Platonismus und spätägyptische Religion Beiträge zur Altertumskunde Herausgegeben von Michael Erler, Dorothee Gall, Ludwig Koenen und Clemens Zintzen Band 364 Platonismus und spätägyptische Religion Plutarch und die Ägyptenrezeption in der römischen Kaiserzeit Herausgegeben von Michael Erler und Martin Andreas Stadler unter Mitarbeit von Marion Schneider ISBN 978-3-11-053140-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-053296-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-053180-0 ISSN 1616-0452 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com Inhalt Zur Einführung | 1 Herwig Görgemanns Plutarchs Isis-Buch | 7 Martin Andreas Stadler Ägyptenrezeption in der römischen Kaiserzeit | 21 Océane Henri A general approach to interpretatio Graeca in the light of papyrological evidence | 43 Frederick E. Brenk ‘Searching for Truth’? | 55 Svenja Nagel Mittelplatonische Konzepte der Göttin Isis bei Plutarch und Apuleius im Vergleich mit ägyptischen Quellen der griechisch-römischen Zeit | 79 David Klotz Elements of Theban Theology in Plutarch and his Contemporaries | 127 Joachim Friedrich Quack (H)abamons Stimme? | 149 Christian Tornau Im Namen des Gottgeziemenden | 175 Geert Roskam On the multi-coloured robes of philosophy | 199 Jan Tattko Ägypten auf der Bühne der sophistischen Rhetorik in der römischen Kaiserzeit | 219 VI | Inhalt Alexandra von Lieven Porphyrios und die ägyptische Religion vor dem Hintergrund ägyptischer Quellen | 267 Andreas H. Pries ἔμψυχα ἱερογλυφικά II | 293 Rene Pfeilschifter Osiris in Konstantinopel oder: Synesios’ Ägyptische Erzählungen | 305 Namensindex | 319 Stellenindex | 323 Zur Einführung Zwei Fächer in einer Tagung zusammenzubringen, birgt immer ein Risiko, selbst wenn – wie im vorliegenden Fall der Ägyptologie und der Gräzistik – beide Dis- ziplinen der altertumswissenschaftlichen Familie angehören, die sich dennoch aufgrund ihrer wissenschaftshistorischen Entwicklung und auch ihrer Quellen- lage durchaus unterschiedlich entwickelt haben. Das Risiko besteht im Beharren auf eigenen Forschungspositionen und einer daraus resultierenden gewissen Sprachlosigkeit bzw. Sprachenverwirrung. Eine Tagung wie die vom 8. bis 10. Mai 2014 in Würzburg abgehaltene kann hier lediglich Impulse zu setzen versuchen, um die Grenzen der fachlich begründeten Hürden zu überwinden. Uns scheint das gelungen zu sein, und wir meinen sogar, den Grundstein für viel mehr, einen intensivierten Dialog zum Nutzen beider Seiten gelegt zu haben. In der Ägyptologie ist in den vergangenen 30 Jahren die ptolemäisch-römi- sche Zeit immer stärker in den Vordergrund des Forschungsinteresses gerückt, aber in der Gräzistik hat sich die Auffassung etabliert, die Frederick Brenk, ein Teilnehmer unserer Tagung, vor 17 Jahren so formulierte: „Plutarch’s use of very early sources in his ‘Peri Isidos kai Osiridos’ (The Legend and Cult of Isis and Osiris) with naught a word for contemporary Isism has always been mysterious. (…) Plu- tarch’s own interpretation of the religion is in fact a perversion of true Isism.“1 Mit dieser Feststellung ist auch ein wesentliches, wie ein roter Faden sich durch das Kolloquium ziehendes Thema auf den Punkt gebracht, denn es hat auf der klas- sisch-philologischen Seite immer wieder zu Erstaunen geführt, wenn die Ägypto- logen dezidiert zu Plutarch zeitgenössische ägyptische Quellen in den Mittel- punkt ihrer Ausführungen stellten. Wenn Herwig Görgemanns in seinem Vortrag Einst und Jetzt bei Plutarch auf die aus seiner Sicht merkwürdige Absenz der zeit- genössischen Isis-Kulte und ein auffälliges Desinteresse Plutarchs an der Gegen- wart des Isis-Kultes verwies, entgegnete dem die ägyptologische Seite in der Dis- kussion, dass eben doch das ägyptische Jetzt Plutarchs in seiner Heranziehung offenbar zeitgenössischer ägyptischer Quellen zu erkennen sei. Das setzt natürlich die Fähigkeit Plutarchs voraus, auf ägyptische Texte zu- greifen zu können – eine durchaus umstrittene Frage, die Martin Stadler bei sei- nem Eröffnungsreferat resümierte und positiver beurteilen würde als Rene Pfeil- schifter, der in seinem Vortrag (nicht jedoch in der hier publizierten Fassung) am || 1 Brenk (1987): Frederick E. Brenk, „An Imperial Heritage: The Religious Spirit of Plutarch of Chaironeia“, in: Wolfgang Haase u. Hildegard Temporini (Hgg.), Principat: Philosophie (Histori- sche Einleitung, Platonismus), Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt 2,36,1, 1300–1322. DOI 10.1515/9783110532968-001 2 | Zur Einführung Ende der Tagung nochmals darauf zurückkam und ein deutliches Fragezeichen dahinter setzen möchte. Görgemanns scheint Plutarch ägyptische Sprachkennt- nisse hingegen ebenfalls zuzugestehen, da er auf Details, z. B. die Köpfung der Isis, hinweist, die nur bei Plutarch und in keiner griechischen Quelle vorkommen und die er wohl aus ägyptischen Vorlagen bezogen haben muss. Andererseits mag von Ägypten mehr Wissen im Griechentum kursiert haben, als wir heute vo- raussetzen, wie das Beispiel des Aelius Aristides zeigt, den Jan Tattko vorstellte. Der außerhalb des Platonismus stehende kaiserzeitliche Konzertredner verrät in seinem Aἰγύπτιος ebenfalls durchaus detailliertere Kenntnisse. Nun wird aber als zeitgenössische Isisreligion in den klassischen Altertums- wissenschaften offenbar ausschließlich die Isisverehrung außerhalb Ägyptens gemeint, so Svenja Nagel. Deren Beurteilung ist natürlich ebenfalls delikat und ein Amalgam aus Ägyptischem und Griechischem, wobei die ägyptischen Isis- Konzepte in der römischen Kaiserzeit ihrerseits von griechischen Vorstellungen und den schon lange etablierten interpretationes Graecae nicht unbeeindruckt geblieben sind, wenngleich manches im Ägyptischen bereits präfigurierte gewe- sen sein mag. Nur sind diese interpretationes Graecae keine starren 1:1-Überset- zungen, sondern unterschiedliche Wesenszüge – und ägyptische Gottheiten sind hier ausgesprochen schillernd – wurden durch fallweise unterschiedliche Iden- tifizierungen und Gleichsetzungen zum Ausdruck gebracht (Océane Henri). Na- gels Ausdeutung des außerägyptischen Isiskultes unter Heranziehung ägypti- scher Quellen der ptolemäischen und römischen Zeit und der so geführte Nachweis von Wechselbeziehungen zwischen inner- und außerägyptischem Isis- kult stießen insbesondere bei Frederick Brenk auf Erstaunen, der fragte, ob das denn statthaft sei. Diesen Einwand haben wiederum die Ägyptologen nicht ver- standen. In der Diskussion konnte dann jedoch ein beiderseitiger Erkenntnispro- zess in Gang gesetzt werden: Die klassischen Altertumswissenschaftler erkann- ten, dass ägyptische Religion kein monolithischer, unveränderbarer Block war, und die Ägyptologen nahmen die Dimension und Wirkmächtigkeit der Prämisse wahr, Plutarchs Ägyptenrezeption sei im Kontext der Suche nach altem Wissen zu sehen. Hier wäre für zukünftige Unternehmungen anzusetzen und zu hinter- fragen, ob Plutarchs Quellenzugriff oder ob die moderne Prämisse einem Miss- verständnis unterliegt oder ob beides zusammenzubringen ist. Während David Klotz eine Einführung für Klassische Philologen zu altägyp- tischen kosmogonischen Konzepten gab, die sich bei Plutarch, Jamblich und Porphyrios wiederfinden mögen, sollten sich die Ägyptologen stärker mit der Gattungsgeschichte griechischer Literatur befassen, wenn sie griechische und la- teinische Autoren als Quellen bewerten wollen. Denn die klassischen Autoren stehen auch in einer eigenen Tradition – eine Frage, die Michael Erler am Herzen Zur Einführung | 3 lag und die er in seinem Eröffnungsreferat anschnitt. Die Notwendigkeit, als Ägyptologe dafür eine gewisse Sensibilität entwickeln zu müssen, wurde in dem bereits erwähnten Vortrag von Görgemanns deutlich, der zum Vergleich auch an- dere Schriften Plutarchs heranzog (De procreatione oder De libidine et aegritu- dine), die ebenfalls auf Ägyptisches rekurrieren. Aber der Vergleich zeigt auch: Es sind (mittel)platonische Konzepte – der Dualismus –, die unterschiedlich be- gründet werden (platonisch bzw. ägyptisch). In die gleiche Richtung ging das Ar- gument Franco Ferraris, der De Iside dezidiert als mittelplatonisches Werk an- sieht. Aus ähnlichen Überlegungen heraus lehnt es Geert Roskam ab, einzelne ägyptische Parallelen heranzuziehen und neben das Werk Plutarchs zu stellen – so wie es im Rahmen des Symposions Alexandra von Lieven etwa in ihrem Referat zum Neuplatoniker Porphyr getan hat, die freilich nicht nur Parallelen isoliert nebeneinanderstellt, sondern in Porphyrs De cultu simulacrorum eine ägyptische Gauliste bzw. einen ägyptischen kulttopographischen Text als Vorlage durch- scheinen sieht. Aber, so Roskam, mit einer additiven Reduktion würde man De Iside et Osiride nicht gerecht, das er im Licht eines Plutarchschen ζήτημα betrach- tet. Roskams Satz „Every Egyptologist should become a Plutarchist.“ ist aus ägyptologischer Sicht eine unproblematische Forderung, könnte sich doch Plutarch als erster Ägyptologe erweisen. Auch wenn nämlich Plutarchs Schrift in einer griechischen Gattungstradition steht, so heißt das nicht, er hätte keinen gu- ten Quellenzugriff gehabt. Letztlich steht genauso jeder Ägyptologe, wenn er den ägyptischen Befund in einer Abhandlung analysiert und darstellt, in einer Tradi- tion wissenschaftlicher Literatur und schafft kein ägyptisches Werk, sondern ein ägyptologisches. Plutarch nimmt als Grieche eine Außenperspektive ein (Chris- tian Tornau) wie der Ägyptologe aus einer Außenperspektive heraus den ägypti- schen Befund zu verstehen und zu erklären versucht. Letztlich ist es überhaupt Plutarch, der der Ägyptologie erlaubt, die vielen verstreuten Einzelteile, in denen der Osiris-Isis-Mythenkomplex überliefert ist, in einen Zusammenhang zu brin- gen. Ähnlich wie ein Ägyptologe wäre dann Plutarch zu bewerten, der Quellen studiert, und auf Basis dessen ein Werk in der Tradition etwa eines ζήτημα ver- fasst. Aber warum gerade Ägypten, fragte Rainer Hirsch-Luipold? Ist es das Pres- tige, die Anciennität, der Orient oder die Tiefe der ägyptischen Überlieferung, die ihn anzog? Der Auffassung, Plutarch übe auch deutliche Kritik an Ägypten, hält Hirsch-Luipold entgegen, die Kritik relativiere sich im Angesicht der Plutarch- schen Kritik am Griechischen. Für ihn steht es außer Frage, dass Plutarch auf ori- ginär ägyptischen Quellen fußt, und fragt sich, ob in Plutarch oder dann – aller- dings in Frontstellung gegen Ägypten – bei Philon sich die Ausbildung einer 4 | Zur Einführung philosophisch-theologischen Koinê in Alexandria fassen lässt, die dann der fruchtbare Boden ist, auf dem auch das Christentum wachsen kann, weshalb Plutarch in der christlichen Tradition so populär gewesen sein mag. Eine Antwort auf Hirsch-Luipolds Frage aus ägyptologischer Sicht ist das Referat von Andreas Pries gewesen, der die Kryptographien mancher hieroglyphischer Texte und den metaphorischen Modus der zu beseelenden aber auch wesenhaften Hierogly- phen insgesamt behandelte und daraus die Faszination der Hieroglyphen bis in die Neuzeit hinein erklärte. Diese alexandrinische (oder vielleicht besser hellenistische?) Koinê rückte mit der Berücksichtigung anderer Autoren und Textcorpora in den Blick, denn nicht nur Plutarch hat Ägypten und Ägyptisches rezipiert, sondern auch Autoren wie Jamblich und Porphyr, die bei der Vorbereitung und Konzeption der Tagung bereits in den Blick genommen worden waren. Hier scheint teilweise mehr Basis- arbeit erforderlich zu sein, denn wenn Joachim Friedrich Quack über die Prole- gomena zum ägyptischen Hintergrund von Jamblichs De mysteriis nachdenkt, dann muss er sich zunächst mit einer Forschungstendenz auseinandersetzen, die sich erst jüngst einem interdisziplinären Diskurs verweigert und einen ägypti- schen Hintergrund für irrelevant erachtet. Dem widerspricht Quack entschieden und bringt Parallelen aus der ägyptischen Vorstellungswelt zu Jamblich bei, die übersehen wurden, und versucht bis in die Lexik hinein den ägyptischen Hinter- grund zu erweisen. Ein solches Vorgehen brachte ihm die Kritik Christian Tor- naus ein, der anmerkte, der Platonismus käme bei Quack gar nicht vor, und sich fragte, was die ägyptische Etymologisierung von Namen mit Platonismus zu tun habe. Anliegen des Vortrags, so Quack, wäre es vor dem Hintergrund der aktuel- len Forschung zunächst gewesen, auf Ägypten zu verweisen. Ironischerweise spielt dann gerade in dem durch Tornaus Vortrag in die Dis- kussion eingebrachten Corpus Hermeticum wie bei Jamblich – dort allerdings in der Forschung nach Quack irrig aus den chaldäischen Orakeln abgeleitet – der Klang der originalen ägyptischen Sprache eine herausragende Bedeutung, weil in ihrem Klang das Wesen des durch die Worte Bezeichneten enthalten sei. Inso- fern ist dann auch die Frage nach der von Tornau kritisierten ägyptischen Etymo- logisierung der bei Jamblich vorkommenden ägyptischen Namen statthaft, die Quack vornahm. Tornau operiert auf einer anderen, geistesgeschichtlichen Ebene als Quack, der einen linguistischen Zugriff hat. So stellt Tornau dann in seinem Beitrag das Corpus Hermeticum kontrastiv Plutarch gegenüber: Es bean- sprucht, das originale alte Wissen zu haben, und verzichtet so auf die ausdeu- tende Allegorese, die für Plutarch so wichtig ist. Mit Synesios, der um 400 n. Chr. gelebt hat, wies Pfeilschifter am Ende des Kolloquiums auf einen – wie er es nannte – „spätantiken Plutarch“ hin, der ein