EdgarHeim Praxis der Milieutherapie Mit einem Geleitwort von W. Th. Winkler t Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York Tokyo 1985 Professor Dr. Edgar Heim Psychiatrische Universitiitspoliklinik Bern Murtenstraf3e 21 CH-3010 Bern CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek: Heim, Edgar: Praxis der Milieutherapie / E. Heim. - Berlin; Heidelberg; New York; Tokyo: Springer, 1984. ISBN-13: 978-3-540-13571-5 e-ISBN-13: 978-3-642-69846-0 DOl: 10.1007/978-3-642-69846-0 Das Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, ins besondere die der Obersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe aufphotomechanischem oder iilmlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsan1agen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergiitungsanspriiche des § 54, Abs.2 UrhG werden durch die "Verwertungsgesellschaft Wort", Miinchen, wahrgenommen. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1985 Die Wiedergabe von Gebmuchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daB solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betmchten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Produkthaftung: Fiir Angaben iiber Dosierungsanweisungen und Applikations formen kann yom Verlag keine Gewiihr iibemommen werden. Derartige Angaben miissen yom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit iiberpriift werden. Fotosatz: Briihlsche Universitiitsdruckerei, GieSen 2125/3020-543210 Meinen Mitarbeitem der SchloBli-Jahre 1968-1978 gewidmet Geleitwort In der Psychiatrie hat sich in den letzten 3 Jahrzehnten ein sehr bemerkenswerter Wandel vollzogen, der einerseits durch die EinfUhrung der Psychopharmaka in die Behandlung der Psychosen, andererseits aber auch durch die Entwicklung der Sozial psychiatrie und die Einbeziehung psychotherapeutischer Behandlungsverfahren ermoglicht wurde. Speziell der Sozialpsychiatrie ist es zu verdanken, daB in den psychiatrischen Krankenhiiusern und Kliniken ein neuer Geist im Sinne der Libera lisierung und Humanisierung Einzug hielt, neue Formen des Umgangs mit den hospitalisierten psychisch Kranken propagiert werden konnten und damber hinaus Bemiihungen in Gang kamen, die stationiire Versorgung der psychisch Kranken und Suchtkranken durch halbstationiire bzw. ambulante Einrichtungen und Dienste unterschiedlichster Art zu ergiinzen. Fiir die Realisierung der neuen sozialpsychiatrischen Ideen in den psychiatrischen Institutionen gewann das Konzept der Therapeutischen Gemeinschaft in den 50er und 60er J ahren eine nicht zu unterschiitzende Bedeutung, weil diese Form der Behandlung nicht nur eine aussichtsreich erscheinende Methode der Gruppenarbeit, sondern auch ein Instrument darstellte, mit des sen Hilfe sich die fUr notwendig erachteten Anderungen in den Krankenhiiusern konkret bewerkstelligen lassen konnten. Aller dings kam dabei nicht das urspriinglich von der Northfield-Gruppe (W. R. Bion, J. Rickman, T. F. Main, S. H. Foulkes) erarbeitete, psychoanalytisch fundierte Konzept der Therapeutischen Gemeinschaft zum Tragen, sondern das von M. Jones vertretene Konzept der Therapeutischen Gemeinschaft, das von vornherein ganz auf die Belange der Sozialpsychiatrie zugeschnitten war. Der sozialpsychiatrische Impetus richtete sich dann insbesondere gegen die kustodiale Psychiatrie mit all ihren negativen Auswirkungen und gegen erstarrte therapiefeindliche Strukturen innerhalb der Institutionen. Ais positive Zielsetzung lieBen sich u. a. eine Verbesserung des ganzen Milieus der psychiatrischen Krankenhiiuser, eine Belebung der zwischenmenschlichen Beziehungen und eine moglichst weitgehende Offnung von Tiiren nennen. Auch der Autor dieses Buches, Herr Prof, Dr. Heim, bediente sich des Konzepts der Therapeutischen Gemeinschaft, als er im Jahre 1968 die Leitung der bereits renommierten, ihrer Tradition nach iiberwiegend psychotherapeutisch ausgerichteten Psychiatrischen Klinik SchloBli in Oetwil a. S. in der Niihe von Ziirich iibernahm und sich die Aufgabe stellte, den sozialpsychiatrischen Gesichtspunkten Geltung zu verschaffen und dariiber hinaus die ganze Klinik zu einem Instrument der Therapie zu machen. Wie iiberall, wo seinerzeit in psychiatrischen Krankenhiiusern Versuche mit der Therapeutischen Gemeinschaft unternommen wurden, ergaben sich bei deren Realisierung zuniichst auch im SchloBli Schwierigkeiten, was nicht weiter ver wunderlich ist, weil das Konzept der Therapeutischen Gemeinschaft eine sehr VIII Geleitwort weitgehende Anderung der Einstellungen und Verhaltensweisen aller Mitarbeiter gegeniiber den Patienten verlangt. Sehr eindrucksvoll werden in dem vorliegenden Buch die verschiedenen Phasen der Verwirklichung des groB angelegten Vorhabens im Verlaufvon 10 Jahren mit allen aufgetretenen Komplikationen, wie z. B. kollektiven Widerstanden und Abwehrmechanismen, beschrieben. Wie aus dem Bericht hervor geht, blieb der Einrichtung auch nicht eine schwere Entwickiungskrise erspart, in der das Scheitem des ganzen Experiments unmittelbar bevorzustehen schien. DaB dieser "schwarze Mittwoch" dann aber dank der in der Krise neu gewonnenen Einsichten zu einem entscheidenden Wendepunkt und das Vorhaben danach zieistrebig und mit Erfoig weitergefiihrt werden konnte, war sicherlich dem zu diesem Zeitpunkt bereits erreichten starken Engagement der Mitarbeiter, aber gewiB auch der personlichen Flexibilitat und Integrationskraft des Leiters der Einrichtung zuzuschreiben. Das Gelingen de~ Experiments wurde nach meiner Oberzeugung dadurch moglich, daB im SchloBli das Konzept der Therapeutischen Gemeinschaft nicht dogmatisch und nicht puristisch, sondem pragmatisch in Anpassung an die Aufgaben der verschiedenen Krankenabteilungen und unter Beriicksichtigung der Fahigkeiten und Bediirfnissen der Patienten, dazu frei von ideologischem Ballast in besonnener Weise praktiziert worden ist. So entging das von Herrn Prof. Dr. Heim untemommene Experiment den flir die Therapeutische Gemeinschaft typischen Fehlentwicklungen, wie z. B. eine im Chaos endende extreme Liberalisierung oder eine auf Kosten der Patienten gehende Politisierung, und nur so gelangen Herro Prof. Dr. Heim und seinen Mitarbeitero die sachliche, kritische Auseinandersetzung mit den Prinzipien der Therapeutischen Gemeinschaft, die Oberwindung der Therapeutischen Gemeinschaft als einer bioSen Methode und der Durchbruch zu einer iibergeordneten, umfassenden, klar durchdachten Milieutherapie. Die den UmstrukturierungsprozeB begleitende wissenschaftliche Bearbeitung der Frage nach den milieutherapeutisch relevanten Behandlungsprinzipien machte die Herausarbeitung ganz bestimmter Wirkfaktoren und dann auch die sehr ein leuchtende Erkenntnis moglich, daB fiir verschiedene Gruppen von Patienten ganz unterschiedliche Milieus (ein strukturierendes, ein equilibrierendes, ein animierendes, ein reflektierendes und ein betreuendes Milieu) konzipiert werden mUssen, wenn eine differenzierte, ganz auf die Bediirfnisse der Patienten abgestimmte Milieutherapie betrieben werden solI. Von besonderer Bedeutung ist schlieBlich, daB sich Herr Prof. Dr. Heim der wissenschaftlichen Bearbeitung der Frage nach der EffIZienz seiner Reformbemii hungen gestellt hat und er eine Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen durch AuBenstehende ermoglicht hat. Auf sie wird in diesem Buch immer wieder auf merksam gemacht. In Anbetracht der Tatsache, daB die wissenschaftliche Evaluation auf dem Gebiet der Milieuforschung im allgemeinen und der Soziotherapie im besonderen noch in den Anfiingen steckt und doch mit mannigfachen Schwierigkeiten zu kampfen hat, scheint mir der beste Beweis fiir den Erfolg der Reformbestrebungen von Herro Prof. Dr. Heim zu sein, daB die Psychiatrische Klinik SchOBli in Oetwil a. S. 5 Jahre nach seinem Weggang unter Leitung seiner Nachfolgerin, Frau Dr. Daeppen, noch ganz im Sinne der neu entwickelten Milieutherapie funktioniert. Da das SchloBli seit 1978 fiir die volle psychiatrische Versorgung einer Region, des Ziircher Oberlandes, verantwortlich Geleitwort IX ist, wird die Milieutherapie auch in den Obergangseinrichtungen erprobt werden konnen. Wegen der groBen Bedeutung, die der Milieutherapie in allen psychiatrischen Einrichtungen zukommt, ist diesem Buch eine weite Verbreitung und eine interessierte Leserschaft aus allen in der Psychiatrie tiitigen Berufsgruppen zu wiinschen. Das Buch ist in einer allgemein verstiindlichen Sprache abgefaBt worden, es enthiilt viele Beispiele aus dem psychiatrischen Klinikalltag, es ist eminent praxisbezogen und kann deswegen nicht nur Anten und Psychologen, sondem auch Sozialarbeitem, Ergotherapeuten, Krankenschwestem, Krankenpflegem und allen sonstigen Mit arbeitem psychiatrischer Einrichtungen, auch aus dem Verwaltungsbereich, zur Lektiire empfohlen werden. Ich denke, daB dieses Buch bald ein Standardwerk iiber Milieutherapie gelten und das SchloBli allgemein zum Vorbild einer milieuthera peutisch gefiihrten psychiatrischen Klinik werden wird. Giitersloh, Mai 1984 W. Th. Winkler t Vorwort 1977 berichteten Wagemarker u. Cade in einer angesehenen Zeitschrift iiber die dramatische Besserung von 5 korperlich gesunden Schizophrenen, die sich bis zu 16mal wochentlich einer Hamodialyse unterzogen hatten. Das scheinbar vielver sprechende therapeutische Experiment wurde mehrmals repliziert, wobei nur ausnahmsweise giinstige Ergebnisse erzielt werden konnten. In einer neueren Arbeit, die in der meistzitierten Wissenschaftszeitschrift "Science" erschien, berichten Wissen schaftler des NIHM Washington (Schulz S. C. et al.), daB sie mit groBer Sorgfalt und unter Kontrolle aller Variablen die urspriingliche Studie wiederholt haben, ohne deren positive Resultate bestatigen zu konnen. AIle beteiligten Untersucher erwagen verschiedene bilogische Erklarungsmoglichkeiten, um die wenigen bekannten positiven Ergebnisse zu begriinden bzw. die negativen zu reflektieren. Nicht in Betracht gezogen wirdjedoch die Moglichkeit, daB die unbeabsichtigte Veranderung des Behandlungsmilieus als eine Art "Placeboeffekt" gewirkt haben konnte. Wagemaker hatte namlich seine Schizophrenen vorwiegend von Chronisch-Kranken Abteilungen einer groBen, kustodial gefiihrten psychiatrischen Institution geholt, z. T. wurden sie ihm von desperaten Angehorigen zugefiihrt. In intensiven Gruppen gesprachen wurden die Kranken auf die Behandlung und die mogliche anschlieBende Entlassung vorbereitet und ihnen, z. T. nach langerer Abstinenz, wieder vermehrte Kontakte zu ihrer Familie ermoglicht (personliche Mitteilung Mosher). Dies ist eines von vielen Beispielen der neueren Wissenschaftsgeschichte, die zeigen, wie eine eindimensionale reduktionistische Betrachtungsweise wesentliche Faktoren iibersieht, die zu einem Heilungsvorgang beitragen konnen. Ich meine, die Autoren haben es unterlassen, das Behandlungsmilieu als solches zu beobachten und zu gewichten. Ware die Studie darauf angelegt gewesen, die Wirkung des Milieus zu untersuchen, so hatte man von einer bestimmten Form einer "Milieutherapie" sprechen konnen. Der Begriff ist neu - das Phanomen als solches so alt wie die Geschichte der institutionellen Psychiatrie. Zwar waren es primar humanitare Uberlegungen, die Pinel veranlaBten, ausgangs des 18. lahrhunderts die psychisch Kranken von den Ketten zu befreien; der Effekt war aber eine positive Veranderung des Milieus, in dem jene lebten. Zwar handelten die Begriinder des "Moral Treatment" primar aus ethisch-religiosen Uberzeugungen; mit "Retreat" (William Tuke), "No-Restraint-System" (John Conolly) oder "Open Door-Policy" (Dorothee Dix) veranderten sie jedoch entscheidend das Behandlungs milieu. Zwar war Hermann Simons Ansatz der Arbeitstherapie vorwiegend auf die Aktivierung der Kranken ausgerichtet; er bewirkte aber zugleich, daB ihr Zusammen leben und damit ihr Milieu vollig umgestaltet wurde. Zwar waren die Psycho analytiker Ernst Simmer in Berlin, Karl und William Menninger in Topeka (USA), Harry S. Sullivan in Baltimore (USA) vor allem daran interessiert, ihre stationaren XII Vorwort Patienten in einer Umgebung zu behandeln, die dem psychoanalytischen Behand lungsmodell entsprach; sie schufen damit indes ein therapeutisches Milieu, das ihre Zielsetzungen wesentlich unterstiitzte. Noch viele Beispiele lieBen sich aus der Psychiatriegeschichte der vergangenen 200 Jahre anfiigen (Domer; Foudraine; Hilpert; Kruger), um zu bestiitigen, wie tief die Wurzeln der Milieutherapie reichen. Die bewuBte Auseinandersetzung mit dem Krankenhausmilieu als therapeutische EinfluBgroBe ist jedoch relativ neueren Datums. Neben den tiefenpsychologischen und lerntheoretischen sind es vor allem sozialpsychologische Beitriige, die die Optik veriindert haben. 1m Bereich der Sozialpsychiatrie hat bekanntlich die Therapeutische Gemeinschaft vorerst im angelsiichsischen, dann im kontinentaleuropiiischen Raum viel Beachtung gefunden. Ihre Geschichte ist schon mehrfach aufgezeichnet worden (vgl. etwa Hilpert; Kruger), so daB ich sie hier nicht zu wiederholen brauche. Ohne Zweifel hat die Bewegung der Therapeutischen Gemeinschaft entscheidend dazu beigetragen, das Krankenhausmilieu als gewichtigen therapeutischen Faktor zu erkennen. In der bis dahin stark am Modell der somatischen Medizin orientierten Psychiatrie waren so wichtige Einfliisse wie das Verhalten der Pflegenden, die Gestaltung des Tagesablaufs, die Art der U nterbringung etc. schlicht ignoriert worden - ja nicht einmal ihre negativen Auswirkungen (Hospitalismus) hatten Beachtung gefunden. Als es schlieBlich zur zielgerichteten Gestaltung des Therapeutischen Milieus kam, blieb die Therapeutische Gemeinschaft nicht lange der einzige Versuch dazu. Soziotherapeutische und lerntheoretische Ansiitze, vor allem im Bereich der Rehabilitation, folgten etwa I Jahrzehnt spiiter. Indirekt trug auch eine andere Bewegung dazu bei, die vor allem auf die negativen Konsequenzen der stationiiren Behandlung (meist als Hospitalismus bezeichnet) aufmerksam machte und dement sprechend alternative Versorgungsmodelle (mit Betonung der teilstationiiren oder ambulanten Patientenbetreuung) entwickelte. Unter dem Schlagwort "Anti psychiatrie" wurde sogar angestrebt, die psychiatrischen Kliniken insgesamt abzu schaffen. Basaglias "negierte Institution" ist in Italien bekanntlich in einem neuen Psychiatriegesetzt verankert worden, wonach jede psychiatrische Hospitalisation als untherapeutisch vermieden werden muB. Die jahrzehntelange Duldung mangelhafter Milieugestaltung hat also schlieBlich zur Vo rstellung gefiihrt, ein heilsames Kranken hausmilieu sei nicht konzipierbar. Dieser negativen Interpretation des Behandlungsmilieus steht eine positivere gegeniiber, die in den letzten Jahren vermehrt herausgearbeitet wurde. Zum einen wurden vielerorts - zwar mit gebiihrender Verzogerung gegeniiber der Erneuerung der somatischen Hospitiiler - neue psychiatrische Krankenhiiuser gebaut oder bestehende bauIich entscheidend verbessert. Nicht selten hat dies auch zu einer Neukonzeption des Behandlungsmilieus gefiihrt. Die starke Verbreitung von Gruppenverfahren, die sich bekanntlich intramural mehr durchgesetzt haben als extramural, ist ein Kennzeichen, die Bereicherung mit soziotherapeutischen Verfahren wie Ergotherapie, Arbeits therapie, Bewegungstherapie (oft als Gestaltungstherapie zusammengefaBt) ein anderes. Die klinische Psychotherapie wurde als eigene Disziplin anerkannt, ihre Ergebnisse wie jene der anderen erwiihnten Verfahren bei zahlreichen fachlichen Symposien und Kongressen reflektiert. Wir selbst hatten die Moglichkeit, iiber die Ergebnisse eines Milieusymposiums im deutschsprachigen Raum in Buchform zu berichten (Heim 1978). Vorwort XIII Das vorliegende Buch kniipft an diese friihere Arbeit an. Es ist der Versuch, theoretisch genauer zu begriinden, in seinem Ablauf wiederzugeben und, soweit iiberpriifbar, wissenschaftlich zu bestatigen, was ich in 10jahriger Tatigkeit an einem psychiatrischen Krankenhaus mit meinen Mitarbeitem entwickeln konnte. Wir hatten uns zunachst vorwiegend am Konzept der Therapeutischen Gemeinschaft orientiert, das uns zwar anfanglich nur aus der Literatur bekannt war, dann aber durch gezielte Auseinandersetzung zunehmend vertrauter wurde. RegelmaBige Kontakte mit kompetenten Kennem der Materie, allen voran mit den beiden "Griinder-Vatem" Maxwell Jones und Harry A. Wilmer, vermochten uns ebenso zu ermutigen wie die freundschaftliche und fachliche Unterstiitzung durch norwegische und deutsche Kollegen, insbesondere Jad J""rstad und Walter T. Winkler. Je mehr "unsere" Therapeutische Gemeinschaft dann in die Jahre kam, desto mehr bescMftigten mich kritische Fragen hinsichtlich ihrer fachlichen Absicherung. Als junger Chefarzt einer mittelgroBen (400 Betten) Klinik hatte ich Miihe, die thera peutische Identitat allmahlich zugunsten einer administrativen aufgeben zu miissen. So war ich auch dafiir dankbar, durch Grundannahmen der Therapeutischen Gemeinschaft die Klinik als Gesamtes gewissermaBen zu einem "therapeutischen Instrument" umformen zu konnen. Doch mit der Zeit meldeten sich Zweifel an der Giiltigkeit der bekannten Grundannahmen. Das Bediirfnis nahm zu, meine eigenen Vorstellungen zu prazisieren und mit meinen Mitarbeitem auszudiskutieren. Daraus ergaben sich ein paar Publikationen und einige bescheidene empirische Projekte. Dann kam, nach 10 Jahren, die schwierige Entscheidung, die bisherige Aufgabe zugunsten einer anderen, mehr wissenschaftlich ausgerichteten aufzugeben. Ich kam mir vor wie ein Kapitan, der sich von seinem Schiff absetzt, wenn dieses endlich auf flottem Kurs ist - ein nicht eben erhebendes Gefiihl. Die Entscheidung sollte dem Schiff so wie dem Kapitan in der ersten Zeit nach der Trennung noch zu schaffe n machen. Doch schlieBlich iiberwog die Attraktion meiner vertrauten Heimat, die mich im Grunde nie losgelassen hatte. Die ersten angespannten Jahre der neuen Aufgabe lieBen nur wenig Zeit, den Vorsatz zu verwirklichen, die 10 Jahre "SchloBli"-Tatigkeit in einer Publikation zusammenzufassen. Die Latenz, scheint mir, zahlt sich nun aber urn so vorteilhafter aus, als manches aus zeitlicher und geographischer Distanz niichtemer und sachlicher erwogen werden kann. Auch ist es fiir mich ausgesprochen erfreulich und beruhigend festzustellen, daB die Psychiatrische Klinik SchloBli noch heute, 7 Jahre spater, im Sinne des entwickelten Milieukonzeptes weiterarbeitet. Dies ist wesentlich dadurch bedingt, daB trotz der im Spitalwesen iiblichen hohen Personalrotation die wichtigsten Kadedeute der Klinik treu blieben. Und es hat sich erwiesen, daB die "therapeutische Kultur" in der Klinik so tief verwurzelt ist, daB diese - nach voriibergehender Verunsicherung - unter der neuen Leitung von Frau Dr. med. Christine Daeppen, arztlichem Direktor (Oberarztin zu meiner Zeit), so schwierige Aufgaben wie die kurzfristige Ubemahme der vollen Verantwortung fiir eine Versorgungsregion gut bewaltigen konnte. Das Anliegen des vorliegenden Buches ist es, das Modell der Therapeutischen Gemeinschaft, das unserer Arbeit vorerst zugrunde lag, zu iiberwinden und in die grundsatzlicheren Vorstellungen der Milieutherapie iiberzufiihren. Ich sehe mich da nur zum kleinsten Teil mit jeden Kritikem einig, die Therapeutische Gemeinschaften als modisch, kultisch, dogmatisch, rigid, militant, unkritisch, unverantwortlich,