Josef Kopperschmidt (Hrsg.) Politik und Rhetorik J osef Kopperschmidt (Hrsg.) Politik und Rhetorik Funktionsmodelle politischer Rede Westdeutscher Verlag Die deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Politik und Rhetorik: Funktionsmodelle politischer Rede / Josef Kopperschmidt (Hrsg.). - Opladen: Westdt. Ver!., 1995 ISBN 3-531-12558-3 NE: Kopperschmidt, Josef [Hrsg.] Alle Rechte vorbehalten © 1995 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Bertelsmann Fachinformation. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt ins besondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Bürkle, Darmstadt Gedruckt auf säurefreiem Papier ISBN 978-3-531-12558-9 ISBN 978-3-322-99817-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-99817-0 Inhalt Einleitung lose! Kopperschmidt Zwischen politischer Rhetorik und rhetorischer Politik. Thematisch einleitende Bemerkungen .............................................................................. 7 Hauptteil Peter Ptassek Rhetorik als Instrument der politischen Selbstbehauptung: z.B. die Sophisten ............................................................................................................ 19 lose! Kopperschmidt Rhetorik als Legitimationsstütze politischer Herrschaft: z.B. Platon ....................................................................................................................... 46 lose! Kopperschmidt Rhetorik als Medium der politischen Deliberation: z.B. Aristoteles ................................................................................................................ 74 lose! Kopperschmidt Rhetorik als Sprachrohr einer anderen Politik: z.B. Augustin ................................................................................................................. 102 lochen Wagner/Georg Zenkert Rhetorik als Gefährdung der politischen Ordnung: z.B. Thomas Hobbes ..................................................................................................... 126 Georg Braungart Rhetorik als Strategie politischer Klugheit: z.B. Baltasar Gracian ..................................................................................................... 146 6 Hellmut Geißner Rhetorik als Vollzug politischer Partizipation: z.B. Hannah Arendt ....................................................................................................... 161 lose! Kopperschmidt Rhetorik als Streitfall der Politik: z.B. Hermann Lübbe ..................................................................................................... 184 lose! Kopperschmidt Rhetorik als Methodisierungschance des politischen Räsonnements: z.B. Wilhelm Hennis ..................................................................................................... 210 TheodorAl.Bardmann Rhetorik als Irritation von Politik: z.B. Niklas Luhmann ..................................................................................................... 239 Namenregister. ............................................................................................................. 268 Sachregister ................................................................................................................. 270 Autorenverzeichnis ..................................................................................................... 274 Zwischen politischer Rhetorik und rhetorischer Politik Thematisch einleitende Bemerkungen lose! Kopperschmidt Vielleicht haben ja nicht nur "die Parteien", wie H. M. Enzensberger meint, "eine falsche DefInition von Politik" (1991, S. 230); vielleicht sind es weit mehr Zeitgenossen, die immer noch -so U. Beck -"das Politische am falschen Ort suchen" (1993. S. 157), etwa in der "offIziellen" bzw. "Politiker-Politik", entsprechend einem etatistischen, also strikt am Staat orientierten und auf ihn konzentrierten Politikbegriff. Und vielleicht macht sich entsprechend in der zum "Wort des Jahres 1992" gekürten ,,Politikverdrossenheit" ja auch nicht nur der Verdruß über eine sogenannte "politische Klasse" Luft, die nach v. Weizsäckers polemischer Analyse "machtversessen auf den Wahlsieg und machtvergessen bei der Wahrnehmung der inhaltlichen und konzeptionellen politischen Führungsaufgabe" ist (1992) oder - so E. Epplers gleichsinnige Diagnose - Politik zur "politics without policy"- Politik hat verkommen lassen (1992, S. 80) oder - dies endlich H.-E. Richters bitterböse Realsatire - nicht einmal das politische Geschäft der "ars corrumpendi" beherrscht (1989, bes. S. 78 f.); vielleicht reagiert die mit der Konjunkturvokabel "Politikverdrossenheit" umschriebene Stimmungslage auch auf weit Elementareres und Folgenreicheres: etwa auf die irritierende Erfahrung einer zunehmenden ,,Entpolitisierung der Politik", die so lange irritierend bleiben muß, als sie nicht als das begriffen wird, was sie nach Beck ist, nämlich die dialektische Kehrseite einer "Repolitisierung der Politik" in Form ihrer "subpolitischen" Verflüssigung bzw. "Dezentralisierung" <1986, S. 357 ff.; 1993, S.149 ff.). Der unstrittige Verlust des "Politikmonopols von Politik" jedenfalls - macht man sich diese dialektische Sichtweise zu eigen -muß nicht notwendig ein Verlust des Politischen schlechthin bedeuten), er kann auch als Indiz einer "Transformation des Politischen" (Meyer 1994) oder gar ,,(Neu-)Erflndung des Politischen" (Beck 1993) gele sen werden, die dem Politischen zur "Selbstorganisation" verhilft und die in dem Maße zu "einem Stück eingelöste Utopie" werden könnte (ebd. S. 216), als die "Subpolitisierung der Gesellschaft" entlang ihrem systemischen Differenzierungsgrad die normative Idee einer partizipatorischen Politik in Form einer "differentiellen Politik" zu realisieren verspräche (ebd., vgl.1986, S. 311 ff., 368 ff.). Im (etwas idyllisch gezeichneten) Bild der Transformation des Staates von einem "Handlungsstaat" in einen "Ver-handlungsstaat, der Bühnen und Gespräche arrangiert und dabei die Regie führt" (Beck 1993, S. 216), oder im Bild des "Supervisionsstaates" (Willke 1992, S. 211), der sich auf Moderations-bzw. "Dialogpolitik" beschränkt (Meyer 1994, S. 250), wird die Grenze zwischen "Politik und Nichtpolitik" erkennbar unscharf, 8 wenn nicht sogar verwischt (Dubiel 1985, S. 65); doch läßt sich diese Grenzverwischung andererseits auch als theoretischer Reflex auf die fortschreitende Entgrenzung menschli cher Handlungsmöglichkeiten legitimieren, wodurch der Bereich des durch den Menschen Beeinflußbaren und Veränderbaren und damit der Bereich des politisch Entscheidungs und Verantwortungsbedürftigen exponentiell zunimmt. Und zwar so sehr, daß heute eigentlich fast alles die Bedingung zu erfüllen scheint, die nach Aristoteles die konstitutive Bedingung menschlichen Handeins allgemein und politischen Handeins im besonderen ausmacht2: fast alles ,,könnte auch anders sein". Die ursprünglich ontologisch gemeinte Kategorie des "Auch-Anders-Sein-Könnens", mit der Aristoteles eine entsprechend stabile Grenzmarkierung der menschlichen Verfügungsrnacht gelingt, ist zwischenzeitlich zur nüchternen Beschreibungsvokabel einer Prozeßdynamik geworden, die den Bereich des Politischen in gleichem Maße erweitert, wie sie den Bereich der "Kontingenz" entgrenzt (Rorty 1992): wenn eigentlich fast alles "auch anders sein könnte", dann ist auch fast alles politisch (Greven 1994), und die Gesellschaft wird zu einer "politischen Gesellschaft" (ebd. S. 290 f.; 1990). Das zumindest gehört zum "Neuen in der Politik" (Leggewie 1994). Odo Marquard würde diese Prozeßdynamik als Gefahr einer riskanten "Übertribunali sierung" des Menschen dekodieren; "riskant" ist solche "Übertribunalisierung", weil sie den Menschen in der Regel zu "Ausbrüchen in die Unbelangbarkeit" nötigt, mit denen er seiner dauernden Selbstüberforderung und Totalverantwortung "kompensatorisch" zu entgehen versucht (1980, S. 198 ff.). Anthropodizee ist eben keine gute Nachfolgekandi datin für eine hilflos gewordene Theodizee. Doch Marquards ansonsten so sympathisches Plädoyer für einen fälligen "Abschied vom Prinzipiellen" (1982) und für eine Apologie der "Üblichkeiten" (1986) klingt angesichts eines beispiellosen Verstricktseins in Problemlagen, die durch Rekurs auf "Üblichkeiten" schwerlich zu bewältigen sein dürften, wie das Pfeifen im Walde. Was die spezifisch politischen Aspekte einer solchen Übertribunalisierungsgefahr angeht, so hat sie Hannah Arendt bereits in den 50er Jahren anläßlich atomarer und totalitaristischer Selbstbedrohung des Menschen reflektiert. Daß diese Selbstbedro hungserfahrung ihr die Frage nach "dem Sinn von Politik" überhaupt aufzunötigen vermochte (postum 1993, S. 28 ff., 35 ff., 123 ff.), ist nur verständlich aufgrund eines Begriffs des Politischen, der sich gegen seine zunehmende Extensionalisierung vehement sträubt: Politik -zumindest Politik im emphatischen Wortsinn, wie H. Arendt ihn versteht und am antiken Politikmodell der Polis-Demokratie beispielhaft abliest -nämlich: Politik als Praxis der Freiheit, die sich im "Miteinander-Reden und Einander-Überzeugen" realisiert und die Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit als präpolitisch auszugrenzen versucht3, diese Art von Politik ist nur möglich, wenn Politik nicht für alles verantwortlich ist, wenn sie nicht zu "Life-and-Death-Politics" wird oder werden muß (Beck 1993, S. 234 ff.). 9 Man muß dieses Politikverständnis und seine enthistorisierende Normierung nicht teilen, so wenig wie man H. Arendts Fixierung des "definitiven" Endes eines in der Antike begonnenen "politischen Denkens" bei Marx: teilen muß (1957, S. 9). Will sagen: man muß in der modernitätsspezifischen und sich zeitaktuell allenfalls zuspitzenden Auswei tung der politischen Verantwortlichkeit bis in die Bedingung der Möglichkeit von Politik selbst hinein nicht unbedingt eine Gefahrdung des Politischen sehen4; man kann in der tendenziellen Aufhebung der Trennung zwischen ,,Leben und Politik", zwischen Privat und Öffentlich, zwischen Gesellschaft und Staat auch umgekehrt Zeugen einer ,,Funda mentalpolitisierung" (v. Krockow 1989, S. 36 ) erkennen bzw. Anzeichen der bereits erwähnten ,,Erfindung des Politischen" unter Bedingungen einer ,,reflexiv werdenden Modeme" (Beck 1993). Dabei muß das Theorem von der "Erfindung des Politischen" nicht unbedingt der Behauptung von der "Entstehung des Politischen bei den Griechen" widersprechen (Meier 1980), weil seine Entstehungsbedingungen und seine "mentalen" Voraussetzungen -so Meiers eigene DeutungS -so singulär sind, daß sich das unter ihnen Entstandene nicht einfach als zeitloser Besitz verbuchen läßt. Das Theorem von der "Erfindung des Politischen" insistiert so gesehen nur darauf, daß das Politische - anders als der Protagoras-Mythos insinuiert, eher schon konform mit Hobbes' Einsicht in seine Bedingungen6 - keine "Naturgabe des Menschen ist" (Meyer 1994, S. 17), sondern als ein artifizielles, mithin prekäres kulturelles Projekt zu gelten hat. Gerade weil das Politische mit zur "natürlichen Künstlichkeit" (Plessner) des Menschen gehört, muß es geradezu ständig neu "erfunden" werden, um dem Menschen ein Leben in der Gesellschaft nach Maßgabe des jeweiligen "Auch-Anders-Sein-Könnens" zu sichern. Eine so verstandene ,,Erfindung des Politischen" - E.U. v. Weizsäckers ,,Erd-Politik" wäre eine solche Erfindung -ist mithin kein einmaliger Akt. Es kann sie nur im Plural geben. Beck nennt das "Politik der Politik" (1993, S. 205 ff.). Auf den folgenden Seiten geht es um eben solche Erfindungen des Politischen. Es geht genauerhin um verschiedene Theorien und Konzepte von Platon bis Luhmann, in denen sich diese Erfindungen des Politischen substantiell verdichten. Insofern könnte man die hier vorgelegte Publikation in erster Annäherung auch einen Beitrag zur Geschichte der politischen Theorie bzw. Philosophie nennen. Doch deren Geschichte soll hier weder erneut erzählt oder gar neu erzählt werden; es soll auch nicht um Parteinahme für oder gegen bestimmte politiktheoretische Konzepte gehen. Das eigentliche Ziel der folgenden Seiten ist vielmehr die (freilich selektive und deshalb auch nur beispielhafte bzw. inodellhafte) Rekonstruktion der Theoriegeschichte der Politik unter einem spezifischen Frageinteresse. Ich nenne dieses Frageinteresse rhetoriktheoretisch, weil es die politiktheoretischen Konzepte damach befragt, welche Funktion in ihnen jeweils der politischen Rede zukommt. Insofern dieses Frageinteresse, um befriedigt werden zu können, Politik- und Rhetorik-Theorie miteinander zu verknüpfen nötigt, läßt sich die folgende Untersuchung zu "Politik und Rhetorik" auch ebenso als rhetorikinteressierter 10 Beitrag zur Theoriegeschichte der Politik kennzeichnen wie als politiktheoretisch fundierter Beitrag zur Theoriegeschichte der politischen Rede. Sinn macht freilich solche (nicht gerade übliche) Verknüpfung zwischen Politik- und Rhetoriktheorie nur, wenn mindestens die folgenden zwei Voraussetzungen als plausibel unterstellbar sind, - wenn politische Rede nicht bloß als mehr oder weniger kontingenter Teilaspekt des Politischen gilt, sondern als dessen originäre Existenzweise anerkannt wird, so daß sich an der jeweiligen Funktionsdifferenzierung politischer Rede politiktheoretisch die ent sprechenden Begriffsdifferenzierungen des Politischen ablesen lassen; - wenn zum anderen die politische Rede als ein ebenso exemplarischer und wie reprä sentativer Typ persuasiver Sprachverwendung gilt, so daß sich an ihm rhetoriktheoretisch die . soziale Koordinierungs- und Integrierungsfunktion persuasiver Rede bereichsspezi fisch konkretisieren läßt. Zunächst kurz zur ersten Voraussetzung: "Würde man die Reiche statt nach Staatsfor men danach unterscheiden, welche Bedeutung dem Wort ... in ihnen zukam, so würde man über ihr Wesen häufig mehr aussagen als durch die begrifflichen Merkmale, die man landläufig herausstellt". Was Otto Nass an dieser Stelle seiner - ziemlich unbekannt gebliebenen - "Staatsberedsarnkeit" vorschlägt (1980, S. 17), ratifiziert nur methodolo gisch, was eben über die politische Rede als originäre Existenzweise des Politischen gesagt wurde. "Originär" meint in diesem Zusammenhang: das Politische steht in einem besonderen Verhältnis zur politischen Rede bzw. -allgemeiner -zur politischen Sprache, weshalb Politik aufhört, Politik zu sein, wenn sie aufhört, "sprechende Politik" zu sein (Sternberger 1966, S. 87)7. Mag Dieckmann seinen seinerzeit einflußreichen Defini tionsversuch von 1969, wonach "Politik staatliches oder auf den Staat bezogenes Reden sei", auch später mit Recht für hochgradig korrekturbedürftig einschätzen (1984, S. 139 bzw. 29), die notwendige Korrektur betrifft nicht die These von der sprachlichen Infra struktur von Politik, sondern nur den Reduktionismus ihres etatistisch verkürzten Begriffs (ebd. S. 26 ff., 133 ff.). Sprache ist m.a.W. nicht bloß ein Mittel der Politik, sondern Bedingung ihrer Mög lichkeit und Medium ihrer Konstitution; denn "Politik wird durch (mit) Sprache entwor fen, vorbereitet, ausgelöst, von Sprache begleitet, beeinflußt, gesteuert, geregelt, durch Sprache beschrieben, erläutert, motiviert, gerechtfertigt, verantwortet, kontrolliert, kritisiert, be-und verurteilt" (Grünert 1983, S. 43). Für Politik ist mithin nicht einschlägig, was als Unterscheidungsnotwendigkeit der liberale Ironiker Rorty ebenso beredt einklagt wie jede halbwegs informierte Erkenntnistheorie, nämlich: daß zwischen "der Welt dort draußen" und "unseren Beschreibungen der Welt" strikt unterschieden werden muß (1992, S. 24, allg. 21 ff.). Die politische Welt dagegen gibt es einzig in unseren Beschreibungen (und Unterscheidungen), in denen sie sich konstituiert. Was zugleich heißt: die politische Welt verändert sich in gleichem Maße, wie sich ihre Beschreibungen verändern. Insofern 11 ist der seinerzeit viel zitierte Buchtitel, daß "Worte keine Politik machen"s, nicht ganz so evident, wie seine Programmatik unterstellt; ohne Worte jedenfalls ist Politik schwerlich denkbar. Diese Intimbeziehung zwischen Politik und Sprache wird in Heringers Formel "Politik in Sprache" (1990, S. 8 ff.) prägnanter auf den Begriff gebracht als in der geläufigeren Formel "Sprache in der Politik" (vgl. Dieckmann 1975; Holly 1992, S. 29 ff.). Unterstellt man die darin implizierte These, dann wird nicht nur Nass' o. erwähnte Methodologie zur Differenzierung politischer Systeme plausibel, sondern auch Epplers Versuch, seinen diagnostischen Befund über "die Krise der Politik" an der Krise der "politischen Sprache" festzumachen und gleichsam wie im "Spiegel" "abzulesen" (1992, S. 79). Daß sie, die politische Sprache "nichts mehr bewege" (S. 246), daß ihre Begriffe "zu abstrakt, zu sehr in Klischees erstarrt sind, als daß sie einer vielschichtigen, riskanten Wirklichkeit noch gerecht werden könnten" (ebd.), dieses Urteil muß man nicht unterschreiben, um gleichwohl anzuerkennen, daß sich seine Kriterien wohltuend fernhalten von einer bloß geschmäcklerisch oder kulturkritisch gestimmten Sprachkritik, die ihre normativ-ästhe tischen Maßstäbe aus der bewährten Sprachverfalls-Topik nährt9. Was Eppler an der politischen Sprache interessiert, ist die Funktion der Sprache in der Politik, nicht deren stilistische Selbst- und Fremdansprüche; und was er an der politischen Sprache kritisiert, ist nicht die Sprache der Politik (oder gar der Politiker), sondern deren Sprachlosigkeit, Ohnmacht und Unfähigkeit, für eine fälliges "neues Denken" im Dienste einer "neuen Politik" eine überzeugende, weil authentische Sprache zu entwickeln (S. 250). Statt dessen sei Sprache tendenziell in Gefahr, zu dem zu werden, was in einem Buchtitel von Opp de Hipt und Latniak noch als Frage formuliert ist: "Sprache statt Politik ?" (1991). Auch auf den folgenden Seiten wird es nicht um wohlfeile Klagen über den drohenden Verfall der politischen Sprache gehen, sondern ausschließlich um die Frage nach der Funktion der Sprache in der Politik. Freilich soll diese Frage weder empirisch 10 noch durch einen eigenständigen theoretischen Entwurf!! beantwortet werden. Es geht vielmehr um den Versuch einer im strikten Wortsinn verstandenen Rekonstruktion!2 politiktheore tischer Konzepte unter der entsprechenden Leitfrage, welche Rolle sie jeweils der Sprache in der Politik zuschreiben. Ich glaube nämlich, daß sich Nass' o. z. These mit Gewinn auch auf Politiktheorie anwenden läßt: man kann über deren jeweiliges Profil Wesentli ches erfahren, wenn man sie unter dem Aspekt der politischen Funktionsbestimmung von Sprache befragt. Die - wie sich zeigen wird - Pluralität solcher Funktionsbestimmungen bestätigt noch einmal die dia- wie synchrone Pluralität möglicher Begriffe und Konzepte des Politischen. Der (im Untertitel dieser Publikation) behauptete Modellcharakter solcher Funktionsbestimmungen hängt entsprechend von dem Modellcharakter der ausgewählten Politikkonzepte für die Theoriegeschichte der Politik ab. Nun noch zur zweiten der o.g. Voraussetzungen, deren Erfüllung jede Verknüpfung politik- und rhetoriktheoretischer Fragen unterstellen muß, wie sie hier versucht wird: