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Politische Sprachwissenschaft: Zur Analyse von Sprache als kultureller Praxis PDF

359 Pages·1985·8.118 MB·German
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Franz Januschek (Hrsg.) . Politische Sprachwissenschaft Franz Januschek (Hrsg.) Politische Sprachwiss ens chaft Zur Analyse von Sprache als kultureller Praxis Westdeutscher Verlag CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Politische Sprachwissenschaft: zur Analyse von Sprache als kultureller PraxIs 7 Franz Januschek (Hrsg.). - Opladen: Westdeutscher Verlag, 1985. NE: Januschek, Franz (Hrsg.) ~ 1985 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Umschlaggestaltung: Horst Dieter Burkle, Darmstadt Druck und buchbinderische Verarbeitung: Lengericher Handelsdruckerei, Lengerich AIle Rechte vorbehalten. Auch die fotomechanische Vervielfaltigung des Werkes (Fotokopie, Mikrokopie) oder von Teilen daraus bedarf der vorherigen Zu stimmung des Verlages. ISBN-13:978-3-531-11719-5 e-ISBN-13:978-3-322-87626-3 DOl: 10.1007/978-3-322-87626-3 Einleitung: Franz Januschek: Zum Selbstverstandnis poli tischer Sprachwissenschaft .......................... . I. Zur Theorie, Methodologie und Geschichte politischer Sprachwissenschaft ................................... 21 1. Richard Johnson: Was ist Uberhaupt Kulturanalyse ... 23 2. Utz Maas: Konnotation .............................. 71 3: Gerd Simon: Sprachwissenschaft im III.Reich. Ein erster Uberblick ............................... 97 II. "Volks "-Linguistik .................................. 143 1. Herbert E. Brekle: "Volkslinguistik": ein Gegen stand der Sprachwissenschaft bzw. ihrer Historiographie? .................................. 145 2. Wolfgang Rohde: Volksetymologie und Sprach- bewuBtheit ........................................ 157 III. Diskurse und Ihre Muster ........................... 175 1. Adi Gn!wenig: "Typisch deutsch?" - Aspekte von Selbstdarstellung und Selbstverstehen ............. 177 2. RUdiger Vogt: Peepshows nein danke! - Subkultu- relle Schreibweisen Uber Sexualitat ............... 207 IV. Inszenierungen und Mehrfachlesweisen ................ 233 1. Ingrid Jung, Barbara Lange, Horst Walther: Zur Sprachpolitik der 'Wende'. Analyse einer Kohl-Rede ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 235 2. Christoph Sauer: NS-Sprachpolitik in der Besat- zungssituation ................................... 271 3. Gunter Presch: Verdeckte Beurteilungen in qualifi- zierten Arbeitszeugnissen ......................... 307 Autoren dieses Bandes .................................. 361 Einleitung Franz Januschek: Zum Selbstverstandnis politischer Sprach wissenschaft 1. Zur Forderung nach politischem Engagement FUr die meisten heute forschenden und lehrenden Sprachwissen schaftler in der BRD dUrfte der Aufschwung, den die Linguistik um 1970 an den westdeutschen und westberliner Universitaten durchmachte, eine wichtige Phase ihrer Biographie gewesen sein. Dieser Aufschwung war bekanntlich u.a. mit der Hoffnung verbunden, die verstaubte und imrner noch nicht von faschisti schen Elementen befreite Germanistik durch eine fortschritt liche Wissenschaft zu ersetzen. Dabei ging es nicht darum, die Linguistik zu reformieren; vielmehr erschien die Linguistik per se als eine fortschrittliche Wissenschaft, durch die (u.a.) eine andere Wissenschaft, eben die Germanistik, refor miert werden konnte. Das unterschied die Linguistik von an deren Disziplinen, die ja nahezu aIle damals die Auseinander setzung zwischen "Konservativen" und "Fortschrittlichen" er lebten. NatUrlich ging diese Phase schnell vorbei, und die Auseinandersetzungen fanden sehr bald auch innerhalb der Lin guistik statt. Aber fUr viele von uns, die damals zur Lingui stik stieBen, war das mit dem Selbstverstandnis verbunden, etwas Fortschrittliches zu tun. Niemand hingegen ware damals auf die Idee gekomrnen, jemandem eine fortschrittliche poli tische Gesinnung zu unterstellen, bloB wegen seiner Eigen schaft, Literatur- oder Mediavistik-Professor zu sein - eher im Gegenteil. Linguisten verstanden sich und galten weithin als engagierte Wissenschaftler, die ihre Tatigkeit in den Dienst von gesellschaftlicher Aufklarung und emanzipatorischer Spracherziehung stellten. Die westdeutsche Linguistik war al so sozusagen von Geburt an mit dem Anspruch verknUpft, nicht nur ihren Gegenstand angemessen zu beschreiben, sondern auch etwas gesellschaftlich NUtzliches zu tun - ein Anspruch, der nicht wie bei den Kollegen in der DDR von auBen ohnehin auf erlegt war, sondern der zur inneren Natur von vie len unter uns gehorte: Die allgemeintheoretische Sprachbetrachtung vertieft die er worbenen Sprachkenntnisse und macht die Rolle und Funktion 2 der Sprache als Kommunikationsmittel und ihre Wandlungsfahig keit bewuBt. Voraussetzung daftir ist, daB das Studium der Linguistik unter die zentralen Gesichtspunkte der Methodolo gie und Sprachtheorie gestellt wird. ~.~ Ein kritisches SprachbewuBtsein wird den Schtiler befahigen, die Sprache in ihrer erkenntnistheoretischen und gesellschaftlichen Stellung sowie in ihren Beztigen zu auBersprachlichen Bezugsrahmen zu beurteilen. (Memorandum zur Reform ... , 71) Oie Problematik des politischen Engagements, das aus solchen, in didaktischen Begrtindungszusammenhangen haufiger zu finden den Formulierungen spricht, liegt darin, daB es in der Regel zu wenig mit dem Streben nach Erkenntnisgewinn~rmittelt ist. Oem Engagement der Forschenden wird die Funktion zugedacht, die Anwendung der Forschungsergebnisse zu beeinflussen, rele vante Forschungsgegenstande auszuwahlen; aber in den Erkennt nissen tiber den Gegenstand selbst wird die Abstraktion von der Leidenschaft, die den ErkenntnisprozeB noch geleitet (und getrtibt) haben mag, angestrebt. Oiese Trennung der Wahrheit der Erkenntnisse von ihrer Be deutsamkeit ftir einen selbst und ftir die Gesellschaft hat Folgen, die sich in der heutigen Sprachwissenschaft durchaus erkennen lassen: Wenn wir die Forschungsergebnisse in der Oar stellung betrachten, in der wir sie von den Spuren unseres engagierten Forschungsprozesses gereinigt haben, so stellen wir erschrocken fest, daB es ja nun noch eines engagierten Aktes ihrer Anwendung bedarf, damit sie tiberhaupt jene poli tische Wirksamkeit entfalten, die wir uns von ihnen verspro chen haben. Erschrocken deshalb, weil uns das Motiv eines sol chen engagierten Aktes als nicht durch die Erkenntnisse selbst determiniert erscheint, und weil daher auch jemand an ders, mit anderen Motiven als wir selber, diese Erkenntnisse in seinem Sinne anwenden kann. Hieraus resultieren sowohl die vielfachen Verdachtigungen von der Art, diese oder jene Forschung diene im Grunde nur den Herrschenden, als auch die Tendenz einiger Kolleg/inn/en, selbst in die Praxis zu gehen und dort die den eigenen politischen Zielen entsprechende An wendung sicherzustellen (vgl. z.B. den Aufsatz von Ehlich/ Mtiller/Wiehle, die heute allerdings nicht mehr mit ihrer da maligen position identifiziert werden konnen). 3 Eine andere Folge kann die sein, daB man sich ganz auf die Erforschung von Problemen verlegt, die schon von der Sache her offensichtlich politischen Charakter haben, und darUber andere linguistische Probleme vernachlassigt. So ist es si cher kein Zufall, daB die politisch bewuBten Kolleg/inn/en in der BRD in den Bereichen Phonologie und Syntax seltener anzutreffen sind als etwa in den Bereichen Pragmatik und Soziolinguistik. Auf diese Weise reduziert sich das Problem der gesellschaft lichen Relevanz der Sprachwissenschaft auf die Frage nach dem moralischen Engagement der Wissenschaftler/innen. Aber ge rade die Trennung des moralischen Engagements von der Gewin nung "positiver" Erkenntnis war immer als eines der Merkmale jener wissenschaftstheoretischen Haltung erkannt worden, das uns unter Berufung auf marxistische Denktraditionen als zu Uberwindende Ideologie galt. Erst mit der Aufhebung dieser Trennung kann also die Sprachwissenschaft jenem Anspruch ge nUgen, eine inharent fortschrittliche (i.S.v. die Potentiale der gesellschaftlichen Emanzipation freilegende und ent wickelnde) Wissenschaft zu sein. In diesem Sinne werde ichvon "politischer Sprachwissenschaft" sprechen. 2. Was ist "Politische Sprachwissenschaft"? Politische Sprachwissenschaft ist dadurch gekennzeichnet, daB fUr sie das Merkmal des Politischen bereits konstitutiv fUr den Forschungsgegenstand "Sprache" ist und nicht nur fUr die Forschungstatigkeit. Sie untersucht sprachliche Verhaltnisse als politische Verhaltnisse, d.h. als Aspekte der Tatigkeit des Sich-Gesellschaftlich-Organisierens: Politische Sprachwissenschaft analysiert sprachliche Verhalt nisse im Rahmen der gesellschaftlichen Reproduktion (also in Anlehnung an den etymologischen Sinn des Attributs politisch: das, was sich auf das gemeinsame Leben einer organisierten Menschengruppe ("Polis") bezieht). (Maas 1980a, 19). Indem Sprachpraxis als politische Praxis untersucht wird, ver andert sich auch die Qualitat des politischen Engagements der Forschenden: Von einer politischen Auseinandersetzung Uber die Sprache untersuchter Objekte zu einer Auseinandersetzung 4 mit der politischen Sprachpraxis untersuchter Subjekte. Dies bedeutet nicht zuletzt auch ein StUck Entlastung von der Ver antwortung, die Intellektuelle sich gern zuschreiben, daB namlich das GlUck der Menschheit im wesentlichen von ihnen als den allein Uber das rechte Wissen VerfUgenden abhange. Aus dem Gesagten wird klar, daB politische Sprachwissenschaft sich nicht Uber einen besonderen aus der Sprachwissenschaft auszugrenzenden Gegenstandsbereich definieren kann. Es gibt keinen Grund, etwa die "formalen" Regelsysteme von Phono logie und Syntax als Forschungsgegenstande gering zu schatzen, und zwar nicht erst deshalb, weil die Kenntnis solcher Regeln fUr andere Zwecke - etwa Diskursanalyse oder Zweitsprachdi daktik - nUtzlich sein kann, sondern vor allem deshalb, weil in diesen Regeln geschichtliche Erfahrungen aufgehoben sind, weil wir mit ihnen, bzw. ihrem Erwerb biographische Erfahrun gen verknUpfen, weil wir sie auch in unserer Praxis veran dern, weil wir gelegentlich bewuBt mit ihnen umgehen, sie als Normen befolgen oder miBachten - kurz: weil sie fUr uns For men der Aneignung von Erfahrungen darstellen. Solche Regeln zu befolgen oder zu beherrschen oder zu kennen bedeutet etwas fUr konkrete Menschen; und es kann wichtig sein, sich damit (mit ihnen darUber) auseinanderzusetzen. Und wenn sie nur etwas fUr Linguisten bedeuten, die ihre Systematik zu ergrUn den suchen, so ist gerade dies evtl. ein Sachverhalt, der etwas Uber bedeutsame gesellschaft"lich-biographische lIinter grUnde von Linguistentatigkeit aussagen konnte (vg~. dazu Stolting 1984). Wenn politische Sprachwissenschaft sich weder Uber ihren Ge genstandsbereich noch Uber das politische Engagement der Forschenden definiert, so gibt es dennoch eine Reihe von Kenn zeichen, durch die zusammengenommen sie sich gegenUber an deren Arten, Sprachwissenschaft zu betreiben, auszeichnet: 1. Die Gegenstandskonstitution, bzw. "Herangehensweise" (im wortlichen Sinn): Der Gegenstand "Sprachpraxis" ist weder ein vom forschenden Subjekt isoliertes und seinen phan tasievollen sezierenden Zugriff passiv abwartendes Objekt, noch wird von diesem Objekt ein solches Modell konstruiert. 5 Die Forschenden sind nicht nur Teil des von ihnen unter suchten Zusammenhangs - was sich bei Sprachwissenschaft. wie bei anderen Kultur- oder Geisteswissenschaften ja von selbst versteht -, sondern sie betrachten sich auch als solchen. Dieser Unterschied ist wesentlich. So ist es z.B. durchaus moglich, das System der deutschen Anredeformen zu analysieren, ja sogar seinen historischen Wandel und seine gegenwartigen Entwicklungstendenzen aufzuzeigen, ohne sich und seinen Lesern daruber Rechenschaft abzulegen, daB es wohl nicht zuletzt die eigenen Verhaltensunsicherheiten sind, die man mit seiner Untersuchung (in diesem Beispiel auf sehr direkte Weise) bearbeitet, daB man selber am Wan del dieses sprachlichen Subsystems beteiligt war und ist und daB man zu diesem Wandel gerade als Sprachwissenschaft ler eine begrundete Position beziehen kann (vgl.Z.B. Kohz 1982). Politische Sprachwissenschaft besteht darauf, nicht nur fremde (bzw. von einem selbst entfremdete) Formen der Aneignung von Erfahrung zu untersuchen, sondern die Unter suchung auch selbst als Aneignung von Erfahrung zu betrei ben. Besonders deutlich hat diesen Zusammenhang Christoph Sauer (in diesem Band) formuliert, wenn er am SchluB sei ner Untersuchung eingesteht, daB wir die Erzeugnisse fa schistischer Journalisten umso glaubwurdiger interpretie ren, je mehr wir den "Faschismus in uns" dazu bemuhen. Und er fordert deshalb fur die Haltung des sprachwissen schaftlichen Forschens: "Kein Glashaus soll uns schutzen" (ebd. ) . Es braucht uns auch kein "Glashaus" zu schutzen. Denn die Sprachpraxis, die wir untersuchen und deren Teil wir auf die ein oder andere Weise sind, enthalt auch ohne unser Zutun jenes reflexive Moment, das die Moglichkeit ihrer Kritik immer schon mit einbezieht. Die wissenschaftliche Sprachreflexion bezieht sich auf eine bereits reflektier te - und damit, im allgemeinen Sinne von "Kritik", be reits kritisierte - Praxis und fuhrt diese nicht allererst der Kritik zu. (Zur Konstitutivitat von SprachbewuBtheit fur Sprachpraxis vgl. Paprotte.) Sprachwissenschaft ist die Systematisierung der reflexiven Komponente alltagli- 6 cher Sprachpraxis. Diesen Zusammenhang zu begreifen kann nicht nur heiBen, der unsystematischen vorwissenschaftli chen Sprachbetrachtung die wissenschaftliche entgegenzu stellen; es muB im Sinne politischer Sprachwissenschaft auch bedeuten, sich in der vorwissenschaftlichen Sprach reflexion wiederzuerkennen, diese als die eigene Geschich te wieder anzueignen. Dies leisten z.B. die Beitrage von Brekle und Rohde in diesem Band, indem sie verschiedene Arten und Traditionen historischer (und auch noch gegen wartiger) "Volkslinguistik" bis hin zur Sprachmagie nach zeichnen (Brekle), bzw. die sog. "Volksetymologie" gegen Uber herablassiger WUrdigung durch die etablierte Sprach forschung dadurch in Schutz nehmen, daB sie sowohl das eine als auch das andere aus den Tatigkeitszusammenhangen erklaren, in denen sie entstehen (Rohde). 2. Dieses Verhaltnis zum Untersuchungsgegenstand bedingt na tUrlich auch ein besonderes Verhaltnis zu den untersuch ten Subjekten, den Tragern der Sprachpraxis. Der entschei dende Schritt besteht bereits darin, diese Uberhaupt als Subjekte ernstzunehmen. Ihre Sprache wird nicht von ihnen selbst abgespalten, als bloBe Form zugerichtet und unter sucht; ihre Erfahrungen und Intentionen werden vielmehr als solche ernstgenommen, und die wissenschaftliche Arbeit ist wesentlich eine systematisierte Auseinandersetzung mit diesen. Dies ist insoweit allerdings eine sehr ab~trakte, wenn auch plakative Formulierung. Die Schwierigkeit liegt in der Abgrenzung eines bloB "formalen" von einem "sich mit den Erfahrungen der untersuchten Objekte auseinander setzenden" Herangehen. Abstraktheit ist hier kein Beweis fUr "Formalismus" (vgl. dazu auch den Beitrag von Johnson in diesem Band, besonders S. 44 ). Und ebenso ist das um gangssprachliche Beschreiben von Sprechhandlungsstrategien oder das Wiedergeben von Sprachreflexions-Erkenntnissen von Probanden kein Beweis fUr "Auseinandersetzung". Die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung zeigt sich gerade in der GrUndlichkeit, mit der den Bedingungen, Motiven und Folgen einer sprachlichen Praxis nachgegangen wird und mit der sie auf dem Hintergrund alternativer Moglichkeiten re-

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