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Profil Und Prägung: Historische Perspektiven Auf 100 Deutsche Katholikentage PDF

180 Pages·2017·0.826 MB·German
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Christoph Kösters / Hans Maier / Frank Kleinehagenbrock (Hgg.) Profil und Prägung Politik- und Kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft Herausgegeben von Hans Maier, Heinrich Oberreuter, Otto B. Roegele (†) und Manfred Spieker In Verbindung mit Gottfried Arnold (Düsseldorf), Günther Gillessen (Freiburg/Br.), Helmut Herles (Bonn), Rupert Hofmann (Regensburg), Wolfgang Mantl (Graz) Band 34 Christoph Kösters / Hans Maier / Frank Kleinehagenbrock (Hgg.) Profil und Prägung Historische Perspektiven auf 100 deutsche Katholikentage 2017 Ferdinand Schöningh Umschlagabbildung: Rundfunkübertragung vom Festgottesdienst des 71. Katholikentages in Essen 1932 (Foto: 71. Generalversammlung der deutschen Katholiken zu Essen an der Ruhr 31. Aug. bis 5. Sept. 1932, hg. v. der Geschäftsstelle des Lokalkomitees, Essen [1932]) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 Verlag Ferdinand Schöningh, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland) Internet: www.schoeningh.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Umschlaggestaltung: Evelyn Ziegler, München Printed in Germany Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN 978-3-506-78724-8 Inhaltsverzeichnis Christoph Kösters Profil und Prägung: 100 deutsche Katholikentage – eine Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 I. FREIHEIT DER KIRCHE UND FREIHEIT DER RELIGIONEN . . . . . . . . . . . 17 Andreas Linsenmann „Freiheit“ für die Kirche? Katholizismus in der deutschen Politik des „langen“ 19. Jahrhunderts am Beispiel Wilhelm Emmanuel von Kettelers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Claudio Kullmann Eine „kopernikanische Wende“? Religionsfreiheit als Programm des deutschen Katholizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 II. ARBEITER-SOLIDARITÄT UND SOZIALE GERECHTIGKEIT . . . . . . . . . . . . 39 Benjamin Gallin Ein Arbeiter-Programm für die religiöse Minderheit? Die Katholiken und die „Soziale Frage“ in Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Johannes Stollhof „Anders leben“? Katholiken im Kampf gegen den Hunger in der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 III. KATHOLISCHE KIRCHE IN TOTALITÄRER DIKTATUR . . . . . . . . . . . . . . . 65 Keywan Klaus Münster „Dein Volk – oder Christus?“ Joseph Teusch, die Kölner „Abwehrstelle“ und die Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit dem völkischen Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Sebastian Holzbrecher Katholikentage in der DDR? Zur Bedeutung einer katholischen Institution für den ostdeutschen Diasporakatholizismus . . . . . . . . . . . . 89 6 Inhaltsverzeichnis IV. RELIGIÖS-KULTURELLER GESTALTWANDEL UND SÄKULARISIERUNG . . . 103 Stefan Gerber Gibt es einen „Kulturkatholizismus“? Zur Kritik eines historischen Konzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Florian Bock Geschlossene Gesellschaft? Die Verabschiedung des katholischen Milieus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Regina Illemann Nur eine „Frauenfrage“? Katholikentage, Geschlechterrollen und kirchliche Glaubwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 V. VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUR GEGENWART . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Hans Maier Kinder der Revolution, Zeichen der Freiheit – die Deutschen Katholikentage 1848–2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Verzeichnis der Autoren und Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 CHRISTOPH KÖSTERS Profil und Prägung: 100 deutsche Katholikentage – eine Einführung In der katholischen Kirche scheint es kaum überraschend, wenn Organisatio- nen über lange Zeiträume bestehen. Die zahlreichen Ordensgemeinschaften sind dafür ein guter Beleg. Weshalb ist es gleichwohl erwähnenswert, dass anders als in den allermeisten Ländern Europas im deutschsprachigen Raum seit über eineinhalb Jahrhunderten Katholikentage stattfinden: in Deutschland seit 1848, in Österreich seit 1877 und in der Schweiz seit 1903? Die Frage drängt sich noch nachdrücklicher auf, sobald erkennbar wird, dass katholische Laien diese Organisation von Beginn an entscheidend getragen haben und bis heute prägen. Auf der „Generalversammlung des katholischen Vereins Deutschlands“ schlossen sich 1848 Katholiken zusammen, um die Freiheiten der Revolution auch für ihre Kirche zu reklamieren und politisch zu erwirken. Der Eichstätter Historiker Heinz Hürten, einer der besten Kenner der Geschichte des deut- schen und europäischen Laienkatholizismus, hat darauf aufmerksam gemacht, dass sich die katholischen Laien aus freiem Willen in Vereinen bürgerlichen und nicht kirchlichen Rechts zusammengeschlossen haben, gleichsam als eine „,neben der hierarchischen Kirche‘ stehende Repräsentanz katholischen Enga- gements in der Welt“1 – mit anderen Worten: ein kirchenorganisatorisches Paradoxon an der Schnittstelle zur modernen Gesellschaft (nach außen) und zur hierarchisch geordneten Kirche (nach innen). In den einhundert deutsch- landweiten (Vereins-)Versammlungen, den Katholikentagen, sind wesentliche Entwicklungen der katholischen Kirche in Deutschland wie in einem Brenn- spiegel fokussiert. Das macht sie – zusammen mit den wesentlich jüngeren Evangelischen Kirchentagen – zu einem wichtigen Erinnerungsort des Chris- tentums in Deutschland.2 „Wer erfahren wollte, was Katholiken dachten und fühlten, was sie in der Öffentlichkeit forderten, was sie ärgerte und störte, was sie bewahren wollten, was sie zu verändern strebten, der musste die Katholikentage besuchen“, hat Hans Maier zutreffend festgestellt.3 Die mit diesem kirchenorganisatorischen Paradoxon geradezu notwendig entstehenden Spannungen und Konflikte, Selbst-, Fremd- und Feindbilder lassen sich auch als Seismographen für die 1 Heinz Hürten, Zukunftsperspektiven kirchlicher Zeitgeschichtsschreibung, in: Ulrich von Hehl / Konrad Repgen (Hgg.), Der deutsche Katholizismus in der zeitgeschichtlichen For- schung, Mainz 1988, 91–106, hier 99. 2 Thomas Großmann, Katholikentage und Kirchentage, in: Christoph Markschies / Hubert Wolf (Hgg.), Erinnerungsorte des Christentums, München 2010, 561–573. 3 Vgl. seinen Beitrag in diesem Band. 8 Christoph Kösters Integrationswege einer gesellschaftlich organisierten, seit 1871 zur parteipoli- tischen Kraft formierten religiös-konfessionellen Minderheit verstehen. Ein- hundert Katholikentage in knapp 170 Jahren werden aus diesem Blickwinkel zu einem geschichtlichen Fallbeispiel für Fragen der Gegenwart, ist doch in den letzten Jahren unter ganz anderen Vorzeichen eine neue Sensibilität für die gesellschaftliche Integration religiöser Minderheiten und damit zusammenhän- gender Probleme gewachsen. Am Beispiel der Katholikentage lässt sich nicht nur ablesen, wie lang sich ein solcher, religiös bestimmter Integrationsprozess hinziehen kann. Mehr noch zeigt sich, dass dieser Prozess stets in – oft konfliktiver – Wechselwirkung mit gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Verhält- nissen erfolgte und auf diese wiederum zurückwirkte. Letzteres ließ nach 1949 die nunmehr auch konfessionell paritätische Religionsgruppe der Katholiken zu den eigentlichen „Entdeckern der Bundesrepublik als einer neuen politi- schen Heimat“ (Gerhard Schmidtchen) werden.4 Dass sich in diesem langfris- tigen Austauschprozess Selbstverständnis und öffentliche Gestalt der Katho- likentage wandelten, ist nicht nur naheliegend, sondern kann geradezu als dessen Kontinuum angesehen werden. Wie lassen sich indes die vielen und vielgestaltigen Veranstaltungen handha- ben, die sich über das „lange“, mit dem Ersten Weltkrieg 1914 endende 19. Jahrhundert und das „kurze“, 1989/90 endende 20. Jahrhundert erstrecken und bis in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts reichen? Wenn es stimmt, dass die deutschen Katholikentage gleichsam als spezifisch katholische Seismographen eines allgemeinen wie kirchlichen Wandels fungieren, bedürfen sie der Einord- ung in große und langfristige Zusammenhänge von Politik und Gesellschaft, Kultur und Religion in Deutschland. Fragt man weiter danach, welche lang- fristig wirkenden Kräfte die katholische Kirche, ihre gesellschaftspolitische Sozialgestalt des Katholizismus, aber auch die Lebenswelt der einzelnen Gläu- bigen nachhaltig beeinflusst und verändert haben, und umgekehrt, ob und in welcher Weise Kirche und Katholizismus selbst politische, gesellschaftliche, kulturelle und religiöse Kraft waren, die geschichtliche Entwicklungen ange- stoßen und mitgeformt haben, so eröffnen sich längsschnittartig vier Themen- felder: 1. die politische und religiöse Freiheit, 2. die soziale Gerechtigkeit, 3. die totalitären Diktaturen und 4. der tiefgreifende Wandel der katholischen Religionsgestalt. Damit werden zweifellos „traditionelle“ Perspektiven eröffnet, die das Selbstverständnis von Kirche und Katholizismus bis heute zutiefst prägen. Doch stellt eine historisch-kritische Bearbeitung ebendiese identitätsstiftenden Perspektiven neu auf den Prüfstand. Dies geschieht im vorliegenden Band durch den Versuch, geschichtliche Bögen gleichsam so zu spannen, dass sicht- bar wird, wie sich Kirche und Katholizismus in dem skizzierten Kräftefeld verändert haben. Die Längsschnitte werden deshalb in je zwei (der vierte in 4 Vgl. zuletzt Antonius Liedhegener, Nachkriegszeit (1945–1960), in: Lucian Hölscher / Volkhard Krech (Hg.) Handbuch der Religionsgeschichte im deutschsprachigen Raum. Bd. 6,1: 20. Jahr- hundert. Epochen und Themen, Paderborn 2016, 135–174, hier 150. 100 deutsche Katholikentage – eine Einführung 9 drei) Beiträgen exemplarisch und knapp abgehandelt, was gewisse Verluste riskiert, um sich auf Kernaspekte zu konzentrieren. Nicht wissenschaftliche Detailforschungen, sondern vielmehr darauf aufruhende und allgemein ver- ständliche Über- und Durchblicke sind das ambitionierte Ziel dieses Tagungs- bandes. Das erste Kapitel (I.) thematisiert das schwierige und ambivalente Verhältnis des Katholizismus zur Freiheit: „Freiheit“ ist ein, wenn nicht der Schlüsselbe- griff des 19./20. Jahrhunderts. Er verbindet die gewaltlosen Revolutionäre von 1989/90 mit den Erstürmern der Bastille zweihundert Jahre zuvor, mit den Barrikadenkämpfern von 1848/49, den Gegnern der Unfreiheit in den Dikta- turen Europas des 20. Jahrhunderts und den Verfassungs„müttern“ und -„vä- tern“ von Weimar und Bonn. Welche Spannungen daraus Kirche und Katho- lizismus erwuchsen, wird rasch dadurch sichtbar, dass Päpste und Bischöfe zu den einflussreichen, politisch konservativen, aber liberalem Gedankengut nicht immer zugewandten Kräften zählten. Allerdings kann „Freiheit“ nicht nur „politisch“, sondern auch „religiös“ begriffen werden, als Religionsfreiheit – ein Begriff, der viele Deutungen zulässt: im Sinne der Freiheit der Kirche von allzu mächtigen staatlichen Eingriffen in religiöse Belange etwa, aber auch verstanden als Freiheit in der Kirche oder als der Freiheit, die allen Religionen gleichermaßen zukommt. Wieviel „Freiheit der Religionsausübung“, wie es 1789 hieß, verträgt der liberale Verfassungsstaat? Wieviel Freiheit des religiösen Gewissens die Kirche? Solche Fragen sind keineswegs nur noch von geschicht- licher Relevanz. Der historische Rückblick auf die Katholiken und ihre Kirche lässt indes erkennen, dass die Suche nach Antworten lang und beschwerlich sein kann.5 Andreas Linsenmann, Mainzer Historiker, rückt in seinem Beitrag eine der maßgeblichen historischen Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts in den Mit- telpunkt. Am Lebensweg und Wirken Bischof Emmanuel von Kettelers lassen sich beispielhaft Dynamik und Wandel des spezifisch katholischen Freiheits- verständnisses ablesen: selbstbewusst genutzte Handlungsspielräume politi- scher Freiheiten trafen auf kirchlich-„ultramontan“ gezogene Grenzen gegen- über bürgerlich-individuellen Freiheiten; und trotz wachsendem politischem Pragmatismus und nationalem Patriotismus blieb eine skeptische Distanz ge- genüber dem omnipotenten, als „modern-liberalistisch“ abgelehnten Staat. Das Freiheitsverständnis war nicht aufklärerisch-individuell begründet, sondern basierte vielmehr stets auf einem „kirchlichen Prä“. „Wie die Religion der Freiheit bedarf, so bedarf auch die Freiheit der Religion“, formulierte von Ketteler kurz und bündig. Die Auswirkungen reichten bis in die zweite Hälfte das 20. Jahrhunderts. Die permanenten kirchenpolitischen Spannungen, die daraus zum säkularen Staat erwuchsen, traten erst zurück, nachdem nicht nur der demokratische Verfassungsstaat die allgemeine Religionsfreiheit festschrieb und dauerhaft 5 Vgl. Andreas Holzem, Christentum in Deutschland 1550–1850, Bd. 2, Paderborn 2015, 851– 1214; Andreas Linsenmann / Markus Raasch (Hgg.), Die Zentrumspartei im Kaiserreich. Bilanz und Perspektiven, Münster 2015. 10 Christoph Kösters gewährleistete, sondern sich umgekehrt die katholische Kirche die individuel- le Glaubens- und Gewissensfreiheit zu eigen machte und die Freiheit anderer Religionen anerkannte. Dem Zweiten Vatikanischen Konzil kam für diese Fragen eine kirchengeschichtliche Schlüsselfunktion zu. Der Jenaer Politik- wissenschaftler Claudio Kullmann zeigt die Wirkungsgeschichte dieser „ko- pernikanischen Wende“ (Ernst-Wolfgang Böckenförde) auf. Die Katholiken- tage wurden zum Ort für den interreligiösen Dialog, zunächst und insbesondere mit dem Judentum, aber vergleichsweise frühzeitig bereits auch mit dem Islam. Seit den 1990er Jahren schließlich lässt sich ein konsequentes Eintreten der Katholikentage für die Religionsfreiheit als allgemeinem Men- schenrecht beobachten. In einem zweiten Kapitel (II.) wendet sich der Band der Entwicklung von der Arbeiter-Solidarität zur weltweiten sozialen Gerechtigkeit zu. Seit einem Jahrzehnt werden globale Finanz- und Flüchtlingskrisen neu wahrgenommen, die in ihrem Kern doch vor allem Altbekanntes erkennen lassen: die Soziale Frage hat seit jeher wie kaum eine andere Frage das Potential, Gesellschaften zutiefst zu spalten: ideologisch, in Kapitalisten und Sozialisten, und sozial, in Reiche und Arme. Dass die katholische Kirche sich in diese Auseinanderset- zungen eingemischt und eigenes Profil durch sozial-caritative Ordensbewe- gungen ebenso wie die katholische Soziallehre gewonnen hat, ist allgemein bekannt. Die Katholikentage sind der Ort, auf dem die Soziale Frage in ihrer religiösen, gesellschaftlichen und politischen Dimension debattiert wird. Zwar gehörten Katholiken in den industriellen Großstädten bis weit ins 20. Jahrhun- dert der Arbeiterklasse an. Auch ist an den in diesem Zusammenhang bislang kaum beachteten Gesichtspunkt zu erinnern, dass sie oftmals zugleich konfes- sionell deklassiert waren. Jedoch machte die Frage der Gerechtigkeit nicht an den Pforten der eigenen katholischen Klientel halt.6 Der Leipziger Landeshistoriker Benjamin Gallin untersucht am regionalen Beispiel des „roten“ und dazu protestantischen Sachsen, was aus den zahlrei- chen sozialpolitischen Anstößen der Katholikentage im Alltag der konfessio- nellen Diaspora tatsächlich wurde. Gestützt durch den Volksverein für das katholische Deutschland blieb kaum eine der aus katholischen Arbeitsmigran- ten bestehenden Pfarreien in Sachsen von den sozialpolitischen Impulsen un- berührt, die von den Katholikentagen nach 1890 ausgingen. Zum größten Hin- dernis in Sachsen wurde hingegen der Zwiespalt, der dort „vor Ort“ über die Frage ausgetragen wurde, ob die katholischen Arbeiter Mitglied in interkon- fessionellen Christlichen Gewerkschaften werden dürften. Ein dreiviertel Jahrhundert später hatte die Frage nach der sozialen Gerech- tigkeit für die Katholiken eine globale, auf die sogenannte „Dritte Welt“ bezo- 6 Die ältere Diskussion zusammenfassend Helga Grebing (Hg.), Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland. Sozialismus, Katholische Soziallehre, Protestantische Sozialethik, 2. Aufl., Wiesba- den 2005; vgl. außerdem Bernhard Emunds / Hans Günter Hockerts (Hgg.), Den Kapitalismus bändigen. Oswald von Nell-Breunings Impulse für die Sozialpolitik, Paderborn [u. a.] 2015; Chris- tina Riese, „Etwas mehr als Geld und Brod“. Katholiken zwischen prekären Existenzverhältnissen und der Ordnung der Gesellschaft (1870–1933), Theol. Diss., Tübingen 2015 (Publikation in der Reihe der „Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte“ in Vorbereitung).

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