Rheinisch-Westfalische Akademie der Wissenschaften Natur-, Ingenieur- und Wirtsmaftswissenschaften Vortrage . N 253 Herausgegeben von der Rheinisch-WestHilischen Akademie der Wissensmaften KURT HAMDORF Primarprozesse beim Sehen der Wirbellosen DIETRICH HOLST VON Sozialer StreB bei Tier und Mensch Westdeutscher Verlag 230. Sitzung am 8. Januar 1975 in Dusseldorf © 1975 by Westdeutsmer Verlag GmbH, Opladen Gesamtherstellung; Westdeutsmer Verlag GmbH ISBN-13: 978-3-531-08253-0 e-ISBN-131 978-3-322-86132-0 DOl: 10.1 007/978-3-322-86132-0 Inhalt Kurt Hamdorf, Bochum Primarprozesse beim Sehen der Wirbellosen Struktur der photosensitiven Membran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Photochemie der Sehfarbstoffe ............................. S· Die physiologische Bedeutung der Photoregeneration . . . . . . . . . . . . 11 Vergleichende Untersuchungen an anderen Insektenaugen . . . . . . . . 13 Analyse des Zusammenhangs: Sehfarbstoffgehalt - Empfindlichkeit 14 Arbeitshypothesen zum Adaptationsmechanismus .............. 16 Literatur ..................................... ,......... 19 Abbildungen ............................................ 21 Diskussionsbeitrage Professor Dr. rer. nat. Hans-Jurgen Engell; Professor Dr. rer. nat. Kurt Hamdorf; Professor Dr. rer. nat. Johann Schwartzkopf!; Pro fessor Dr. rer. nat. Gunther Dtto Schenck; Professor Dr. phil. Lothar Jaenicke; Professor Dr. rer. nat. Helmut Langer; Professor Dr. phil. Maximilian Steiner. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Dietrich v. Holst, Mlimnen Sozialer StreB bei Tier und Mensch 1. Einleitung ......................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Physiologische Folgen sozialer Interaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a. Auswirkungen von Veranderungen im Verhalten . . . . . . . . . . 43 b. Auswirkungen direkter Beeinflussung bestimmter endokriner Systeme ........................................... 44 c. Auswirkungen unspezifischer StreBreaktionen ............ 44 3. Schwanzstrauben als ein MaB flir den StreB. . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4. Ursache von sozialem StreB bei Tupajas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 a. Unspezifischer Dichteeffekt ........................... 50 b. Soziopsychischer Effekt .............................. 52 6 Inhalt 5. Untersudtungen an anderen Saugetierarten ................. 54 a. Unspezifisdter Didtteeffekt ........................... 54 b. Soziopsydtisdter Effekt .............................. 56 6. Auswirkungen langanhaltender Belastungen .. . . . . . . . . . . . . . . 59 7. SdtluBbemerkungen .................................... 64 Literatur ............................................... 66 Summary............................................... 69 Diskussionsbeitrage Professor Dr. phil. Maximilian Steiner; Professor Dr. rer. nat. Dietrich v. Holst; Professor Dr. phil. Dr. phil h. c. Bernhard Rensch; Professor Dr. rer. nat. Johann Schwartzkopff; Professor Dr. phil. Martin Schmeifter; Professor Dr. rer. nat. Gunther Otto Schenck; Professor Dr. med. Franz Grosse-Brockhoff; Professor Dr. rer. pol. Dr. rer. pol. h. c. Horst Albach; Professor Dr.-Ing. Dr. h. c. Helmut Winterhager; Professor Dr. rer. nat. Werner Schreyer. . . . 71 Primarprozesse beim Sehen der Wirbellosen Von Kurt Hamdorf*, BodlUm Das Prinzip der Photorezeption ist offensichtlich eine einmalige Erfindung der Natur; denn so verschiedenartig die Lichtsinneszellen von z. B. Gruben-, Kamera- und Facettenaugen auch gebaut sein mogen, ihre lichtabsorbieren den Empfangerstrukturen besitzen denselben Typ membrangebundener Ei weilHarbstoffe (Lythgoe, 1972) eines Molekulargewichts um 40 000. An die EiweiBkomponente Opsin dieser Chromoproteide ist stets l1-cis-Retinah oder ll-cis-RetinaI2 (Aldehyd der Vitamine A1 bzw. A2) als chromophore Gruppe angekoppelt (Schiff'sche Basebindung mit der e-Aminogruppe eines Lysins). Dies legt nahe anzunehmen, daB im gesamten Tierreich auch der Reaktionsablauf von der Quantenabsorption am Sehfarbstoff bis zur elek trischen Erregung der Rezeptormembran prinzipiell ahnlich ist. Struktur der photosensitiven Membran Bei den Photorezeptoren der Wirbeltiere wird die Empfangerstruktur, das sogenannte RezeptorauBenglied, aus taschenformigen Membraneinstiilpun gen gebildet (s. Abb. 1). Bei den Farbrezeptoren, den Zapfen, bleiben diese Membrantaschen zum extrazellularen Raum hin geoffnet; bei den Rezep toren des Dammerungssehens, den Stabchen, dagegen werden sie vom extra zelluHiren Raum als flache Membransackchen abgeschniirt. Bei den Stabchen werden bis zu mehreren Tausend derartiger Membransackchen (disks) iiber einander gelagert. - Bei den Tintenfischen (Cephalopoden) und Arthropoden wird die Empfangerstruktur durch fingerformige Membranausstiilpungen (Mikrovilli) von ca. 500 A cp entlang eines Zellfortsatzes oder entlang des Zelleibes gebildet. - Auf Grund der dichtgepackten Membranen besitzen die Empfangerstrukturen von Wirbeltier-und Wirbellosenrezeptoren einen hohe ren Brechungsindex als das umgebende Gewebe bzw. Medium, und sie wir ken daher wie optische Wellenleiter. Licht, welches in physiologischer Ein- .. Mit Unterstiitzung durm die DFG, Ha 258/10, und den Sonderforsmungsbereim "Bio nam" - SFB 114. 8 Kurt Hamdorf strahlungsrichtung in die Empfangerstroktur eintritt, wird ahnlich wie in einem Glasstab weitergeleitet und dabei von dem membrangebundenen Seh farbstoff fortschreitend absorbiert (Hamdorf, Schwemer, Tauber 1968; Snyder 1975). Chemische und physikalische Daten sprechen dafiir, daB die Empfanger membran der Wirbellosen mosaikartig aufgebaut ist, wie in Abb. 2 ange deutet. Die Sehfarbstoffmolekiile tauchen von der Innenseite der Mikrovilli her in die Phospholipid-Doppelschicht ein. Sehr wahrscheinlich ist jedes FarbstoffmoiekiiI auf der Innenseite nur von einem Kranz von Phospho lipidmoiekiiIen umgeben, wahrend die AuBenseite von einer geschiossenen Phospholipidschicht abgedeckt wird. Ein Mikrovillus von 1 f-l Lange ist auf gebaut aus rond 2000 Sehfarbstoff- und rond 160000 Phospholipidmole kiiIen. Die gesamte Empfangerstruktur, z. B. eines Fliegenrezeptors von 200 f-l Lange und 1 f-l Querschnitt, besitzt rond 1,4 . 105 Mikrovilli und somit insgesamt 2 bis 3 . 108 SehfarbstoffmoiekiiIe. Diese MolekiiIdichte bei einer Rezeptoriange von 200 f-l bedeutet, daB 50°/0 bis 90°/0 des in den Lichtleiter eintretenden Lichts absorbiert werden und somit fiir die Lichtwahrnehmung ausgenutzt werden konnen (Hamdorf, Smwemer 1975). Photochemie der Sehfarbstoffe Wird ein SehfarbstoffmoiekiiI im Wirbeltier-, Tintenfisch- oder Insekten rezeptor von einem Lichtquant getroffen, springt das raumlich geknickte ll-cis-RetinaI-Moieklii in die gestreckte all trans-Form urn. Diese sterische Konfigurationsanderong bei der Photoreaktion erfordert eine Aktivierongs menge von ca. 24 Kcal/Mol. Dies ist ein relativ niedriger Energiebetrag im Vergieim zu dem Energiegehalt der absorbierten Quanten. 1m in Frage kom menden sichrbaren bis uv-Bereich variiert die Quantenenergie zwischen 50 und 100 KcaI/Einstein. Der absorbierte Energiegehalt ist somit 2- bis 4fach hoher ais fiir den ll-cis-all-trans-Obergang erforderlich ware. Mit hoher Wahrscheinlichkeit lost daher jedes absorbierte Quant die primare Licht reaktion aus (Huhbard et aI, 1965; Schwemer, Paulsen 1973). Nach dieser primaren Lichtreaktion setzen schrittweise Konformations anderongen am TragereiweiB ein, die begieitet sind von spronghaften Xnde rongen in der spektralen Absorptionseigenschaft (s. a. Stieve 1974). Bei den Wirbeitieren geht der Sehfarbstoff, das Rhodopsin, nach einem Quanten treffer in eine Gruppe sehr kurziebiger Intermediarfarbstoffe iiber, die zu sammenfassend mit P in der Abb. 3 bezeichnet werden. Diese P-Farbstoffe wandein sich im Dunkeln innerhalb einer ns (10-9 sec) in Lumirhodopsin (L) Primarprozesse beim Sehen der Wirbellosen 9 urn. Aus Lumirhodopsin entsteht innerhalb von {IS (10-6 sec) Metarhodopsin I (M I) und aus dies em wiederum innerhalb von ms (10-3 sec) Metarhodop sin II (M II). M lund M II verhalten sich wie Indikatorfarbstoffe. Zwischen M lund M II bildet sich ein pH-abhangiges Gleichgewicht aus. Metarhodop sin III (M III) entsteht aus M II innerhalb von Sekunden, und dieses spaltet dann im Zeitraum von min all-trans-Retinal vom EiweiB, vom Opsin, abo Beim Sehvorgang dcr Wirbeltiere wird also der Sehfarbstoff durch Abspal tung des Chromophors verbraucht - gebleicht - und muB fiir den nachsten Sehvorgang auf chemischem Wege, durch Bindung eines neuen 11-cis-Retinals an das Opsin, regeneriert werden. Die Sehfarbstoffe von Wirbellosen, Z. B. von Tintenfischen und Insekten, bleichen dagegen nach einem Quantentreffer nicht aus. Nach Durchlaufen der kurzlebigen Zwischenprodukte P und L entstehen thermostabile Me tarhodopsine Ms bzw. Mb. Ms und Mb verhalten sich wie die Metarhodop sine M lund MIlder Wirbeltiere, wie Indikatorfarbstoffe. Der pK-Punkt, derjenige pH-Wert, bei dem genau 50% des Metarhodopsins in der Ms-Form vorlicgcn, variicrt artspezifisch. Bei Tintenfischen liegt der pK-Punkt der Metarhodopsine im Bereich des Neutralpunkts urn pH 7 (Abrahamson, Wie senfeld 1972), bei Insektenfarbstoffen kann er zu sehr extremen Wert en ver lagert sein, bis zu pH 9,2 (Schwemer, Gogala, Hamdorf 1971). Fiir diese letzteren Falle ist somit anzunehmen, daB unter physiologischen pH-Bedingungen die Reaktionskette nur bis zum Ms ablauft und kein Mb entsteht. Die elektrische Reizantwort des Rezeptors muB durch einen der ersten schnellen Reaktionsschritte bei der Farbstoffkaskade ausgelost werden. Wel cher dieser Reaktionsschritte hierfiir letztlich verantwortlich ist, laBt sich Z. Z. nom nicht eindeutig festlegen. Auf Grund kinetischer Daten kann jedoch mit Sicherheit gesagt werden, daB nur die Reaktionsschritte bis zum M II schnell genug sind, urn mit der Potentialbildung (die innerhalb von ms einsetzt) korreliert zu werden. Der Befund nun, daB bei einem Insekt unter physiologischen pH-Bedingungen praktisch nur Ms gebildet wird, weist dar auf hin, daB bereits der Obergang von L nach Ms den AnstoB zur Membran erregung liefern konnte. Wahrend die Sehfarbstoffe der Wirbeltiere vorziiglich auf chemischem Wege, moglicherweise unter Aufwendung von Stoffwechse1energie, regene riert werden miissen, erfolgt die Regeneration der Sehpigmente bei den Wir bellosen auf photochemischem Wege, ohne Aufwendung von Stoffwechsel energie. Quantentreffer an den M-Farbstoffen lassen das all-trans-Retinal zuriickspringen in die 11-cis-Konfiguration. Ohne weitere Energiezufuhr entsteht dann spontan wieder der Sehfarbstoff, das Rhodopsin. Diese PhotoL 10 Kurt Hamdorf regeneration wurde erstmalig von Brown u. Brown 1958 am Tintenfisch Rhodopsin qualitativ gezeigt. Bei der von uns untersuchten Octopus art Eledone moschata sind die Absorptionsmaxima von Rhodopsin und Meta rhodopsin relativ weit, urn rund 50 nm, spektral voneinander getrennt (Abb.4). Dieser Sehfarbstoff ist daher besonders geeignet, die Photoriick reaktion von Ms nach R quantitativ zu bestimmen. Wird ein saurer Rhodop sinextrakt monochromatisch belichtet, so stellt sich in kurzer Zeit ein photochemisches Gleichgewicht zwischen R und Ms ein. Dieses photo chemische Gleichgewicht wird allein bestimmt yom Verhaltnis der beiden Absorptionskoeffizienten und bei der jeweiligen Bestrahlungswellen <XR <XMs lange (<XIV<XMs = [Ms]/[RJ). Z. B. fiihrt eine Belichtung im isosbestischen Punkt, also am Ort gleicher Absorptionskoeffizienten, zu einem Gleichge wicht von genau 50% R und 50% Ms. Belichtet man dagegen mit einer Wellenlange, die von R starker absorbiert wird als von Ms, verschiebt sich das Gleichgewicht zu hoherer Ms-Konzentration. Hochste Ms-Konzentration erhalt man bei Belichtung mit 440 nm, bei der das Verhaltnis <XIV <XlIs ein Minimum durchlauft. Durch langwellige Strahlung, die nur das Ms trifft, lafh sich das Metarhodopsin quantitativ zum Sehfarbstoff riickverwandeln. Dies gilt unter folgender Einschrankung: Nur bei physiologischen Bestrahlungsintensi taten stellen sich die Gleichgewichte zwischen R und M in einfacher Weise wie oben be schrieben ein. Bei unphysiologisch hohen Intensitaten dagegen werden die Gleichgewichte von den spektralen Absorptionseigenschaften der kurzlebigen, eben falls photoregenerier baren Intermediarfarbstoffe P und L mitbestimmt. Entsprechende photochemische Gleichgewichtseinstellungen zwischen einem Sehfarbstoff und seinem thermostabilen Metarhodopsin konnten wir bei mehreren, systematisch weit entfernt stehenden Insektenarten nachweisen (Hamdorf, Paulsen, Schwemer 1973 und Hoglund, Hamdorf, Langer 1973). Das bisher interessanteste Sehfarbstoffsystem ist das des Netzfliiglers Ascalaphus macaronius. Dieser Netzfliigler, ein Verwandter des Ameisen lOwen, besitzt ein zweigeteiltes Komplexauge yom Typ der Superpositions augen (s. Abb.5). Der nach oben gerichtete Augenbereich mit groBeren Facetten, das sogenannte Frontalauge, ist nur uv-empfindlich, wah rend das klein ere nach schrag unten gerichtete Ventralauge neben uv-Rezeptoren auch noch eine kleinere Anzahl von griin-empfindlichen Rezeptoren besitzt (Gogala 1967). Wird der extrahierte uv-Sehfarbstoff von einem uv-Quant getroffen, so entsteht ein thermostabiles Photoprodukt, das mit hoher molarer Extinktion im blauen Spektralbereich absorbiert. Durch sichtbare blaue Strahlung laBt sich dieses thermostabile Photoprodukt wieder vollstandig zum uv-Sehfarb stoff photoregenerieren. Wird mit monochromatischem uv-Licht dauerbe-