Edward P. Plebeische Kultur Thompson und moralische Ökonomie Aufsätze zur englischen Sozialgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts Ausgewählt und eingeleitet von Dieter Groh Sozialgeschichtliche Bibliothek Herausgegeben von Dieter Groh Ullstein Materialien Ullstein Materialien Ullstein Buch Nr. 35046 im Verlag Ullstein GmbH Frankfurt/M - Berlin - Wien Übersetzt von Günther Lottes Deutsche Erstausgabe Umschlagentwurf: Kurt Weidemann Alle Rechte Vorbehalten Mit freundlicher Genehmigung des Autors Deutsche Ausgabe © 1980 by Verlag Ullstein GmbH Frankfurt/M — Berlin — Wien Printed in Germany 1980 Gesamtherstellung: Mohndruck Graphische Betriebe GmbH, Gütersloh ISBN 3548 35046 1 Juni 1980 CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Thompson, Edward P.: [Sammlung <dt> ] Plebeische Kultur und moralische Ökonomie: Aufsätze zur engl. Sozial geschichte d. 18. u. 19. Jh. / Edward P. Thompson. [Übers, von Günther Lottes], Dt. Erstausg. - Frankfurt/M, Berlin, Wien: Ullstein, 1980. ([Ullstein-Bücher] Ullstein-Buch; Nr. 35046: Ullstein-Materialien) (Sozialgeschichtliche Bibliothek) ISBN 3-548-35046-1 Inhalt Dieter Groh: Zur Einführung 5 Edward P. Thompson: Plebeische Kultur und moralische Ökonomie. Aufsätze zur englischen Sozialgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. Zeit, Arbeitsdisziplin und Industriekapitalismus 34 Die >moralische Ökonomie« der englischen Unterschichten im 18. Jahrhundert 66 »Rough Music« oder englische Katzenmusik 130 Patrizische Gesellschaft, plebeische Kultur 168 Romantik, Moral und utopisches Denken: Der Fall William Morris 202 Die englische Gesellschaft im 18. Jahrhundert: Klassenkampf ohne Klasse? 246 Volkskunde, Anthropologie und Sozialgeschichte 289 Anmerkungen 318 5 Dieter Groh Zur Einführung* Erstaunlich, ja beinahe beschämend ist es, daß Edward P. Thompson in der Bundesrepublik immer noch einer Einführung bedarf. Ist doch bisher nur eine einzige (1967b) seiner zahlreichen grundlegenden Arbeiten. 1973 in deutscher Sprache veröffentlicht worden. >The Moral Economy of the English Growd in the 18th Century< (1971) erschien zwar bereits im letzten Jahr in deutscher Übersetzung, aber doch nur als Vorabdruck aus diesem Band in der von Detlev Puls herausgegebenen Sammlung über »Wahrneh mungsformen und Protestverhalten«. Sein bereits als Klassiker der Sozialgeschichte geltendes Buch, »The Making of the English Working dass« von 1963, wartete bis vor kurzem vergebens auf eine deutsche Ausgabe, die allerdings inzwischen in der Europä ischen Verlagsanstalt für Herbst 1981 vorbereitet wird. Gerade er schienen in deutscher Sprache ist seine Auseinandersetzung mit Louis Althusser unter dem Titel »Das Elend der Theorie. Zur Pro duktion geschichtlicher Erfahrung« im Campus Verlag. Aber auch eine Auseinandersetzung mit seinen Arbeiten und Forschungsperspektiven sucht man in der deutschen Fachliteratur, von ganz wenigen Autoren abgesehen, leider vergebens. Ein Gelehrter, der seit 1963 Tausende von Seiten zu den zentralen The men der englischen Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts ge schrieben und generell vielleicht die entscheidenden Impulse für eine Weiterentwicklung der Sozialgeschichte seit beinahe 20 Jahren ge geben hat, dessen wichtigste Arbeiten spätestens seit dem Erschei nen von »The Makingf meist jahrelang andauernde Wissenschaft- * Wenn man innerhalb einer Gruppe von Historikern Seit beinahe 10 Jahren über und mit Edward Thompson diskutiert, ist es selbstverständlich, daß in eine Einführung wie diese zahlreiche Anregungen und Gedanken eingehen, die nicht die des Autors im Sinne des bür gerlichen Besitzindividualismus sind. Ausdrücklich nennen möchte ich die Gespräche mit Andreas Grießinger über theoretische und methodologische Aspekte der Arbeiten Thomp- sons. Die auf den letzten Seiten mehr angedeutete als skizzierte kritische Weiterführung des Thompsonschen Ansatzes wird von Andreas Grießinger im 1. Kapitel seines Buches: Das symbolische Kapital der Ehre. Streikbewegungen und kollektives Bewußtsein deutscher Handwerksgesellen im 18. Jahrhundert, in einem auch von mir gemeinten Sinn ausgearbei tet. Es wird im Februar 1981 in derselben Reihe erscheinen. 6 Dieter Groh lich-politische Kontroversen ausgelöst haben, gilt in der Bundesre publik beinahe immer noch als Geheimtip unter Experten. Eine solche Abstinenz läßt sich weder gegenüber allen >Anglomarxisten< feststellen, denn Christopher Hill, Maurice Dobb, Eric Hobsbawm, Perry Anderson, Raymond Williams, um nur einige zu nennen, kann man als Gegenbeispiele zitieren, noch besteht eine Abstinenz gegenüber anderen englischen und amerikanischen sozialhistori schen oder auch soziologischen Forschungsrichtungen, die meist sehr schnell ein breites Echo in der Bundesrepublik, zum Beispiel etwa in >Geschichte und Gesellschaft finden. Eine Durchsicht deut scher Fachzeitschriften nach dem Erscheinen von >The Making< führt zu dem mageren Ergebnis, daß kaum ein Historiker von Rang sich zu Thompsons Buch geäußert hat. Eine Ausnahme bildete der Grand Old Man der DDR-Wirtschafts- und Sozialhistoriker, Jür gen Kuczynski (1965). Und auch er hat dieses Buch eher dazu be nutzt, einige unorthodoxe Bemerkungen zur generellen Frage der Entstehung der Arbeiterklasse zu formulieren, als sich mit dem Verfasser gründlich und kritisch auseinanderzusetzen. Ein solches Nichtzurkenntnisnehmen ist im Kontext der deut schen Sozialgeschichte um so bedauerlicher, als ein Bericht über sie von einem wohlwollenden englischen Kritiker, Geoff Eley, noch unlängst zu Recht >Memories of underdevelopment< (1978) über schrieben werden konnte. Die Bedeutung der Thompsonschen Arbeiten ist deshalb für uns noch größer als für die englische Sozial geschichte, die im Gegensatz zu Deutschland auf eine lange, unge brochene Tradition zurückblicken kann. Ich selber bin vor beinahe 10 Jahren auf Edward Thompson ge stoßen. In einem von mir geleiteten Seminar diskutierten wir unter anderem im Winter 1970/71 ein Buch mit dem Titel >Die Entste hung des Proletariats als Lernprozeß«. Es stammte aus der Feder von Michael Vester und thematisierte - so der Untertitel - >Die Entstehung antikapitalistischer Theorie und Praxis in England 1792-1848«. Durch das Vestersche Buch neugierig gemacht, lasen wir >The Making«, welches das empirische Material für die Arbeit von Vester und die von ihm beschriebenen zyklischen Lernprozesse geliefert hat. Kaum hatten wir uns durch die 958 Seiten des unor thodoxen marxistischen Versuchs von Thompson, die Geschichte der Bildung der Arbeiterklasse in England bis in die 1830er Jahre zu beschreiben, hindurchgearbeitet, erschien in >Past and Present« ein Aufsatz von ihm mit dem auf den ersten Blick seltsam klingen- Zur Einführung |den Titel >The Moral Economy of the English Crowd in the 18th !Centiiry<. Er sollte, was bei der ersten Lektüre schon deutlich wurde, ,j' zusammen mit seinem Buch und seinem Aufsatz von 1967 >Time, " Work-discipline and Industrial Capitalism< für unsere Sicht der ■ Sozialgeschichte und unsere Forschungsinteressen grundlegend werden. —. Thompsons Blick auf die Sozialgeschichte des englischen 19. und vor allem aber 18. Jahrhunderts enthüllten sich z.B. scheinbar ' spontane und völlig regellose >hunger and setting the price riots< als : Vorgänge, die einer eigenen Rationalität gehorchten, einer, wie er . es nannte, »social logic« folgten und sich an Vorstellungen einer >moral economv< - im Gegensatz zur »political economy< der damals vordringenden Marktbeziehungen - als Legitimationsbasis orien tierten. Die Aufgabe des Sozialhistorikers sei es vor allem, so Thompsons methodologische Prämisse, sich so weit in die Hand lungen der geschichtlichen Akteure hineinzufühlen, ihre Innen se< seite sich zu eigen zu machen, daß er in die Lage versetzt wird, zuerst ihre spezifische soziale Logik, die handlungsleitenden Normen, Muster und Ideen zu rekonstruieren, um sodann mit ihrer Hilfe Handlungsabläufe zu decodieren. »Decode the evidence of be- ; haviour«! Auch für die Tradition der >anglo-marxistischen< Geschichts schreibung, die sich bis dahin mit Unterschichten beschäftigt hatte und für die hier die Namen von George Rude, Eric Hobsbawm und Eugene Genovese als Beispiele stehen mögen, bedeutete Thomp sons Ansatz eine Herausforderung, die auf diese Autoren fruchtbar zurückgewirkt hat. Die neue >humanistisch-marxistische< Historio graphie markierte einen Bruch mit liebgewonnenen Traditionen so wohl »bürgerlichen als auch marxistischer Geschichtswissen schaft. Verstärkt wurde der Einfluß Thompsons auf uns durch persönli che Bekanntschaft im Jahre 1974. Clemens Heller, für seine ebenso effiziente wie unaufdringliche wissenschaftliche Gastfreundschaft zu Recht gerühmt, hatte einen Kreis von Sozialhistorikern ins Mai- son des Sciences de l’Homme in Paris eingeladen, aus dem sich dann die informelle »Groupe de Travail Internationale de l’Histoire Sociale et Contemporaine< bildete, der neben anderen Thompson, Hobsbawm, Charles Tilly, Michelle Perrot und ich angehören. Bei der Vorstellung - jeder nannte Namen und Universität — erhob sich Thompson: »Edward Thompson, writer«, und setzte sich wieder. 8 Dieter Groh Er war seit 1970 aus der Universität ausgeschieden und lebte als Privatgelehrter - >writer<! - auf seinem Landsitz in Worcester. Die Diskussionen in unserem Kreis in den nächsten vier Jahren waren trotz offener und versteckter Gegensätze und Spannungen zwischen Personen und Positionen weit entfernt von universitären Diskus sionsritualen, wie ich sie nicht nur in der Bundesrepublik gewohnt war. Zu verdanken hatten wir dies nicht zuletzt der Gegewart Edward Thompsons. Er ist ein Gelehrter in einem völlig unkonven tionellen Sinn, ein Mann, in dem die englische Sozialgeschichte des 18. Jahrhunderts gleichsam Person geworden ist, ein hinreißender Redner und Rhetor. Als solchen haben ihn seit 1970 anläßlich sei ner zahlreichen Gastprofessuren und Vorträge Kollegen in drei Kontinenten kennengelernt, nur nicht in der Bundesrepublik. Hier trat er nur einmal auf, und zwar in Konstanz anläßlich eines Round Table unserer >Groupe de Travaik Edward P. Thompson wurde 1924 in Oxford geboren. Er ent stammte einer entschieden liberalen Familie, was in England mit >radical< gleichzusetzen ist. Sein Vater war, wie er selbst sagte (Interview mit Michael Mervill), »ein unablässiger Kritiker des bri tischen Imperialismus, ein Freund Nehrus und anderer nationaler Führer«. Denjenigen gegenüber, die schlagwortartige Zuordnun gen lieben, könnte man Edward Thompson als typischen >middle dass radicah bezeichnen, was im Verhalten eine gewisse Exzentrizi tät nicht ausschließt. Von 1941 bis 1946 studierte er, unterbrochen von einem Jahr Militärdienst, in Cambridge Geschichte. Das Stu dium schloß er ab mit dem B. A., seinem einzigen akademischen Grad. Mit 18 Jahren trat er in die englische KP ein und arbeitete später in deren Yorkshirer Bezirkskomitee. Die politische Arbeit nahm damals die Hälfte seiner Zeit in Anspruch, die übrige Zeit widmete er bis 1965 der Erwachsenenbildung an der Universität Leeds. Sein Bruder Frank, einige Jahre älter als er, war bereits vor ihm in die KP eingetreten. Beide orientierten sich offenbar weniger an der Ideologie und mehr an der kommunistischen Massenbewe gung, also an einer Art >realem< Kommunismus, wie er sich beson ders in den Kriegsjahren zwischen 1943 und 1946 in Südosteuropa ausbildete. Edward Thompson gehörte von Anfang an der >Historians Group of the Communist Party< an, zu der unter anderen auch zu rechnen sind Dona Torr, die englische Herausgeberin der wich Zur Einführung 9 tigsten Texte von Marx und Engels, Maurice Dobb, dessen 1946 erschienenen >Studies in the Development of Capitalism« das zentrale Forschungs- und Diskussionsthema der gesamten Gruppe formulierte, der Archäologe V. Gordon Childe, Christo pher Hill, der bedeutendste Historiker der Englischen Revolution, der Agrarhistoriker Rodney Hilton, John Saville, der führende Historiker der englischen Arbeiterbewegung, Raymond Williams, EricHobsbawm und Dorothy Thompson. Thompson war übrigens der einzige dieser Gruppe, der im engeren Sinn Parteiarbeit lei stete. Eine weiter zurückreichende Tradition marxistischer Geschichts schreibung hat es in Großbritannien nicht gegeben, wohl aber eine Starke Tradition »radikaler« und an der Arbeiterbewegung orien tierter Historie, auf die sich diese Gruppe kommunistischer Histori ker dann auch stützte. Sie fühlten sich, wie Hobsbawm 1955 schrieb, als »successor to the old »Liberal-Radical« view of British history« (1979). Ihre prominentesten Vertreter waren als Universitätsdo zenten oder als Lehrer in der Erwachsenenbildung tätig, was - zu sammen mit wissenschaftlichen Veröffentlichungen — der Gruppe zu einer Kontinuität auch außerhalb ihres parteipolitischen Enga gements verhalf. Gerade die Tatsache, daß sie in der einen oder anderen Form lehrten und durch ihre Veröffentlichungen wissenschaftlich und po litisch wirken wollten, bewahrte sie davor, die Fremdisolierung durch sektiererisches Verhalten und eine ebensolche Sprache noch zu verstärken. Und wenn die Fachkollegen allzu gerne versuchten, ihre Untersuchungen als dogmatisch und propagandistisch abzu stempeln, spornte ein solches Urteil diese kommunistischen Hi storiker um so mehr dazu an, so zu arbeiten, daß ihre fachliche Kompetenz prinzipiell nicht bestritten werden konnte, und in einer Sprache zu schreiben, die allgemeinverständlich war. Auf Initiative von John Morris gründeten 1952 einige Mitglieder der Gruppe zu sammen mit zwei anderen Historikern »Past and Present«, die eine der führenden geschichtswissenschaftlichen Zeitschriften in der ganzen Welt werden sollte. Die Gruppe brach dann 1956 auseinander. Im wesentlichen wurde die Auflösung von zwei Ereignissen bestimmt, dem 20. Par teitag der KPdSU, auf dem Chruschtschow den stalinistischen Per sonenkult kritisierte, sowie durch die Ereignisse in Polen und Ungarn. Die damals sich formierende Opposition innerhalb der 10 Dieter Groh englischen KP ist bemerkenswerterweise aufs engste verbunden mit dieser Gruppe, besonders mit Thompson, Hobsbawm, Saville, Hill, Hilton, die vor allem mit Veröffentlichungen hervortraten. Keine andere Gruppe innerhalb der Kommunistischen Partei hat in einem solchen Ausmaß zu der Diskussion der Jahre 1956/57 über den Stalinismus und über marxistische und sozialistische Alternativen beigetragen. Ein Faktum, das angesichts der weitgehenden politi schen Apathie von Historikern in der Bundesrepublik besondere Erwähnung verdient. Genauso aufschlußreich für Thompsons politische Haltung wie auch für seine wissenschaftliche Position in der ersten Hälfte der 50er Jahre ist seine erste Arbeit: »William Morris - Romantic to Revolutionär}^ die 1955 erschien und bereits wesentliche Züge von Thompsons historisch-politischen Arbeiten zeigt: epische Breite. 825 Seiten sind besonders für englisch-amerikanische Verhält nisse eine ungeheure Länge - sympathetische Identifikation mit den Personen, die als einzelne oder Gruppe den Gegenstand der Untersuchung bilden - das Ineinander von historischem und politischem Interesse am Gegenstand, was gleichzeitig bedeutet, in historischen Akteuren, wie vermittelt auch immer, eigene Probleme zu thematisieren - trotzdem keine präsentistische Position, die das historische Objekt zum Spiegelbild der eigenen Gegenwart ver kommen läßt, denn die naheliegende Gefahr des Präsentismus wird hier wie auch später gebannt durch eine hoch entwickelte Sensibilität für den historischen Kontext, in dem Einzelne und Gruppen handeln. Auch die wissenschaftliche Polemik, in die Thompson sofort nach Erscheinen des Buches verwickelt wurde, ist für alle seine Arbeiten typisch. Der abgedruckte Essay über Morris vermittelt hiervon einen recht lebendigen Eindruck. Die Sympathie des Autors galt vor allem jenem William Morris, der als ästhetischer Oppositioneller und politischer Radikaler begonnen hatte und der in der Statik und Stagnation der viktorianischen Zeit sowie in den damaligen Sozia lismen nach neuen revolutionären Wegen suchte. Ein Jahr nach Erscheinen des Buches tat Thompson das, was sich in seiner Arbeit schon angedeutet hatte: er brach mit der Statik und Orthodoxie des Sowjetkommunismus, wobei den Ereignissen von 1956, Budapest und Posen, eine entscheidende Auslöserfunktion zukam. Richtete sich doch das Eingreifen sowjetischer Truppen vor Zur Einführung 11 allein gegen kommunistische Basisbewegungen, die für ihn wohl immer schon die wesentliche Anziehungskraft des Kommunismus ausgeimcht hatte. Mit diesem Buch drängte auch die Frage eines politischen wie wissenschaftlichen Neubeginns unmittelbar zu einer Lösung. Ein erster Schritt auf diesem Weg war die von Thompson gemeinsam mit John Saville 1956 gegründete Zeitschrift >The New Reasoned. Sie enthielt neben anderen vor allem seine zwei pro grammatischen Aufsätze >Sodalist Humanism< und >The New Left<. Ebenfalls 1956 war von Stuart Hall die Zeitschrift >Universities and Left Review< gegründet worden, die sich Ende 1959 mit dem >New Reasoner< zur >New Left Review< vereinigte. Als Gründungsmani fest der Neuen Linken erschien 1960 das erste >New Left Book«, herausgegeben von Thompson, mit dem programmatischen Titel »Out of Apathy<. Um von der Stagnation der 50er Jahre, der Sta gnation des Parteikommunismus, des Kalten Krieges, der Stagna tion, die sich angesichts der Erkenntnis ausbreitete, wie wenig der Einzelne und kleine Gruppen gegen die Übermacht von Apparaten und »Strukturen vermochten, loszukommen, entwarf Thompson ein neues Revolutionsverständnis, gründend in der Dialektik von Reform und Revolution, gerichtet gegen die damals herrschenden Modelle eines evolutionären oder revolutionären Sozialismus. Sein Aufsatz hieß kurz »Revolution und wurde einige Monate später er gänzt durch »Revolution again!«. Doch schon im Winter 1962/63 schieden Thompson und seine politischen Freunde samt seiner Frau Dorothy aus der Redaktion der >NLR< aus. An ihre Stelle trat eine Gruppe um Perry Anderson, der bis heute die >NLR< redigiert und dessen Position am ehesten als eine spezifisch englische Mischung aus Gramsdanismus und Trotzkismus charakterisiert werden kann. Viele sprechen davon, daß Thompson und seine Mitstreiter aus der Redaktion der >NLR< »verdrängt« worden seien; ich neige eher dazu, darin eine gewisse Logik seiner eigenen Entwicklung zu sehen, denn kaum war er aus der Redaktion ausgeschieden, erschien ein Buch, das seinen Ruhm als Forscher und Schriftsteller begründete: »The Making of the Eng lish Working Class«. Sein Forschungsinteresse führte ihn 1965 auch weg von der Erwachsenenbildung. Er wurde Leiter des Center for the Study of Sodal History an der University of Warwick, wo er bis 1970 arbeitete, um sich von nun an ausschließlich der Forschung zu widmen.