transfer 4 Planung in öffentlicher Hand Herausgeber: Carl Böhret, Hochschule für Verwaltungswissenschaften, Speyer Garry D. Brewer, Vale University, New Haven Ronald D. Brunner, University of Michigan, Ann Arbor Herbert Ehrenberg, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Bonn Klaus Liepelt, Institut für angewandte Sozialwissenschaft, Bonn-Bad Godesberg Erika Spiegel, Universität Dortmund Günter Struve, Senat, Berlin Redaktion: Lutz Unterseher Anschrift: Redaktion TRANSFER, 5300 Bonn-Bad Godesberg, Margaretenstr. 1 Die Reihe TRANSFER wird in Verbindung mit dem James K. Pollock-Programm herausgegeben, in dem deutsche und amerikanische Sozial-und Planungswissen schaftler zusammenarbeiten. transfer 4 Planung in öffentlicher Hand @ Westdeutscher Verlag © 1977 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Alle Rechte vorbehalten. Auch die fotomechanische Vervielfaltigung des Werkes (Fotokopie, Mikrokopie) oder von Teilen daraus bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. ISBN 978-3-531-11429-3 ISBN 978-3-322-88752-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-88752-8 Inhalt Einleitung 7 I. Suchen und Verstehen Nils Diederich Politiker und Planer: Ziehen sie an einem Strang? 13 Garry D. Brewer Der Lebenszyklus eines Planungsproblems 18 Karl-Heinz Naß macher Politiker in der Kommunalverwaltung: Kontrolleure oder Meldegänger? 32 Lutz Unterseher Planerg'schichten 43 11. Fälle und Unfälle Udo Kollatz Eingeplante Fehler oder fehlgeplante Einflüsse? 46 Hasso Hasbach Grenzen kommunaler Handlungsspielräume: Beispiele aus einer ganz gewöhnlichen Stadt 59 Wutf Eichstädt Umrisse eines kommunalen Planungsproblems: Das Beispiel der innenstadtnahen Wohngebiete 68 111. Führen und Organisieren Gerhard Banner Der menschliche Faktor: Unterwegs zu einer intensiven Verwaltungskultur? 79 Alfred Kieser, Manfred Röber Öffentliche Langfristplanung: Wie organisiert man sie? 93 6 Inhalt IV. Werkzeuge und Verfahren Hartmut Grunau, lürgen Marock, Friedrich Winkelhage Für eine moderne Planungs-Infrastruktur: Konzepte und Förderungsvorhaben ........... . 105 Kenneth L. Kraemer, lohn Leslie King Transfer von Informations-Technologie: Amerikanische Erfahrungen 116 William Oxburgh Technologie-Transfer: Wie es weitergehen soll 138 Hans Menge Innovationsbarrieren und wie man sie überwindet 145 V. Kontrollieren und Bewerten Gerd-Michael Heilstern und Heilmut Wollmann Wirkungsanalysen : Eine neue Var lante wissenschaftlicher Politikberatung 157 Konrad Schacht Sozialwissenschaftliche Begleitung als Planungsinstrument : Das Beispiel Datenverarbeitung im Gesundheitswesen 169 Dietmar Reinborn Bürgerinitiativen: Anstoß oder Notbremse öffentlicher Planung? 178 Lutz Unterseher Der Verwaltungsrichter: Ein neuer Souverän? 191 Autoren ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 199 Einleitung ,,Planung" gehört zu den besonders schillernden Begriffen in der bundesdeut schen Sprachlandschaft. Harmlos und selbstverständlich kommt das Wort daher, wenn es um die Dispositionen von privaten Haushalten (Urlaubsplanung) oder wirtschaftlichen Unternehmen geht (Absatzplanung, Personalplanung); schwer durchschaubar , etwas unheimlich, aber letztlich unvermeidbar tritt es in mehr technischen Bereichen auf (Verkehrsplanung, Bauleitplanung); als politische Langfristplanung ist der Begriff - und die Sache - lange Zeit gemieden, in den 60er Jahren immer heftiger gefordert (Bildungs-, Umweltplanung), durch die erste sozialliberale Koalition energisch eingeflihrt, seitdem eher kontrovers ge worden. So nahe es liegt, daß ein privater Haushalt oder ein Betrieb seine Absichten und Bedürfnisse auf künftig verfügbare materielle Ressourcen und zeitliche Re striktionen abstellt, diese auszuschöpfen oder zu vermehren trachtet und seine Maßnahmen in Einklang mit ihnen zu bringen sucht; so bedenklich erscheint es manchen, wenn eine Regierung eben dieses tut: für einen längeren Zeitraum und für größere gesellschaftliche Bereiche verbindliche Dispositionen trifft. Zu denen, die solche staatliche Planung bösartig finden, gesellen sich neuer dings immer mehr, die sie für eher lächerlich halten: löblich zwar, aber undurch führbar angesichts der weder voraussagbaren noch gar steuerbaren Kräfte und widerstreitenden Tendenzen. In der Tat: Fehlplanungen aufzuzählen - im Bereich von Gesundheit, Bil dung, Städtebau, Energie -, fällt heute leichter als Erfolge zu melden. Den Leu ten in den Planungsstäben, die in den frühen 70er Jahren allerorten geschaffen wurden, weht der Wind ins Gesicht. Sie können froh sein, wenn man sie unge schoren läßt. Neue Aufgaben und neue Stellen können sie nicht erwarten. Schlechte Zeiten flir öffentliche Planung. Die wissenschaftliche Literatur zum Thema Planung und Planungsorganisa tion schwillt derweilen weiter an. Ob sie dazu beigetragen hat, die hohen Ansprü che zu nähren; oder Schlimmeres zu verhüten; oder ein Alibi dafür zu schaffen, daß mehr nicht drin war - dies mag dahingestellt bleiben. In jedem Fall hat die intensive wissenschaftliche Beschäftigung ganz deutlich gemacht, daß und warum öffentliche Planung um so viel schwieriger ist als private: weil sie längere Zeiträume umfaßt oder umfassen muß, weil sie viele Tätigkeitsfelder übergreift und vielerlei "Betroffene" zurück läßt (auf deutsch: weil sie komplex ist), weil sie nicht von einer Instanz angestoßen wird, sondern von ganz verschie denen Leuten (den Politikern und den Planem) mit ganz verschiedenen Zwängen 8 Einleitung und weil es keinen "Markt" gibt, der rasch und unmißverständlich Erfolge und Pleiten spüren läßt. Warum dann ein Heft von TRANSFER zum Thema "Öffentliche Planung", das politisch so wenig gefragt, wissenschaftlich so breit beantwortet ist? Zu einem Zeitpunkt, wo die Mittel und die Mehrheiten noch immer so knapp sind, daß der Zwang zum bloßen Reagieren immer übermächtiger wird? Wir sind der Auffassung, daß vielleicht die meisten relevanten Fragen ge stellt, aber noch keineswegs alle nötigen Antworten gegeben wurden; daß es gerade bei knappen Mitteln und Mehrheiten notwendig ist, eine pragmatische Position immer wieder neu zu bestimmen; und daß hierfür eine nüchterne Zwi schenbilanz, eine kritische Aufarbeitung der gemachten Erfahrungen erforderlich ist. Keine neue Definition, Theorie oder Systematik dessen, was Planung sein soll und kann, sondern eine Beschreibung der grauen Wirklichkeit. Das Besondere an TRANSFER 4, das es von anderen Planungs-Texten abhebt, sehen wir vor allem hierin: Die Autoren äußern sich nicht aus akademischer Warte, sondern sprechen über praktische Erfahrungen, die sie in der Regel selbst gemacht haben, und reflektieren diese kritisch vor dem Hintergrund von Theorie und Empirie der Planungswissenschaft. Es werden Fälle vorgestellt: Das Generelle wird an konkreten Beispielen geschildert. Diese Beispiele stammen mehrheitlich nicht aus dem staatlichen, sondern aus dem kommunalen Bereich: Von dort also, wo nach wie vor am meisten Planung stattfindet und von den Bürgern am dichtesten erlebt wird. Bei der Zusammenstellung und Gliederung der Texte haben wir uns von pragmatischen Überlegungen bestimmen lassen. Eine erweiterte Redaktionskon ferenz Anfang 1977 - mit einigen Autoren - konnte sich ziemlich leicht darauf verständigen, wo die kritischen Punkte liegen und wie die Beiträge danach zu sortieren sind. Erstes Problemfeld: Wer plant und zu welchem Ende? Wie, durch wen werden die Ziele definiert, die Prioritäten bestimmt? Wie wird Verständigung über Ziele und Mittel erreicht? Hier geht es um die Akteure im Planungsge schäft, um die Informationen, die ihnen verfügbar sind oder beschafft werden müssen, und um die Barrieren bei der Verständigung. Zweites Problemfeld: Wie läuft Planung ab? Die im ersten Komplex syste mati&:h dargelegten Schwierigkeiten beim Suchen und Verstehen sind in der'kon kreten Sequenz von Planungsvorgängen (Fällen) abzubilden. Wie kommen die Akteure zu Wort? Welche Restriktionen äußerer und innerer Art kommen ins Spiel? Welche Neben- und Folgewirkungen stellen sich ein? Kurz: Worin genau besteht die Komplexität von öffentlicher Planung? Drittes Problemfeld: Wie kann sich die öffentliche Hand organisieren, um mit Komplexität fertig zu werden? Gibt es Rezepte für bessere Führung und bessere Organisation? Wo sind die Grenzen, die Widerstände zu erwarten? Dies Einleitung 9 war und ist das klassische Feld der empirischen Verwaltungsforschung: Planungs organisation als Voraussetzung von Planung. Hier gibt es auch hinreichend Be funde, wonach die hohe Stabilität von Organisationen, die ja ihre Überlebens chancen erhöht, auch Bollwerk gegen durchgreifende Neuerungen ist. Viertes Problem/eid: Mit welchen Instrumenten läßt sich Planung unterstüt zen? Wenn Organisationen so wenig gefügig sind, sich neuen Aufgaben so schwer anpassen wollen: Kann man ihnen nicht doch Techniken beibringen, die sie zu benutzen lernen, ohne sich ändern zu müssen? Der Gedanke von problemneutra len, austauschbaren Planungshilfen und Management-Technologien ist beste chend. Wie weit trägt er? Wie werden Organisationen damit fertig? Fün/tes Problem/eid: Was ist der Ertrag von Planung, wie läßt er sich mes sen? Wie kann die öffentliche Hand, die ja keine Kontrolle durch den Markt kennt, sich Instrumente schaffen, die Erfolg und Mißerfolg registrieren? Wie lassen sich Unfälle - wenn sie durch noch so genaue Planung nun mal nicht ausgeschlossen werden können - jedenfalls frühzeitig erkennen, vielleicht abfan gen, oder jedenfalls hinterher analysieren, damit für's nächste Mal etwas gelernt wird? Und: Wer soll dies übernehmen, wer soll intervenieren, kontrollieren, evaluieren? Wegweiser durch TRANSFER 4 Im ersten Block der Beiträge ist von den unterschiedlichen Rollen, Erwartungs haltungen und Informationsbedürfnissen der Akteure im Planungsprozeß die Rede, und von den Schwierigkeiten der Verständigung: Nils Diederich umreißt thesenartig Schwächen an den Nahtstellen zwischen Politik und Planung eines großen Stadtstaates. Er hat die Rollen, die er be schreibt, alle selbst gespielt: den Wissenschaftler, der Planungsvorgänge analy siert; den Administrator, der das Berliner Planungssystem in Gang gesetzt hat; und jetzt den Parlamentarier, der unter dem Druck des politischen Alltags auszu wählen und zu gewichten hat. Wichtigste Forderung: Die Zielkataloge der politi schen Führung müssen für die Planung eindeutiger und verbindlicher werden. Garry D. Brewer liefert einen systematischen Bezugsrahmen für die Analyse der Informationsbedürfnisse im Planungsprozeß. Das geschieht, indem der Le benszyklus von Planungsproblemen beschrieben wird: von der Entdeckung bis zur Erledigung. Zugleich werden instruktive Hinweise auf die einschlägige - vor allem angelsächsische - Literatur der neueren Policy Science gegeben, jener theoretisch reflektierten, doch auf handfeste Probleme ausgerichteten Planungs forschung, die Brewer bei der RAND-Corporation praktizierte und heute lehrend betreibt. 10 Einleitung Karl-Heinz Naßmacher präsentiert Daten über Kommunalpolitiker und dis kutiert die Rollenkonflikte, in die - vor dem Hintergrund angespannter Zeit budgets - Politiker geraten, die ihre Verwaltung, wie das Gesetz es befiehlt, steuern und vorausschauend kontrollieren wollen, aber abhängig davon sind, daß diese Verwaltung die relevanten Informationen selektiert. Lutz Unterseher glossiert Informationsnöte, Verständigungsbarrieren und Mißgeschicke der Planung in drei kleinen Kurzgeschichten. Mißlich nur, daß eine davon wahr ist. Der zweite Abschnitt präsentiert Fälle und Unfälle. Gemeint sind Beispiele und Probleme aus staatlicher und kommunaler Planung, mit denen inhaltlich präzise bezeichnet wird, was passiert ist, wer am Werke war oder was auf dem Spiele steht: Udo Kollatz, der langjährige Erfahrung in der Landesbildungspolitik mit der Warte eines hohen Amtes in der Bundesregierung verbindet, liefert zwei Schilde rungen problematischer Planung: Die eine ist eine pointierte Aufarbeitung der lllusionen und Hast hessischer Schulpolitik, die andere klopft das beliebte Bud getsteuerungsmittel der "globalen Sperren" auf seine innovationsfeindlichen Fol gen ab. Bei dem Beispiel aus der Schulpolitik ist vor allem die Beschreibung derjenigen Mechanismen bestechend und lehrreich zugleich, die zur Immunisie rung der Politiker gegenüber Kritik beitragen. Hasso Hasbach skizziert vier Planungsbeispiele - erlebt in einer ganz ge wöhnlichen mittleren Stadt, für deren Entwicklung er mit verantwortlich zeich net. Es geht um Universitäts- und Krankenhausplanung sowie um Sanierungspla nung und Wohnungspolitik. Deutlich werden dabei Handikaps (bei widersprüchli chen staatlichen Vorgaben), aber auch Möglichkeiten des Kommunalplaners, sich in bestimmten Konstellationen gegenüber der Politik Handlungsspielräume zu erwirtschaften, wenn er neben der technokratischen auch die politische Rolle zu spielen bereit ist. Wulf Eichstädt verdeutlicht die Komplexität eines konkreten Planungspro blems: es geht um die Wohnqualität innenstadtnaher Quartiere. Diskutiert wer den sowohl langfristige Entwicklungslinien, veränderte Rahmenbedingungen und Zielkonflikte als auch das Arsenal an Planungsinstrumenten und deren Tauglich keit. Vor dem Hintergrund einer Diskussion kommunaler Handlungsspielräume werden schließlich Anforderungen an die staatliche Förderungspolitik skizziert. Das dritte Kapitel rückt Aspekte der Führung und Organisation öffentlicher Planung in den Mittelpunkt des Interesses: Der Beitrag Gerhard Banners ist ein engagiertes Plädoyer für eine intensivere Verwaltungskultur, eine der wichtigsten internen Voraussetzungen für eine Ver besserung der öffentlichen Planungskapazität. Banner kennt die kommunale Ver waltung von innen, hat jahrelang in einer Großstadt des Ruhrgebiets als Dezer nent Personalführung und -planung zu betreiben gehabt, und beschreibt die Büro kraten dennoch mit der Distanz und Akribie eines Verhaltensforschers. Seine Analyse mündet in einem erfahrungsgeladenen Katalog von Vorschlägen.