BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 22.09.1999 Prof. Dr. Adolf Birkhofer Ehemaliger Geschäftsführer der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS)mbH im Gespräch mit Reinhold Gruber Gruber: Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, bei uns im Alpha-Forum ist heute Professor Adolf Birkhofer zu Gast. Herr Professor Birkhofer, ich freue mich, dass Sie zu uns gekommen sind. Sie sind eine international anerkannte Kapazität auf dem Gebiet der Reaktorsicherheit: Sie sind hierzulande sozusagen der Papst der Reaktorsicherheit. Sie waren bis Anfang 1999 Vorsitzender der "Reaktorsicherheitskommission". Sie sind nach wie vor Geschäftsführer der "Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit". Sie bekleiden darüber hinaus noch jede Menge andere Funktionen, und Sie haben, was man nicht vergessen darf, auch den Lehrstuhl für Reaktordynamik und Reaktorsicherheit an der Technischen Universität in München inne. Die "Reaktorsicherheitskommission" ist ja zunächst einmal aufgelöst worden. Wie ist denn hier der Stand der Dinge? Birkhofer: So weit ich weiß, hat der Umweltminister eine neue Kommission eingesetzt: mit einer etwas veränderten Satzung. Ich glaube, sie hatten auch schon eine Sitzung. Gruber: Das klingt sehr distanziert, aber vielleicht stellen wir dieses Thema zunächst einmal noch zurück. Es wird in unserem Gespräch natürlich um die Kernenergie und um die Risiken und Chancen der Kernenergie gehen. Die Kernenergie kam sozusagen erst durch die Bomben auf Hieroshima und Nagasaki ins Bewusstsein der Bevölkerung. Später gab es demgegenüber die große Hoffnung, dass die Kernenergie die Möglichkeit bietet, zukünftig die Energieversorgung der Welt sichern zu können. Wo steht denn die Kernenergie heute? Birkhofer: Ich glaube, dass grundsätzlich die Richtung eingetreten ist, dass man erkannt hat, dass die Kernenergie nicht alle Probleme lösen kann und dass die Kernenergie bei vielen Problemen nur teilweise herangezogen werden kann. Der Strom aus Kernenergie hat in Europa einen ganz merklichen Anteil an der Stromversorgung. Ich denke, in Europa wird wohl ungefähr ein Drittel des Stroms aus Kernenergie gewonnen. In Deutschland sind es um die 30 Prozent. Ich schätze, weltweit dürften es wohl um die 16, 17 Prozent sein, die der Strom aus der Kernenergie ausmacht. Gruber: Das ist nun eine quantitative Beschreibung, aber wie stellt sich nach Ihren Erfahrungen inhaltlich die Position der Befürworter dar? Denn Sie reisen ja rund um den Globus in Sachen Kerntechnik. Birkhofer: Es ist sehr schwierig, diese Position klarzumachen. Auf der einen Seite ist der Strombedarf in Europa nur relativ wenig angestiegen, und zusätzlich sind die Möglichkeiten, billigen Strom zu produzieren, gleichzeitig sehr viel größer geworden. Insofern gibt es in Europa zur Zeit keinen Bedarf, neue Kernkraftwerke zu bauen. Dasselbe gilt für die USA wegen deren Möglichkeit einer billigen Gasversorgung. Dagegen ist es im asiatischen Raum aufgrund der besonderen Gegebenheiten in Japan, in Korea und letztlich auch in China so, dass die Kernenergie verhältnismäßig stark ausgebaut wird. Deshalb müssen wir heute darauf achten, dass die Kernenergie, wenn sie im asiatischen Raum ausgebaut wird, genauso verantwortungsbewusst gehandhabt wird, wie es im Westen, wenn ich so sagen darf, gang und gäbe war und ist. Gruber: Die Kerntechnik ist eben ein Gebiet, das einen hohen technischen Standard und ein hohes Verantwortungsbewusstsein verlangt. Wie war denn Ihr Weg zur Kerntechnik und zur Kernenergie? Ich möchte davor noch kurz einfügen, dass Sie Jahrgang 1934 sind und dass Sie hier in München die Schule besucht haben. Danach haben Sie an der damaligen Technischen Hochschule studiert und sind nach Innsbruck gegangen, um dort noch zusätzlich theoretische Physik zu studieren. Wann kam denn die Kerntechnik in Ihr Blickfeld? Birkhofer: Eigentlich schon sehr früh. Ich habe Nachrichtentechnik studiert und mein Diplom an der TU in München gemacht. Als Diplomarbeit baute ich einen Simulator: einen von Hand gestrickten kleinen Rechner, der bestimmte Gleichungen in der Kerntechnik simulieren sollte. Damit war das für mich ein attraktives Thema, weil ich da nämlich gesehen habe, wie man komplizierte Sachverhalte über einen Simulator anschaulich darstellen konnte. Ich wollte dann aber auf diesem Gebiet mehr verstehen, als nur Gleichungen applizieren zu können: Ich wollte die ganzen Grundlagen verstehen. Zu der Zeit gab es in Europa nur ganz wenige deutschsprachige Professoren, die auf diesem Gebiet kompetent waren. Einer davon war mein Doktorvater Professor Cap in Innsbruck, der theoretische Physik gemacht hat. Ich musste da allerdings auch diese theoretische Physik mitmachen, um in Innsbruck promovieren zu können. Gruber: Sie sind dann an das Laboratorium für Anlagensicherung der TU in Garching gegangen. Dort haben Sie im Grunde ja auch den Lehrstuhl für Reaktordynamik und Reaktorsicherheit aufgebaut. War es damals eine schwierige Sache, dafür Fachleute gewinnen zu können, denn das war doch ein neues Gebiet? Birkhofer: Eigentlich überhaupt nicht. Zu der Zeit war die Kernenergie gesellschaftspolitisch überhaupt nicht umstritten. Stattdessen hat man in ihr eine neue Technologie gesehen, die zu unterstützen ist. Die Bundesregierung hat das damals mit der Zustimmung aller Parteien auch getan. Daher gab es auf diesem Gebiet eine große Aufbruchsstimmung. Mir ging es schon sehr früh darum, sicher zu sein, dass dann, wenn Kernenergie eingesetzt wird, dies extrem sicher gemacht wird. Dazu muss man die Prozesse verstehen, um sicher sein zu können, dass die Schutzmaßnahmen ausreichend sind. Das war eigentlich mein immerwährender Ansatz. Gruber: Wenn ich das recht sehe, dann ging es von Anfang an um die Technik, um die Konzepte, wie das funktioniert, und um die Sicherheit. Es gab also schon von Anfang an das Gefühl, dass das keine Anlage wie irgendeine andere ist, sondern dass das sehr wohl etwas besonders Sicherheitsrelevantes ist. Birkhofer: Absolut. Gerade die Anfangszeit, als z. B. in Kahl das erste Kernkraftwerk in Deutschland gebaut worden ist, das in den Jahren 1960/61 in Betrieb ging, war für mich eine sehr schwere Zeit, denn ich musste die Leute von der Industrie immer wieder davon überzeugen, dass es dabei nicht darum geht, den Brenner in einem Kraftwerk durch eine Kernspaltung zu ersetzen, sondern dass damit auf die Industrie eine ganz anders geartete Verantwortung zukommt und dass dabei Sicherheitsmaßnahmen in einem völlig anderen Ausmaß geplant und eingesetzt werden müssen. Es war schon eine hochinteressante, aber auch schwierige Zeit, die Reaktorsicherheit als notwendige und eigenständige Fachdisziplin in den Köpfen der Menschen zu etablieren. Gruber: Das machen Sie nun schon seit Jahrzehnten und tun es auch immer noch. Ich denke auch, dass man sich am Anfang nur gesagt hat: "Was ist schon ein Atomreaktor? Das ist doch auch nur so etwas wie ein Tauchsieder." Aber das hat sich dann doch etwas verändert, denn es kamen eben diese beiden großen Ereignisse: Harrisburg und Tschernobyl. 1979, Three Mile Island, Harrisburg: Der Reaktor funktioniert nicht mehr, so wie er soll, und läuft aus dem Ruder. Wie haben Sie das damals erlebt? Birkhofer: Ich war schon damals Mitglied der Sicherheitskommission. Wir sind damals von der sozial-liberalen Bundesregierung gebeten worden zu untersuchen, ob diese Dinge denn auch bei uns stattfinden könnten. Da ich immer schon sehr intensiven Kontakt mit den Kollegen in den USA pflegte, hatte ich auch während des Unfalls mit der damaligen amerikanischen Fachkommission, das war die "Atomic Energy Commission" – engen Kontakt über den Ablauf des Unfalls. So konnten wir schon sehr früh nachprüfen, dass bei uns ein derartiger Unfallablauf aufgrund der etwas anderen Schutzmaßnahmen, die wir schon sehr früh getroffen hatten, nicht möglich bzw. sehr unwahrscheinlich wäre. Deswegen konnten wir die Bundesregierung davon überzeugen, dass keine Abschaltungen notwendig sind, sondern dass wir in aller Ruhe prüfen können, ob noch etwas verbessert werden kann – was wir in Einzelfällen dann auch getan haben. Gruber: Das Thema, dass bestimmte Anlagen nicht zu vergleichen sind, hat die Diskussion ja noch lange nach Tschernobyl begleitet. Aber dieser amerikanische Reaktor war doch wirklich in gewisser Weise mit deutschen Reaktoren vergleichbar. Das Problem, dass es dort in Harrisburg zu einer gewaltigen Wasserstoffexplosion hätte kommen können, scheint die Diskussion ebenfalls bis heute zu begleiten. Birkhofer: Dazu muss man ein paar Dinge sagen. Sie haben völlig Recht: Die Grundkonzeption des Reaktors in Harrisburg ist vergleichbar mit den Reaktoren, die bei uns in Betrieb sind – vor allem deshalb, weil ja das Kernkraftwerk, das in Mühlheim-Kärlich gebaut worden ist, von demselben Industrieunternehmen geplant worden war, das auch schon die Anlage in Harrisburg geplant hatte. Allerdings haben wir dann in unserem Prüfverfahren die Anlage wesentlich ändern lassen. Daher kommt es, dass der in Harrisburg aufgetretene Unfallablauf bei uns eigentlich gar nicht hätte passieren können. Trotzdem, da haben Sie völlig Recht, untersuchen wir nach wie vor, was das Schlimmste ist, das passieren kann. Wenn die Kühlung an einem Kraftwerk ausfällt, dann bildet sich auch dann immer noch Wärme, wenn das Kraftwerk schon abgestellt ist. Diese Wärme kann so stark werden, dass sich die Hüllen, in die der Brennstoff eingeschlossen ist, aufheizen, mit Wasser reagieren und damit Wasserstoff freisetzen. Das war in Harrisburg passiert. Wir haben uns in Deutschland mit diesem Phänomen sehr stark auseinandergesetzt und dazu auch Forschungsvorhaben angestoßen. Diese Forschungsvorhaben hatten das Ziel, Rekombinationsmöglichkeiten zu schaffen, d. h., Möglichkeiten zu schaffen, dass der Wasserstoff nun seinerseits mit Sauerstoff reagieren kann und dadurch die Explosionsgefahr beseitigt wird. Da sind nun Einrichtungen in der Entwicklung gewesen, von denen ich ausgehe, dass sie nun auch eingebaut werden. Gruber: Das ist nun ein für mich sehr interessanter Punkt. Es ist für einen Laien ja nur sehr schwer nachzuvollziehen, was da eigentlich überhaupt passiert ist. Im Detail trifft das meiner Meinung nach auf Tschernobyl genauso zu. Soweit ich das bei Ihnen nachgelesen habe, scheint mir das Verhältnis zwischen der eingebauten Sicherheit der Anlage und dem Verhalten der Menschen – also der Ausbildung der Menschen – ein wichtiger Punkt zu sein. Wie ist dieses Verhältnis zwischen Mensch, Maschine und Computeranlage? Birkhofer: Das ist völlig richtig. Harrisburg hat uns zum ersten Mal gezeigt, dass die Ausbildung des Personals eine ganz wichtige Rolle spielt. Das Personal in Harrisburg wurde, wenn ich das so sagen darf, relativ schmalspurig ausgebildet. Einer der Hauptkritikpunkte der amerikanischen Untersuchungskommission war ja, dass die Ausbildung sehr viel breiter angesetzt werden muss. Wir haben in Deutschland an den Simulatoren eigentlich immer schon versucht, nicht a priori die Mannschaften auf bestimmte Störfallabläufe zu trimmen. Stattdessen ging es mir immer darum, sie soweit zu bringen, dass sie den Prozess verstehen. Das heißt, es geht darum, intellektuell sofort zu verstehen, was im Moment im Kraftwerk eigentlich ablaufen kann. Bei Tschernobyl war es so, dass das Personal sicherlich sehr kenntnisreich war: Es wusste aber nicht, weil es zu schlecht informiert war, dass der Zustand des Reaktors extrem gefährlich ist. Zweitens war es damals in der Sowjetunion möglich, dass Sicherheitseinrichtungen abgestellt werden konnten. Das wurde von Zeit zu Zeit auch immer wieder gemacht. So kam zu einem Kraftwerk, dass bei uns gar nicht genehmigungsfähig wäre, ein nicht vollständiges Wissen des Personals: Daher kam es zu diesen Fehlhandlungen, die zu dem Unfall geführt haben. Gruber: In jedem Fall liegt aber eine äußerst komplexe Technik vor. Ist der Eindruck richtig, dass Ingenieure eigentlich doch eher sagen, dass man durch geeignete Maßnahmen, durch Weiterentwicklungen etc. Sicherheit garantieren kann? Daneben steht aber das bekannte Gesetz von Murphy: "Was schiefgehen kann, geht auch irgendwann einmal schief!" Das betrifft sicherlich auch eine so hoch komplexe Technik wie die Reaktortechnik. Birkhofer: Ich glaube, ich habe nie gesagt, dass Kernkraftwerke absolut sicher sind. Gerade die Studien, die wir gemacht haben, zeigen ja, dass immer ein gewisses Restrisiko vorhanden ist. Die Aufgabe, die ich sehe, besteht darin, darauf zu achten, dass dieses verbleibende Risiko immer kleiner gemacht wird. Diese Maßnahmen können technischer Art sein, aber sie sind mehr und mehr auch organisatorischer Art. Das heißt, wir haben schon vor Jahren den Begriff der Sicherheitskultur eingeführt: Das bedeutet, dass die Organisationen, die mit Kerntechnik umgehen, so aufgebaut und so mit Menschen besetzt sein müssen, dass sie sich immer wieder fragen, ob denn das, was sie gerade machen, sicherheitsmäßig verantwortbar ist. Es geht also immer wieder um dieses Nachfragen. Das ist für mich ein ganz wichtiges Element, das noch stärker zum Tragen kommen muss – vor allem wenn ich mir die internationale Szene anschaue. Gruber: Im Betrieb eines Kernkraftwerks trauen Sie dem Menschen bei einem Störfall ja nicht allzu viel zu. Sie versuchen doch, wenn ich das recht verstanden habe, dem Menschen eine halbe Stunde Zeit zu geben, damit er sich über die Situation klar wird und aus dem Stress herauskommen kann. In dieser Zeit ist man dem System dieser Anlage völlig ausgeliefert. Mich stört ein wenig die Vorstellung, dass da die Anlage alleine vor sich hinarbeitet und die Menschen im kritischen Fall einfach daneben stehen müssen. Birkhofer: Es ist nicht so. Aber Sie haben völlig Recht, dass wir versucht haben, den Menschen durch diese Karenzzeit zu entlasten. Denn wenn eine Störung passiert, dann steht der Mensch unter Stress. Wenn er aber unter Stress steht, dann kann es passieren, dass er eine Fehlhandlung macht. Insofern waren wir in Deutschland die ersten, die diese Karenzzeit eingeführt haben. Wir haben aber gleichzeitig verlangt, dass die Industrie ein sehr feinmaschiges Fühlernetz in die Kraftwerke einbaut, so dass die Schutzeinrichtungen immer wieder sehr genau überprüfen können, ob dieser oder jener Parameter nun hochgelaufen ist oder nicht. Das sind ganz einfache Größen wie Drücke, Temperaturen, Massendurchsätze usw., auf die die Schutzeinrichtungen reagieren können und von denen sie auch angesteuert werden. Der Mensch, der Operateur, kann die Anlage genau verfolgen: Er hat alle Instrumente und mittlerweile auch die Rechner unmittelbar vor sich. Er kann damit alle Parameter verfolgen und sich vergewissern, ob das System richtig reagiert. Sollte dann schlimmstenfalls etwas passieren, dann haben wir ja immer noch diesen darüber gelagerten Schutz, der verhindert, dass es dann zu einem schweren Unfall kommt. Da hat der Mensch dann wieder die Möglichkeit einzugreifen. Es kann eigentlich kaum vorkommen, dass die Anlage in einer relativ kurzen Zeit in einen nicht mehr beherrschbaren Zustand kommt. Das ist ganz wichtig: Die Anlagenträgheit spielt eine ganz wichtige Rolle. Gruber: Hier hat sich die Diskussion ja auch oft im Kreis gedreht. Man hat gesagt: "Es hat Harrisburg gegeben, es gab Tschernobyl. Ihr versichert uns, dass bei uns aber alles ganz anders wäre." Auf diesen Glauben, auf dieses Vertrauen, soll eine Gesellschaft dann ihre Energiepolitik aufbauen, zumindest zu einem wesentlich Teil. Aus diesem Zirkel kommen wir meinem Eindruck nach nicht heraus. Birkhofer: Mein Eindruck ist, dass heute die Sicherheit der Kernkraftwerke weniger zur Diskussion steht als die Behandlung des radioaktiven Abfalls. Diesen Eindruck habe ich, und ich glaube, hier wird man noch viel tun müssen, um zu einem besseren Verständnis über die Langfristigkeit dieser Sache zu kommen. Man wird auch viel tun müssen, um zu einem verbesserten Dialog über die Notwendigkeit bestimmter Barrieren zu kommen: Das betrifft z. B. die Geologie und die Frage, wie das bei Salzdomen oder meinetwegen bei Graniteinrichtungen aussieht. Das wird die Aufgabe der nächsten Jahre sein. Das ist vor allem unabhängig davon zu sehen, wie lange die Kernkraftwerke laufen: Denn der Abfall ist weltweit trotzdem vorhanden. Gruber: Dieses Problem wird uns noch lange begleiten. Nun sind ja hier in Deutschland einige Dinge aus der Schusslinie genommen. Es sollte eine Wiederaufbereitungsanlage gebaut werden, aber in Niedersachsen hieß es damals, dass das dort politisch nicht durchsetzbar sei. Hier in Bayern sollte das aber sehr wohl gehen. Es kam dann aber auch hier nicht dazu. Es war einst auch der "Schnelle Brüter" geplant: Er ist sogar gebaut worden, aber er ist nie in Betrieb genommen worden. Der "Schnelle Brüter" hätte ja die Uranressourcen optimal ausnützen sollen. Es scheint also in der Gesellschaft doch einen ganz starken Widerstand gegeben zu haben: Wie sehen Sie denn das Verhältnis von Gesellschaft und Kerntechnik auf diesem breiten Gebiet heute? Birkhofer: Sie haben völlig Recht, dass man ein System namens Kernenergie nicht völlig isoliert betreiben und auch nicht verantworten kann. Das heißt, man muss auf diesem Gebiet den Dialog mit der Gesellschaft suchen. Man muss dabei auch zuhören können, und man muss die Bedenken der Gesellschaft auch ernst nehmen. Man muss immer wieder prüfen, ob man diesen Bedenken im Betrieb auch Rechnung trägt – wobei ich hier mit dem Wort "Betrieb" wiederum Technik und Organisation meine. Hinsichtlich des "Schnellen Brüters" ist Folgendes hier kurz zu erwähnen. Sie erinnern sich, dass man in Frankreich, in den USA, in Japan und in Großbritannien sehr viel stärker auf die Brüter-Technik gesetzt hat. Dort kam der Brüter aus zwei Gründen zum Stop. Der Ausbau der Kernenergie verlief einfach sehr viel langsamer als ursprünglich gedacht. Daher ist es zweitens so, dass die Uranreserven – wie immer bei solchen Reserven – wieder größer wurden, so dass es nach Ansicht der Experten bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts kein Problem sein wird, Uran zu bekommen. Gruber: Bedeutet das, dass die Technologie des Brüters vielleicht in der Zukunft wieder einen stärkeren Auftrieb erhalten wird? Birkhofer: Das kann sein, aber das ist schwer abzuschätzen. Man wird sich dabei z. B. fragen müssen, wie denn die Energieversorgung künftig aussehen soll, wie die Reserven in den konventionellen Energieträgern wie Öl und Gas beschaffen sind und welche Rolle regenerative Energien künftig spielen können. Die überwiegende Mehrheit der Experten sagt, dass die Kernenergie nach wie vor schon noch eine Rolle spielen wird. In einer Reihe von Ländern wie z. B. in Frankreich oder Japan wird zum Brüter ja auch noch weiter geforscht, um hier vielleicht doch noch eine verbesserte Technik einbringen zu können. Gruber: Sie sind nun nicht mehr Vorsitzender der "Reaktorsicherheitskommission", und vielleicht haben Sie nun deshalb um so mehr Zeit für Reisen rund um den Globus in Sachen Kerntechnik. Sie waren erst kürzlich in Nordkorea: Es ist ja eine ganz interessante Geschichte, die dort läuft. Birkhofer: Ich reise nicht in Sachen Kernenergie sondern in Sachen Reaktorsicherheit. Gruber: Gut, das sollten wir unterscheiden. Birkhofer: In Korea geht es darum, dass die amerikanische Regierung der nordkoreanischen Regierung Folgendes vorgeschlagen hat: Wenn sie dort die Waffenentwicklung aufgeben, dann will man mit zwei Kernkraftwerken, die in Nordkorea gebaut werden sollen, die Stromversorgung etwas verbessern. Dieses Projekt ist derzeit im Anlaufen, und man hat mich gebeten, den Vorsitz der Reaktorsicherheitskommission zu übernehmen. Dieses Projekt wird durch eine internationale Gruppierung finanziert, im Wesentlichen durch die USA, dann durch Südkorea und ein wenig durch die EU. Hier geht es mir darum, sicher zu sein, dass nicht nur die Technik in Ordnung ist, sondern vor allem darum zu fragen, ob es in Nordkorea möglich ist, innerhalb der nordkoreanischen Regierung ein verantwortungsbewusstes System aufzubauen. Denn im Grundsatz bin ich nicht dafür, dass Kernkraftwerke in Entwicklungsländern gebaut werden – zumindest nicht diese Maschinen, wie sie vielfach betrieben werden. Ich glaube, es gibt Entwicklungen mit Hochtemperaturreaktoren kleiner Größe: Da müsste man allerdings prüfen, ob man denn in solchen Ländern derartige Anlagen, die noch weniger fehlertolerant sind als die Anlagen, die bei uns betrieben werden, wirklich einsetzen könnte. Gruber: Kerntechnik ist also doch nur etwas für die hoch industrialisierten Länder, für die Länder mit einem bestimmten Level an Ausbildung für das Personal. Birkhofer: Ja. Das Personal muss vor allem ein hohes Verantwortungsbewusstsein haben. Die industrialisierten Länder im Westen haben aufgrund ihrer Tradition ein Gefühl der Verantwortung gegenüber der Technik aufgebaut. Wir sind ja Gott sei Dank nicht mehr technikgläubig wie noch zu Beginn dieses Jahrhunderts oder wie im letzten Jahrhundert, sondern wir wissen mit der Technik im Grundsatz verantwortungsbewusst umzugehen. Das will ich haben: Jedes Land, das Kernenergie betreibt, muss dies eben auch entwickeln. Gruber: Die Industrie eines Landes, das Reaktoren bauen kann, wird immer daran interessiert sein, noch mehr Reaktoren verkaufen zu können – wohin auch immer. Ich sehe da also durchaus eine Gefahr, wenn man Kernenergie weltweit in alle Länder, die sich dafür interessieren, verbreiten würde. Wie kann man denn das steuern? Birkhofer: Ich sehe das auch so und war bis jetzt auch Vorsitzender einer internationalen Sicherheitskommission. Die Vereinten Nationen haben ja eine Kernenergieorganisation, die sich vor allem mit diesen Fragen auseinandersetzt. Ich dränge darauf – und wenn ich noch einmal mitmachen sollte, werde ich das noch stärker versuchen –, dass die Gesamtverantwortung für den Bau von Kernkraftwerken im Ausland von dem Staat, der diese Kraftwerke liefert, über die Industrie hinaus noch sehr viel stärker wahrgenommen werden muss, als das in manchen Ländern bisher der Fall war. Man darf da allerdings nicht pauschalieren, denn ich glaube, dass gerade die Bundesrepublik Deutschland dabei immer beispielhaft war. Immer dann, wenn Kernkraftwerke geliefert worden sind, hat sie diese jeweiligen Staaten beim Aufbau dieser Technologie unterstützt, ob das nun in Argentinien oder vor allem auch in Brasilien war. Gruber: Nun wird ja am Ort Ihres Instituts auch die Nachfolgeeinrichtung des "Atomeis" gebaut: der Forschungsreaktor München II. Waren Sie in irgendeiner Weise mit diesem Projekt befasst? Birkhofer: Nein, überhaupt nicht, obwohl mein Büro gleich nebendran ist. Gruber: Sie können also hinüber schauen. Birkhofer: Ja, ich kann hinüber schauen. Das ist dort die Fakultät für Physik. Die Reaktorsicherheitskommission, der ich damals vorstand, hat dieses Vorhaben geprüft, aber aus der Diskussion habe ich mich herausgehalten. Gruber: Darf ich Sie da trotzdem etwas fragen? Ein wichtiger Punkt in der aktuellen Diskussion um diesen Reaktor ist, dass das Brennelement – in dem Fall ist es wohl wirklich nur ein Brennelement, das die Neutronen erzeugen soll – nicht wirklich in einem Praxistest geprüft worden ist, dass diese Prüfungen alle nur über Simulationen abgelaufen sind. Ist das ein richtiges Argument: Simulation versus Praxistest? Birkhofer: Natürlich wird man da genau prüfen müssen. Ich bin nun nicht genau informiert, aber ich vermute doch, dass auch da ein Eins-zu-eins-Versuch gemacht wird. Das heißt, wir sprechen dann in dem Fall von einem Dummy. Das ist ein Element, das genauso aussieht, wie das, das eingesetzt wird – allerdings nicht mit hoch angereichertem Uran. Dabei können alle Versuche gefahren werden, die für die Sicherheit notwendig sind, nämlich die ganzen Kühlversuche. Es geht also um die Frage, ob dieses Element unter allen möglichen Bedingungen ausreichend gekühlt wird. Das muss der Versuch zeigen, und wenn der Versuch das nicht zeigt, dann ist da etwas falsch. Aber ich gehe schon davon aus, dass die Versuche so geplant sind. Gruber: Wir werden das sehen. Wenn Sie von Ihrem Institut, also vom Campus in Garching, nach München hineinfahren, dann kommen Sie, wenn Sie hierher ins Studio des "Bayerischen Fernsehens" fahren, mittlerweile ja an so etwas wie einem zweiten Wahrzeichen vorbei, nämlich am großen Windrad in Großlappen. Früher gab es im Münchner Norden nur das "Atomei", und jetzt haben wir auch das Windrad dort oben auf diesem Hügel. Ist das für Sie ein Zeichen, dass sich in der Einstellung der Gesellschaft zu den Fragen der Energieversorgung und der langfristigen Energiesicherung tatsächlich etwas grundsätzlich geändert hat? Birkhofer: Ich glaube nicht. Ich sehe, und darüber bin ich eigentlich sehr froh, dass sich gewisse Möglichkeiten der regenerativen Stromerzeugung gegenüber dem, was wir vor 20 Jahren in der Enquete-Kommission diskutiert haben, sehr weit entwickelt haben. Insofern bin ich also froh darüber, dass hier unter bestimmten Möglichkeiten die Windenergie nun bereits an die Grenzen des Wirtschaftlichen heranreicht. Wobei ich das aber nicht wirklich genau verstehe, und deshalb will ich dazu nichts weiter sagen. Ich freue mich also, wenn es gelingt, einen gewissen Anteil des Strombedarfs regenerativ zu erzeugen. Ich glaube aber nicht, und alle meine Kollegen, die sich an den Universitäten mit Energiewirtschaft beschäftigen, weisen das ebenfalls immer wieder nach, dass es möglich sein wird, in den nächsten 30, 40 Jahren einen ganz erheblichen Anteil des Stroms durch regenerative Quellen zu erzielen. Alle Studien weisen dies so aus. Gruber: Dahinter steht natürlich auch die Klimadiskussion und das Stichwort des "sustainable development", also das Stichwort einer langfristig tragbaren Entwicklung. Welchen Beitrag leistet aus Ihrer Sicht die Kernenergie für eine langfristig umweltverträgliche und sicher auch sozialverträgliche Energieversorgung? Birkhofer: Sie kann das leisten, sie kann aus verschiedenen Gründen einen ganz erheblichen Beitrag liefern. Sie emittiert nämlich kein CO2. Sie hat allerdings die radioaktiven Abfälle: Wir müssen uns noch sehr viel stärker damit auseinandersetzen, was wir mit diesen radioaktiven Abfällen machen. In der Forschung gibt es Möglichkeiten, dies etwas zu entspannen, indem man die sehr langlebigen Strahlen herausnimmt, sie bei der Wiederaufbereitung abtrennt und dann wieder verbrennt. Es gibt da auch Vorschläge, die dazu notwendigen Maschinen zu bauen. Es gäbe hier also durchaus Möglichkeiten. Insgesamt gäbe es also eine Reihe von Elementen, die die Kernenergie auch im Sinne einer Diskussion über die Nachhaltigkeit als interessant erscheinen lassen. Wichtig scheint mir dabei auch noch zu sein, dass der Rohstoff Uran ansonsten keine Verwendung findet. Wenn man sich demgegenüber jedoch die Rohstoffe Öl und Gas – und vielleicht später auch einmal Kohle – ansieht, dann sieht das dort doch ganz anders aus. Wobei bei der Kohle wegen der großen Vorräte wirklich ein anderer Sachverhalt vorliegt. Ich glaube, dass hier die Kernenergie im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung – so wird das international auch gemacht – immer wieder zu prüfen ist: Muss man etwas tun, müsste man etwas tun oder hätte man sie aus diesem oder jenem Grund aufzugeben? Gruber: Sie haben das Thema der atomaren Abfälle bereits angesprochen. Mir scheint es da einen gewissen Widerspruch zu geben, denn diese Langlebigkeit der gefährlichen Strahlung ist für bestimmte Anteile ganz einfach gegeben. Das heißt, in die Zukunft hinein betrachtet, bürden wir damit doch den nachfolgenden Generationen eine gewaltige Hypothek auf in dem Sinne, was sie damit anfangen sollen. Birkhofer: Ich meinte damit, dass wir das ganz einfach prüfen müssen. Jede industrielle Tätigkeit bürdet den nachfolgenden Generationen bestimmte Hypotheken auf. Wir werden daher auch einmal zu diskutieren haben, ob diese "Hypothek" tragbar ist. Wobei ich das in Anführungszeichen setzen will und darf, weil ja gerade hinsichtlich der Behandlung und Lagerung radioaktiver Abfälle die Technik und das Verantwortungsbewusstsein der Kernenergie extrem hoch ist: nämlich durch diese lange Isolierung im Gestein oder im Boden. Daher werden wir genau diese Frage ganz vertieft diskutieren müssen: Welche Hinterlassenschaften gibt es noch, und ist da die Kernenergie einmalig, oder sind die Maßnahmen, die jetzt weltweit geprüft werden, ausreichend? Oder sind diese Maßnahmen nicht ausreichend, und muss man in der Forschung da noch weitergehen? Ich habe ja einen Weg aufgezeigt, wie man weitergehen kann. Das meinte ich damit, wenn ich sage, dass das noch zu prüfen sei. Gruber: Könnten Sie diesen Weg, wie man weitergehen kann, kurz skizzieren? Birkhofer: Indem einfach die langlebigen Strahlen in einem Prozess chemisch abgetrennt werden und in einem Beschleuniger, der sehr energiereiche Neutronen produzieren kann, quasi gecrackt werden. Gruber: Ist das nicht auch wieder eine sehr energieaufwändige Variante? Birkhofer: Sie ist etwas energieaufwändig, aber sie ist momentan noch im Forschungsstadium. In Frankreich muss dieses Stadium per Gesetz im Jahr 2006 abgeschlossen sein, weil das Parlament dann prüfen will, ob man diesen Weg weitergehen soll oder nicht. Gruber: Das scheint mir zumindest doch realistischer als die Vorstellung, den atomaren Müll z. B. in den Weltraum zu schießen. Birkhofer: Absolut. Die Frage ist nur, ob das in einem größeren Maßstab machbar ist. Das muss nun gezeigt werden. Vielleicht ist so ein Vorgehen auch notwendig: Auch das ist noch einmal zu prüfen, denn auch die radioaktiven Abfälle zerfallen ja, zeigen also Eigenschaften des radioaktiven Zerfalls. Man muss daher die Frage noch einmal genau überprüfen, wann man einen Zustand erreicht, bei dem die Radiotoxizität des im Erdreich verbliebenen Stoffes dem entspricht, was die normale Radiotoxizität des natürlichen Erdreichs sowieso ausmacht, denn die Radioaktivität kommt in der Natur selbst ja auch vor. Gruber: Ja, überall: auch in uns selbst. Das Thema der Entsorgung radioaktiven Abfalls galt ja einst auch als ein Schlüsselthema, um die Kernenergie zum Stillstand zu bringen. Man sagte: "Wenn die Entsorgung nicht gelöst wird oder wenn wir die Entsorgung irgendwo unterbrechen können, dann müssen alle Reaktoren irgendwann einmal dicht gemacht werden." Ich muss sagen, dass ich im Augenblick den Eindruck habe, dass diese Sache tatsächlich so funktionieren könnte. Denn diese lange Diskussion über die atomare Entsorgung, über Endlager, über Forschungen dazu wirkt auf mich wie ein endloses Spiel. Das scheint zu keinem Ende zu kommen. Birkhofer: Es ist hier schwierig zu antworten, weil man da sehr differenziert vorgehen muss. Wenn ich mir für die Bundesrepublik Deutschland den Sachverhalt anschaue, dann haben wir in Gorleben diesen Salzstock – der ja bereits seit über hundert Millionen Jahren so vorhanden ist –, bei dem die Untersuchungen immer wieder unterbrochen worden sind. Das heißt, er konnte nie zügig untersucht werden: Die Untersuchungen sind auch momentan wieder gestoppt worden, soweit ich weiß. Das heißt, hier geht es darum, dass man an einem Medium wie Steinsalz prüfen muss, ob dieses Medium, so wie es hier vorliegt, für ein Endlager geeignet ist. Diese Prüfungen und Forschungen konnten einfach bis heute nicht abgeschlossen werden. Ähnlich sieht es auch in anderen Ländern aus. Gruber: Aber es ist doch interessant, dass sich das über so viele Jahre in Bezug auf diese unterschiedlichen Medien hinzieht. Nirgendwo scheint man die Traute zu haben zu sagen: "O. k., das wird unser Endlager!" Birkhofer: Ich glaube, dass hier noch ein anderer Punkt eine Rolle spielt. In den anderen Ländern, sei es in den USA oder in Frankreich, hat man die Lösung des Endlagers nie als vordringliche Aufgabe angesehen, weil man die Brennelemente, wenn sie ausgedient sind, ja sehr gut zwischenlagern kann – und diese Menge auch relativ klein ist. Insofern sind wir hier in Deutschland eigentlich das einzige Land, das die Frage der Bereitstellung eines Endlagers seit dem Ende der siebziger Jahre sehr massiv verfolgt hat. Bei uns hat die jeweilige Regierung immer Druck auf die Industrien ausgeübt, hier Vorschläge auszuarbeiten und auch Untersuchungsprogramme zu starten. Gruber: Vielleicht wäre das wirklich die ideale Möglichkeit: Man baut oberirdische Endlager und hat so die Sache immer im Blick und im Griff, so dass man damit jederzeit wieder etwas Neues anfangen kann. Birkhofer: Ich würde das nicht oberirdisch bauen. Ich sagte ja, dass man diese Frage noch einmal sehr intensiv diskutieren muss: Ich würde sie also unterirdisch bauen, aber in einer Form, dass man die Elemente auch wieder zurückholen kann. Das wären dann so genannte rückholbare Lager. Gruber: Das heißt, Sie würden das also nicht einfach verbuddeln und den kommenden Generationen überlassen. Birkhofer: Vor allem ist es ja so, dass Brennelemente, wenn sie endgelagert werden sollen, noch immer sehr viele Wertstoffe in sich haben: Sie haben Uran, sie haben Plutonium in sich. Wenn man das später eines Tages brauchen sollte, dann könnte man es auf diese Weise wieder herbeiholen. Gruber: Insofern wäre das dann eine positive Hinterlassenschaft für die nächsten Generationen: So könnte man das ja auch sehen. Birkhofer: Man muss das prüfen, denn ich will hier keine Propaganda machen: weder dafür noch dagegen. Gruber: Kommen wir von der Endlagerung vielleicht noch einmal zurück zum Reaktorbetrieb, zu Ihrem eigentlichen Fachgebiet. Frankreich und Deutschland haben ja über Jahre hinweg einen neuen Reaktortyp entwickelt, einen Reaktortyp, der noch sicherer sein soll. Wird dieses Projekt gegenwärtig noch weiter verfolgt? Birkhofer: Ja, in Frankreich wird es weiter verfolgt. Ich könnte mir vorstellen, dass die französische Regierung einen Baubeschluss gegen Ende dieses bzw. zu Beginn des nächsten Jahres unterstützen wird. Wir haben eben versucht, und das ist uns auch weitgehend gelungen, dass unsere Vorstellungen über die sichere Konzeption eines neuen Kernkraftwerks mit in dieses Projekt eingegangen sind. Das ist bislang erfolgt. Leider gibt es hier aber momentan Schwierigkeiten. Gruber: Ich habe ein bisschen ein Problem damit. Denn früher hat es ja immer geheißen, dass unsere Kernkraftwerke sicher seien. Was soll dann ein noch sicherer Reaktor sein? Birkhofer: Ich glaube, Sie sind ja auch einverstanden damit, dass man Autos heute mit Airbags ausrüstet – und trotzdem würden Sie vermutlich über eine gewisse Zeit auch ein Auto ohne Airbag fahren. Mit anderen Worten: Wenn man etwas besser machen will, dann heißt das ja nicht, dass das, was man derzeit hat, schlecht ist. Das ist vielleicht das Vorteilhafte am Ingenieur: Er will immer wieder weiterdenken, er will immer alles noch besser machen. Man muss aber auch immer wieder prüfen, ob das, was er in seiner Vorstellung besser machen will, auch wirklich zu Verbesserungen führt, denn das ist manchmal doch ein Problem. Gruber: Das muss also offen bleiben. Aber wie ist denn die Konzeption dieses neuen Typs? Wenn Sie vielleicht nur in knappen Zügen erklären könnten, worin das Kernstück besteht, von dem man sagen kann, dass das nun wirklich ein Reaktor sei, der die Umwelt auch im Fall eines Störfalls nicht belastet? Birkhofer: Das ist genau diese neue Konzeption: Man trifft hier Maßnahmen für den Fall, wenn gar nichts mehr funktionieren würde am Reaktor. Wenn überhaupt nichts mehr von dem funktionieren würde, was man vorgesehen hatte, dann käme es ja auch zu einem Abschmelzen des Reaktors und dann würde langfristig eine Freisetzung erfolgen können. Dieses Unfallszenario, dass alles ausfallen würde, hat man dieser Konzeption hinsichtlich bestimmter Abläufe zugrunde gelegt. Man kann nicht sagen, dass das nun zu hundert Prozent absolut sicher sein wird, aber wir haben noch für den extrem unwahrscheinlichsten Fall theoretisch ausgerechnet, was dann wiederum das Wahrscheinlichste sein wird: Und genau dafür haben wir Schutzeinrichtungen eingebaut. Diese Schutzeinrichtungen werden verhindern, dass Radioaktivität in einem größerem Umfang austritt. Gruber: Das ist meiner Einschätzung nach in der allgemeinen Diskussion immer das Problem: Wir reden über Risiken, über Unwahrscheinlichkeiten und Wahrscheinlichkeiten und über sehr unwahrscheinliche Dinge. Aber es bleibt doch hängen, dass trotzdem etwas passieren kann. Birkhofer: Das ist schon richtig. Das ist so wie bei allem. Jeder von uns geht ab dem Augenblick, an dem er zum Leben erwacht, Risiken ein: bewusst und unbewusst. Ob man sich nun unser Leben oder auch die Technik ansieht – und dabei ist es egal, welche Technik da betrachtet wird: Wir haben immer Risiken, die wir auf uns nehmen müssen. Mir geht es nur darum: Wenn die Gesellschaft die Kernenergie weiterhin haben will, dann müssen erstens die Risiken bekannt sein. Daran arbeiten wir massiv. Und zweitens müssen diese Risiken so klein sein, dass sie im Vergleich zu anderen Risiken, die wir auf uns nehmen und die wir auf uns nehmen müssen, ob wir wollen
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