Heribert Kokemohr Praxis der therapeutischen Lokalanasthesie und Neuraltherapie Springer Berlin Heidelberg New York Barcelona Hongkong London Mailand Paris Singapur Tokio Heribert Kokemohr Praxis der therapeutischen Lokalanasthesie und Neuraltherapie Mit 397 Abbildungen , Springer IV Dr. med. Heribert Kokemohr Warringtonplatz 18 40721 Hilden Fotos: Abb. 6.4c u. d; 7.2b u. d Gebro Broschek GmbH, 6391 Fieberbrunn,Osterreich Wissenschaftliche Zeichnungen: Abb. 6.4b; 7.2a; 7.2c und auf S. 187 Markus Kaspar, Wien ISBN 3-540-65711-8 Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York Die Deutsche Bibliothek - elP-Einheitsaufnahme Kokemohr, Heribert: Praxis der therapeutischen Lokalanasthesie und Neuraltherapie 1 Heribert Kokemohr. - Berlin; Heidelberg; New York; Barcelona; Hongkong ; London; Mailand ; Paris; Singapur ; Tokio: Springer, 2000 ISBN 3-540-65711-8 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschUtzt. Die dadurch begrUndeten Rechte, insbesondere die der Obersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der VervieWiltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfaltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Ein zelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bun desrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulassig. Sie ist grundsatzlich vergUtungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer-Verlag ist ein Unternehmen der Fachverlagsgruppe BerteismannSpringer. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2000 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daB solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden dUrften. Produkthaftung: FUr Angaben Uber Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewahr Ubernommen werden. Derartige Angaben mUssen vom jeweiligen An wender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit UberprUft werden. Einbandgestaltung: de'blik, Berlin Satz: Fotosatz-Service Kohler GmbH, WUrzburg SPIN: 10533479 22/3133 SY - 5 4 3 2 1 0 Vorwort Dieses Buch ist entstanden aus dem Bedurfnis, Antworten zu formulie ren - pragmatische Antworten auf die vielfaltigen Fragen von Teilneh mern an meinen Kursen der TLA/Neural- und Schmerztherapie. Es be stand zunachst die Absicht, den personlich erfahrenen Behandlungsall tag und die daran gewachsenen theoretischen Lehrinhalte systematisch und didaktisch praxisgerecht aufzuarbeiten. Zu wissen, warum etwas funktioniert, erleichtert das Erlernen des Handwerks und fordert Qua litat und Reproduzierbarkeit der Ergebnisse. Daher erschien es unver zichtbar, dem als Atlas fur die Praxis konzipierten Hauptteil eine Zu sammenschau der bekannten Grundlagen voranzustellen. Das ursprungliche Vorhaben, lediglich kursorisch die bis dato (1995) publizierten Erkenntnisse zur Neuraltherapie zu sichten und zusam menzufassen, erhielt wahrend des Schreibens eine als elementar zu be zeichnende Wende durch die Konfrontation mit den neuesten moleku larbiologischen Forschungsergebnissen bezuglich der Grundlagen des neuronalen Lernens und des Schmerzgedachtnisses. Die u. a. von der Forschungsgruppe urn Prof. Walter Zieglgansberger, dem ich an dieser Stelle ganz herzlich fur die Uberlassung etlicher, z. T. noch nicht verOf fentlichter Abbildungen danke, erarbeiteten faszinierenden Einblicke in die Welt neuronaler Regulations- und Lernprozesse veranlassten eine komplette Umgestaltung der theoretischen Einflihrung. Diese neuen Er kenntnisse begrunden wesentlich die vorgestellte Hypothese yom Wesen des Sekundenphanomens, das hierdurch begreifbar wird und somit kal kulierbar in ein Behandlungskonzept integriert werden kann. Gleiches gilt flir ein Umdenken etwa bei chronifizierten Schmerzprozessen, die auf einmal losgelost werden konnen von der verbreiteten resignierten Einstellung: "Damit mussen Sie leben!" Diese Botschaft erganzt wesent lich die bereits bekannten und in die vorliegende Darstellung einbezo genen Aspekte, z. B. den Stellenwert der manuellen Untersuchung fur eine TLA-gerechte Diagnose und die Kompatibilitat der Infiltra tionstherapie mit anderen Verfahren. Sie erlaubt endlich eine gunstige, wenn auch Geduld erfordernde Behandlungsprognose selbst in schwie rigen Fallen. Die gesundheitspolitische Diskussion urn eine wirklich praxisge rechte Reform des Medizinstudiums trifft sich aktuell mit einem weite ren Hauptanliegen dieses Buches, namlich der Vermittlung einer a priori ganzheitlichen Betrachtung des Patienten, die mehr berucksichtigt als eine Summe fachbezogener Symptome. Yom Wesen her versteht sich das Buch als ein Beitrag zur allseits geforderten Interdisziplinaritat in Di agnose und Therapie, wodurch Behandlungsergebnisse optimiert und Kosten reduziert werden konnen. Mehr denn je prasentiert sich nun un versehens die Methode der TLA/Neuraltherapie als moderne Therapie, deren Verbreitung bereits auf der Ebene der klinischen Ausbildung von Medizinstudenten zu fordern ist. Die lange Zeit bis zur Fertigstellung des Buches hat die Geduld mei ner Familie hart auf die Probe gestellt. Ich bedanke mich bei ihr von VI Vorwort Herzen fur das Verstandnis und die stete Ermunterung. Dank auch an meinen Freund Frank Schreyer, ohne dessen selbstlose und fachmanni sche Unterstutzung die gelungene Bebilderung des Kapitels 12 nicht moglich gewesen ware. Ein wei teres Dankeschon dem Verlag fUr die aus gezeichnete Copy-Editing-Arbeit sowie die groBzugige Ausstattung und insbesonders Herro J. Sydor fur die geIungene typographische Um setzung des Konzeptes. Hilden, im Mai 2000 HERIBERT KOKEMOHR Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 Infiltrationstherapie mit lokalanasthesie 3 1.1 Historische Entwicklung . . . . . 3 1.2 Neuraltherapie nach Huneke 5 1.3 Therapeutische Lokalanasthesie 6 1.4 Pflicht und Kur ...... . 7 2 Physiologie der Nozifension 8 2.1 Reiz bedingt Reizantwort 8 2.2 Schmerz . . . . . . . . . . . 10 2.3 Das Sudeck-Syndrom - Pars pro toto? 14 2.4 Schmerzgedachtnis.... 17 2.5 Schmerz und Psyche ... 19 2.6 Herd -Storfeld -Geschehen 20 3 Elektrische Phanomene an der Zellmembran 22 3.1 Membranpotential ............ . 22 3.2 Natriumkanal................ 23 3.3 Ruhe- und Aktionspotential des Neurons 24 4 Pharmakologie und Toxikologie der lokalanasthetika 26 4.1 Lokalanasthetisch wirksame Substanzen . . 26 4.2 Lokalanasthetika vom Procain-/Lidocaintyp 26 5 TlA-relevante Strukturen des Nervensystems 32 5.1 Nozizeptoren und afferente Fasern 32 5.2 Afferente Erregungsleitung 33 5.3 Vegetatives System .. 35 5.4 Behandlungshierarchie 38 6 Diagnostik....... 40 6.1 Regulationskapazitat 40 6.2 Yom Befund uber die Diagnose zur Therapie 40 6.3 Hinhoren und Verstehen: Anamnese 41 6.4 Manuelle Diagnostik . . . 42 6.5 Herd-Storfeld-Geschehen 48 7 Injektionstechnik . . . . . . 56 7.1 Vorbemerkungen ..... 56 7.2 Systematik der Injektionstechniken 57 7.3 Die Quaddel ...... . 57 7.4 Infiltration der Subkutis 59 7.5 Topische Infiltration .. 60 7.6 Intraartikulare Injektion 69 7.7 Nervenblockade 61 VIII Inhaltsverzeichnis 7.8 Injektion an den Sympathikus 62 7.9 Behandlung tiber vasale Strukturen 63 7.10 Herdinfiltration . 64 7.11 Regulationsstarre .......... . 68 8 TLAlNeuraltherapie in Kombination mit anderen Verfahren 70 8.1 ILA und manuelle Medizin 70 8.2 ILA und Naturheilverfahren 71 8.3 ILA und Akupunktur .... 72 8.4 ILA und medikamentose Behandlung 75 9 Segmentale Oysfunktion - viszerovertebrales Syndrom 77 9.1 Definition ... . . . . . . . . . . . . . . 77 9.2 Grundsatzliches... .. . . . . . . . . . . 78 9.3 Klinik der viszerovertebralen Syndrome 81 10 Zusammenfassung 97 11 Ausrustung.... 98 12 Praxis der TLA: Indikationen, Anamnese, Befund, Therapie 99 12.1 Kopf .. 102 12.2 HWS . . . . . . . 134 12.3 Schulter ..... 148 12.4 Obere Extremitat 177 12.5 BWS/Ihorax 199 12.6 LBH-Region ... .225 12.7 Untere Extremitat .262 12.8 Schlu6bemerkungen .304 13 Anhang: Akupunkturpunkte · 305 14 Bildnachweise · 311 1S Literatur ... · 312 16 Sachverzeichnis · 314 Einleitung Weit mehr als 90 % aller Krankheiten werden auBer Nur so bliebe dem Arzt, der sich nach AbschluB halb des klinischen Bereichs behandelt. Das Indika seiner Weiterbildung meist mehr oder weniger un tionsspektrum der ambulanten Medizin reicht dabei vorbereitet in eine Praxistatigkeit begibt, der Trug von der uncharakteristischen Befindensstorung tiber schluB erspart, allen Eventualitaten des medizini die nicht vital bedrohliche Akuterkrankung bis zum schen Alltags gegentiber gewappnet zu sein. Nur so chronis chen Leiden. Dessen ungeachtet findet aber waren seine vielfaltigen Frustrationen zu Beginn der der groBte Teil der arztlichen Fachausbildung in postklinischen "Lehrjahre" und damit auch eine eben dem klinischen Bereich statt, dessen Aufgabe groBe Zahl unnotiger Patientenkarrieren in die bei zunehmendem technologischem Aufwand und Chronizitat z. B. von Schmerzsyndromen als der explodierenden Kosten primar die Diagnostik und wohl bedauerlichsten Folge des aktuellen Ausbil Therapie schwerer und schwerster Gesundheitssto dungsmodus zu vermeiden. rungen ist. Ein kleiner, doch bedeutungsvoller Schritt in die Beztiglich der Schwere der Krankheiten laBt sich richtige Richtung ist die Novelle der Weiterbildungs eine Hierarchie aufstellen, der eine Pyramide von ordnung, wie sie yom Arztetag 1996 in Koln be adaquaten Behandlungsweisen gegentibersteht. Auf schlossen wurde. Endlich wird der Schmerztherapie eine breite Basis banaler Storungen, denen meist mit in allen Fachbereichen ein ihrer alltaglichen Bedeu Hausmitteln und/oder arztlichem "wait and see" be tung entsprechender Stellenwert zugemessen. gegnet werden kann, folgt ein groBer Block, der die Dieses Buch solI ein Beitrag sein, angewandte oben bereits erwahnten ambulant behandlungs Schmerztherapie unter ganzheitlichen Gesichts fahigen Krankheiten umfaBt. Je nach Anteil an pa punkten systematisch nachvollziehbar zu machen thomorphologischen oder gravierenden dysfunktio und sie loszulosen von der meist autodidaktisch nellen Komponenten erganzen facharztliche Diszi empirisch gewachsenen Individualitat des einzelnen plinen die Allgemeinmedizin. Lediglich die Spitze Behandlers, der gezwungenermaBen seine personli dieser Pyramide gehort der klinisch-stationaren Me chen Erfahrungen unkontrolliert zum MaBstab des dizin. "Richtigen" mach en muB. Das ftir die Klinik tiberwiegend ntitzliche lineare Mit dieser Zielvorstellung werden die Grundlagen Ursache-Wirkung-Denken und -Handeln mit den re des praxisnahen Einsatzes einer Infiltrationstherapie sultierenden z. T. spektakularen Ergebnissen, z. B. mit Lokalanasthetika dargestellt. Die Nomenklatur dem antibiotischen Beherrschen einer Sepsis, der kennt fur diese Behandlungsform verschiedene Be operativen Entfernung eines Gallenblasenempyems zeichnungen. Am bekanntesten dtirften die Termini oder der Revaskularisation eines arteriellen Ver "Neuraltherapie nach Huneke" und "therapeutische schlusses, ist nur in begrenztem MaBe auf das vollig Lokalanasthesie" (Gross 1985; Tilscher u. Eder 1989) different strukturierte Patientenklientel des nieder sein, die oft als unvereinbar diskutiert wurden und gelassenen Arztes zu tibertragen. Dessen Alltag ist werden, da sie im "philosophischen Ansatz" anschei vielmehr zu einem groBen Teil bestimmt durch den nend widersprtichlich sind. Umgang mit dem chronisch Kranken und des sen Ubertragt man das oben angefiihrte Bild der Py haufigster Klage, dem Schmerz. ramide auf die Methode der Infiltrationstherapie, so Eine konsequente Umsetzung dieser Umstande in ergibt sich auch hier eine hierarchische Gliederung der arztlichen Weiterbildung nach dem Studium beztiglich der Indikationen wie der einzusetzenden wtirde bedeuten, daB ein ganzes System auf den Kopf Techniken: Die haufigen unkomplizierten StOrungen bzw. richtiger - urn im Bild der Pyramide zu bleiben sind mit den einfachen Mitteln der Quaddeltherapie - wieder auf die FtiBe gestellt werden mtiBte: klini und der Locus-dolendi-Injektion zu beherrschen. sche Spezialisierung also erst nach einer praxisbezo Komplexere Syndrome erfordern umfassendere, genen Grundausbildung im Sinne des immer noch segmental orientierte Behandlungskonzepte unter gtiltigen Satzes "Das Haufige ist haufig, das Seltene EinschluB rtickenmarknaher Blockaden. Eine Infil ist selten ". trationstherapie mit Lokalanasthetika bleibt jedoch 2 Einleitung unvollstandig, wenn sie die Prinzipien der Neu mide auf die Spitze. Er gleicht damit dem Kliniker, raltherapie nach Huneke unberucksichtigt la6t. StOr dem zum Symptom "Erbrechen" nichts anderes ein feldeinflusse und komplizierte vegetative Fehlregula fallt als die Cholezystektomie. tionen erfordern die besondere Aufmerksamkeit Das Lehrgebaude einer Infiltrationstherapie mit und das gesamte Konnen des Arztes, dem fur diesen Lokalanasthetika kann weder ausschlie61ich mit den Bereich die Behandlung uber das Storfeld und die Erfahrungen aus dem selektierten Krankengut des Blockade vegetativer Ganglien mit Lokalanasthetika Herdtherapeuten gebaut werden, noch darf es z. B. zur Verfugung stehen. Lediglich dieser vergleichs aus Grunden der Simplifizierung auf diese verzich weise kleine Komplex bildet die Spitze der Pyramide, ten oder sie negieren. Die therapeutische Loka deren tragfahige Basis die gewachsene Erfahrung lanasthesie (TLA) und die Neuraltherapie nach Hun mit den handwerklichen Grundlagen der Infiltra eke sind gleichwertige Teile in einem abgestuften Be tionstherapie darstellt. Wer allerdings jede Erkran handlungskonzept - der Infiltrationstherapie mit kung grundsatzlich "neuraltherapeutisch" (StOrfeld Lokalanasthetika als einer der effektivsten Methoden suche, Ganglienblockaden) angeht, stellt die Pyra- in der allerersten Reihe der Schmerztherapie.