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Politische Streitfragen: Band 2 Deutsche Innen- und Außenpolitik PDF

194 Pages·2012·1.23 MB·German
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Egbert Jahn Politische Streitfragen 2 Egbert Jahn P olitische S treitfragen Band 2 Deutsche Innen- und Außenpolitik Bibliografi sche Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. 1. Aufl age 2012 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012 Lektorat: Frank Schindler | Verena Metzger VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspei- cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-18617-7 Inhalt 5 Inhalt Vorwort 7(cid:3) Verstöße und Verstoßung Thilo Sarrazins. Zur Begrenzung politischer Meinungsfreiheit in Deutschland 13(cid:3) „Tätervolk“ und „Tätervölker“. Zum Verhältnis zwischen Antisemitismus und übermäßigen Antisemitismus-Vorwürfen am Beispiel der Hohmann-Affäre 40(cid:3) „Multikulturalismus“ oder deutsche „Leitkultur“ als Maximen der „Integration“ von Ausländern 58(cid:3) Vorteile und Risiken mehrfacher Staatsangehörigkeit 76(cid:3) Der Verfassungsvertrag und der Lissabonner Vertrag: die Europäische Union auf dem Weg zum Bundesstaat? 93(cid:3) Nochmals: Niederlage oder Befreiung am 8. Mai 1945 110(cid:3) Von der westeuropäischen Erinnerung an Auschwitz zur gesamteuropäischen Erinnerung an Auschwitz und den Archipel GULag – eine fällige gedenkpolitische Folge der Osterweiterung der EU 127(cid:3) Vertreiber und Vertriebene. Über eine angemessene Form des Gedenkens an Vertreibungsopfer 144(cid:3) „Die Rache des Sowjetsozialismus“: die Bürokratisierung des deutschen Hochschulwesens 161(cid:3) Die „Verteidigung Deutschlands am Hindukusch“. Die deutsche Rolle in Afghanistan 178(cid:3) Vorwort 7 Vorwort Seit Mai 2004, also gegen Ende meiner regulären Berufstätigkeit, halte ich re- gelmäßig Vorlesungen zu „Politischen Streitfragen in zeitgeschichtlicher Per- spektive“, und zwar bis Dezember 2009 an der Universität Mannheim, wo ich von 1993 bis 2005 den Lehrstuhl für Politische Wissenschaft und Zeitgeschich- te innehatte, und seit Oktober 2009 an der Johann Wolfgang Goethe- Universität Frankfurt am Main, wo ich nunmehr Lehrbeauftragter bin. Dort war ich von 1975 bis 1993 Professor für Politikwissenschaft und Politische Soziolo- gie und außerdem von 1971 bis 1990 Wissenschaftlicher Mitarbeiter und dann Forschungsgruppenleiter an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktfor- schung. Zu den Vorlesungen kommen sowohl reguläre Studenten als auch viele Senioren der „Universität des 3. Lebensalters“, wie diese so sehr sinnvolle Ein- richtung etwas euphemistisch heißt. Politikwissenschaft verstehe ich als Wissenschaft von der Politik, die zwar nicht wirklich wertneutral und wertfrei sein kann, da alle wesentlichen Begriffe dieser Wissenschaft unvermeidlich wertbehaftet sind, aber sie kann und soll sich in der Äußerung von politischen Werturteilen und der Benutzung stark wertbe- setzter und emotionaler Sprache sehr zurückhalten. Insofern politische Emp- fehlungen geäußert werden, sollen sie als solche ausdrücklich ausgewiesen wer- den, so daß Analyse der Vergangenheit und Prognose möglicher und wahr- scheinlicher Zukunft einerseits und normative Aussagen andererseits deutlich voneinander geschieden bleiben. Zeitgeschichtswissenschaft ist in meinen Au- gen ein unverzichtbarer Zweig der Politikwissenschaft und war es auch unbe- stritten, als nach 1945 Politikwissenschaft als Demokratiewissenschaft an den deutschen Universitäten eingerichtet wurde. Zeitgeschichte als die in die Zukunft hineinreichende Geschichte verstehe ich als Weltgeschichte des Zeitalters des sich schrittweise durchsetzenden Ge- dankens der Volkssouveränität. Sie gliedert sich bislang in die drei Zeitabschnit- te des „langen Jahrhunderts“ von 1776/ 1789 bis 1917, in dem sich langsam die Kräfte zur Gestaltung der modernen liberalen und sozialen Demokratie entfal- teten, des „kurzen Jahrhunderts“ von 1917 bis 1991, das vom Antagonismus zwischen liberaler Demokratie und ihren kommunistischen und nationalsozialis- tisch/faschistischen Antipoden geprägt wurde, und des 1991 begonnenen neu- en Jahrhunderts, in dem offenbar neue, ernsthafte, etwa die islamistisch- theokratischen Herausforderungen aufgekommen sind und in den nächsten 8 Vorwort Jahrzehnten weiterhin auf die Demokratien zukommen werden. Gewaltsame und kriegerische Politik werden nicht von der Tagesordnung schwinden und immer wieder nach den Möglichkeiten von Friedenspolitik fragen lassen. Es bleibt eine Aufgabe der Friedens- und Konfliktforschung, Antworten hierzu zu erkunden. Demokratie ist unter allen Herrschaftsformen diejenige, die den selbstän- dig urteilenden und verantwortlichen, den politischen Bürger voraussetzt. Der Bürger, der sich für unpolitisch hält, ist unvermeidlich politisch in dem Sinne, daß er die jeweils herrschende Politik unterstützt, indem er seine Stimme einer besseren Alternative zur herrschenden Politik verweigert. Für die Demokratie gilt mehr als für jede andere Herrschaftsform der Satz, daß jedes Volk die Re- gierung hat, die es verdient; will ein Volk eine bessere Regierung, muß es sich zunächst selbst bessern. Gemeint ist, in seiner politischen Urteilskraft und in seinem politischen Handeln, denn jeder mündige Bürger ist Inhaber einer Stimme bei Wahlen und Volksabstimmungen, der er sich nicht entäußern kann. Als jemand, der das Privileg hatte, fast lebenslang Politik und ihre soziohis- torischen Voraussetzungen und Gründe studieren zu dürfen, sollte ich eine gewisse Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit aktuellen Nachrichten, zur Beschaffung von Hintergrundinformationen erlangt haben, die es anderen ermöglicht, ihre politische Urteilskraft zu schulen, gleichgültig welcher Nationa- lität sie sind oder welche politischen Grundüberzeugungen sie hegen. Aus die- sem Grunde wage ich es auch, mich zu Themen zu äußern, zu denen ich keine eigenen, gründlichen Forschungen betrieben habe. Mit einer kurzen, zeithisto- risch fundierten Analyse möchte ich es den Hörern und Lesern meiner Vorle- sungen ermöglichen, ihr eigenes politisches Urteil aufgrund ihres Vorwissens, ihrer Wertprämissen und Interessen, unvermeidlich auch aufgrund ihrer uner- kannten und unbewußten Vorurteile, fortzubilden, indem ich Voraussetzungen, Zusammenhänge und mögliche Folgen dieser oder jener politischen Entschei- dung verdeutliche. Die Vorlesungen hätten ihren Sinn und Zweck verfehlt, würden sie nach den Schlußfolgerungen bewertet, zu denen ich als der Vortra- gende mehr oder weniger entschieden und eindeutig in der jeweils thematisier- ten Streitfrage komme. Vielmehr kommt es darauf an, ob die Zuhörer und Le- ser aus meinen Ausführungen in der Weise Gewinn ziehen können, daß sie neue Dimensionen, Voraussetzungen und mögliche Folgen des Streitgegen- stands und des Streites selbst erkennen können, die bislang nicht in ihr Blickfeld gerieten. So manche Reaktion der Zuhörer und Leser hat mich darin bestätigt, daß dies hin und wieder gelingt, so daß ich mich ermuntert fühle, das Experi- ment fortzusetzen. Vorwort 9 Als Themen für die Vorlesungen wähle ich brisante Streitfragen der In- nenpolitik und der internationalen Politik aus, die manchmal gewaltträchtig sind oder in der jüngeren Vergangenheit gewaltsam ausgetragen wurden. So werden in diesem Band der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, die Erinnerungs- politik an die Beendigung des Zweiten Weltkrieges, die Massenvernichtungspo- litik der nationalsozialistischen und kommunistischen Regime und die Vertrei- bungspolitik der Siegermächte thematisiert. Außerdem werden in zwei Beiträgen die Integrationspolitik gegenüber Ausländern und Neubürgern nichtdeutscher Ethnizität sowie das denkbare Fernziel des europäischen Einigungsprozesses, ein föderativer Zusammenschluß der Mitgliedsstaaten, schließlich der bürokrati- sche Charakter der deutschen Hochschulreformen untersucht. In Deutschland rufen immer wieder Äußerungen von prominenten oder weniger prominenten Politikern wie Thilo Sarrazin oder Martin Hohmann Assoziationen zu fremden- feindlichen und rassistischen Denkmustern des Nationalsozialismus und den Wunsch nach politischer Ächtung dieser Politiker hervor. Jedes dieser Ereignis- se verlangt nach sorgfältiger Analyse solcher jeweils unterschiedlich gelagerter politischer Affären. Kaum ein Thema dieses Bandes steht nicht im Zusammen- hang mit der Aufarbeitung der deutschen Geschichte in der Epoche der natio- nalsozialistischen Herrschaft. Zwölf der 36 Vorlesungen wurden bereits 2008 als Buch im Verlag für So- zialwissenschaften veröffentlicht. Die anderen erscheinen in diesem Jahr als Band 2 und 3. Im Anhang sind die einzelnen Titel der Aufsätze in Band 1 und 3 verzeichnet. Die im vorliegenden Band versammelten Vorlesungen habe ich bereits einmal vor Jahren in Mannheim gehalten, aber in den letzten Monate erneut in Frankfurt in einer aktualisierten Form vorgetragen. Fast alle Themen veralten nicht so rasch. Die einzige Ausnahme ist die Hohmann-Affäre, die den heutigen Studenten nicht mehr im Bewußtsein ist. Im Zusammenhang mit der Sarrazin-Affäre bleibt die Analyse der Hohmann-Affäre meines Erachtens gera- de auch heute wieder lesenswert, und wird auch in Zukunft durch ähnliche Affären wieder in Erinnerung geraten. An der grundsätzlichen Analyse der Mannheimer Vorlesungen hatte ich bisher nichts zu ändern; selbst die Progno- sen waren erfreulich korrekt. Für Frankfurt und für diese Buchausgabe waren nur die aktuellen Bezüge zum Tagesgeschehen herzustellen und zu berücksich- tigen, daß hier und da eine neue Regierung an die Macht kam. Lediglich im Falle des Afghanistan-Einsatzes der NATO hatte ich nicht mit der überaus raschen Erosion der Legitimität dieses Einsatzes. d. h. seiner anfänglichen Unterstüt- zung durch wohl die Mehrheit der Bevölkerung in Afghanistan gerechnet. Ein Wissenschaftler sollte sein Lehr-Katheder nicht für politische Predig- ten und Bekenntnisse mißbrauchen, sondern einen Konflikt von allen denkba- 10 Vorwort ren und sinnvollen politischen Seiten her beleuchten, ihn sorgfältig in Hinblick auf seine Elemente und Entstehungsgründe analysieren und dann in seiner gesellschaftlichen und geschichtlichen Entstehung darstellen und erklären. Fünf Sechstel der Vorlesung bestehen demnach aus wissenschaftlicher Analyse: nähe- re Bestimmung des Streitgegenstands, Anführen der wichtigsten Positionen, die in der Öffentlichkeit zu ihm vertreten werden, Aufzeigen des historischen Hin- tergrunds des Streits und Darstellung der vermutlichen Folgen der Verwirkli- chung dieser oder jener politischen Position. Dabei lasse ich den üblichen aka- demischen Fußnotenapparat beiseite. Während meiner Lehrtätigkeit fragten mich Studenten gelegentlich nach meiner persönlichen politischen Beurteilung von Sachverhalten und aktuellen Streitfragen und wollten sich nicht allein mit deren wissenschaftlicher Analyse begnügen; meine politische Haltung als Bürger zur Sache verschwieg ich dann auch nicht im persönlichen Gespräch oder auch im Hörsaal oder Seminarraum. Bei den Vorlesungen zu politischen Streitfragen habe ich nunmehr schon von vorneherein stets im eigens ausgewiesenen 5. Abschnitt meine eigene Vorstel- lung von einem friedenspolitischen Umgang mit dem jeweiligen Streitfall kurz ausgeführt, die ich Politikern oder politischen Aktivisten empfehlen würde, sollten sie mich um Rat fragen oder meine Vorlesungsskripte lesen, was ich hin und wieder erlebe. Um den beträchtlichen Aufwand für jedes Thema lohnender zu machen, stelle ich einen im Umfang strikt limitierten, druckfertigen Text her und setze ihn ins Internet, früher meist recht spät, heute möglichst schon am Tage der Vorlesung. Allerdings trage ich die Vorlesung stets in freier Rede vor, denn eine Vorlesung sollte keine Ablesung sein, so daß zwischen dem ausgearbeiteten und detailreicheren und detailgenaueren Manuskript und der mündlichen Präsentati- on der Streitfragen in der Form ein deutlicher Unterschied besteht. Nicht selten berühren die Nachrichten derselben Woche oder desselben Monats, hin und wieder auch desselben Morgens das Vorlesungsthema. So bringe ich in den Vortrag manche unmittelbaren Assoziationen zum Zeitgeschehen ein, die in der schriftlichen Ausarbeitung nicht enthalten sind. Bei meinen Vorlesungen kann ich mich auf reiches Material und manche Erfahrungen aus vierzigjähriger Forschungstätigkeit zu Fragen der Ost-West- Beziehungen und der gesellschaftspolitischen Entwicklung in den früher kom- munistisch regierten Ländern Europas, außerdem über nationale Bewegungen, Nationalismus und Nationalstaatsbildung stützen. Dennoch wage ich mich auch an Themen heran, über die ich früher keine eigenen Forschungen betrieben habe, bei denen ich mich also ausschließlich auf Sekundärliteratur und aktuelle Zeitungsberichte und Dokumente stütze. Zur Überprüfung meiner Erkenntnis- Vorwort 11 se und Beurteilung der Streitpositionen sende ich das Manuskript jeder Vorle- sung an Fachkollegen mit einer spezifischen Expertise zum Land und zum Gegenstand der Vorlesung und bitte sie um kritische Kommentare. All diesen Freunden und Kollegen, die ich hier nicht nennen kann, danke ich für ihre An- regungen und Einwände auch auf diesem Wege ganz herzlich. Auch den Zuhö- rern, die mit nützlichen Nachfragen und klugen Einwänden zur letztendlichen Textgestaltung beitrugen, verdanke ich manchen wertvollen Hinweis. Die er- freuliche Resonanz in den vergangenen sieben Jahren und die klugen Nachfra- gen und Einwände der Zuhörer und Leser ermuntern mich dazu, das Experi- ment der bislang 36 Vorlesungen zum ständigen Thema „Politische Streitfragen in zeitgeschichtlicher Perspektive“ auch in Zukunft fortzusetzen. Dem Verlag und insbesondere Herrn Frank Schindler bin ich für das große Verständnis für und das Interesse an dem Unternehmen eines Politikwissen- schaftlers und Friedens- und Konfliktforschers dankbar, der sich mit fachwis- senschaftlichen, soziohistorischen Argumenten brisanter, aktueller politischer Streitfragen annimmt. Somit kann nunmehr nach dem ersten, im Jahre 2008 erschienenen Band, ein zweiter Band mit dem Titel „Politische Streitfragen. Deutsche Innen- und Außenpolitik“ erscheinen. Der dritte Band mit dem Titel „Politische Streitfragen. Internationale Politik“ wird in wenigen Monaten fol- gen. Wie im ersten Band möchte ich die Leser auch diesmal wieder einladen, ih- re kritischen Einwände, Bemerkungen und Nachfragen zu äußern, wozu sie auch eine meiner folgenden elektronischen Adressen nutzen können: [email protected] oder [email protected]. Mannheim und Frankfurt am Main, im Mai 2011

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Politikwissenschaft sollte sich nach Auffassung Egbert Jahns in den politischen Meinungsstreit in erster Linie durch sachkundige Analysen, aber auch durch prononcierte politische Stellungnahmen einmischen. In den vorliegenden Texten zur deutschen Innen- und Außenpolitik stellt er den zeitgeschichtl
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