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Patriarchalismus in der DDR: Strukturelle, kulturelle und subjektive Dimensionen der Geschlechterpolarisierung PDF

446 Pages·1994·24.887 MB·German
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Susanne Diemer Patriarchalismus in der DDR Susanne Diemer Patriarchalismus in der DDR Strukturelle, kulturelle und subjektive Dimensionen der Geschlechterpolarisierung + Leske Budrich, Opladen 1994 ISBN 978-3-322-99778-4 ISBN 978-3-322-99777-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-99777-7 © 1994 by Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung au Berhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzu liissig und stratbar. Das gilt insbesondere flir Vervielfliltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfil mungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Vorworte I. Einleitung 5 II. Patriarchalismus als Herrschartsstruktur 12 1. Kategorie Geschiecht und Funktionalitat der Geschiechterpolarisierung 14 1.1 Kategorie Geschiecht 14 1.2 Geschiechtercharaktere und burgerliche Gesellschaft 17 2. Erwerbsieben und Familie: Praxisbereiche weiblicher Vergesellschaftung 21 2.1 Familie und weibliche Vergesellschaftung 23 2.2 Doppeite Vergesellschaftung und Widerspruchsstruktur 27 3. Suojektkonstitution und Patriarchalismus 30 4. Die Macht der Biider: Patriarchalismus ais symbolisch -kulturelles System 35 5. Zusammenfassung 42 III. Weiblichkeitsbilder in der DDR 46 1. Das Verfahren der Verdoppelung: die 40er und 50er Jahre 47 2. Die Konstruktion der 'anderen' Frau: Ende der 50er und 60er Jahre 58 3. Die Wiederherstellung der kulturellen Geschiechter ordnung: die 70er und 80er Jahre 72 4. Alternati ve Weiblichkeitsbilder: Frauenforschung und Literatur von Frauen 82 4.1 Soziologie der Frau und Frauenforschung 83 4.2 Bildersturm? - Literarische Gegenentwurfe 88 5. Zusammenfassung 109 IV. Strukturelle Dimensionen des Patriarchalismus: die Geschlechterpolitik der SED 112 1. Arbeitspolitik und Arbeitsverhaltnisse 113 2. Familienpolitik und familiale Lebensformen 138 3. Kaderpolitik und politische Partizipation 165 4. Bildungspolitik und Se~regation der Geschiechter 190 5. Wohnungspolitik und Iamiliale Lebensformen 203 6. Zusammenfassung 212 V. Die subJektive Wahrnehmung des Patriarchalismus: Interviews in den neuen Bundesliindern 222 1. Methodisehe Vorbemerkung 222 2. "Ieh geb' aber aueh gerne zu, ieh bin wirklieh nieht so 'ne Parade frau": zehn Einzelportraits 235 2.1 Andrea: "Ieh bin immer sehweigsamer geworden" 235 2.2 Bernd: "Wenn ieh traurig bin, wo kann ieh denn dann heulen?" 242 2.3 Christian: "Ieh bin in dieser wunderbaren Lage, mir mein Leben seiber einzuriehten und seiber zu bestimmen" 248 2.4 Doris: "Also ieh hab' ziemlieh fruh gemerkt, daB ieh nieht so leben will wie Meine Mutter" 255 2.5 Ella: "Er sagt zwar immer, ieh bin 'ne rote Soeke, aber das ist gar nieht so" 263 2.6 Friederike: "lch hab' mich gleiehbereehtigt ge fuhlt als Frau" 274 2.7 Gunther: "Die Frau wurde nur unter sehmerzver zerrtem Gesieht an das Steuerrad gelassen" 285 2.8 Karola: "Haben wir halt zuerst 'ne ordentliche Familie gegrundet" 294 2.9 Nikola: "Und das hab' ich uberhaupt nieht einge sehen, daB ich so leben muB" 305 2.10 Oskar: "Bananen hatte ich immer, ich hatte immer Bananen" 314 3. "Mensch, ein Gluck, daB ieh wieder arbeite": Arbeit und Erwerbsleben 322 4. "Zu der Frau gehorte automatiseh das Kind mit dazu": familiafe Lebensweise und Gesehleehter ordnung 349 5. "Da war mir das egal, ob das Manner oder Frauen sind": Gesehlechtefhierarehie und Politik 380 VI. Zusammenfassung und Schlu8wort 403 Die Gespriichspartnerinnen und Gespriichspartner 416 Abkiirzungsverzeichnis 417 Zeitschriften - und Zeitungsverzeichnis 418 Literaturverzeichnis 420 Vorworte Die Frauen leben nicht nur im Patriarch at; es lebt auch in ihnen. (Morgner 1983b, 91) Geradezu zynisch war das Gerede von Frauen, die ihren Mann stehen. (Burghardt 1992, 16) Eine Frau war nur was wert, wenn sie fruh Kinder bekam. (Interviewpartner Bernd) Uns steht kein langweiliges Leben bevor, wenn die Weiber erst tun wollen, was sie tun wollen, nicht, was sie tun sollen. Was werden sie als Menschen sagen uber die Manner, nicht als BUder, die sich die Manner von ihnen gemacht haben? (Morgner 1983a, 274) DAMIT ETWAS KOMMT MUSS ETWAS GEHEN DIE ERSTE GESTALT DER HOFFNUNG 1ST DIE FURCHT DIE ERSTE ERSCHEINUNG DES NEUEN DER SCHRECKEN (Muller 1978, 68/.) I. Einleltung 1m Proze8 der Vereinigung beider deutscher Staaten werden zu nehmend systembedingte Disparitaten und Dissonanzen deutlich. Erst jetzt tritt zutage, da8 die unterschiedlichen politischen, okonomischen und sozio-kulturellen Erfahrungen und Voraus setzungen, die die alten und neuen Bundeslander miteinbringen, U ngleichzeitigkeiten bedingen, die zu kaum ubersehbaren Kon flikten, wenn nicht gar Barrieren, fuhren. Bislang stellt sich der Vereinigungsproze8 als einseitige Obernahme politischer sowie okonomischer Verfahrensregeln und Strukturen des Westens durch den Osten dar, was sich am offenkundigsten in der Bei trittserkUirung manifestiert. Das, was die Burger(innen) der neuen Bundeslander an lebensgeschichtlichen und systembedingten Erfahrungen aus der DDR-Zeit einbringen bzw. einbringen konnen, spielt nur eine marginale Rolle. Es scheint, als sollte die DDR-Vergangenheit geloscht werden. Der Blick zuruck auf die DDR-Gesellschaft ist mehr als die Beschaftigung mit einem abgeschlossenen, historischen Kapitel deutscher Geschichte. Er wird vielmehr zur zwingenden Notwendigkeit, sofern die Vereinigung als gesell schaftspolitische Aufgabe gesehen wird, die mehr impliziert als den Sieg eines Systems uber ein anderes. Die vorliegende Arbeit versteht sich als Beitrag, dem Ver drangen von DDR-Vergangenheit das Sich-Erinnern als Vor aussetzung zum Gelingen des schwierigen 'Projekts Vereinigung' entgegenzusetzen. Unterschiedliche Erfahrungen sollten in die sem Proze8 nicht als Hindernis, sondern als Chance begriffen werden. Das Geschlechterverhaltnis und der jeweils systemspezifische Umgang mit dem Thema Gleichberechtigung von Frauen und Mannern gehoren zu jenen gesellschaftlichen und gesellschafts politischen Bereichen, in denen sich die U nterschiede zwischen der DDR und der alten Bundesrepublik besonders nachhaltig manifestieren. In einer Untersuchung im Auft rag des Bundes ministeriums fur Frauen und Jugend zeigt sich, wie sich die unterschiedlichen Gleichberechtigungskonzepte auf die Einstel lungen von Burger(inne)n in Ost und West auswirken: "Extreme Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland (werden) deutlich, wenn es darum geht, wie die Gleichberechtigung ver wirklicht werden konnte. Wlihrend im Westen drei Viertel der Befragten der Meinung sind, da8 es hauptsachlich die Aufgabe 5 jedes Einzelnen sei, die Gleichberechtigung zu verwirklichen, und nur ein Viertel diese Aufgabe dem Staat zuschreibt, ist die Situation im Osten ganz anders. Eine klare Mehrheit von 57 % sieht dies hauptsachlich als Aufgabe des Staates an" (Pressemitteilung Bundesministerium fur Frauen und Jugend 1992, 3). Weitere Aspekte der Differenz sind z.B., da8 fast 80 % der Westdeutschen, aber nur 60 % der Ostdeutschen meinen, da8 Frauen auch Mannerberufe ergreifen sollen (ebd., 4). Auch die Frage, wie und ob Frauen Beruf und Familie vereinbaren soIlen, wird unterschiedlich gesehen. "1m Osten ist die Akzeptanz einer berufstatigen Mutter wesentlich ausge pragter" (ebd., 6). Diese Ergebnisse sind Momentaufnahmen, die dokumentie ren, da8 die Wahrnehmungen und Einstellungen zur Gleichbe rechtigungsthematik stark differieren. Sie vermitteln einen Ein druck davon, wie unterschiedlich die Ausgangsbedingungen in Ost und West sind. Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist ein Bereich, in dem die Verlusterfahrung der Ostdeutschen besonders gro8 zu sein scheint: "Noch im Fruhsommer des Jahres 1990 war die Verwirklichung der Gleichberechtigung von Frauen und Man nern die einzige gesellschaftliche Bedingung, bei der die Ost deutschen eine gro8ere Zufriedenheit zeigten als die Westdeut schen. Ein Jahr spater hatte sich diese Einschatzung bereits deutlich geandert: Die Zufriedenheit mit dem Ausma8 empfun dener Gleichberechtigung von Frauen und Mannern in der re alen Situation steigender Arbeitslosigkeit im Osten ging em pfindlich zuruck, vor allem bei den Frauen in Ostdeutschland" (lPOS 1992, 3f.). Die DDR-Wissenschaftlerin Lange halt kategorisch fest: "Die 'Anpassung an westdeutsche Standards' bedeutet also fur die Frauen aus der DDR die Gefahr des Verlusts der sozialen, oko nomischen und rechtlichen Selbstandigkeit. Leibeigenschaft." (Lange 1992, 310). Diese Einschatzung, die bereits kurz nach dem Umbruch 1989 in der Floskel kulminierte, Frauen seien die Verliererinnen der Vereinigung, wird konterkariert von der Auffassung, Patriarchat-Ost und Patriarchat-West seien lediglich verschiedene Spielarten eines systemubergreifenden Herrschaftsm usters. Um Verlustgefuhle und differierende Einschatzungen zu verstehen und ihre Bedeutung fur den Vereinigungsproze8 be urteilen zu konnen, ist es erforderlich, die Gleichberechtigungs konzeption der SED einer genaueren Analyse zu unterziehen. 6 Forschungsstand Seit MiUe der 80er Jahre setzen sich westliche DDR-Wissen schaftler(innen) zunehmend mit der Gleichberechtigung in der DDR auseinander. 1m Zentrum steht hier zuerst die systemati sche Aufarbeitung der Frauen- und Familienpolitik der SED (Schubert 1980; Helwig 1982; dies. 1984; Diemer 1985; Koch/Knobel 1986; Obertreis 1986). Der Frage nach der politi schen Reprasentation von Frauen widmet sich Gast (1973); diese umfangreiche Studie wird von Meyer (1986a; 1986b; 1991) wei tergefuhrt und urn Erklarungsansatze fur die Unterreprasenta tion von Frauen in Leitungsfunktionen erganzt (vgl. auch Lemke 1981; dies. 1985b; dies. 1989). Innerhalb der westdeut schen Diskussion werden in erster Linie die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit des sozialistischen Gleichberechti gungskonzepts sowie die aus der SED-Politik resultierenden Wi derspruche im Lebensalltag von Frauen thematisiert und kriti siert (Enders 1986; dies. 1987; Deters/Weigandt 1987a; Diemer 1989b). Den Versuch, uber kritische Einzeldarstellungen und - befunde hinaus die Geschlechterproblematik in den theoreti schen Zusammenhang der Patriarchalismusdebatte zu integrie ren, leisten erstmals Meyer/Rohmeis (1986 und 1987). Sie fassen Patriarchalismus als Strukturmerkmal des politischen Systems. In diesem Forschungszusammenhang steht jedoch deutlicher als die Frage nach patriarchalischen Strukturen die nach paternalisti schen Strukturen des DDR-Systems im Vordergrund (Meyer 1989a; ders. 1989b; ders. 1991). Bedingt durch systemspezifische Restriktionen der For schungspraxis stehen diesen materialreichen, ideologiekritischen Auseinandersetzungen aus westlicher Sicht nur wenige Unter suchungen aus der DDR gegenuber. Hier sind in erster Linie die kulturwissenschaftlichen Untersuchungen von Dolling und Clemens hervorzuheben (Dolling 1980; dies. 1986b; dies. 1990a; Clemens 1986) sowie die soziologischen Untersuchungen von Nickel (1988 und 1989). Die Texte dieser Autorinnen, die den Beginn der Frauenforschung in der DDR markieren, dokumen tieren, daB innerhalb der systeminternen Diskussion die Hinder nisse und Widerspruche der Gleichberechtigung problematisiert werden. Eher dem systeminternen Argumentationsduktus folgen die Texte von Gysi (1984; 1988a; 1988b; 1989). Gysi widmet sich vor aHem dem Zusammenhang von Familienpolitik und Gleichberechtigung. Eine umfangreiche Studie zum Geschlech terverhiiltnis in der DDR legt 1988 eine Forschungsgruppe des Zentralinstituts fur Jugendforschung in Leipzig vor (Bertram/Kabat vel Job/Friedrich 1988). Hier werden zu DDR Zeiten erstmals umfassende empirische Materialien zum 7 Geschlechterverhaltnis publiziert. Allerdings sind es in der DDR weniger Wissenschaftler(innen) als Schriftstellerinnen, die der offiziellen Sicht eigene Vorstellungen und Kritik entgegen setzen. Auf diesen Diskussionszusammenhang richtet sich das Augenmerk in Kapitel III.4.2. Die insgesamt und im Vergleich zu anderen Gebieten der DDR-Forschung eher punktuelle Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Gleichberechtigung andert sich mit dem Um bruch: Forschungsprojekte, die bereits vor dem Umbruch in der DDR existierten, legen ihre Untersuchungsergebnisse vor, zahl reiche Einzelarbeiten, die bislang unter VerschluB gehalten wurden, werden nun einer breiten 6ffentlichkeit vorgestellt (vgl. Zwischenzeiten 1990; Eifler 1992). Die erfreuliche Vielzahl von Publikationen wird erganzt durch Kooperationsprojekte zwischen Ost- und West-Wissenschaftler(inne)n, in denen Dbereinstimmungen und Unterschiede in den Systemen thema tisiert und diskutiert werden (Faber/Meyer 1992; Sachs! Lin decke 1991 Bd. 1 und 2; vgl. auch Diemer 1992; Lange 1992; Neumann 1992). Zudem liegen seit dem Umbruch Datenmaterialien zur so zialen Situation von Frauen in der DDR bzw. den neuen Bun desUindern vor, die detaillierte reprasentative Aussagen zulassen (Winkler 1990; ders. 1990a; infas 1991; Das Profil der Deutschen 1991; IPOS 1992). Trotz dieser Vielzahl von Einzelstudien fehlt jedoch bislang eine umfassende Analyse des DDR-Patriarchalismus. Der Man gel an theoretischen Erklarungsansatzen der systemspezifischen patriarchalischen Strukturen wird innerhalb der Frauen forschung und Frauenbewegung als Defizit bewertet (Zimmermann 1992; Markert-Wizisla 1992). Dieses Theoriedefi zit auszugleichen, einen Diskussionsbeitrag zur Patriarch alismusdebatte zu leisten, ist Ziel der vorliegenden Unter suchung. Vorgehensweise und Fragestellungen Versuchen wir, auf der Basis der bisherigen Forschungsarbeiten zum Thema Gleichberechtigung in der DDR einen ersten Ein blick zu erhalten, so zeigt sich ein sehr widerspriichliches Bild. Auf der einen Seite steht dabei die selbstgewisse Feststellung der SED, die Gleichberechtigung der Frau sei verwirklicht. Sie wird seit den 70er Jahren stereotyp in offiziellen Stellung nahmen der SED wiederholt. Auf der anderen Seite steht die allzu offensichtliche Erkenntnis, daB Frauen in Fiihrungsfunk tionen unterreprasentiert sind und zusatzlich zu ihrer Berufs- 8

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