Josef Klein (Hrsg.) . Politische Semantik JosefKlein (Hrsg.) Politische Setnantik Bedeutungsanalytische und sprachkritische Beiträge zur politischen Sprachverwendung Westdeutscher Verlag CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Politische Semantik: bedeutungsanalytische und sprachkritische Beiträge zur politischen Sprachverwendung / Josef Klein (Hrsg.). - Opladen: Westdt. Verl., 1989 ISBN 978-3-531-12050-8 ISBN 978-3-322-91068-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-91068-4 NE: Klein, Josef [Hrsg.) Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann. Alle Rechte vorbehalten © 1989 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Obersetzungen, Mikrover filmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Bürkle, Darmstadt ISBN 978~3~531~12050~8 INHALT Vorwort ................................................................................................. VII Teil 1: Semantische Analysekollzepte lose/ Klein Wortschatz, Wortkampf, Wortfelder in der Politik ................................ 3 Wal/gang Teubert Politische Vexierwörter ......................................................................... 51 Fritz Hermanns Deontische Tautologien. Ein linguistischer Beitrag zur Interpretation des Godesberger Programms (1959) der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands .................................... 69 Teil 2: Aktuelle Phänomene Ulrike Haß Interessenabhängiger Umgang mit Wörtern in der Umweltdiskussion ..................................................................... 153 Dirk Rülten Strukturelle Merkmale politischer Rundengespräche im Fernsehen. Dargestellt am Beispiel der "Elefantenrunde" ........... 187 Albert Bremerich-Vos Sprachkritische Anmerkungen zum "Historikerstreit" ....................... 231 Teil 3: Entwicklungen seit Kriegsende Georg Stätzel Zur Geschichte der NS-Vergleiche von 1946 bis heute ................... 261 lürgen Balten Zum Umgang mit dem Begriff konservativ in der politischen Diskussion der Bundesrepublik ........................................................... 277 Man/red W. Hellmalln Die doppelte Wende - Zur Verbindung von Sprache, Sprachwis senschaft und zeitgebundener politischer Bewertung am Bei- spiel deutsch-deutscher Sprachdifferenzierung ................................. 297 Die Autoren .......................................................................................... 327 v Vorwort Der Band vereinigt Beiträge, in denen der politische Umgang mit Wörtern und mit bestimmten Formen des verbalen Schlagabtauschs - vornehmlich mit Blick auf die Bundesrepublik, in Einzelfällen auch auf das Verhältnis Bundesrepublik-DDR - unter drei Gesichts punkten behandelt wird: 1. Semantische Analysekonzepte 2. Aktuelle politische Phänomene 3. Entwicklungen seit Kriegsende Dies ist auch das Gliederungsprinzip des Buches. Stärker als in den meisten bisherigen Arbeiten zur politischen Sprache der 'Gegenwart' werden sprach- und kommunikationshisto rische Gesichtspunkte einbezogen - nicht nur in Teil 3, wo die diachronische Behandlung der Themen ausdrücklich im Vordergrund steht. Diese für die meisten Beiträge geltende Akzentuierung hat drei Gründe: Erstens ist Politik in der Bundesrepublik Deutschland nach vier Jahrzehnten ihrer Existenz nicht mehr nur als pure Gegenwart erlebbar , zweitens neigt sich die wissenschaftshistorische Phase einer ausschließlich synchronischen, an Entwicklungen nicht interessierten Sprachwissenschaft ihrem Ende zu, und drittens fordert 'die Sache selbst' (auch) eine diachronische, entwicklungsbezogene Perspektive; denn politischer Umgang Sprache zielt auf sprachliche Entwicklungs phänomene: auf Durchsetzung oder Bekämpfung bestimmter Wort prägungen, auf Verschieben oder Stabilisieren von Bedeutungen, auf Knüpfen oder Zerreißen ganzer Begriffsnetze und schließlich auf die Anpassung verbal-kommunikativer Strategien an die Entwicklung der Medien - und das alles nicht um der Sprache als ästhetisches oder grammatisches Phänomen willen, sondern zur Beeinflussung der mit Sprache unauflöslich verknüpften politischen Einstellungen und ideo logischen 'Weltbilder'. Die Beiträge dieses Bandes enthalten sämtlich ein sprachkritisches Ferment. In einigen Beiträgen (Bremerich-Vos, Stötzel, Teubert) wird 'Sprachkritik' ausdrücklich thematisiert. Die Unterschiedlichkeit der in der Linguistik herrschenden Auffassungen von Sprachkritik spie gelt sich auch in diesem Buch. Damit ist weniger die sprachtheoreti sche Unterscheidung zwischen Sprachsystem-Kritik und Redepraxis- VII Kritik gemeint als vielmehr die Differenzen, die über folgende Fra gen bestehen: Ist die (weitgehend unparteilich mögliche) linguistische Analyse - metaphorisch ausgedrückt: das Sezieren der sprachlichen Ob jekte mit semantischen, sprachtheoretischen, gesprächsanalyti schen und funktionalistischen Skalpellen - selbst schon ein sprachkritischer Akt, insofern offen gelegt wird, was die Politi ker aller Couleurs durchweg lieber verborgen halten möchten, zumindest soweit es ihre eigene Sprachpraxis betrifft? Falls Sprachkritik über solches Sezieren hinausgeht, woher bezieht sie ihre Maßstäbe: Soll Sprachkritik - im Bewußtsein, daß Kritik immer perspekti visch gebunden ist - dennnoch versuchen, einen möglichst überparteilichen Standpunkt einzunehmen, oder darf linguistisch fundierte Sprachkritik in dem Sinne parteilich sein, daß sie gleiche Sprachstrategien unterschiedlich beurteilt, je nachdem, wie nah oder fern einem diejenigen stehen, die sie verwenden? Soll Kritik von einer universalistischen Grundlage ausgehen, oder soll sie politikspezifische Kommunikationsbedingungen so weit berücksichtigen, daß sie als Beurteilungsbasis eine be reichsspezifische Kommunikationsethik der politischen Spielre geln ansetzt? Und schließlich: Soll als Subjekt der Kritik allein der/die Sprachwissenschaftler/ -in fungieren oder soll einbezogen wer den, in welcher Weise verschiedene politische Seiten sprachkri tische und sprachreflexive Elemente in die politische Diskussion einbringen? Die Autoren dieses Bandes haben, jeder für sich, diese Fragen un terschiedlich beantwortet. Der Herausgeber, dessen Standpunkt aus seinem eigenen Beitrag unschwer ablesbar sein dürfte, maßt sich hier keine Schiedsrichterrolle an. Die Wahl des Titels "Politische Semantik" ist eher an der Verwen dung des Wortes "Semantik" im öffentlichen, insbesondere auch im politischen Sprachgebrauch orientiert als an seiner linguistisch-termi nologisierten Bedeutung. Während das Wort dort vor allem für den strategischen Umgang mit Wörtern und ihren Bedeutungen verwendet wird (man denke nur an die von CDU-Generalsekretär Biedenkopf 1974 eingerichtete "Arbeitsgruppe Semantik" der CDU), wird in dem von der Linguistik favorisierten Begriff der 'Semantik' gerade davon VIII abstrahiert. Sie hält dafür die Termini 'Pragmatik' und 'pragmatisch' bereit, die in der Allgemeinsprache bekanntlich etwas ganz anderes bedeuten. Wenn man will, ist die Wahl des Titels für dieses Buch, das aus schließlich aus Beiträgen von Sprachwissenschaftlern besteht, eine Konzession an die Leser, an die es sich neben Germanisten und Lin guisten auch wendet, insbesondere Journalisten, Politiker, Politologen und Pädagogen im Bereich der politischen Bildung - eine Konzes sion, die allerdings sprachtheoretisch gut vertretbar ist; denn die Grenzziehung zwischen 'Pragmatik' (=Erforschung sprachlicher Zei chen in ihrem Verhältnis zu den Zeichenbenutzern, also zu den Sprechern und Adressaten, und zu jeweiligen Situationskontexten) und 'Semantik' (=Erforschung der Bedeutung sprachlicher Zeichen unter Absehung von Sprechern, Adressaten und Situations kontexten) ist letztlich nicht haltbar. Ein solch enger Semantik-Begriff ist gera dezu ein 'Phantom-Begriff', d.h. er bezeichnet etwas, das es gar nicht gibt: Bedeutungen, die als Bedeutungen analysierbar wären, ohne Re kurs auf Sprecher, Adressaten und Redesituationen. Die Beiträge sind Ausarbeitungen von Vorträgen, die beim Aa chener Kolloquium 'Politische Semantik und Sprachkritik' (9.-11. Dezember 1987) gehalten worden sind. Die sprachwissenschaftliche Abteilung des Germanistischen Instituts der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen hatte dazu germanistische Lingui sten/-innen aus Zentren der sprachwissenschaftlichen Erforschung politischer Sprachverwendung eingeladen: von den Universitäten Düsseldorf und Heidelberg sowie vom 'Institut für deutsche Sprache' Mannheim. Dank gebührt Prof. Dr. Ludwig Jäger und Prof. Dr. Christian Stetter, die die Finanzierung des Kolloquiums ermöglicht haben. Ruth Hermanns und Ingrid Isenhardt sei gedankt für Layout und Herstellung der Druckvorlage. Aachen, im September 1988 Josef Klein IX Teil 1 Semantische Analysekonzepte WORTSCHATZ, WORTKAMPF, WORTFELDER IN DER POLITIK Jose! Klein O. Vorbemerkung 1. Der politische Wortschatz 1.1 Institutionsvokabular 1.2 Ressortvokabular 1.3 Allgemeines Interaktionsvokabular 1.4 Ideologievokabular 2. Der politische Kampf um Wörter 2.1 Das Schlagwort 2.1.1 Funktionen und Struktur 2.1.2 Genese 2.2 Typen des Kampfes um Wörter 2.2.1 Bezeichnungskonkurrenz 2.2.2 Bedeutungskonkurrenz 2.2.2.1 Semantischer Kampf um die deskriptive Bedeutung 2.2.2.2 Semantischer Kampf um die deontische Bedeutung 2.3 Exkurs zum sprachhistorischen Status des politischen Kamp fes um Wörter 3. Dominante politische Wortfelder in der Geschichte der Bun- desrepublik 3.1 Dominanz-Phasen und Dominanz-Kriterien 3.2 Politische Wortfelder als konnotativ integrierte Wortfelder 3.2.1 Ja zur erträglich gewordenen Wirklichkeit (Ära Adenauer) 3.2.2 Elitärer Revolutionsutopismus (Außerparlamentarische Oppo- sition) 3.2.3 Innen- und außenpolitische Idyllenverheißung (Ära Brandt) 3.2.4 Apokalypse und Menetekel (Neue Protestbewegungen) 3.2.5 Ordnungs anspruch und Fortschrittsoptimismus (Wende-Koali tion) 3.3 Wortfeld-Wechsel und Kommunikationsmaximen 4. Literatur 3 o. Vorbemerkung In diesem Beitrag wird unter drei Aspekten untersucht, in welcher Weise die linguistische Einheit 'Wort' in der Politik eine Rolle spielt: - Insofern der gesamte Bereich der Politik in Wörtern formuliert ist, stellt sich die Frage nach der Gliederung des politischen Wortschatzes (Kap.I). - Insofern die politische Auseinandersetzung in Wörtern ausgetragen wird und teilweise auch um die Wörter selbst gestritten wird, stellen sich die Fragen nach der Kampffunktion von Wörtern und nach Ty pen des Kampfes um Wörter (Kap.2). - Insofern der einzelne Kampf um Wörter meist nur Teil eines um fassenden politischen Ringens um die Vormacht ganzer Wortfelder ist, werden die Begriffe des 'dominanten politischen Wortfeldes' und des 'konnotativ integrierten Wortfeldes' eingeführt, mit deren Hilfe dann die Schwerpunkte der Entwicklung seit den Gründungsjahren der Bundesrepublik diachronisch skizziert werden (Kap.3). l. Der politische Wortschatz Der Wortschatz, der in der Politik verwendet wird, ist eine Mischung aus vier Hauptingredienzien: dem Institutionsvokabular dem Ressortvokabular dem allgemeinen Interaktionsvokabular und dem Ideologievokabular1 1 Damit erweitere ich Dieckmanns (1969) Einteilung in " Ideologiesprache , Instituti onssprache und Fachsprache des verwalteten Sachgebiets" (S.50) um das sog. "In teraktionsvokabular". Dieckmann betont zu recht, daß es eine vom jeweiligen politi schen System abhängige Interdependenz zwischen den verschiedenen W ortschatz ingredienzien gibt. So zeigt er an Beispielen (Nationalsozialismus, marxistisch-so zialistische Staaten), daß "die Ideologiesprache in die Institutionssprache ausstrahlt". (S. 47f.) Eine andersartige Einteilung des politischen Wortschatzes findet sich bei Strauß (1985), der Institutions- und Ressortvokabular zu einer "Lexemklasse" zusammen faßt und daneben drei weitere Lexemklassen ansetzt: die "gesellschaftspolitischen Termini der Ideologiesprache" , die "politischen Metaphern, Euphemismen, okkasio nellen Bildungen (Neologismen)" sowie die "Termini der fächerübergreifenden Wis senschafts- und Bildungssprache" . (S. 258ff.) 4