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Plotin über Sein, Zahl und Einheit: Eine Studie zu den systematischen Grundlagen der Enneaden PDF

368 Pages·1995·32.643 MB·German
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Christoph Horn Plotin über Sein, Zahl und Einheit Beiträge zur Altertumskunde Herausgegeben von Ernst Heitsch, Ludwig Koenen, Reinhold Merkelbach, Clemens Zintzen Band 62 B. G. Teubner Stuttgart und Leipzig Plotin über Sein, Zahl und Einheit Eine Studie zu den systematischen Grundlagen der Enneaden Von Christoph Horn B. G. Teubner Stuttgart und Leipzig 1995 Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Horn, Christoph: Plotin über Sein, Zahl und Einheit: eine Studie zu den systematischen Grundlagen der Enncaden / von Christoph Horn. — Stuttgart: Teubner, 1995 (Beiträge zur Altertumskunde; Bd. 62) ISBN 3-519-07611-X NE: GT Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts- gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt besonders für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © B. G. Teubner Stuttgart 1995 Printed in Germany Druck und Bindung: Rock, Weinsberg Inhaltsverzeichnis Einleitung 7 I. Teil: Sein als potentielle Vielheit und als die Einheit der Genera 13 § 1 : Antizipation des Existenzbegriff in der Konzeption der tOTÔaxaoLç 15 § 2: Die Kohärenz des Substanzbegriffs innerhalb des plotinischen Ableitungsdenkens 30 § 3: Eine derivationstheoretische Deutung von Syn- onymie und Homonymie 49 § 4: Plotins Rekonstruktion des aristotelischen Substanzbegriffs 62 § 5: Die sensible Substanz als Synthese aus Materie und Qualitäten 83 § 6: Die intelligiblen Kategorien und ihre Relation zum Seinsbegriff 106 § 7: Traditionelle oder systematische Funktion der Fünf-atgcöTa yévr|-Lehre? 129 II. Teil: Die Zahl als Strukturprinzip der intelligiblen Vielheit 149 § 8: Plotins dreifacher Unendlichkeitsbegriff 152 § 9: Materie, Potentialität und Potenz 170 § 10: Epitheoretische, akzidentelle und substantielle Zahlen 201 § 11 : Die Zahl als Leitbegriff einer hierarchisierten noetischen Welt 221 § 12: Sensible Vielheit und intelligible Unendlichkeit 257 III. Teil: Die unaussagbare und die akzidentelle Einheit 289 § 13: Die systematische Differenz zwischen erstem und zweitem Einen 293 § 14: Unaussagbarkeit und Prädizierbarkeit des Einen 319 § 15: Plotins Monismus und die Tradition der platonischen Prinzipientheorie 333 Literaturverzeichnis 344 Stellenregister 357 Namenregister 366 Einleitung Das Corpus Plotinianum bildet einen überlieferungsgeschichtlichen Glücksfall; im Fall Plotins besteht die einzigartige Situation, daß das gesamte schriftliche Werk eines antiken Philosophen tradiert ist. Mehr noch, ein zeitgenössischer Editionsbericht, die porphyrische Vita Plotini, gibt uns die chronologische Folge der Schriften und wichtige Umstände ihrer Entstehung an. Jedoch, trotz dieser günstigen Ausgangslage bleibt die Erschließung der Philosophie Plotins problematisch; denn die Schriften sind argumentativ häufig undurchsichtig und dunkel. Bereits die Enneaden- Ordnung des Porphyrios versucht, dieser Dunkelheit durch eine systematische Gruppierung der Traktate zu begegnen. Tatsächlich ist es aber ebenso einfach, sich einen oberflächlichen doxographischen Überblick über die Aussagen zum Einen, dem Intellekt, der Seele oder der Materie zu verschaffen, wie es schwierig ist, die Abhandlungen Plotins im Detail zu rekonstruieren. Die vorliegende Studie untersucht die Enneaden auf Elemente einer philosophischen Systematik. Beabsichtigt ist damit keine Gesamtdarstellung eines Lehrsystems; in Blick auf Plotins wichtigste Lehren besteht bereits ein breiter Forschungskonsens. Wesentlich weniger klar sind dagegen die historischen wie die argumentativen Grundlagen, auf denen Plotin seine Lehren entwickelt. Der Nachweis einer "Systematik" meint somit nicht die Bemühung, die Konsistenz der plotinischen Philosophie zu zeigen. Die Wortbedeutung, die sich an den Systemanspruch der neuzeitlichen Philosophie, besonders an den Deutschen Idealismus, knüpft, ist hier auszuschließen. Plotin ist nicht der Überzeugung, seine Lehre sei enzyklopädisch-umfassend, abschließend oder unüberbietbar-endgültig, und ebensowenig verfährt er streng deduktiv (more geometricö). So verfehlt also eine Rückprojektion dieses Systemanspruchs ist, so ungenügend scheint es auf der anderen Seite, Plotins ontologisches Ableitungsverfahren für mythisch-religiös zu halten und seine Schriften - etwa im Anschluß an eine Bemerkung von P. Hadot - fiir rein psychagogisch zu erklären. 1 Daß es sich bei Plotin um einen Philosophen handelt, der dem 1 Vgl. Hadot (1991) 43 f: "...die verschiedenen logoi Plotins (richten sich) nach den Bedürfnissen seiner Schüler und versuchen, eine gewisse psychische Wirkung auf sie auszuüben. Man darf nicht meinen, es handle sich hierbei um aufeinanderfolgende Kapitel einer umfangreichen systematischen Darstellung der Philosophie Plotins". Dies ist zwar richtig, bedeutet aber gerade nicht, daß die am Schülerkreis orientierten Lehren außerphilosophisch wären. Vielmehr enthalten sie primär eine dialektisch-argumentative Schulung. 8 Einleitung Piatonismus eine irrational-mystische Wendung gibt, ist bis heute ein verbreitetes Vorurteil. Dies fuhrt zu erheblichem Mißtrauen gegenüber Plotin als Theoretiker; in manchen Arbeiten ist immer noch das einseitige Urteil Hegels präsent, wonach "die Hauptsache, das Charakteristische in Plotin ... die hohe, reine Begeisterung für die Erhebung des Geistes zum Guten und Wahren" sei.2 Plotin scheint theoretischen Fragen entweder ganz auszuweichen oder nur sehr unbefriedigende Lösungen für sie anzubieten. Hadot selbst meint mit seinem Hinweis aber keineswegs, daß die Dunkelheit der plotinischen Schriften auf eine "innere Schau" zurückgeht; gemeint ist vielmehr, daß es sich bei Plotins Schriften um esoterische Schultraktate handelt. Sie sind vom mündlichen Lehrbetrieb unablösbar. Nach allem, was wir von Porphyrios über ihre Entstehung und ihre Verbreitung zu Plotins Lebzeiten wissen, ist für sie der Schulhintergrund als Verständnishorizont maßgeblich. 3 Welcher Systembegriff kommt somit in Frage? H.-R. Schwyzer hat in einem bekannten Diktum konstatiert, das System Plotins liege "hinter den Worten" der Enneaden. Plotin verfügt stets über den Bauplan seiner philosophischen Gesamtkonzeption, erörtert in seinen Schriften aber lediglich Teile davon.4 Schwyzers These läßt sich wie folgt erläutern: einerseits enthalten die plotinischen Schriften deutliche Indizien für ein kohärentes Philosophieren; andererseits bleibt die Art dieser Kohärenz in 2 Hegel (1971) 439; vgl. ebd.: "Seine ganze Philosophie ist einerseits Metaphysik, aber nicht so, daß ein Trieb, eine Tendenz darin vorherrscht zur Erklärung, zum Auslegen ...; sondern sie ist Zurückfiihrung der Seele von den besonderen Gegenständen zur Anschauung des Einen, des Wahrhaften und Ewigen, zum Nachdenken über die Wahrheit, - daß die Seele gebracht werde zur Seligkeit dieser Betrachtung und des Lebens in ihr." 3 Bekanntlich hat Plotin nach Porph. Vita Plot. 3, 36-38 und 13, 10-17 weniger Wert auf systematische Lehrvorträge als auf die Beantwortung von Schülerfragen gelegt. Nach Vita Plot. 14, 11 ff hat Plotin seine Ansichten mittels vorhandener Kommentare vorgetragen; vgl. "*Ev öe ratq awouoiaic; aveyLvcixTKETo |acv airrcö xa irrto|ivfmaTa ...". Die Schriften sollen laut Vita Plot. 4, 14-17 esoterische Schultraktate sein. Die Systematisierungstendenz der Enneaden-Ordnung ist ihnen fremd. 4 Vgl. Schwyzer (1951) 548: "Nicht in den uns vorliegenden Schriften ist das System beschlossen; es liegt hinter den Worten. In jeder Schrift wird das bereits bestehende System als Ganzes implicite vorausgesetzt, aber in keiner explicite entwickelt." Zu Schwyzers Aussage vgl. Kristeller (1929) 3: "Die Lehre Plotins besitzt eine implizite Systematik. Sie ist auf ein System der Wirklichkeit bezogen, ohne ein System von Gedanken zu sein. Und so ist schließlich die Eigentümlichkeit der plotinischen Schriften aus ihrem Verhältnis zu dem vorschwebenden Wirklichkeitsbild zu begreifen." Einleitung 9 den Eimeaden weitgehend unklar. Die Schwierigkeit bei der Erfassung der plotinischen Systematik besteht darin, daß die Traktate auf Voraussetzungen beruhen, die wegen ihrer schulinternen Selbstverständlichkeit nicht eigens angegeben werden. Das Problem dieser impliziten Schulpräsenz zeigt sich wohl am deutlichsten an Plotins dreiteiliger Kategorienschrift VI 1-3 [42-44] und an seinem Zahlentraktat VI 6 ¡34], denen die vorliegende Studie vorrangig gewidmet ist. Denn die literarische Form dieser Abhandlungen wirkt so unbefriedigend, daß sie in zahlreichen Darstellungen der Philosophie Plotins unberücksichtigt bleiben; insgesamt werden sie in der Forschung bis heute eher vernachlässigt denn als Zentraltexte behandelt. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, das Bild vom 'spätantiken Mystiker' Plotin in wichtigen Punkten zu revidieren. Ihre Absicht besteht in dem Nachweis, daß die Systematik der Enneaden nur vor dem Hintergrund der altakademisch-mittelplatonischen Tradition verstanden werden kann. Diese bereits von Merlan (31975), Krämer (1964), de Vogel (1986) und Halfwassen (1992) vertretene These soll an einigen zusätzlichen Beobachtungen bestätigt werden. Insbesondere soll geklärt werden, ob und wie der 'Monist' Plotin die Tradition der platonischen Zwei-Prinzipien-Lehre aufgreift. Als außerordentlich treffend erweist sich ein Urteil des Longinos über Plotins Philosophie, das bei Porphyrios zustimmend zitiert wird: demnach hat Plotin in seinen Schriften die pythagoreischen und die platonischen Prinzipien "sorgfaltiger" als seine Vorgänger ausgeführt.^ Zudem soll eine wesentliche Verständnisbarriere ausgeräumt werden: Plotin integriert aristotelische Theorieelemente problemlos in seinen Piatonismus. Die aristotelischen Elemente erweisen sich sogar als die tragende Konstruktion, aus denen sich Plotins systematisierter Piatonismus zusammenfugt. Dies läßt sich zunächst anhand des Substanzproblems zeigen. Plotin verfugt über eine kohärente Behandlung der owia-Frage, die er mit einer ebenso folgerichtigen Darstellung des yevog-Problems verknüpft. Plotins Behandlung beider Probleme, die scheinbar seine theoretische Schwäche oder sein Desinteresse an einer technischen ^ Vgl. Porph. Vita Plot. 20, 72-76: "ö (ièv (sc. n^corlvoç) xdç nudayogeiouç àgxàq Kai nXaTûmicâç, cbç ôokeI, jcqôç aacpeatepav tcûv 3tç>ô airroti KaTacrrT|CTà|ievoç è£iÎYr)olv- oùôè yàç ovbtv èyyvq Ti Ta Nou(it|vîod Kai Kqovîou Kai MoôegàTou Kai ©gacrû^Aou toïç ntaotivou tceql tûv ai'rtrâv cruyYQà|i|iaaiv eiç mcgißeiav". Vgl. auch Vita Plot. 21, 5. - Eine Ausnahme bildet das Urteil bei Henry (1973) 234: "Plotin est bien connu pour sa mystique, sa philosophie de l'Un, le Transcendant, l'extase. On néglige trop le philosophe technique." Vgl. auch de Vogel (1959) 39: "Sa manière de traiter ces problèmes se distingue des trop courtes remarques ou esquisses sommaires de ses prédécesseurs par une maturité de pensée, une clarté de critique, une pénétration tout à fait remarquable." 10 Einleitung Diskussion belegt, ist bislang wegen einer falschen Bewertung der Argumente in wichtigen Details unverstanden geblieben. Plotins Bemühen erweist sich als bestimmt von der Absicht, eine schlüssige Stufenordnung zu begründen. Hierzu bedient er sich eines von Aristoteles übernommenen, aber platonisch interpretierten Derivationsmodells. Anhand des Traktats VI 6 [34] versucht dann der zweite Teil dieser Arbeit den Nachweis zu führen, daß Plotin an der Zahlenfrage ein ähnliches Interesse besitzt wie am Kategorienproblem: eine noetische Stufenfolge soll auch im dortigen Kontext sachlich-traditionsbezogen erschlossen und nicht lediglich psychagogisch-dogmatisch postuliert werden. Die beiden Ableitungsmodelle erweisen sich zwar nicht als exakt deckungsgleich, aber als zwei Ausprägungen derselben Grundkonzeption. Auch der Kontext der Zahlenschrift wird zeigen, daß die Annahme einer lehrmäßigen Distanz zu Aristoteles, wie man sie fiir Plotin gewöhnlich konstatiert, nicht aufrechtzuhalten ist. Es mag zwar einseitig sein, wenn Hegel für Plotin die Bezeichnung "Neuaristoteliker" für ebenso geeignet hielt wie die Bezeichnung "Neuplatoniker".^ Richtig ist aber, daß diese Einschätzung ein bedeutendes Wahrheitsmoment besitzt. Es muß ja bereits auf den ersten Blick als unplausibel erscheinen, daß der Schüler des Ammonios Sakkas und der Lehrer des Porphyrios Aristoteles-kritisch orientiert sein sollte, während die Absicht einer lehrhaften Synthese der platonischen und der aristotelischen Philosophie für diese beiden ihm nächststehenden Denker 6 A.a.O. 438: "Besonders sind bei ihm Piatons Ideen und Ausdruck herrschend, aber ebensogut die des Aristoteles; man kann Plotin ebensogut einen Neuplatoniker als einen Neuaristoteliker nennen." Während sich Hegels Bemerkung auf die Präsenz der ¿•uva^-evegyeia-Konzeption bei Plotin stützt (vgl. ebd.), hat E. Hofiniann seine entsprechende Behauptung primär auf den Substanz-Begriff gründen wollen; vgl. (1960) 306: "Ja wer ... Piatonismus und Aristotelismus im letzten Grunde für die beiden einzigen Urtypen der Philosophie hält ..., dem mag Plotin sogar als Aristoteliker gelten. Denn sein ganzes System ruht auf dem Aristotelischen Substanzbegriff." Obwohl beide Behauptungen ohne fundierte Begründungen vorgetragen werden, beinhalten sie doch korrekte Beobachtungen (vgl. Vita Plot. 14, 6-8: "KciTaJtejnjKvcoTca öe Kai f| Meta ta cpuouca toti 'AQiaTOTeXouq rtgaynareia"). Faust (1931) 456 f hat diese doppelte Affinität der plotinischen Philosophie ins Negative gewendet und diese als "Synthese eines depravierten Piatonismus mit einem depravierten Aristotelismus" bezeichnet. Diese kritische Bewertung der Syntheseleistung ist sachlich nicht gerechtfertigt. Treffend vielmehr Armstrong (1977) 50: "Offensichtlich kannte Plotin Aristoteles und die peripatetischen Kommentatoren sehr gut, und wir stellen fest, daß er ständig die peripatetische Lehre überdenkt und sie keineswegs immer, vielleicht sogar in den seltensten Fällen, völlig ablehnt, sondern sie revidiert, übernimmt und seinen eigenen Zwecken dienstbar macht."

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