Sammlung Metzler Band 341 Peter Nitschke Politische Philosophie Verlag J.B. Metzler Stuttgart . Weimar Der Autor Peter Nitschke, geb. 1961; Universitätsprofessor für »Wissenschaft von der Politik« und Direktor des Instituts für Sozialwissenschaften an der Hochschule Vechta. Bei J.B. Metzler ist erschienen: »Staats räson kontra Utopie. Von Thomas Müntzer bis Friedrich IL von Preußen«. 1995. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Nitschke, Peter: Politische Philosophie / Peter Nitschke. - Stuttgart; Weimar: Metzler, 2002 (Sammlung Metzler; Bd. 341) ISBN 978-3-476-10341-3 SM 341 ISBN 978-3-476-10341-3 ISBN 978-3-476-05068-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-05068-7 ISSN 0558 3667 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 2002 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 2002 www.metzlerverlag.de [email protected] v Vorwort Die Politische Philosophie befindet sich zu Beginn des 21. Jahrhun derts keineswegs in einer Krise, sondern (wie immer in Krisen- und Umbruchszeiten) in einer grundsätzlichen Erneuerung. Dazu will die vorliegende Einführung ihren Teil beitragen. Was genau jeweils ,politisch' ist und was nicht, hängt vom Kontext der Fragestellung ab, aber auch von der Methodik des Fragens selbst. Insofern betref fen die folgenden Ausführungen auch stets philosophische Grund probleme. Eine der größten Schwierigkeiten bei der Abhandlung der diversen Themenstellungen zur »Einführung« betrifft den Aspekt der Komplexität. Die Materialfülle ist zwar enorm, aber nicht das eigentliche Problem. Dieses besteht im wesentlichen gerade darin, die Komplexitätsdichte zu reduzieren zugunsten einer systemati schen Argumentation. D.h., nicht alles und jedes darf vorgestellt werden, doch das, was reflektiert wird, muß einer fundamentalen Bilanzierung gleichkommen. Ein Satz muß hundert Sätze in sich aufnehmen können. Auch wenn dies sprachlich keineswegs je voll ständig gelingen kann, so ist doch das assoziative Moment im Sinne einer Empfehlung zwischen den Zeilen anzustreben. Dies versucht die vorliegende Darstellung. Sie richtet sich an Uninformierte wie Interessierte gleichermaßen. Um die Freundschaft zur Politischen Philosophie, die in Deutschland derzeit wieder eine Renaissance er fährt, noch zu erweitern, geben die Klassiker in ihrer eigenen Spra che die wesentlichen Aussagen wieder. Zitiert wird dabei nach gemeinhin gut verfügbaren Ausgaben für den Seminargebrauch oder die Feierabendlektüre. Die Sekundärliteratur versucht zumeist den neueren Stand der Forschung, wie er sich im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts manifestiert, zu dokumentieren. Eine solche Arbeit könnte natürlich nicht zustande kommen ohne eine Vielzahl von Gesprächen und Lerneffekten. Auch wenn sicherlich zehn Jahre in der Beschäftigung hiermit nur eine erste Basis sein können, ist generell die Diskussion mit Kollegen und Kolleginnen hierzu substanziell. Ein einziger sei an dieser Stelle aus drücklich genannt: Karl Hahn (Münster), der mit seinen tempera mentvollen Beiträgen bis dato noch jede Diskussion in die heuristi sche Entscheidungssituation geführt hat. Dazu mein herzlicher Dank. Danken möchte ich ebenso Frau Susanne de Vries, die mit Genauig- VI Vorwort keit die Korrekturlesungen vorgenommen hat sowie Frau Marianne Averbeck vom Sekretariat des Instituts für Sozialwissenschaften, wel che die Einarbeitungen in den Text umsichtig durchgeführt hat. Peter Nitschke Vechta, im Oktober 2001. Inhalt Vorwort ............................................. V 1. Themen der Politischen Philosophie .............. 1 2. Griechische Fragen: Über Ehrerbietung und Gerechtigkeit ............ 10 2.1 Die Hybris der Macht (Thukydides) ............. 11 2.2 Macht und Gerechtigkeit (Platon) ............... 14 2.3 Die Politik der Mitte (Aristoteles). . . . . . . . . . . . . . .. 19 3. Römische Antworten: Von Tugend und Recht .... 25 3.1 Die Mischverfassung als beste Verfassung (Polybios) . 26 3.2 Das Recht der Republik (Marcus Tullius Cicero) . . .. 29 3.3 Das richtige Tun (Mare Aurel) .................. 34 4. Christliche Erweiterung: Die Heilige Ordnung der Dinge ................. 38 4. 1 Das Reich Gottes und das Reich der Menschen (Aurelius Augustinus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 39 4.2 Die natürliche Ordnung des Politischen (Johannes von Salisbury). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 44 4.3 Die Verantwortung des Fürsten (Thomas von Aquin) ......................... 47 5. Doktrinäre Positionen: Vom Sinn einer absoluten Gewalt. . . . . . . . . . . . . .. 53 5.1 Die Stabilität der politischen Ordnung (Marsilius von Padua) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 54 5.2 Die Macht als Endzweck (Niccolo Machiavelli) . . . .. 56 5.3 Der Souverän als Herrscher (Jean Bodin) . . . . . . . . .. 61 VIII Inhalt 6. Spiegelbilder: Utopische Kalkulationen .......... 68 6.1 Die Ordnung von Nirgendwo (Thomas Morus) .... 69 6.2 Die Beste aller Welten (Gottfried Wilhelm Leibniz) .. 73 6.3 Zurück zur Natur (Jean-Jacques Rousseau) ......... 77 7. Funktionale Logik: Vom Nutzen des Vertrages .... 82 7.1 Die Flucht aus dem Naturzustand (Thomas Hobbes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 83 7.2 Das Recht auf Eigentum (John Locke) ............ 88 7.3 Das Gebot der Gerechtigkeit (John Rawls). . . . . . . .. 92 8. Selbstbindungen: Gesetze und Gewalten ........ 96 8.1 Die föderale Ordnung (Johannes Althusius) . . . . . . .. 97 8.2 Der Geist der Gesetze (Montesquieu) . . . . . . . . . . .. 100 8.3 Die Kontrolle der Gewalten (Federalists) ..... . . .. 105 9. Inneneinsichten: Individuum und Gesellschaft. .. 110 9.1 Freiheit durch Selbstverpflichtung (Baruch de Spinoza) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 111 9.2 Das Gefühl zur Gerechtigkeit (David Hume) . . . . .. 114 9.3 Die Verpflichtung zur Vernunft (Immanuel Kam) .. 119 10. Legitimation: Die Volkssouveränität ............ 125 10.1 Der Allgemeine Wille (Jean-Jacques Rousseau) ..... 126 10.2 Die Tyrannei der Mehrheit (Alexis de Tocqueville) .. 131 10.3 Die Repräsentation der Interessen (John Stuart Mill) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 136 11. Herrschaftsgestaltung: Der Anstaltsbetrieb . . . .. 140 11.1 Das geschlossene System (Johann Gottlieb Fichte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 141 11.2 Die sittliche Ordnung der Dinge (Georg Wilhelm Friedrich Hegel) . . . . . . . . . . . . . .. 144 11.3 Der Anstaltsbetrieb (Max Weber) . . . . . . . . . . . . . .. 149 Inhalt IX 12. Jenseits des Staates: Ende und Anfang des Politischen ............... 155 12.1 Die Maske des politischen Kampfes (Kar! Marx) . .. 156 12.2 Der Begriff des Politischen (earl Schmitt) . . . . . . .. 160 12.3 Der Diskurs des Öffentlichen Qürgen Habermas) .. 164 13. Rückblick auf das Weitere ... . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 169 Literaturverzeichnis ................................ " 179 Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 195 1. Themen der Politischen Philosophie »Man sieht durch den Menschen, was der Mensch ist.« (Tilo Schabert: Die Architektur der Welt, S. 23) Nichts scheint so ungewiß wie Politische Philosophie. Von den ei nen wird sie als merkwürdige Überschußsparte der Politischen The orie betrachtet, von den anderen wiederum als ein nach Möglichkeit zu vermeidendes Denkfeld der praktischen Philosophie. Irgendwo dazwischen stößt sich auch noch die Religion daran und rührt an die Politische Philosophie, zumeist dann, wenn es um die Richtig keit der theologischen Prämissen für praktisches Handeln geht. Was also ist nun Politische Philosophie? - Eine esoterische Wissenschaft im Rahmen der Politikwissenschaft, eine suspekte Veranstaltung im Rahmen der Philosophie, deren Logik auf diesem Gebiet allzuoft bi zarre Effekte zeitigt oder eine dogmatisch zu behauptende Denkfi gur aus dem religiösen Interpretationsangebot von Gott und Welt? Keines von dem für sich alleine, sondern alles zusammen - das ist die zunächst einfache Antwort. Aber damit beginnen zugleich die Schwierigkeiten für das Verständnis von Politischer Philosophie (vgl. auch Hartmann 1981, Vollrath 1987). Diese Schwierigkeiten sind, lange bevor es an die Sachfragen geht, zunächst stets hermeneuti scher Art. W'tts wollen wir hier verstehen, und wie wollen wir es ana lysieren? - Was ist das Politische, und wie ist es zu begreifen? Mit Fragen dieser Art schlägt sich die Politische Philosophie her um, seit es ein spezifisches Verständnis sowohl von Philosophie als auch von Politik gibt. Philosophie als Frage nach der Wahrheit der Dinge impliziert somit für den Bereich des Politischen, was immer es sein mag, eine Zuordnung als Wahrheitsfrage. Es geht um die Richtigkeit der Dinge, es geht um die Angemessenheit des mensch lichen Tuns, der menschlichen Handlungen in dem Feld, welches wir als ein Politisches bezeichnen. Als solches bezieht sich Politische Philosophie auf einen Großteil jener Fragestellungen, welche auch allgemein in der Praktischen Philosophie erörtert werden. Vielen er scheint daher die Politische Philosophie als ein Teilgebiet der Prakti schen Philosophie. Wir werden noch sehen, daß man dieses auch