Corinna Barkholdt (Hrsg.) Prekärer Übergang in den Ruhestand Corinna Barkholdt (Hrsg.) Prekärer Übergang in den Ruhestand Handlungsbedarf aus arbeitsmarkt politischer, rentenrechtlicher und betrieblicher Perspektive Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1. Auflage Oktoberher 2001 Alle Rechte vorbehalten ©Springer Fachmedien Wiesbaden 2001 Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden 2001 Lektorat: Dr. Tatjana Rollnik-Manke www.westdeutschervlg.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des U rhe berrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzun gen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 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Umschlaggestaltung: Horst Dieter Bürkle, Darmstadt Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier ISBN 978-3-531-13640-0 ISBN 978-3-663-11143-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-11143-6 Inhaltsverzeichnis Einführung .......................................................................................................... 7 Rentenrechtliche Änderungen und Rentenzugangsentscheidung ........................................................................... 13 Edgar Kruse Arbeitsmarktpolitik für ältere Erwerbspersonen in den neunziger Jahren .............................................................................................. 39 Dieter Bogai Anhebung der Altersgrenzen und Herausforderung an die Arbeitsmarktpolitik ............................•............................................................ 73 Frerich Frerichs, Gerhard Naegele Anhebung der Altersgrenzen und Ausgleich finanzieller Folgen durch private Vorsorge ...........................................................•.......... 103 Winfried Schmäh!, Holger Viebrok Neuere Ansätze der betrieblichen Altersversorgung und -vorsorge auf Branchen-und Betriebsebene ................................................ 133 Jutta Gatter Rentenzugang und Altersteilzeit ................................................................... 149 Corinna Barkholdt Rentenversicherung und Erwerbsbeteiligung - Zur Alterssicherung von Frauen nach der Rentenreform ................................. 177 Gerhard Bäcker Rentenrecht und flexible Erwerbsverläufe ...........................•...................... 209 Birgitta Rabe Autorenverzeichnis ......................................................................................... 229 Einführung Nachdem während der Fertigstellung dieses Bandes eine neuerliche Rentenre form (200 1) verabschiedet worden ist, mag der Titel, der einen politischen Handlungsbedarf im Bereich des Rentenrechts ausmacht, zunächst irritieren. Tatsächlich nimmt die Initiative, den vorliegenden Band zu präsentieren, ihren Ausgang in der Erkenntnis, dass ein fl.ir die künftige Entwicklung der Altersein kommenssituation zentraler Aspekt auch nach der "Jahrhundertreform" nur unzureichend beachtet wird. Die jüngste Debatte im Umfeld der Rentenreform 2001 konzentrierte sich im Wesentlichen auf die langfristige Konsolidierung der Finanzlage der gesetzli chen Rentenversicherung und dabei insbesondere auf Fragen der RentenformeL Dabei wurde konsequent eine fiir die Entwicklung des künftigen Rentenniveaus zumindest ebenso maßgebliche sozialpolitische Frage vernachlässigt: Wie kann der Übergang in den Ruhestand nach der gesetzlichen Heraufsetzung der Alters grenzen in einen abschlagsfreien Rentenzugang gesichert werden? Schließlich entscheiden über den Rentenzugang, die Wahl des Zeitpunktes und verbunden damit über den Lebensstandard im Alter nicht allein gesetzliche Normierungen oder die Erfordernisse eines ausgeglichenen Finanzhaushaltes der Alterssiche rungssysteme, sondern auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere älterer Arbeitnehmer. Es entsteht der Eindruck, dass gegenüber den Konsolidie rungsbemühungen das eigentliche Sicherungsziel der gesetzlichen Rentenversi cherung in den Hintergrund gerät. Nun ist seit längerem eine wachsende Kluft zwischen Berufsaustritts- und Rentenzugangsalter zu beobachten, die es durchaus gerechtfertigt erscheinen lassen, von einer "Prekarisierung" des Übergangs in den Ruhestand zu sprechen, zumal mit den Heraufsetzungsbeschlüssen im Zuge der Rentenreform 1992 die rentenrechtlichen Alternativen zur Arbeitslosigkeit drastisch eingeschränkt oder abgeschafft wurden. Mit einem "prekären" Übergang in den Ruhestand ist dabei die (wachsende) Erwartungsunsicherheit bezüglich eines direkten Wechsels aus der Erwerbstä tigkeit in den ausreichend abgesicherten oder zumindest abschlagsfreien Ren tenbezug gemeint, die mit einer Gefährdung der fmanziellen Absicherung im Alter verbunden sein kann. So können im Falle eines vorgezogenen Rentenbe zuges Rentenabschläge über die gesamte Rentenlaufzeit bis zu einer Höhe von 18% auf das- eventuell durch eine unvermeidbare vorherige Arbeitslosigkeits phase zudem abgesenkte - Rentenniveau drohen. Mit der jüngsten Reform wird letzteres generell noch weiter sinken. 8 Einführung Dabei sind die Chancen, den Übergang in den Ruhestand - in einem ökono mischen Sinne - "erfolgreich" zu gestalten, bzw. ein Scheitern fmanziell zu verkraften oder kompensieren zu können ungleich verteilt, womöglich sogar kumulative Effekte von Gefährdungslagen zu erwarten. Vor dem Hintergrund der Altersgrenzenarrhebung aber auch der Beschlüsse der Renterneform 2001 drohen sich soziale Disparitäten, beispielsweise zwi schen älteren Arbeitnehmern aus großbetriebliehen Strukturen mit Ansprüchen auf betriebliche Alterssicherung, geringqualifizierten Älteren in belastungsin tensiven Berufen, die grundsätzlich nur eine begrenzte Tätigkeitsdauer aufwei sen und älteren Frauen mit diskontinuierlichen Erwerbsbiographien und nur geringen eigenen oder abgeleiteten Rentenleistungsansprüchen, weiter zu vertiefen. Wer ohnehin z.B. aufgrund seiner niedrigen Qualifikation oder lang jährigen Beschäftigung in belastungsintensiven Tätigkeiten, eher dem Risiko ausgesetzt ist, vorzeitig und ohne Aussicht auf Wiedereingliederung aus dem Erwerbsprozeß auszuscheiden, verfugt vergleichsweise seltener über betriebli che oder private Altersvorsorgeleistungen, um Renteneinbußen kompensieren zu können. Arbeitnehmer mit höheren Einkommen, die seltener von einer vorzeiti gen Ausgliederung bedroht sind, sehen sich demgegenüber eher in der Lage, privat vorzusorgen und können außerdem auch häufig noch auf betriebliche Altersvorsorgeleistungen zurückgreifen. Für die künftige Entwicklung und Differenzierung der Alterseinkommen ist es demnach entscheidend, ob und wie die mit der Altersgrenzenarrhebung geförderte Prekarisierung des Übergangs in den Ruhestand politisch bearbeitet wird. Vor diesem Hintergrund ist es ein zentrales Anliegen des Bandes, das Be wusstsein für diesen Sachverhalt zu schärfen und aus den unterschiedlichen Per spektiven - des Rentemechts, der Arbeitsmarktpolitik, der Betriebe, der Be schäftigten - das Übergangsgeschehen unter den Vorgaben der Altersgrenzen anhebung neu in den Blick zu nehmen und über Brückenschläge der unter schiedlichsten Art in den gesicherten Rentenzugang nachzudenken. So belegt Kruse zunächst mit den Ergebnissen einer kohortenspezifischen Analyse des Rentenzugangsgeschehens, dass rentenrechtliche Änderungen unmittelbaren Einfluss auf die Wahl des Übergangszeitpunkts in den Ruhestand haben. Gleichzeitig zeigen die von ihm präsentierten Daten, dass Frühverren rungen weiterhin den Rentenzugang dominieren, wobei die Erfüllung der Vor aussetzungen der einzelnen Rentenzugangsarten geschlechtsspezifisch unter schiedlich gelingt. Eine Abschaffung fortbestehender Anreize wie in der ver blockten Gestaltung der Altersteilzeit und ein Umdenken auf betrieblicher Ebene sieht er als geboten, um der Heraufsetzung der Altersgrenzen mehr Geltung zu verschaffen. Diese müsste insbesondere von einer Förderung von Einführung 9 Teilzeit, Teilrente und Lebensarbeitszeitkonten zugunsten flexiblerer und glei tender Übergänge in den Ruhestand flankiert werden. Demgegenüber betrachtet Bogai die Struktur der Alterserwerbslosigkeit und die EffiZienz der daraufbezogenen aktiven Arbeitsmarktpolitik in den neunziger Jahren (insbesondere auch in ihrer deutlich unterschiedlichen Beschaffenheit in Ost-und Westdeutschland) wie sie fiir die Integration bzw. Reintegration Älterer in das Erwerbssystem bis zur Regelaltersgrenze relevant sind. Der zudem immer wieder vorgenommene Vergleich mit internationalen Erfahrungen und Maß nahmen gibt dabei Anregungen ftir eine Weiterentwicklung der auf Ältere bezogenen Arbeitsmarktpolitik. Bogai befürwortet eine bessere Abstimmung der in diesem Politikfeld relevanten Teilpolitiken, bzw. eine Abschaffung weiterhin bestehender Anreize fiir eine vorzeitige Beendigung des Erwerbsle bens, aber auch der auf Ältere ausgerichteten Schutzbestimmungen (Seniori tätsentlohnung und Kündigungsschutz). Frerichs und Naegele fragen daran anknüpfend nach der Tauglichkeit der ge genwärtigen arbeitsmarkt- und betriebspolitischen Strategien auf Bundesebene, um den Beschäftigungsrisiken Älterer effektiv zu begegnen. Sie betonen insbe sondere die Notwendigkeit, die Altersgrenzen in einen direkten Bezug mit der Arbeitsmarkt- und Betriebssituation zu setzen und Personalentwicklungsstrate gien gezielt fiir ältere Arbeitnehmer zu erarbeiten, da der programmatische An spruch des sogenannten Paradigmenwechsels (in Richtung Lebensarbeitszeit verlängerung) gegenwärtig nicht überzeugend eingelöst wird. Vielmehr weisen die Autoren auf die höchst problematischen Implikationen der ohne begleitende Maßnahmen ausgestatteten Altersgrenzenanhebung fiir die Alterseinkommens situation breiter Beschäftigtengruppen hin. Sie plädieren fiir eine Verzahnung der unterschiedlichen relevanten Politiken und Maßnahmen insbesondere auch zwischen der politischen und betrieblichen Ebene, um einerseits einen möglichst langen Verbleib in der Erwerbstätigkeit bis zur Regelaltersgrenze realisieren zu helfen und andererseits sozial akzeptable Ausstiegspfade ftir benachteiligte Gruppen älterer Beschäftigter zu schaffen. Hieran schliesst sich der Beitrag von Schmäh! und Viebrok an, der sich schwerpunktmäßig mit der Frage befaßt, welche Rolle welche privaten Alters vorsorgeprodukte fiir die Finanzierung von Phasen zwischen Erwerbstätigkeit und Rente spielen können, wenn arbeitsmarktpolitische Instrumente nicht (mehr) greifen. Die Autoren beurteilen dabei eine Brückenlösung als attraktiv, die zwischen dem Ende der Erwerbsphase und dem Beginn der Altersrente die Auszahlung eines privat angesparten Kapitals vorsieht, um anschließend den Bezug einer abschlagsfreien gesetzlichen Rentenleistung zu ermöglichen. Unverständnis äußern sie in diesem Kontext darüber, dass die im Rahmen der Rentenreform 2001 eingeführte staatliche Förderung privater Altersvorsorge in 10 Einführung ihren Fördermöglichkeiten eine solche Konzeption im Vorfeld des Rentenbezugs nicht berücksichtigt. Ihrer Ansicht nach muss eine weitere Heraufsetzung der Altersgrenzen die Arbeitsmarktlage für Ältere berücksichtigen oder eine gezielte Förderung von Möglichkeiten zur Überbrückung der Phase zwischen dem Ende der Erwerbstätigkeit und dem Beginn der Altersrente nach sich ziehen, wobei Kombinationsmöglichkeiten mit der betrieblichen Altersvorsorge oder den neu geschaffenen Pensionsfonds ebenfalls als interessante Optionen gesehen wer den. Der betrieblichen Altersvorsorge gilt in dem Beitrag von Gatter die Haupt aufmerksamkeit. Es werden darin jüngere Initativen bzw. Modelle der betriebli chen Altersvorsorge zur Verringerung der Versorgungslücke auf Branchen- und Betriebsebene vorgestellt. Sie weist dabei auf die sich abzeichnende Entwick lung von der betrieblichen Altersvorsorge als freiwillige Arbeitgeberleistung hin zu einer über die Entgeltumwandlung oder deferred compensation sich heraus bildende Arbeitnehmerleistung. Gleichwohl hebt sie die besonderen Vorzüge der betrieblichen Altersvorsorge flir Arbeitnehmer im Vergleich zu privaten Alters vorsorgeprodukteil hervor, deren Potenzial für einen Brückenschlag in einen gesicherten Ruhestand nicht unterschätzt werden sollten, obwohl insbesondere bezüglich der flächendeckenden Verbreitung und Einbeziehung der Beschäftig tengruppen noch Handlungsbedarf besteht. Barkholdt bewegt sich ebenfalls überwiegend auf der betrieblichen Ebene, wenn sie in ihrem Beitrag auf das Instrument der Altersteilzeit als nach dessen Entstehungskontext, der Intention seiner Einführung, bisherigen Gestaltung und Nutzung weiterhin wirkendes Frühverrentungsinstrument eingeht, um die gleichwohl bestehenden Potenziale dieser Regelung als Brückenschlag in den möglichst abschlagsfreien Rentenzugang herauszustellen. Bäcker hebt in seinem Beitrag die vor dem Hintergrund der für Frauen be stehenden Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt und im Rentenrecht beson ders problematischen (finanziellen) Folgen der jüngsten rentenrechtlichen Änderungen hervor. Dabei zeichnet er die Wechselwirkung der Strukturprinzi pien der Rentenversicherung - insbesondere in ihren Veränderungen durch die jüngste Rentenreform - mit denen der weiblichen Erwerbsbeteiligung nach, um ihre Konsequenzen für den Übergang in den Ruhestand von Frauen zu veran schaulichen. Er schätzt in diesem Zusammenhang die künftig mit einer stärkeren Bedeutung für die Alterseinkommen ausgestattete private Altersvorsorge skep tisch ein. Ohnehin bestehende geschlechtsspezifische Einkommensdifferenzen werden seiner Ansicht nach auf diesem Wege eher weiter verschärft. Insbeson dere im Hinblick auf letztere und die weitere demographische Entwicklung erscheint Bäcker die gezielte Förderung der Erwerbsbeteiligung von Frauen ein politischer Handlungsbedarf von herausragender Bedeutung zu sein. Einführung 11 Rabe entwickelt im Anschluss daran das seitens der Bundesversicherungsan stalt für Angestellte in die Diskussion eingebrachte Modell der flexiblen An wartschaften als adäquate rentenrechtliche Reaktion auf die Veränderungen und Flexibilitätsanforderungen des Erwerbssystems und weiblicher Erwerbsbiogra phien. Dieses Modell nimmt dabei den gesamten Erwerbsverlauf in den Blick, sowie die Vielzahl der darin auftretenden Übergänge, um über flexible Anwart schaften die negativen Auswirkungen von Diskontinuitäten auf das Altersein kommen zu vermindern. Sie plädiert dabei für eine nichtwertende Förderung der Übergangsphasen und betont das Potenzial des Modells für die eigenständige Alterssicherung von Frauen, deren Erwerbsbiographien besonders von Diskon tinuitäten geprägt sind. In der Hoffnung, dass die hier präsentierten Beiträge eine Diskussion über die künftige Bedeutung und Rolle standardisierter Altersgrenzen im Rentenrecht und den weiteren politischen Umgang mit ihnen anregen, sei an dieser Stelle den Autoren* und dem Institut für Gerontologie recht herzlich für ihre Unter stützung bei dem Zustandekommen dieses Bandes gedankt. Dortmund, im Juni 2001 Die Herausgeberin * Aus pragmatischen Gründen wird im vorliegenden Band generell auf eine geschlechterdifferenzierende Sprachregelung verzichtet.