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Professor Dr. Adolf Gallwitz Polizeipsychologe im Gespräch mit Klaus Kastan Kastan PDF

16 Pages·2008·0.06 MB·German
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Preview Professor Dr. Adolf Gallwitz Polizeipsychologe im Gespräch mit Klaus Kastan Kastan

BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 24.02.2000 Professor Dr. Adolf Gallwitz Polizeipsychologe im Gespräch mit Klaus Kastan Kastan: Herzlich willkommen bei Alpha-Forum. Bevor ich Ihnen unseren heutigen Gast vorstelle, will ich zunächst etwas von ihm wissen. Herr Gallwitz, wären Sie gerne Polizist geworden? Gallwitz: Ich bin mir da nicht so sicher – wenn Sie eine ehrliche Antwort haben möchten. Kastan: Sie sind Professor für Psychologie und Soziologie an der "Hochschule für Polizei Baden-Württemberg in Villingen-Schwenningen". Das ist eine Ausbildungsstätte mit einem langen Namen. Vielen Menschen wird es absolut neu sein, dass es eine eigene Hochschule für die Polizei gibt. Gallwitz: Es gibt in der Tat in Deutschland nur insgesamt drei eigenständige Hochschulen. Eine in Baden-Württemberg, eine in Sachsen und eine in Sachsen-Anhalt. Viele andere Bundesländer haben lediglich eigene Fachbereiche, die einer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung angegliedert sind. Kastan: Können auch "normale" Menschen diese Hochschule besuchen, sofern sie die Fachhochschulreife besitzen? Gallwitz: Ja, wir haben in der Tat seit einiger Zeit die Möglichkeit für Direkteinsteiger geschaffen, nach einer gewissen Vorbereitungszeit direkt bei uns zu studieren. Kastan: Was macht der Psychologe – Sie sind nebenbei gesagt auch noch Psychotherapeut – an einer Hochschule für Polizei? Gallwitz: Wir haben natürlich jede Menge Stunden im Bereich der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, in denen im Bereich Soziologie und Psychologie Grundlagenwissen vermittelt wird. Daneben gibt es eine ganze Reihe von Wahlpflichtveranstaltungen, in denen man sich dann als Psychologe spezialisiert. Ich habe mich z. B. auf Tötungsdelikte zum Nachteil von Frauen und Kindern und auf Sexualdelikte spezialisiert. Das ist das Gebiet, das eben ein Psychologe an so einer Ausbildungseinrichtung betreuen kann. Insgesamt sind wir allerdings sieben Psychologen und Soziologen, denn da gibt es schon jede Menge zu tun. Kastan: Haben Sie den Eindruck, dass der ganze Bereich der Psychologie bei der Polizei unterentwickelt ist? Gallwitz: Dieses Gefühl hatte ich, als ich noch studiert habe. Mittlerweile ist jedoch eine sehr große Aufholjagd erfolgt auf diesem Gebiet, wobei wir aber immer noch ein Mindergewicht gegenüber den Rechtswissenschaften und den eigentlichen polizeispezifischen Fächern feststellen müssen. Kastan: Warum sollte ein Polizist psychologisch geschult sein? Gallwitz: Ich denke, der Polizeibeamte ist einer der wenigen Menschen, der in unserer Zeit 24 Stunden am Tag ansprechbar ist. Ein Polizeibeamter ist in seinem Dienst teilweise Sozialarbeiter und Mädchen oder Junge für alles: Insofern geht es dabei eben sehr viel um Kommunikation, denn es geht darum, Beziehungen herstellen und überprüfen zu können. Das ist also ein Bereich, in dem es noch gar nicht um Kriminalität geht. Wenn es sich dann aber um Delikte, um Ermittlungsverfahren oder um Vernehmungen handelt, dann braucht man dabei eine ganze Menge Geschick auf diesem Gebiet, denn allein mit juristischem Wissen kann man das sicherlich nicht bewerkstelligen. Kastan: Sie haben vor allem in Deutschland an verschiedenen Universitäten studiert: in München, in Nürnberg-Erlangen und in Ulm, wenn ich richtig informiert bin. Sie waren dann später auch noch eine Zeit lang in den USA: Darüber werden wir später sicher noch sprechen. War das, was Sie jetzt sind, eigentlich Ihr Traumberuf seit jeher? Wollten Sie immer schon Psychologe in der Polizeiausbildung sein? Gallwitz: Jetzt im Nachhinein habe ich schon das Gefühl, dass ich mir dabei einen Traumberuf verwirklicht habe. Wenn man meine Entwicklung jedoch vom Anfang her betrachtet, dann war der Weg sicherlich nicht immer sehr geradlinig, denn dabei hat es doch einige Biegungen gegeben. Kastan: Macht es eigentlich Spaß, Studenten zu unterrichten? Obwohl es nun die Möglichkeit gibt, dass junge Leute auch direkt nach der Schule zu Ihnen kommen, war es in der Vergangenheit – und ist es vermutlich heute noch so – doch in der Regel so, dass die Studenten bereits in ihrem Beruf gearbeitet haben, bevor sie zu Ihnen kommen. Sind solche Leute leichter zu handhaben als normale Studenten? Gallwitz: Auf keinen Fall. Ich habe an der Uniklinik in Erlangen auch schon im Bereich der medizinischen Psychologie richtige Studenten, die nur also "nur" studiert haben, unterrichtet. Sicher, einen Unterschied gibt es schon, das ist richtig, denn Erwachsene haben ganz andere Anforderungen an uns und stellen auch ganz andere Vergleiche an. Aber mir persönlich macht es sehr großen Spaß, mit Menschen zu arbeiten: ob die nun mehr oder weniger von mir verlangen, ist für mich kein Maß, denn ich arbeite gerne mit Menschen. Kastan: Aber ich kann mir vorstellen, dass im Hinblick auf die Disziplin diese Studenten auf der Hochschule für Polizei doch leichter zu handhaben sind als Studenten einer "normalen" Universität oder Fachhochschule. Gallwitz: Das würde ich nicht unbedingt so sehen. Das alte Problem zwischen Fachautorität und Amtsautorität ist auch dort vorhanden. Spätestens dann, wenn die Prüfung vorbei ist, oder davor, wenn sie noch in ganz weiter Ferne liegt, ist die Amtsautorität nicht mehr so wichtig. Da geht es dann schon mehr darum, dass man die Studenten von seinen fachlichen Qualifikationen her berührt und erreicht. Wenn man diesen Kontakt schaffen kann, dann arbeiten die Menschen völlig unabhängig vom Lebensalter oder den Vorerfahrungen auch gerne mit einem zusammen. Kastan: Würden Sie sagen, dass die Studenten, die bei Ihnen studieren, generell motiviert sind, oder ärgern Sie sich auch manchmal und sagen sich, dass schon wieder nichts los sei unter den Studenten, weil kein Interesse vorhanden ist? Gallwitz: Ich habe den Eindruck, dass die große Mehrzahl der Studenten sehr motiviert ist. Der Unterschied zwischen einem rein wissenschaftlichen Studium und einem Fachhochschulstudium besteht ja darin, dass es sehr praxisorientiert ist: Wir müssen den Leuten schon auch etwas bieten können. Ich muss den Leuten z. B. auch Antworten auf konkrete Fragen geben können. Da kann ich mich nicht hinter einem Lehrbuch verstecken und sagen, dass irgendein bestimmter Fall bei irgendeiner Demonstration in diesem Buch nicht steht. Kastan: Auf welche Fragen müssen Sie denn ganz konkrete Antworten finden? Was wird da von den Studenten eingebracht? Gallwitz: Das beginnt bei fachlichen Fragen. Ich werde z. B. gefragt, wie man sich meinetwegen in einer bestimmten Demonstrationssituation verhält: Wie soll sich der Polizist verhalten, wenn die Demonstranten in einer ganz bestimmten Art und Weise auf ihn zugehen. Das geht aber auch bis in den privaten Bereich hinein, wenn man meinetwegen zwischendurch in den Pausen gefragt wird: "Ich habe folgendes Problem mit meinem siebenjährigen Sohn, was können Sie mir da raten?" Das geht also von direkt einsatzspezifischen bis hin zu privaten Dingen. Kastan: Da können Sie dann nicht nur als Psychologe antworten, sondern auch als Vater, denn Sie selbst haben auch vier Kinder. Gallwitz: Das ist richtig, das mache ich dann auch wirklich gerne. Kastan: Ihren Jahrgang sollte man jetzt vielleicht auch verraten: Sie sind 1951 geboren, und Sie haben in den achtziger Jahren zwei Jahre in den USA als Austauschwissenschaftler gearbeitet. Was hat Ihnen denn die Arbeit in den USA gebracht? Gallwitz: Die Arbeit in den USA hat mir sehr viel gebracht. Die Quintessenz ist wohl folgende: Der wichtigste Knackpunkt bei uns in Deutschland ist die Beurteilung der Teamfähigkeit. Die Amerikaner können uns im Bereich der Teamfähigkeit immer noch sehr viel vormachen. Wir sind in vielen Bereichen mehr auf die Mannschaft hin orientiert, und deswegen können viele Menschen ihre Leistungsfähigkeit nicht ganz so zeigen und entwickeln, wie es ihnen eigentlich möglich wäre: Sie haben ganz einfach Schwierigkeiten mit dem Anecken – z. B. im Hinblick darauf, wer wie gut sein darf. Kastan: Sie gelten als Spezialist für den Bereich der Täterpsychologie. Was ist darunter zu verstehen? Gallwitz: Früher hat man das als psychologisches Gutachten bezeichnet. Man versucht dabei aufgrund des Verhaltens eines Täters, eine Art psychologisches Phantombild aufzubauen und Vermutungen darüber anzustellen, welche Persönlichkeitsstruktur dieser Mensch haben könnte, welches Alter, welchen Bildungsgrad und welche Lebensgewohnheiten. Man macht das, um über Menschen Aussagen machen zu können, die man eigentlich nur von einem Endergebnis her kennt, also von einer strafbaren Handlung oder von sonst einem Vorgang her. Kastan: Das heißt, Sie kennen den Täter schon, bevor die Polizei weiß, wer das ist? Gallwitz: Das ist richtig, denn ich erstelle dabei ein Bild von einem Menschen, den es unter den Tatverdächtigen manchmal vielleicht auch gar nicht gibt. Es kann aber auch sein, dass das Bild zunächst einmal auf viele, auf zu viele Tatverdächtige zutrifft. Normalerweise ist es jedenfalls so, dass damit der Kreis der Tatverdächtigen etwas eingeengt werden kann. Kastan: Irren Sie sich auch manchmal? Gallwitz: Aber selbstverständlich, denn man muss dabei von vornherein sagen, dass das ein zusätzliches Hilfsmittel bei der wichtigen Ermittlungsarbeit der Polizei ist. Es ist nicht so, dass da irgendwo ein Psychologe sitzt, in die Kugel schaut und dann den Polizeipraktikern sagt, wo es lang geht. Das ist ein Mythos, ein Missverständnis, denn so soll es gerade nicht laufen, und so läuft es auch nicht. Das ist ein Hilfsmittel. Kastan: Sie sind also Professor für Polizei in Villingen-Schwenningen: Kommt es gelegentlich auch vor, dass Sie von der Polizei angerufen und gefragt werden, ob Sie denn nicht einmal vorbeikommen und helfen könnten, weil man gerade einen Fall zu bearbeiten hat, bei dem man nicht weiter weiß? Gallwitz: Das kommt sehr oft vor. Das geht, wenn Sie so wollen, ganz einfach über den kurzen Dienstweg, nämlich über den Kontakt ehemaliger Studierender. Aber das funktioniert manchmal auch im Rahmen von Bekanntschaften oder über gemeinsame Arbeiten, durch die man in den verschiedenen Dienststellen einfach weiß, dass man bei uns einmal kurz anrufen und nachfragen könnte. Kastan: Was war der schwierigste Fall, den Sie gelöst haben? Gallwitz: Ich denke dabei an ein Tötungsdelikt in den neuen Bundesländern. Ein achtjähriger Junge war dort für ganz lange Zeit verschwunden. Das ist ein Schicksal, das in unserem Land fast 800 Kinder als so genannte Langzeitvermisste betrifft. Nach einigen Monaten wurden dann Überreste von diesem Jungen gefunden: Deswegen musste man ganz einfach davon ausgehen, dass dieser Jungen einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist. Dieses Verfahren ist jedoch irgendwann einmal eingestellt worden: Man hat den Täter nicht fassen können. Ich habe daraufhin das Verfahren als ein bereits eingestelltes Verfahren auf meinen Schreibtisch bekommen. Das hat mich jedoch gereizt, und ich habe mir die ganzen Unterlagen noch einmal vorgenommen. Man muss dazu sagen, dass sich der Täter in anonymen Briefen selbst eingemischt hatte. Es gab also jede Menge Material, das er geschrieben hatte und aus dem man schließen konnte, was und wie er dachte: Das war ganz ähnlich wie meinetwegen bei einer Produkterpressung. Ich habe dann mit dazu beigetragen, dass man aufgrund dieses Persönlichkeitsprofils nicht nur einige Tatverdächtige gefunden hat, sondern einen ganz bestimmten Tatverdächtigen zu einem Geständnis gebracht hat. Kastan: Sind da die Grenzen zur Polizeiarbeit fließend? Gallwitz: Eigentlich nicht, denn als beratender Psychologe kann ich zwar ein Gespräch führen mit einem Tatverdächtigen, aber ich kann ihn nicht vernehmen. Vernommen wurde er in dem Fall von der Mordkommission. Ich habe mit dem Täter zehn Stunden lang gesprochen, und am Ende dieses Gesprächs war das Geständnis mir gegenüber vorhanden. Die Mordkommission hat danach die Vernehmung gemacht und das Protokoll erstellt: Das ist eine Arbeitsteilung, die sich allein schon aufgrund der rechtlichen Bestimmungen ergibt, denn ich bin nun einmal kein Vollzugsbeamter. Kastan: Ich habe im Archiv ein paar Zitate von Ihnen gefunden. Ich werde Sie Ihnen nun vorlesen – Sie werden sie wahrscheinlich wiedererkennen – und würde Sie bitten, diese Zitate kurz zu kommentieren. Ich fange einmal mit folgendem Zitat von Ihnen an: "Ein Todesopfer hat keine Fürsprecher mehr. Der Täter hat 1000 Entschuldigungen parat." Gallwitz: Wir haben hier in unserem Land ein sehr täterorientiertes Strafrecht, bei dem ich manchmal sehr stark den Eindruck habe, dass die Opfer – seien sie nun tot oder noch am Leben – eigentlich nur dazu dienen, irgendjemanden zu überführen. Wenn jemand verurteilt wurde, dann wird oft gefragt, warum denn dieses Opfer nun immer noch irgendwie Genugtuung bräuchte, denn der Täter ist doch verurteilt: Was will das Opfer also noch? Da fehlt mir eben etwas. Kastan: "Wissen Sie, ich gehe gedanklich mit Leichen ins Bett, und da bin ich froh, dass ich mit meiner Frau über alles reden kann." Gallwitz: Das ist das alte Problem: Hier tritt einfach keine Gewöhnung ein. Es gibt auch nach vielen Jahren der Tätigkeit immer wieder Menschenschicksale oder Leichen, die einem besonders nahe gehen: aufgrund meinetwegen der Tötungsumstände oder des Alters des Opfers. Da braucht man schon Menschen, mit denen man sich austauschen kann, ohne dass sie einem sagen: "Du schon wieder mit deinen Abgründen." Kastan: "Den typischen Täter gibt es nicht." Gallwitz: Das ist richtig, und das ist auch etwas, bei dem sich abgebrühte Psychologen von frisch ausgebildeten Psychologen unterscheiden: Sie verwenden keine naiven Typologien und Theorien, sondern sind im Prinzip bei jedem Fall offen und versuchen, wissenschaftlich an den Fall heranzugehen. Kastan: "Der Frieden der Welt beginnt im Kinderzimmer." Gallwitz: Das ist für mich ein ganz wichtiges Zitat, weil ich festgestellt habe, dass wir ein erschreckendes Ausmaß an alltäglicher Gewalt in Beziehungen und Familien haben. Ich sehe darin eine wichtige Ursache im Hinblick auf Jugendgewalt und auch auf allgemeine Gewaltprobleme in unserer Gesellschaft. Kastan: Dazu passt nun auch mein letztes Zitat: "Achten wir unsere Kinder, damit sie nicht zu Tätern werden. Achten wir uns selbst, damit wir wieder zu Vorbildern werden." Gallwitz: Das bedeutet einen gesunden Egoismus und eine gesunde Art und Weise, auf sich selbst zu schauen, um dabei gleichzeitig der nächsten Generation so etwas wie Empathie und Einfühlungsvermögen beibringen zu können. Kastan: Das scheint ja auch eines Ihrer weiteren Spezialgebiete zu sein, die Verbrechen, die an Kindern verübt werden – wie z. B. der sexuelle Missbrauch von Kindern. Sie haben zusammen mit Manfred Paulus das Buch geschrieben "Die Kindersex-Mafia in Deutschland". Der Untertitel lautet: "Täterprofile - Pädophilenszene - Rechtslage." Hat das Buch irgendetwas bewirkt? Gallwitz: Das Buch hat sehr viel bewirkt. Wir haben es in erster Linie deswegen geschrieben, um einschlägigen Berufen wie z. B. unseren Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten Material an die Hand geben zu können. Man hatte in diesem Zusammenhang ja immer gedacht, dass es bei uns in Deutschland bestimmte Dinge nicht gäbe. Wir haben uns in dem Buch aber auf Fälle bezogen, die hier in Deutschland passiert sind: selbstverständlich unter Abwandlung der Namen und der Orte. Insofern diente das Buch als zunächst einmal dazu, im Rahmen einer Fortbildung darüber aufzuklären, was es denn bei uns in Deutschland eigentlich alles gibt. Wir müssen bei bestimmten Sachen nicht erst nach Thailand schauen, und wir müssen auch nicht erst mit dem Finger nach Belgien zum Fall Dutroux zeigen: Denn wir haben hier mitten unter uns im Land eine Problematik, die sehr stark unterschätzt wird und die in ihrer Art und Weise vollkommen falsch eingeschätzt wird. Kastan: Wie kamen Sie denn darauf, sich gerade auf diesem Gebiet einzusetzen? War es das Bedürfnis, den Schwächsten in unserer Gesellschaft zu helfen? Gallwitz: Das war natürlich ein Grund, aber ein wichtiger Grund lag darin, dass ich im Rahmen meiner Ausbildung einen Umlauf durch verschiedene Abteilungen und Gebiete gemacht habe, als ich vor acht Jahren zur Polizei gegangen bin. Dabei bin ich dann beim Dezernat 5 in Baden-Württemberg hängengeblieben, also beim Dezernat für Sexualdelikte. Ich habe dort nämlich sehr viel mehr Wochen verbracht, als ich dort eigentlich hätte verbringen müssen. Ich habe gemerkt, dass bei den erwachsenen und kindlichen Sexualdeliktsopfern auf dem Gebiet der Glaubwürdigkeit einiges im Argen liegt. Daraus entstand bei mir die Idee, dass man auf diesem Gebiet etwas unternehmen müsste. Das war noch in der Zeit vor Dutroux: Da war das alles in der Öffentlichkeit noch kein Thema. Mittlerweile gibt es sehr viele Experten, die sich mit diesem Thema beschäftigen, damals waren es jedoch noch sehr wenige. Kastan: Sie haben diesen Fall in Belgien angesprochen, aber ich vermute, dass man so etwas nicht allein auf Belgien begrenzen kann. Wie würde Sie denn die Szene auf diesem Gebiet in Deutschland beschreiben? Gallwitz: Wir haben auch hier bei uns in Deutschland eine organisierte Szene auf diesem Gebiet: teilweise mit weltweiten und internationalen Vernetzungen. Wir haben hier eine Szene, die teilweise sogar Mitgliederzeitschriften herausgibt, in denen seit Jahren versucht wird, Schutzaltersgrenzen zu beeinflussen, d. h., in denen versucht wird, die Strafbarkeit sexueller Kontakte mit Kindern teilweise abzuschaffen, indem man dafür wirbt, das Schutzalter der Kinder herabzusetzen. Im Hinblick auf die modernen Medien gibt es in dieser Szene selbstverständlich auch die Möglichkeit, sich ganz anonym aus dem eigenen Arbeitszimmer heraus mit Gleichgesinnten in Verbindung zu setzen. In Deutschland gibt es in vielen unscheinbaren Annoncen in ganz normalen Tageszeitungen Hinweise darauf, dass hier einiges im Argen liegt. Kastan: Sie reisen durchs Land, Sie halten dazu Vorträge, Sie lehren das natürlich auch an der Hochschule: Wird das Problem ernst genommen? Haben Sie das Gefühl, dass dieses Problem inzwischen ernst genommen wird? Denn dieses Problem ist ja jahrelang doch auch ignoriert worden. Erst nach der Aufdeckung dieses Falls in Belgien haben auch bei uns alle Zeitungen angefangen, darüber zu berichten. Viele Menschen stehen im Prinzip völlig fassungslos vor diesem Problem: Wie wird das von Ihren Studenten aufgenommen? Was können Sie denen mitgeben? Gallwitz: Die Studenten sind sehr betroffen und auch sehr interessiert. Die Frage ist natürlich, wie wir das umsetzen können. Zum einen gibt es dabei nämlich ein Kapazitätsproblem. Es gibt so genannte "Bring-Delikte": Dazu gehört auch dieses Problem. Wenn ich ein Angebot über Kinderpornographie im Briefkasten habe, dann muss ich zur Polizei gehen und sagen, dass etwas in meinem Briefkasten liegt. Wenn das Auto gestohlen wird, dann geht man selbstverständlich zur Polizei, aber bei solchen Angeboten ist es häufig so, dass das von den Leuten einfach nur weggeworfen wird. Wenn das so ist, dann erfährt die Polizei eben nichts davon. Man müsste hier also mehr hinschauen innerhalb der Gesellschaft, dann bekäme die Polizei auch mehr zu tun auf diesem Gebiet. Da stellt sich dann natürlich sofort die Frage, ob wir dafür genügend Personal hätten. Denn es gibt natürlich Delikte, bei denen von außen her weit mehr Kapital im Spiel ist, bei denen ein größerer wirtschaftlicher Schaden, aber auch ein geringerer Schaden in den Seelen der Menschen angerichtet wird. Obwohl es natürlich schon so ist, dass im Grundgesetz im Artikel eins die Menschenwürde als das Wichtigste angesehen wird: Aber das kann man natürlich nur schlecht in Mark und Pfennig ausdrücken. Kastan: Da werden natürlich nicht nur irgendwelche Briefe und Prospekte hin und her geschickt, sondern das Ganze geht ja zumindest teilweise auch über das Internet. Dieses Internet ist aber nur sehr schwer zu kontrollieren. Für die Polizei ist es kompliziert, dabei an die Fälle heranzukommen. Wie können Sie denn als Psychologe in dem Zusammenhang der Polizei helfen? Gallwitz: Es gibt in Deutschland natürlich auch einige Bundesländer, die im Hinblick auf die materielle und personelle Ausstattung und die Fortbildungsmaßnahmen an der Spitze stehen: Bayern steht hierbei ganz vorne. Es gibt aber leider auch andere Bundesländer, bei denen es teilweise sogar so ist, dass dort die Beamten Schwierigkeiten haben, einen Internetzugang zu erhalten. Zu meiner Tätigkeit: Auf diesem Gebiet kann der Psychologe den Beamten z. B. bei der Verarbeitung dieses ekelhaften Materials Hilfen an die Hand geben. Wenn man sich von morgens bis abends mit Kinderpornographie, mit sexuellen Handlungen an Kindern, mit Leichenteilen usw. beschäftigen muss - das, was man dabei findet, überschreitet bei weitem das, was man sich an menschlichen Abgründen vorstellen kann –, dann braucht man auch, wenn Sie so wollen, eine Möglichkeit, sich von diesen Dingen wieder ein wenig distanzieren zu können. Konfliktbewältigungsmöglichkeiten, Entspannungstechniken: Das sind Dinge, die wir anbieten können. Die zweite Hilfe, die wir leisten, besteht darin, den Beamtinnen und Beamten etwas über die Motive und die Hintergründe dieser Täter und Täterinnen zu sagen: "Was sind das für Menschen? Warum machen die das? Hat das überhaupt etwas mit Sexualität zu tun?" In den meisten Fällen hat das nämlich nichts mit Sexualität zu tun. Kastan: Auf der einen Seite sagen Sie ja, dass kein Täter wie der andere Täter sei, aber auf der anderen Seite sagen Sie auch, dass es hier doch ganz bestimmte Verhaltensmuster gibt, die man nachvollziehen und denen man nachgehen kann. Wer sind denn diese Täter? Gallwitz: Wir können die Täter in zwei große Gruppen einteilen: Das sind einmal Menschen, die von ihrer sexuellen Entwicklung her auf Kinder fixiert sind: Kinder sind für solche Erwachsenen ideale Partner. Das müssen noch nicht einmal Geschlechtspartner sein, aber Kinder sind für solche Menschen deshalb ideale Partner, weil Kinder ihrer eigenen Persönlichkeitsstufe entsprechen: Sie können wunderbar mit Kindern umgehen, denn Kinder machen ihnen keine Angst, während sie vor Gleichaltrigen sehr wohl Angst haben. In der zweiten Gruppe von Tätern spielt die Situation eine große Rolle: Das sind Menschen, die auf eine frühere Entwicklungsstufe zurückfallen, weil sie meinetwegen Schwierigkeiten im Beruf, in der Ehe, in der Partnerschaft oder im Umgang mit Alkohol haben. Genau in solchen Situation kommt dann ein Kind als Ersatzobjekt und als Opfer in Frage: für einen Erwachsenen, der momentan nicht verfügbar ist. Das wären die zwei großen Gruppen, die es gibt. Dann gäbe es noch die Gruppe der Ausbeutungs- und Erlebnistäter, die man selbstverständlich auch berücksichtigen muss. Denn man muss ja bedenken, dass es auch bei uns einen riesigen Markt an Prostitutionstourismus gibt: in Länder im europäischen Bereich, aber natürlich auch nach Bangkok, nach Thailand, in die Dominikanische Republik, nach Indien usw. Da gibt es wirklich jede Menge Leute, die man hier erwähnen könnte: zu Zehntausenden sind diese Leute von hier, von Deutschland aus, in der ganzen Welt unterwegs, um einschlägige sexuelle Kontakte mit Kindern zu haben. Kastan: Es heißt, allein in Deutschland werden 800 Kinder vermisst. Im Hinblick auf sexuellen Missbrauch bleibt sicherlich auch vieles im Dunkeln, denn da gibt es ganz bestimmt viele Fälle, die nie bekannt werden, von denen die Polizei nie etwas erfährt. Wenn man das ganze Problem aber doch einmal quantifiziert: Wie viele Fälle von Missbrauch an Kindern gibt es bei uns in Deutschland? Gallwitz: Diese fast 800 Fälle laufen bei uns natürlich statistisch gesehen unter den so genannten Langzeitvermissten. Man muss aber aufgrund einer gewissen Erfahrung davon ausgehen, dass ein erheblicher Prozentsatz dieser 800 Kinder Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist. Wenn man einmal von einer ganz niedrig angesetzten Zahl ausgeht, also nur von einem Drittel, dann bedeutet das, dass annähernd 300 Kinder Gewaltverbrechern zum Opfer gefallen sind. Das ist also doch ein Problem, dass man nicht mehr nur auf einige wenige Täter zurückführen kann. Wir müssen daher davon ausgehen, dass es doch eine erhebliche Anzahl von Tätern gibt, die noch nicht zur Verantwortung gezogen worden sind und die mindestens ein Kind bzw. mehrere Kinder umgebracht haben. Kastan: Was müsste auf Seiten der Polizei passieren, damit hier auf diesem Gebiet mehr Fälle aufgedeckt werden können? Gallwitz: In den vergangenen Jahren versucht man diese "Crime analysis", also diese überregionale und über die Bundesländer hinausgehende Vernetzung und den entsprechenden Datenaustausch zu organisieren. Man versucht auch, so genannte Bewegungsbilder aufzustellen und zu schauen, ob vielleicht bestimmte Delikte auf dem Gebiet des Vermisst- Seins bzw. der Tötungsdelikte in irgendeinem Zusammenhang stehen. Das wäre also etwas Wichtiges. Wir bauen bei der Polizei im Moment aber auch eine Datenbank auf, mit deren Hilfe versucht wird, Gewaltdelikte hinsichtlich möglichst vieler Spuren zu speichern und abzugleichen. Damit könnte man z. B. Daten abrufen, wenn man auf ein ähnliches Vorgehen gestoßen ist: Es könnte also der gleiche Täter sein, weil hier ähnlich vorgegangen worden ist. Man kann den Datenabgleich aber auch machen, wenn in einer anderen Hinsicht die Fälle zueinander passen. Es geht also um die Vernetzung des ganzen Wissens, das die verschiedenen Polizeibehörden haben: Man macht sich dadurch auch unabhängig von der Dienstzeit bestimmter Beamter. Oft ist es ja so: Wenn ein bestimmter Beamter aus dem Dienst ausscheidet, dann geht mit ihm auch ein großer Teil des Erfahrungsschatzes verloren. Es gibt aber in der heutigen Zeit die Möglichkeiten der EDV, und diese Möglichkeit müssen wir nun bundesweit, wenn nicht gleich gar europaweit zugänglich machen, um möglicherweise auch Serientätern auf die Spur zu kommen. Denn sehr viele Täter töten nicht nur einmal, sondern öfter und immer wieder. Kastan: Ich würde nun gerne zu einem ganz anderen Gebiet kommen, nämlich zur "Medienperson Gallwitz". Sie sind ja relativ bekannt, denn Sie arbeiten vor allem auch sehr viel für den Sender SAT 1, einem Privatsender. Das ist nicht ganz unumstritten – auch in Ihrem Kollegenkreis. Ihr Medienengagement begann aber, wie ich glaube, mit Margarete Schreinemakers: Diese Sendung hieß damals "Wir helfen suchen". Gallwitz: Das ist richtig. Kastan: Verstehen Sie, dass es Menschen gibt, die es nicht so gut finden, wenn Sie so etwas machen? Gallwitz: Aber selbstverständlich. Auf der anderen Seite ist es nun einmal so, dass man solche Kritikpunkte einstecken können muss, wenn man an die Öffentlichkeit tritt. Margarete Schreinemakers hatte gewaltige Einschaltquoten in der mittleren Phase ihrer Karriere: Das bot für mich die Möglichkeit, solche Ideen der Prävention auf eine wunderbare Weise verbreiten zu können. Ganz gleich, was man von solchen Sendungen hält: Wenn man davon ausgeht, dass zum Teil fünf Millionen Haushalte diese Sendungen angesehen haben, dann muss man immer davon ausgehen, dass es halt fünf Millionen Haushalte gegeben hat, die das Bedürfnis hatten, sich so etwas anzuschauen – ob man persönlich nun etwas davon hält oder nicht. Für mich bedeutete das jedenfalls, dass ich zumindest schon einmal für fünf Minuten mit meinen Präventionsgedanken in den Wohnzimmern dieser Leute war. Kastan: Sie arbeiten nach wie vor für die "Fahndungsakte" bei SAT 1. In dem Zusammenhang habe ich in der "Süddeutschen Zeitung" ein schönes Zitat über die "Fahndungsakte" gefunden. Diese Sendung kommt da folgendermaßen weg: "Mit sachlicher Polizeiermittlung hat diese Sendung so viel gemeinsam wie die 'Lindenstraße' mit dem deutschen Alltag. Die Folgen sind fatal: Kein Mensch kann diese 'Fahndungsakte' ernst nehmen, denn sie operiert mit der gleichen Pseudodramatik, die das Privatfernsehen bei all seinen Magazinen und halbrealistischen Spielszenen längst als Mittel der Unterhaltung etabliert hat." Die Frage an Sie, die sicherlich viele Menschen interessiert, lautet nun, warum Sie sich als anerkannter Wissenschaftler für eine solche Sendung hergeben, für eine Sendung, die im Übrigen ja auch bei den Innenministern sehr umstritten ist. Gallwitz: Dazu möchte ich zwei Dinge sagen. Vielleicht zu dem, was Sie als Letztes gesagt haben, zuerst: Das sind Schwierigkeiten, die auf die Anfangszeit der Sendung in den Jahren 1997 und 1998 zurückzuführen sind. Mittlerweile ist diese Sendung jedoch bei der Polizei aller Bundesländer anerkannt – auch in Bayern und Baden-Württemberg. Es gibt keine Vorbehalte mehr. Es war eine gewisse Zeit der Einarbeitung und der Gewöhnung notwendig. Eduard Zimmermann, den ich auch schon privat getroffen habe, hat immer wieder gesagt: "Jede dieser Sendungen hat ihre Berechtigung." Die Fahndungsakte hat eine ganz andere Sendezeit, bei der auch ganz andere Leute zusehen. Diese Sendung hat z. B. im Unterschied zu "Aktenzeichen XY" ein wöchentliches Format. Die "Fahndungsakte" hat selbstverständlich versucht, in diese Sendeform ein wenig Modernität mit hineinzubringen. So etwas stößt natürlich immer auf Schwierigkeiten, auch auf Seiten der Ermittlungsbehörden. Deswegen gab es diese Schwierigkeiten am Anfang. Ich selbst habe bei der Entstehung dieser Sendung von Anfang an mitgemacht, weil das für mich eine Herausforderung war. Diese Zusammenarbeit wurde im Übrigen einer ganzen Reihe von Kollegen angeboten, nicht nur mir alleine. Für mich war das, wie gesagt, eine Herausforderung - genauso wie damals vielleicht für Eduard Zimmermann. Es war für mich eine Herausforderung in dem Sinn, etwas zu tun, etwas zu geben, damit man selbst etwas nehmen kann, wenn Sie so wollen. Die Möglichkeit, pro Sendung einige wenige Minuten präventive Aspekte mit anzusprechen und mit in die Sendung einbringen zu können, ist für mich nach wie vor eine große Herausforderung. Ich habe die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben, dass man diese Sendung noch mehr in eine Richtung bringen kann, bei der es immer weniger Kritik gibt. Kritik an sich wird es allerdings immer geben. Kastan: Ich meine, die Aufmachung ist natürlich schon reißerisch. Gallwitz: Das Privatfernsehen lebt von den Menschen, die es anschauen. Das gilt ja auch für eine Sendung wie "Aktenzeichen XY", die im Übrigen, wenn Sie so wollen, auch von einer Gemeinschaft für das ZDF produziert wird. Man kann eben nicht am Zuschauer vorbei produzieren. Die Sendezeit ist um 22.15 Uhr: Sie müssen einmal schauen, was als Alternativprogramm zu dieser Zeit läuft. Dagegen muss man eben in irgendeiner Art und Weise "anstinken" können. Dafür muss man in der Tat einen gewissen Preis bezahlen. Dieser Preis darf aber kein Nachteil für den eigentlichen Auftrag werden. Das heißt, auch die "Fahndungsakte" prüft, ob es überhaupt sinnvoll ist, für bestimmte ungeklärte Fälle einen Sendeteil zu erstellen. Die "Fahndungsakte" unterliegt selbstverständlich den gleichen rechtlichen Bestimmungen wie jede andere Sendung dieser Art, denn es gibt ja noch eine ganze Reihe von regionalen Fahndungssendungen. Kastan: Ob "Aktenzeichen XY" oder "Fahndungsakte": Glauben Sie denn, dass diese Art von Sendung überhaupt etwas bringt, dass das die Kriminalität ernsthaft bekämpfen kann? Gallwitz: Dazu darf ich den Kriminaldirektor Nagel aus München zitieren: Er hat letzte Woche gesagt, dass ohne diese Fahndungssendung dieser momentane Fall, bei dem mindestens zwei Tötungsdelikte auf einen Mann zurückgeführt werden können, überhaupt nicht lösbar gewesen sei. Ich glaube, dass wir bei bestimmten Fällen - das muss man natürlich im Einzelnen immer genau auswählen – darauf überhaupt nicht mehr verzichten können. Die Art und Weise, wie wir das darstellen, müssen wir jedoch zeitgemäß machen. Wir können um 22.15 Uhr keinen politischen Unterricht und auch keine trockene Polizeisendung anbieten und dann auch noch hoffen, dass die Leute das freiwillig ansehen. Da muss man also schon einen gewissen Preis zahlen, aber auch bei der "Fahndungsakte" arbeiten die zuständigen Ermittler eng zusammen: Sie können durchaus beeinflussen, dass bestimmte Szenen so oder anders dargestellt werden – wenn sie das wollen. Kastan: Wie können Sie denn Einfluss nehmen auf eine solche Sendung? Gallwitz: Ich betreue meistens ein oder zwei Fälle pro Sendung und befinde mich dabei natürlich immer in enger Abstimmung mit dem Team, das diese Sendung bildnerisch umsetzt, und dem Ermittlungsbeamten, dem ich die Möglichkeit gebe, bestimmte Schwerpunkte zu setzen. Für manche dieser Sendungen erarbeite ich dann auch noch Gutachten für die Polizei. Gemeinsam nehmen wir dann einen ganz kleinen Teil für die Sendung, um dem Zuschauer die Täterpersönlichkeit einfach ein wenig nahe zu bringen. Früher hat man immer nur einen Film gesehen und hat mehr auf das Äußerliche abgestellt. Ich darf dabei an einen bestimmten Fall erinnern: an den Mord im Regionalexpress in Dresden. Dieser Fall ist immer noch ungeklärt. Es gab ein phantastisches Phantombild dazu. Man hat dazu sogar ein Foto verwendet. Aber dieser Mensch ist nie gefunden worden: vielleicht deswegen, weil das Bild zu darstellend und zu genau war, sodass jeder gesagt hat: "Mensch, du warst heute morgen auf dem Fahndungsplakat, aber du kannst das ja gar nicht gewesen sein." Wenn ich aber die Persönlichkeit des Täters beschreibe, wenn ich beschreibe, dass er sich in seinem privaten Umfeld so und so verhält, dass er sehr aggressiv ist, dass er sehr schnell auf 180 kommt, dass er dieser oder jener Mensch ist, dann ist es vielleicht auch ein bisschen einfacher, neben einer Phantombilddarstellung Menschen zu finden, die als Tatverdächtige in Frage kommen könnten. Kastan: Es geht also im Grunde darum, Verhalten und Verhaltensmuster so kenntlich zu machen, dass daraus eine ganz konkrete Person werden kann. Gallwitz: Das war ganz eindeutig ein Aspekt, den die Fahndungsakte neu ins Spiel gebracht hat: Diesen Aspekt halte ich persönlich für sehr wichtig, und deswegen vertrete ich das seit dieser Zeit auch einmal wöchentlich in dieser Sendung. Kastan: Und Sie meinen auch, dass das Erfolg hat. Gallwitz: Wir haben annähernd die gleichen Erfolgsquoten wie die Sendung "Aktenzeichen XY". Wobei man sagen muss, dass wir wesentlich ältere und undankbarere Fälle haben: Fälle, die wahrscheinlich diese andere Sendung gar nicht annehmen würde, weil die Erfolgsaussicht von vornherein zu gering ist. Kastan: Das wollte ich gerade fragen. Ich wollte gerade fragen, ob das nicht auch "manipuliert" ist in dem Sinne, dass man sagt: "Wir nehmen nur Fälle, bei denen letztlich die Erfolgsaussicht auch relativ groß ist." Gallwitz: So eine neue Sendung wie die "Fahndungsakte" hätte sich das nie leisten können und kann sich das auch momentan noch nicht leisten. Ich möchte jetzt nicht spekulieren, aber eine etablierte Sendung, die über 30 Jahre existiert, kann schon ein bisschen eher diktieren, was sie haben möchte und was nicht. Ganz am Anfang war es so, dass dann, wenn die eine Sendung einen Fall dargestellt hat, niemand sonst mehr in der Medienlandschaft etwas über diesen Fall bringen durfte. Diese Mauer ist nun auch schon ein wenig ins Bröckeln gekommen durch die zunehmende Konkurrenz. Kastan: Sie machen also ganz viele unterschiedliche Sachen: Sie sind, wie gesagt, an der Hochschule, Sie beraten die Polizei, und Sie arbeiten drittens an einer Fernsehsendung mit. Ich habe aber auch noch einen vierten Punkt gefunden: Sie haben Soldaten und Polizisten auf ihren Einsatz im früheren Jugoslawien vorbereitet. Wie macht man so etwas? Waren Sie da selbst vor Ort, oder haben Sie lediglich versucht, sich in diese Situation hineinzuversetzen? Gallwitz: In der damaligen Zeit gab es am "Zentrum für Innere Führung Koblenz" diese Möglichkeit noch nicht, weil die Bundeswehr noch keine Auslandseinsätze gemacht hatte. Wir haben daher versucht, auf unseren Truppenübungsplätzen im Rahmen des ethisch Möglichen und

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Bevor ich Ihnen unseren heutigen. Gast vorstelle, will ich zunächst etwas von ihm wissen. Herr Gallwitz, wären. Sie gerne Polizist geworden? Gallwitz:.
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