwendige Illusion ist. Es ist illusionar, dag der Mensch im Sinne der geltenden Moral seine Seele in der Erfiillung der ethischen Forderungen finden konnte, und ebenso illusionar ist sein Glaube, dag es einen giitigen, alles ver zeihenden Vater gabe. Dag aber der Mensch so werden muBte, wird aus der Ge schichte seiner Entwicklung verstandlich. Von der Natur stiefmiitterlich bedacht, muBte er, urn die Gefahren der realen, auBeren Not iiberwinden zu konnen, auf seine natiirIichen Triebwiinsche verzichten und mit seinesgleichen eine groge Interessen gemeinschaift bilden, deren Gesetze und Errungenschaften aus notwendigen Ver zichten entstanden. So also mugte er im Grunde schuldlos, dennoch in die Schuld des Odipuskomplexes geraten. Durch eine lange, von Triebsublimierungen und ethisch verankerten Verboten getragene Entwicklung ist der Mensch zwar von seiner urspriinglichen Entfaltungs tendenz weit und unwiederbringlich entfernt. Er kann jedoch die ihm nun aufgegebene Entwicklung nie vollenden, da er trotz allem Vorwartseilen nie den schwankenden Boden seiner urspriinglichen Herkunft verI ass en kann. Bei allen Weiterformungen seiner Substanz kann er das ihr Spezifische nicht iiberwinden, nicht andern. Wahrend zunachst die Methode, ahnlich wie ein spezielles Farbeverfahren in der Histologie nur bestimmte Bauelemente allein hervorhebt, bzw. ihre Herkunft anzeigt, wurde sie nun zum Beweismittel, das die gefundenen Strukturen zu den alleintragenden werden lagt. Die zunachst weit offene Untersuchung wird also zur sich selbst steuernden Methode, zum zielgerichteten Verfahren und Beweismittel. Sie findet nun nahezu selbstandig ihren Weg, nachdem sie durch die Ahnung eines bestimmten moglichen Zieibereiches unmerklich einen nur noch dorthin fiihrenden Zuschnitt erhielt. Die im Beginn der Untersuchung noch sichtbaren Moglichkeiten in anderen Bereichen ver blassen zur Unwesentlichkeit neben den scharf konturierten Resultaten der Methode, die eigens fiir den im Ahnen vorbestimmten Zielbereich geschaffen wurde. Es ist noch zu erwahnen, dag diese Methode auf Grund einer konsequenten Weiterfiihrung des sie tragenden Gedankens von FREUD auch auf die Atiologie und Genese schizophrener Psychosen angewandt wurde. Die Methode hatte also die wesentlichsten Bereiche der Psychopathologie ergriffen und fiir sich in Anspruch genommen.