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Politische Ethik: Vom Regieren und Räsonieren PDF

158 Pages·2003·5.114 MB·German
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Wolfgang Fach Politische Ethik Grundwissen Politik Begründet von Ulrich von Alemann Herausgegeben von Arthur Benz, Roland Czada und Georg Simonis Band 33 Wolfgang Fach Politische Ethik Vom Regieren und Räsonieren Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2003 Gedruckt auf säurefreiem und altersbeständigem Papier. ISBN 978-3-8100-3536-3 ISBN 978-3-663-11080-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-11080-4 © 2003 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 2003 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Einbandgestaltung: disegno, Wuppertal Inhaltsverzeichnis Vorwort......................................................................................................... 7 0 Regieren/Räsonieren (I) . .. .. .. . .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .... .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. 9 Lasten...................................................................................................... 15 1.1 Klarheit? .. .. .. .. .................. ................ ...................... .......... .... .... .. .. .. .. . 16 1.2 Konfusion .. .. .. ... . .. . .. .. . .. .. .. .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 18 1.3 Komplexität...................................................................................... 23 1.4 Konsequenz . .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. .. . .. . .. . .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. .. .. . . .. .. . .. . .. .. . . 26 2 Lehren..................................................................................................... 29 2.1 Ableitung.......................................................................................... 33 2.2 Verantwortung.................................................................................. 40 2.3 Abwägung ........................................................................................ 45 2.4 Vereinbarung .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. .. .. .. . . .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 50 3 Leute........................................................................................................ 57 3.1 Liebes-Dienst.................................................................................... 57 3.2 Kindes-Kind..................................................................................... 67 3.3 Wechsel-Haft.................................................................................... 74 3.4 Ehren-Preis....................................................................................... 90 3.5 Moral der Leute................................................................................ 100 4 Lagen....................................................................................................... 103 4.1 Leichen-Zug..................................................................................... 104 4.2 Waldes-Lust...................................................................................... 114 4.3 Kinder-Spiel..................................................................................... 123 4.4 Himmel-Fahrt................................................................................... 135 4.5 Moral der Lagen............................................................................... 149 5. Regieren/Räsonieren (II) ......................................................................... 153 5 Vorwort Der von Wolfgang Fach, Professor für Politische Theorie an der Universität Leipzig, verfasste Band "Empörung und Begründung - über moralische Kon flikte im politischen Kontext" greift einen spezifischen Aspekt der politologi schen Werturteilsproblematik auf. Er beschäftigt sich mit moralischen Konflik ten des politischen Alltags, mit Konflikten, in denen entweder Personen norm widrig handeln oder Situationen unerträglich erscheinen, auf die die Öffentlich keit - in Gestalt der Medien - mit großer Empörung reagiert hat. Neun Kon fliktfalle werden mit dem Ziel analysiert, die Empörung, die die Studierenden - natürlich fallweise verschieden - mit den Medien und dem Durchschnittsbürger teilen, zu dechiffrieren, indem der jeweilige moralische Konflikt und seine zu nächst unerklärliche Bewältigung vor dem Hintergrund von vier Morallehren (Ableitung, Verantwortung, Abwägung, Vereinbarung) erörtert werden. Auf die se Weise legt sich die Empörung und weicht einer Aufklärung, die sich auf Be gründungen berufen kann, ohne einfache Lösungen anzubieten. Die Studieren den werden so zum Argumentieren eingeladen. Wer sich durch den teils schwierigen, teils aber auch unterhaltsamen Band durcharbeitet, wird sein Beurteilungsvermögen als Staatsbürger wie als Studie render der Politikwissenschaft erheblich geschärft haben. Dieses ungewöhnliche Lehrbuch, dem es weniger auf Stoffvermittlung und mehr auf das Auslösen von Aha-Effekten ankommt, wird- wie alle Texte dieser Reihe-an der FernUniver sität in Hagen im Magisterstudiengang Politikwissenschaft eingesetzt. Es ist für Studierende im Hauptstudium im Teilgebiet Politische Theorie gedacht und ent stand in bewährter Kooperation mit dem Lehrgebiet Internationale Politik/Ver gleichende Politikwissenschaft (Prof. Dr. Georg Simonis). Dank gilt Wolfgang Fach, dass er seinen aufklärerischen Impuls in einen zum Denken zwingenden Studientext umgesetzt hat. Dank gilt auch Annette Kämmer, die den Schriftsatz durchgesehen und die Formatierung besorgt hat. Hoffen wir, dass die Studierenden, über die Auseinandersetzung mit moralischen Konflikten ihr politikwissenschaftliches und ethisches Urteilsvermögen schärfen und den dafür erforderlichen Eifer aufzubringen bereit sind. Artbur Benz Roland Czada Georg Simonis 7 0 Regieren/Räsonieren (I) Den Gegensatz von Regieren und Räsonieren, in aller Entschiedenheit festge halten, verdanken wir Hege!. Zwar sind Staatsgeschäfte, das war selbst ihm, dem Preußen-Philosophen, klar, keineswegs frei von Willkür, Zufall, Irrtum; und die Machthaber können durch ihr "übles Benehmen" den Staat "nach vielen Seiten defigurieren." Dennoch: Krittelei am Souverän ist für ihn ein Zeichen fehlender Reife: "Ungebildete Menschen gefallen sich im Räsonieren" (Hege! 1986, 404, 414). Ungebildet sind diese Leute deshalb, weil sie verkennen, daß im Vergleich zum politischen Meinen (ihrer Spezialität) politisches Machen (das staatliche Privileg) einen unendlich höheren Grad an Wirklichkeit, "Affirmation", besitzt: es ist Leben, Geschichte, nicht nur Kommentar, Geschwätz. Gegen die ungebildete "Eitelkeit des Besserverstehenwollens" (Hege!) hilft zweierlei. Entweder Bescheidung - man hält kleinlaut den Mund; das ist Hegels Vorstellung. Oder Begründung-man klärt den eigenen Standpunkt so lange auf, bis er sich nicht mehr a priori blamiert. Diesem Zweck soll der vorliegende Text dienen, jedenfalls insoweit, als die Moralität des Regierens auf dem Spiel steht. Daß das keine leichte Aufgabe ist, mag daraus erhellen, wie schnell sich ein Räsoneur decouvriert, der als Mann des Staates und der Philosophie gegen vor lautes Renommieren eigentlich doppelt gefeit sein sollte. In ihrer Ausgabe vom 11.7.01 berichtet die FAZ unter dem Titel Julian Nida-Rümelin lehrt uns Mores über eine öffentliche Ethik-Vorlesung dieses Auguren: "Je länger Nida-Rümelin spricht, desto deutlicher wird: Antworten bekommt man von die ser Ethik keine. Jedenfalls keine, die man nicht schon hätte. Die Reihe von Regeln, die eine zulässige Entscheidungsfindung im Rahmen zulässiger Verfahren zu beachten habe, ist nämlich diese: Erstens gelte es das Recht auf Leben und zweitens das auf körperliche Un versehrtheit bei ethischen Entscheiden zu respektieren. Drittens dann die Menschenrechte von denen die ersten beiden ja auch schon Beispiele waren -, viertens die Bürger-, fünftens die Eigentums- und sechstens die Tierrechte. Hier hält der Ethiker inne: Mehr als Tierrechte scheinen ihm kaum zu rechtfertigen. Gletscher zum Beispiel, findet er, haben anders als es manche Öko-Ethiker sehen wollen, keine Rechte. Gletscher also doch nicht! Immerhin das wäre jetzt geklärt. Die Ethik, das ist die Verfassung und die Demokratie, und in der haben Gletscher nichts verloren." Besser keine Antwort als eine, "die man schon hat" - oder die nichts sagt, weil ihre Neuigkeit trivial ist, Selbstverständliches einfach beglaubigt und das sowie so Verrückte nochmals dementiert. Daß der Sinn auf Stelzen daherkommt, hilft ihm auch nicht auf die Beine. Andererseits muß man den Staats-Philosophen in Schutz nehmen, denn Po litische Ethik ist ein denkbar undankbares Thema. Es existieren wortmächtige Anti-Haltungen, verbreitet unter Experten und im Volk omnipräsent. Zum Bei spiel 9 der Zynismus, dessen Rede schon inrner war, daß das politische ein schmut ziges Geschäft sei, betrieben von "Abkömmlichen" (ein Begriff der konser vativen Soziologie), sprich: Menschen, die man dort, wo Reales passiert, al so in Produktion, Technik, Wissenschaft, nicht brauchen kann; sie bilden ei ne "politische Klasse", der es um nichts geht als Macht, und die dafür bereit ist, jedes Mittel einzusetzen, natürlich vorspiegelnd, sie sei ums allgemeine Wohl besorgt; der Relativismus, dessen einzige moralische Überzeugung darin besteht, daß es keine moralischen Überzeugungen gebe, um die zu streiten sich lohne, weil doch solche Fragen reine Geschmacksfragen seien, deren Beantwortung eben jeden auf seine Fas;on selig mache; weshalb es gar keinen Sinne ergebe, Moral als Gegenstand von Debatten oder gar Objekt der Wissenschaft eta blieren zu wollen - wo alles gleich gültig ist, ist alles gleichgültig und unent scheidbar; der "Essentialismus", welcher Spreu und Weizen, Unwesentliches und We sentliches flugs voneinander trennt, angeleitet von seinem untrüglichen Ge fühl dafür, daß politische Ethik ein pures "Epiphänomen" ist, eine Margina lie des wirklichen Lebens, deren einzige Funktion darin besteht, Loyalitäts reserven und Pufferzonen zu erzeugen, in deren Schutz dann wirkliche Poli tik praktisch betrieben und wissenschaftlich angeleitet werden kann. Gegenüber dem "besserverstehenwollenden" Moralismus, den Hegel geißelt, unterscheiden sich diese Attitüden allesamt dadurch, daß sie in Fragen der Politi schen Ethik gar nichts verstehen wollen, weil es eigentlich nichts zu verstehen gibt. Während Moralisten eine Wissenschaft aus jedem Geschwätz machen, tei len ihre geheimen Bündnispartner die Ansicht, daß Moral und Wissenschaft in ganz verschiedenen Welten zuhause seien. Dieser Separatismus hat- was ihn freilich nicht richtiger macht-eine eben so lange wie respektable Tradition, deren Anhänger unter dem Etikett "Wertur teilsstreit" den Standpunkt verteidigt haben, über normative Werte ließe sich wissenschaftlich nichts sagen, weil ihnen das Korrektiv der empirischen Welt fehle (kritisch dazu: Daston 2001). Da "draußen" gebe es Fakten, aber keine Normen, daher existiere kein objektives Kriterium für wahre oder falsche Aussa gen. Politiker sind korrupt - darüber könne man, unter Beachtung methodelogi scher Sorgfaltsregeln, sinnvoll streiten; Korruption ist verwerflich - diese Be hauptung hingegen entbehre jeder "intersubjektiv nachprüfbaren" Grundlage. Was läßt sich dagegen sagen? Zweierlei. Ein eher defensives Argument lautet: Mit der Objektivität der Empirie ist es auch nicht so weit her, wie ihre Verteidiger zu glauben scheinen. Jedenfalls hat der sogenannte "Konstrukti vismus", auch wenn er gelegentlich als "eleganter Unsinn" verworfen wird, gute Gründe dafür ins Feld geführt, daß wir die Welt da draußen nicht einfach als gegeben unterstellen dürfen - wer das tut, vergißt seinen "kreativen" Bei trag und den seiner "objektiven" Kollegen bei der Produktion des angeblich Objektiven. Zugespitzt: Objektiv ist, worüber sich ein Konsens einstellt, daß es objektiv sei. Auf den Konsens kommt es allerdings an: Nicht jedes Hirnge spinst darf für sich Wissenschaftlichkeit geltend machen, sondern nur jenes, das einer kritischen Prüfung standhält. Selbstredend wird so ein Teil des Pro blems nur verschoben und taucht als Streit darüber wieder auf, was denn als "kritische Prüfung" gelten dürfe. Dennoch: Über derartige Fragen lassen sich verständige Kontroversen austragen. 10 Gleiches gilt-das wendet die Argumentation ins Offensive-fürs Reich der Werte. Offenkundig sind sie "Menschenwerk", auch dort, wo sie sich als "Natur recht" tarnen. Aber auch in ihrem Fall ist damit noch lange nicht gesagt, daß schon alleine deswegen eine "vernünftige" Debatte ausgeschlossen wäre-so als ob es nur um pure Bekenntnisse aus dem Bauch heraus ginge, die man kom mentarlos zur Kenntnis nehmen müßte, Gleiches oder eben Anderes fühlend. Genau so, wie wir mit uns selbst zu Rate gehen und nach reflexiven "Gleichge wichten" suchen, können sich auch öffentliche Debatten abspielen, zwischen Menschen, die mit unterschiedlichen Positionen am selben Thema interessiert sind und einen Konsens suchen wollen bzw. müssen (z.B. wenn es um Mehr heitsentscheidungen geht). Grundsätzliche Differenzen zwischen dem Austausch empirischer und normativer Argumente existieren aus dieser Warte nicht. Eine derartige Annäherung verschafft dem moralischen Diskurs jene "Wür de", die gewöhnlich dem "wissenschaftlichen" vorbehalten bleibt - weil Ethik eben gemeinhin als Wissenschaft nicht gilt oder wenigstens außerhalb ihrer Dis ziplingrenzen nicht wahrgenommen wird. Dieser Einäugigkeit entgeht die lange Geschichte des Themas Moral. Gott und die Welt haben sich mit ihm auseinan dergesetzt Seit Adams Sündenfall müssen Menschen nicht nur im Schweiße ih res Angesichts arbeiten, sondern auch im Schweiße ihrer Angst daran arbeiten, daß das irdische Leben unter einem guten Stern steht. Seither wollen wir Dinge tun, die wir nicht tun dürfen: lügen, stehlen, ehebrechen, töten. Seither sind auch mehr oder minder ausgefeilte Ethiken verfaßt worden, deren Anweisungen den Gutwilligen auf der rechten Bahn halten können: die Zehn Gebote des Alten Te staments, die Bergpredigt des Neuen, Aristoteles' "Nichomachische Ethik", Au gustinus, Thomas von Aquin, Adam Smith, der Kantianismus, Utilitarismus, Pragmatismus, Kontraktualismus usw.usf. Wer seine Meinung aufklären und begründen will, kommt um die Beschäfti gung mit diesen Wissensbeständen nicht herum. Man kann aber das Wie wählen und sich dafür die Sachlage (etwas vereinfacht) wie ein Stück Kuchen vorstellen: Die Spitze ist das konkrete Problem (etwa: Ist eine Notlüge erlaubt?), das breite Ende der Horizont verfügbarer Moralsysteme. Entweder wir essen uns "zentri petal" vom Ende her durch das Kuchenstück oder beginnen vorne, um uns dann "zentrifugal" durchzuarbeiten. Wie auch immer, eines steht fest: Der Esser (Le ser) ist satt, lange bevor die ganze Portion verspeist ist. Stimmt das Bild, dann gibt es zwei Schlußpunkte, beide nicht perfekt: Entweder man kommt nie bis zum "Problem" oder nie bis zu den "Grundlagen". Wiederum etwas vereinfacht: Dies ist die Differenz zwischen philosophischer und politischer (politikwissen schaftlicher) Ethik. Den Mangel des hier präsentierten Textes kann man so schon erahnen. Andererseits verliert damit eine naheliegende Sorge an Brisanz (ohne ganz "entsorgt" zu sein): die des Vorwissens, das nötig ist, um sich auf dem Problem feld halbwegs sicher zu bewegen. Im folgenden werden eine ganze Reihe von Ansätzen mehr oder minder gründlich gestreift - meist Klassiker, um deren an gemessene Interpretation sich zahllose Generationen scharfsinnige Gedanken gemacht haben. Davon wird hier nur ein kleiner Ausschnitt rekapituliert, und zwar jener, der sich vom Ausgangsproblem her "aufdrängt" und dieses bis zu ei- 11 nem gewissen Grade durchleuchtet. Der Schnitt ist in doppelter Hinsicht will kürlich: sowohl innerhalb des Gedankensystems (etwa Hegels oder Kants, deren ethische Positionen auf rechtsphilosophische und noch weiter auf erkennt nistheoretische Standpunkte zurückgehen); wie auch im Hinblick auf die Pro blemanalyse (deren Arbeit auch ad infinitumweiter gehen könnten). Welchen Ertrag kann diese zweifach unvollständige Übung abwerfen? Im Erfolgsfall stellt sich jener Gewinn ein, der vor rund 25 Jahren einer anderen Studie zugeschrieben wurde: Derartige "Untersuchungen sind unmittelbar pra xisrelevant, insofern sie etwa die Praxis des Zeitungsiesens verändern können: der Bürger, der den Medien ausgesetzt ist, wird in der intellektuellen Fertigkeit trainiert, das Gebotene in der Einstellung des Theaterkritikers statt in der des ,Informationssammlers' entgegenzunehmen." (So Claus Offe in der Einleitung zu Murray Edelmann, Politik als Ritual, Frankfurt 1986). Das war mit ein Grund, Zeitungsmeldungen und -kommentare ins Zentrum des folgenden "Lehrstücks" zu stellen. Den allgemein interessierten - die Politik beobachtenden - Leser hat man im übrigen schon im 18. Jahrhundert als (Englands) Leitstern der bürgerli chen Öffentlichkeit installiert: deren moralpolitisches Zentralorgan hieß Specta tor. Der Text soll indes auch über den Wissensstand orientieren und nicht nur die Zeitungslektüre informieren. Deswegen werden jene ethischen Standpunkte, die im Zusammenhang der Fallstudien eine Rolle spielen, zunächst abstrakt präsen tiert, darunter die Kants, dessen berühmter "kategorischer Imperativ" (Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Ge setzgebung gelten könnte) eine Meßlatte für alle übrigen Positionen darstellt. Aus zwei Gründen hat Kants Gebot dieses Privileg erworben: erstens seiner Radikalität (Universalität) wegen, gilt es doch "kategorisch", soll heißen: läßt keinerlei Ausnahmen gleich welcher Art zu, weder sachlich (Politik ist ihm genauso unterworfen wie sämtliche Formen nicht-politischen Handelns) noch zeitlich (im Grunde hat ihm die Menschheit, wenn auch lan ge unbewußt, schon immer gehorcht) noch räumlich (kein geographischer, sozialer oder kultureller Ort, an dem die Geltung dieser Maxime einge schränkt oder ausgesetzt wäre); zweitens aufgrund seiner Modernität (Liberalität) - aus ihrer radikalen Zu spitzung folgt, daß Kants Formel keine inhaltliche sein kann, die "einfach so" ganz bestimmte Pflichten für alle Ewigkeit und die ganze Welt fest schreibt: was sie nicht nur anfällig für Moden machen, sondern auch dem modernen (liberalen) Zeitgeist zuwider laufen würde, der den mündigen Menschen nicht bevormunden will, sondern ihm lediglich abverlangt, daß er keine Privilegien beanspruche; soll heißen: was er für sich als moralisch an sieht, muß für alle gelten können. Beide Qualitäten sind indes, glaubt man ihren Kritikern, mit hohen Kosten ver bunden, die man nicht unbesehen in Kauf nehmen sollte. Radikalität kann in Ri gidität umschlagen- keine Ausnahmen zulassend, verbietet sie ihren Adressaten, ad hoc über unerwünschte Folgen nachzudenken und gegebenenfalls flexibel von der Regel abzuweichen, nicht aus reiner Willkür, sondern weil sie als "Verant wortliche" über das Schicksal anderer Leute mitverfügen und so vielleicht frem des Leiden verhindern. Rigidität riskiert mihin Inhumanität. Und: Modernität entfaltet eine ganz eigene Aggressivität-eine Unduldsam keit gegenüber Menschen und Standpunkten, die ihren Standards nicht genügen, 12

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