Hans Schaefer Heinrich Schipperges Gustav Wagner (Hrsg.) Praventive Medizin Aspekte und Perspektiven einer vorbeugenden Medizin Mit 26 Abbildungen und 17 Tabellen Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York London Paris Tokyo Professor Dr. Hans Schaefer Physiologisches Institut 1m Neuenheimer Feld 326 6900 Heidelberg Professor Dr. Heinrich Schipperges Institut fur Geschichte der Medizin 1m Neuenheimer Feld 305 6900 Heidelberg Professor Dr. Gustav Wagner Institut fUr Dokumentation, Information und Statistik Deutsches Krebsforschungszentrum 1m Neuenheimer Feld 280 6900 Heidelberg ISBN -13 : 978-3-540-17 523-0 e-ISBN -13 : 978-3-642-71887-8 001: 10.1007/978-3-642-71887-8 CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Praventive Medizin : Aspekte u. Perspektiven e. vorbeugenden Medizin / Hans Schaefer ... (Hrsg.). - Berlin; Heidelberg; New York; London; Paris; Tokyo: Springer, 1987. ISBN-13: 978-3-540-17523-0 NE: Schaefer, Hans [Hrsg.J Dieses Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Obersetzung, des Nachdruckes, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfaltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfaltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der Fassung vom 24. Juni 1985 zulassig. Sie ist grundsatzlich vergiitungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1987 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daB solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Produkthaftung: Fiir Angaben iiber Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewahr iibernommen werden. Derartige Angaben miissen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit iiberpriift werden. 2121-3145-543210 Geleitwort Vor 20 Jahren bereits wurde an der Bezirksarztekammer Nord wurttemberg eine Studienkommission ins Leben gerufen, die sich "Prospektive Untersuchungen uber die Medizin im Jahre 2000" zum Thema macht. In den letzten Jahren konnte aus der Arbeit dieser Kommission eine Reihe von Publikationen vorgelegt wer den, die das Interesse einer breiten Offentlichkeit fanden, so - urn nur einige Beispiele zu nennen -: Computer veriindern die Medizin (1969), Entwicklung moderner Medizin (1971), Medizinische Dienste im Wandel (1975), Medizinische Oko!ogie (1979), EfJektivitiit und Ejfizienz in der Medizin (1981), Gesundheits politik (1984). Die vorliegende Publikation stutzt sich auf Referate, die in ei nem interdisziplinaren Kolloquium in den Jahren 1983 bis 1986 am Institut fUr Geschichte der Medizin der Universitat Heidel berg unter dem Thema "Probleme einer praventiven Medizin" ge halten wurden. Die "praventive Medizin" - seit Jahrtausenden ein Thema der Heilkunde, seit hundert Jahren aber mehr und mehr vergessen - ist in den letzten Jahren auffallend in den Mit telpunkt des offentlichen Interesses geriickt. 1m Zeitalter der be drohlich anwachsenden chronischen Krankheiten hat sich auch die naturwissenschaftlich orientierte Medizin mit vollem Ernst wieder der Problematik der Vorbeugung und der Nachbehand lung zugewandt. Die Arztekammer begriiBt eine Veroffentlichung, in der neb en historischen und zeitkritischen Analysen der Medizin auch die Vertreter benachbarter Fachbereiche zu Worte kamen; sie dankt vor aHem den Studenten verschiedener Fakultaten fUr das Inter esse an dieser akademischen Veranstaltung und wunscht der Pu blikation ein weites Echo. Stuttgart, im Friihjahr 1987 Dr. Boeckh, Prasident der Bezirksarztekammer N ordwurttemberg Inhaltsverzeichnis Einfiihrung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 H. Schaefer, H. Schipperges, G. Wagner Das Problem der Vorsorge Zur Problematik der Pravention . . . . . . . . . . . . . . .. 11 H. Schaefer Entwicklung und Situation der Praventivmedizin ...... 25 H. Schipperges Kritische Obersicht tiber das Begriffsfeld . . . . . . . . . .. 39 P. Ridder Psychologische Voraussetzungen praventiven Verhaltens . .. 65 R. Verres Vorbild und Nachahmung als Vehikel der Pravention ... 75 J. Schlemmer Arzt und Recht im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . .. 83 A. Laufs Aspekte der Pravention Wirtschaftliche Aspekte der Pravention ............ 101 F. E. Miinnich Die gesetzliche Rentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland ........................... 111 G. Mollhoff VIII Inhaltsverzeichnis Unfallverhiitung als Primiirpdivention ........... 135 H. Schaefer Problematik der Krebspriivention ............... 147 G. Wagner Priivention bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen ........ 155 U. Laaser Gruppenarbeit in der Priivention ............... 167 B. Geue Perspektiven einer Vorsorgemedizin Gesundheitserziehung und Gesundheitsbildung als Gegenstand der iirztlichen Aus- und Weiterbildung . . . . . 179 W. Jacob Ein Modell der Gesundheitsiiberwachung und medizinischen Betreuung .................... 199 G. Wagner Modelle einer primiiren Priivention .... . . . . . . . . . . 209 G. Vescovi Leben in bedingtem Gesundsein . . . . . . . . . . . . . . . . 233 F. Hartmann Mit der Krankheit leben - Stile und Strategien des Patientencoping ......................... 255 D. v. Engelhardt Priivention in der Medizin - Eine Bibliographie . . . . . . . 269 G. Wagner, U. Wolber Mitarbeiterverzeichnis Prof. Dr. Dietrich v. Engelhardt Institut fUr Medizin- und Wissenschaftsgeschichte, Ratzeburger Allee 160,2400 Lubeck Dr. Bernhard Geue Institut fUr Gesundheitsbildung im Haus des Kurgastes, Kurpark, 6990 Bad Mergentheim Prof. Dr. Fritz Hartmann Med. Hochschule Hannover, Dept. fur Innere Medizin, Karl-Wichert-Allee 9,3000 Hannover-Kleefeld Prof. Dr. Wolfgang Jacob Institut fUr Sozial- und Arbeitsmedizin, 1m Neuenheimer Feld 368, 6900 Heidelberg Priv.-Doz. Dr. med. Ulrich Laaser Institut fUr Dokumentation und Information uber Sozialmedizin und offend. Gesundheitswesen (I DIS), Westerfeldstr. 15-17,4800 Bielefeld 1 Prof. Dr. Adolf Laufs Juristische Fakultat der Universitllt, Wilhelmstr. 7, 7400 Tubingen Prof. Dr. med. Gerhard Mollhoff Institut fUr Rechtsmedizin, Voss-Str. 2, 6900 Heidelberg Prof. Dr. Frank Munnich Med. Pharmazeutische Studiengesellschaft, Bilhildisstr. 2, 6500 Mainz 1 Priv.-Doz. Dr. Paul Ridder Konigsstr. 87,4402 Greven x Mitarbeiterverzeichnis Prof. Dr. Hans Schaefer Physiologisches Institut, 1m Neuenheimer Feld 326, 6900 Heidelberg Prof. Dr. Heinrich Schipperges Institut fUr Geschichte der Medizin, 1m Neuenheimer Feld 305, 6900 Heidelberg Dr. Johannes Schlemmer Wiesenhaus, 6901 Neckarsteinach-Grein Priv.-Doz. Dr. med. Rolf Verres Psychosomatische UniversiUitsklinik, Landfriedstr. 12, 6900 Heidelberg Dr. Gerhard Vescovi Institut fur Gesundheitsbildung im Haus des Kurgastes, Kurpark, 6990 Bad Mergentheim Prof. Dr. Gustav Wagner Institut fUr Dokumentation, Information und Statistik, DKFZ, 1m Neuenheimer Feld 280, 6900 Heidelberg Einfiihrung H. Schaefer, H. Schipperges, G. Wagner "Pravention" ist zum Schlagwort unserer Tage geworden, ein Schlagwort, das immer weiter wuchert und wildert und gleichzeitig immer blasser und welker wird. DaB mit dem Schlagwort "Pravention" in der Regel nicht einmal ein be grifflich fixierter Sachverhalt verbunden ist und wie wenig es ernst genommen wird, mochten wir an einigen Beispielen darlegen, die aus jungster Zeit stam men. Als ein Muster begrifflicher Verwirrung greifen wir das Programm der Bun desregierung auf, das auch fUr die Jahre 1983 bis 1986 unter dem Titel "For schung und Entwicklung im Dienste der Gesundheit" lauft (1983 herausgegeben von den Bundesministerien fUr Forschung und Technologie, fUr Arbeit und So zialordnung und fUr Jugend, Familie und Gesundheit). Die Verwirrung beginnt bereits mit dem einleitenden Schaubild, wonach die "Ausgaben fUr Gesundheit" von 70 Mrd. im Jahre 1970 auf uber 200 Mrd. im Jahre 1980 angestiegen sind. Das Bild zeigt eindeutig, daB weit uber 90% aller Leistungen fUr Behandlung und Krankheitsfolgeleistungen erbracht werden, so daB es heiBen muBte: "Aus gaben fUr Krankheit" (und eben nicht "fur Gesundheit"). Konkreter erscheint der Begriff Pravention, wenn vom "Aktionsprogramm der Bundesregierung" die Rede ist. Da heiBt es einleitend, das System der Medi zin sei bisher uberwiegend auf die Behandlung von Krankheiten ausgerichtet gewesen. Der Schutz der Gesundheit mache es jedoch erforderlich, u.a. auch den Bereich der Pravention auszubauen. "Dies ist als vorrangiges gesundheitspoliti sches Ziel allgemein anerkannt". Damit die Pravention "umfassend" ansetzen konne, musse sowohl auf die Umwelteinflusse als auch auf das Verhalten des einzelnen abgezielt werden. Nur so konne man den Burger unterstutzen, "mog lichst gesund zu leben". Voraussetzung fUr eine solche Pravention sei es, "die fur die Gesundheit schadlichen Einflusse sowohl aus der Umwelt als auch aus der individuellen LebensfUhrung weiter zu erforschen". Mit dieser Praambel scheint schon alles gesagt: "Schaffung gesundheitsge rechter Lebensbedingungen" wird in der Folge als eine •• gesamtgesellschaftliche Aufgabe" angesehen. Gezahlt werden hierzu noch das "Umweltprogramm" der Bundesregierung sowie das Programm "Forschung zur Humanisierung des Ar beitslebens", Themen, die - wie zugegeben wird - "aus anderen Forschungspro grammen" stammen. Das ist alles. Von "Gesundheit" wird nur ein einziges Mal noch gesprochen, namlich da, wo davon die Rede ist, daB die Burger "sich selbst fUr ihre Gesundheit einsetzen mussen". Unter den aufgefuhrten Forde rungsschwerpunkten, die Millionen verschlingen, kommt das Wort "Pravention" nicht einmal mehr vor. 2 Einfilhrung Wesentlich griffiger erscheint ein weiteres Beispiel. Ende 1984 erschien das Buch "Priivention in der Praxis" (Miinchen 1984) hg. u. a. von H. Neumeister und E. Niissel. Da heiBt es im Vorwort: "Schwerpunkt der Pravention ist die Gestal tung unseres Lebensalltags." Gestalten aber sollte den Alltag u. a. die Medizin, wei I sie hinreichend Erkenntnisse hat iiber "risikoreiche Lebensweisen". In den GruBworten zu einem davorliegenden KongreB (Oktober 1983 in Heidelberg) heiBt es, schon Rudolf Virchow habe im vergangenen lahrhundert "ein Zusatz studium der Padagogik fUr den Mediziner" gefordert. Besondere Beachtung fand das von G. Schettler vorgetragene "Konzept zu einer umfassenden Praven tion", wonach "Vorsorge- und BehandlungsmaBnahmen" im Konzept der mo demen Medizin "als gleichrangig" betrachtet werden. Es heiBt dann weiter und noch weitergehend: "Wir miissen von der vorwie gend kurativ bestimmten Medizin weg und hin zur Pravention und auch zur Re habilitationsmedizin." Die Erfahrungen jiingster Feldstudien batten eindeutig gezeigt, daB Pravention nicht nur auf junge Menschen zu beschranken sei, daB vielmehr auch und gerade die hoheren Altersklassen miteinbezogen werden miiBten. Gerade dies werde die Gesellschaft "unerhort entlasten" und die Ge samtkosten senken. Schettler ist davon iiberzeugt, daB bei dies en Bemiihungen die Arzteschaft "das entscheidende Ferment" sei, da wir hier an einer "gewissen Wende der Medizin" stiinden. Uber die Rolle der Universitat bei der Pravention sprach E. Niissel. Er stellte drei Thesen auf: 1) 1m Grunde ist die Medizin immer stark praventiv orientiert gewesen, und auf dies em Gebiete hat sie auch das meiste geleistet. 2) Kuration und Pravention sind in praxi untrennbar miteinander verbunden. 3) Wir streben eine Pravention an, die letztlich von der Medizin geleistet werden muB, d.h. von der Arzteschaft und den von uns auszubildenden Arzten. Und die Ante selbst? Nun, hier haben sich nach unserer bisherigen Erfah rung fUnf Gegenargumente herausgebildet, die beachtet werden sollten und in unsere "Apologetik der primaren Pravention" eingebracht werden miissen. Die Argumente lauten: 1) Pravention - das machen wir Arzte schon immer, indem wir die Ursachen der Krankheit erforschen, urn dann auch eine rationelle Prophylaxe zu entwik keln. 2) Der Gesunde sucht den Arzt nicht auf. Arztlichen Rat erteilen konnen wir erst bei entsprechendem Leidensdruck. 3) Sicher und geborgen fiihlen wir uns allein im Bereich der kurativen Medizin, und hier sind wir auch zustandig; dafUr wurden wir ausgebildet. 4) "Gesundheit" hat in der Gebiihrenordnung keine Ziffer und laBt sich im Versicherungssystem nicht abrechnen. 5) Hatten wir mit der Gesundheitsbildung breite Erfolge, so batten wir ja nichts mehr zu tun, wOrden uns also ins eigene Fleisch schneiden. Pravention - so hat es den Anschein - ist und bleibt ein Problem! Von dieser Problematik ausgehend, haben wir in unseren Kolloquien versucht, mit den Analysen immer auch Programme zu verbinden, die als Konzept fUr eine ge sunde LebensfUhrung dienen konnten. Denn "Pravention" ist in erster Linie pri mare Pravention; sie zielt auf Erhaltung, Schutz und Forderung der Gesundheit.