Medienbildung und Gesellschaft Band 25 Herausgegeben von J. Fromme, Magdeburg, Deutschland W. Marotzki, Magdeburg, Deutschland N. Meder, Essen, Deutschland D. M Meister, Paderborn, Deutschland U. Sander, Bielefeld, Deutschland Ralf Biermann • Johannes Fromme Dan Verständig (Hrsg.) Partizipative Medienkulturen Positionen und Untersuchungen zu veränderten Formen öffentlicher Teilhabe Herausgeber Dr. Ralf Biermann Prof. Dr. Johannes Fromme Dan Verständig Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Deutschland ISBN 978-3-658-01792-7 ISBN 978-3-658-01793-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-01793-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio- nalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zu- stimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Über- setzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in die- sem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu be- trachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürft en. Lektorat: Stefanie Laux, Stefanie Loyal Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.springer-vs.de Inhalt Partizipative Medienkulturen als Transformation von Beteiligungsmöglichkeiten – Einleitung ............................................................ 7 Ralf Biermann / Johannes Fromme / Dan Verständig Teil I: Grundlegende Beiträge zu medialer und politischer Partizipation Die Veränderung der politischen Teilnahme und Partizipation im Zeitalter der digitalen Netze ........................................................................ 21 Heinz Moser Zwischen Fortführung, Transformation und Ablösung des Althergebrachten. Politische Partizipationskulturen im Medienalltag am Fallbeispiel KONY 2012 ............................................................................. 49 Jeffrey Wimmer Freiheit durch Partizipation. Ein Oxymoron? .................................................. 69 Christian Swertz Die Grenzen geteilten Handelns und neuer partizipativer Demokratieformen ............................................................................................ 89 Jakob Dörre / Gerhard Chr. Bukow Partizipative Kultur Revisited ........................................................................ 113 Corinne Büching / Julia Walter-Herrmann / Heidi Schelhowe Die Popularität des Andersseins. Partizipation und ihre mediale Inszenierung ...................................................................................... 133 Thorsten Lorenz 6 Inhalt Teil II: Bereichsspezi(cid:191)sche (cid:61)ugänge zu partizipativen Medienkulturen Un/heimliche Botschaften: Strategien des Leaking – Gerüchte im Netz ............................................................................................ 163 Karin Bruns Open Education als partizipative Medienkultur? Eine bildungstheoretische Rahmung .............................................................. 185 Markus Deimann Modding / Leveleditoren / Editor-Games Skripte und Praktiken digitaler Partizipation ................................................ 207 Benjamin Beil My Video Game – Erstellung Digitaler Spiele in der Schule unter Berücksichtigung partizipativer Produktionsströmungen .................... 233 Kristina Jonas / Marten Jonas Partizipative Mediendidaktik. Inwiefern bedarf es im Kontext einer partizipativen Medienkultur einer spezi(cid:191)schen Mediendidaktik? ............................................................... 261 Kerstin Mayrberger Partizipation durch Peer-Education: Selbstbestimmung und Unstetigkeit in schulischen (Medien-)Bildungsprozessen .................................................. 283 Tobias Hölterhof / Mandy Schiefner-Rohs Autorinnen und Autoren ................................................................................. 301 Partizipative Medienkulturen als Transformation von Beteiligungsmöglichkeiten – Einleitung Ralf Biermann / Johannes Fromme / Dan Verständig Einleitung Moderne Gesellschaften sind heute mehr denn je durch hochdynamische Prozes- se des medialen und technologischen Wandels charakterisiert, der alle Lebensbe- reiche in vielfältiger Weise durchdringt und auch transformiert. Der Medien- und Kommunikationswissenschaftler Friedrich Krotz spricht in diesem Zusammen- hang von einer zunehmenden Mediatisierung von Alltag und Kultur, die als eine Art Meta-Prozess anzusehen sei, ähnlich wie Individualisierung, Kommerziali- sierung und Globalisierung (vgl. Krotz 2007). Ob im politischen, sozialen oder kulturellen Feld: überall entfalten konvergente Medientechnologien und neue Me- dienpraxen eine nicht mehr wegzudenkende Wirkkraft. Eine Schlüsselstellung kommt dabei dem Internet zu, das sich mit seinen un- terschiedlichen Diensten rasant entwickelt und nicht nur hilft, zeitliche und räum- liche Grenzen der Information und Kommunikation zu überwinden, sondern auch zu einer Verwischung der Trennlinie zwischen Produzenten und Rezipienten, zwi- schen Medienmachern und Mediennutzern führt, und damit zu einer Verschie- bung der Koordinaten medialer Artikulation. Durch die stetig steigende mobile Netznutzung werden diese Entwicklungen noch verstärkt. Demnach scheint es angebracht, das Internet, ganz gleich auf welcher sozio-technologischen Ebene, als integralen und zugleich umkämpften Bestandteil unserer Kultur zu verstehen und ein solches Verständnis in die Analyse gesellschaftlicher Wandlungsprozes- se ein(cid:192)ie(cid:137)en zu lassen. Eine aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven zentrale Fragestellung in diesem Kontext ist die nach der Veränderung von Be- teiligungsmöglichkeiten und -formen im Kontext des technisch-medialen Wan- dels. Sie bildet unseres Erachtens für sozial- wie politikwissenschaftliche, für kultur- wie kommunikationswissenschaftliche und für bildungstheoretische wie philosophische Untersuchungen von Mediatisierungsprozessen einen gemeinsa- men Interessen- und Ausgangspunkt. Der Partizipationsbegriff ist im wissenschaftlichen Diskurs bei uns nicht zuletzt mit dem Namen Jürgen Habermas verbunden, der politische Partizipa- tion als wesentlich für die Demokratie betrachtet. Politische Partizipation reali- R. Biermann et al. (Hrsg.), Partizipative Medienkulturen, Medienbildung und Gesellschaft 25, DOI 10.1007/978-3-658-01793-4_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 8 Ralf Biermann / Johannes Fromme / Dan Verständig siert sich für ihn vor allem in der Beteiligung am öffentlichen Diskurs über alle für die Gesellschaft relevanten (politischen) Themen und Fragen – er spricht in diesem Kontext auch von einer deliberativen Politik (Habermas 1992, S. 359f.). In Anwendung seiner Theorie des kommunikativen Handelns auf die Bereiche des Rechts und der Politik formuliert er verschiedene (idealtypische) Vorausset- zungen für öffentliche Kommunikationsabläufe bzw. die Meinungs- und Willens- bildung durch gemeinsame Beratschlagung über öffentliche Angelegenheiten. Hervorzuheben ist hierbei der freie Zugang zur (öffentlichen) Beratung oder zu- mindest die gleiche Chance zur Teilnahme für alle potenziell betroffenen Bürger. Daneben ist auch die argumentative Form des Austauschs von zentraler Bedeu- tung, um eine rationale öffentliche Meinung hervorbringen zu können. Im Rah- men von öffentlichen Debatten stellt das diskursive Niveau dabei die wichtigste Variable dar (vgl. ebd., S. 369). Seine theoretischen Überlegungen können als Antwortversuch auf die steigen- de Komplexität moderner Gesellschaften verstanden werden. Habermas misstraute allerdings in der Tradition der kritischen Theorie der massenmedial konstituierten Öffentlichkeit und öffentlichen Meinung. Da für die Beteiligung am öffentlichen Diskurs im Internet inzwischen aber neue soziale Arenen entstanden sind, die als postmassenmedial charakterisiert werden können, muss das Verhältnis zwi- schen Medien und Öffentlichkeit heute neu diskutiert werden. Dabei sind Fragen wie die nach idealen Diskursbedingungen und rationalen Entscheidungs(cid:191)ndun- gen (vgl. Sunstein 2007) unter Rückbeziehung auf die politisch-demokratischen Implikationen dieser technologischen Infrastrukturen neu zu verhandeln. Ob sie auch für eine neue Qualität von Partizipation stehen, ist eine noch offene Frage. Bekanntlich sind Habermas’ sozial- und politikwissenschaftliche Überlegun- gen zum kommunikativen Handeln und zur kommunikativen Rationalität in den 1970er und 1980er Jahren in der Erziehungswissenschaft relativ breit rezipiert worden, u. a. von Dieter Baacke, einem der Begründer der modernen Medienpä- dagogik (Baacke 1973, 1997). Baacke sah eine zentrale Aufgabe der Pädagogik darin, sich um die Entwicklung jener Fähigkeiten zu kümmern, die für eine akti- ve und selbstbestimmte Beteiligung am (öffentlichen) politischen Diskurs erfor- derlich sind. Er hat diese Fähigkeiten im Anschluss an Habermas als „kommuni- kative Kompetenz“ konzeptualisiert und angesichts der wachsenden Bedeutung technischer Medien für die öffentliche wie private Kommunikation betont, dass politische Partizipation zunehmend auch einer „Medienkompetenz“ bedürfe. In- sofern ist Baackes Grundlegung der Medienpädagogik eng mit dem Partizipa- tionsgedanken verknüpft. Man könnte sogar sagen, es geht bei ihm letztlich um die Förderung von Partizipationskompetenz. Einleitung 9 Eine vergleichbare Argumentation (cid:191)nden wir bei Jenkins u. a. (2006), die in einem von der MacArthur Foundation veröffentlichten sog. „occasional pa- per on digital media and learning“ darlegen, dass eine wachsende Anzahl von Teenagern über das Internet aktiv in sog. „participatory cultures“ eingebunden ist und dass diese Teilhabe mit verschiedenen positiven Erwartungen verknüpft wird, u. a. „the diversi(cid:191)cation of cultural expression, the development of skills valued in the modern workplace, and a more empowered conception of citizen- ship“ (ebd., S. 3). Jenkins u. a. stellen die These auf, dass der Zugang zu die- ser partizipativen Kultur für Kinder und Jugendliche hinsichtlich ihrer Chan- cen in Schule und Beruf eine selektive Bedeutung im Sinne eines digital divide bekommt. Ähnlich wie Baacke sehen sie die Aufgabe der Pädagogik – und ins- besondere der Schule – darin, sicherzustellen, dass allen Heranwachsenden die Möglichkeit geboten wird, die für diese Teilhabe erforderlichen Fähigkeiten, Er- fahrungen und Kompetenzen zu erwerben. Sie sprechen dabei von „new media literacies: a set of cultural competencies and social skills that young people need in the new media landscape“ (ebd., S. 4). Wenn Jenkins u. a. von cultural compe- tencies sprechen, dann steckt darin aber auch eine wichtige Erweiterung gegen- über dem klassischen Verständnis von Medienkompetenz. Ihre These ist, dass in und durch die neuen Medien neue Kulturen und Kulturräume entstehen. Da- her geht es nicht mehr nur darum, mit Medienangeboten kompetent umzugehen, sondern sich in den medialen Kulturräumen sicher und kompetent zu bewegen, was sowohl ein Eintauchen in diese Welten (und die Fähigkeit, sich dort selbst- bestimmt zu artikulieren) als auch eine re(cid:192)exive Haltung (z. B. in Bezug auf die sich entwickelnden ethischen Standards) erfordert. Es ist diskutierbar, wie eng oder weit das von Habermas, Baacke oder Jen- kins verfolgte Leitkonzept einer politischen Partizipation zu denken ist. Unstrit- tig dürfte sein, dass neben den konventionellen Formen der Beteiligung an Poli- tik – wie der Mitarbeit in politischen Parteien oder der Ausübung des Wahlrechts – auch andere Formen der Beteiligung an oder Einmischung in politische Fra- gen mitzudenken sind, etwa die Mitarbeit in Bürgerinitiativen, die Beteiligung an Demonstrationen oder andere Formen der öffentlichen Artikulation von (ab- weichenden) Positionen. Dieses erweiterte Politikverständnis ist beispielsweise in der 14. Shell Jugendstudie expliziert worden, die den Schwerpunkt auf politische Einstellungen und politisches Engagement von Jugendlichen gelegt und auf Ent- grenzungen des klassischen Politikverständnisses verwiesen hat (Deutsche Shell 2002). Im Ansatz der Cultural Studies wird der Begriff des Politischen nochmals erweitert mit der These, dass der gesamte Bereich der Kultur politisch zu verste- hen sei und nicht auf Ästhetik und Repräsentation reduziert werden könne. Aus 10 Ralf Biermann / Johannes Fromme / Dan Verständig dieser Perspektive können (oder müssen) alltagskulturelle Praxen auch dann po- litisch – z. B. als Kampf um Deutungen und Deutungshoheiten – verstanden wer- den, wenn es nicht explizit um politische Themen geht (vgl. Hepp 2004; Hepp & Winter 2008). Umgekehrt kann aber auch diskutiert werden, ob der Gedanke der Partizipation primär politisch verstanden werden muss bzw. ob nicht politische Beteiligung auch als Spezialfall der Partizipation des Einzelnen an der sozialen Welt verstanden werden kann. Wenn man Partizipation als Teilhabe an der sozialen Welt versteht, gilt es vor allem zu klären, wie gesellschaftliche Teilhabeprozesse angesichts von Me- diatisierung zu decodieren sind. Es ist offensichtlich, dass sich das Internet als Kulturraum etabliert hat, in dem subjektiv und intersubjektiv bedeutsame Are- nen und Gemeinschaften der Information, Kommunikation, Artikulation und Kollaboration entstanden sind. Doch wie lassen sich die Medien- und Subkultu- ren, welche sich so mannigfaltig entwickelt haben, beschreiben und verstehen? Jenkins (2006) hat am Beispiel der Fan- und Remixkulturen gezeigt, wie parti- zipative Handlungsmuster über die Entwicklung der neuen Medien eröffnet und welche Kompetenzen hierdurch gefordert und gefördert werden. Seine kulturwis- senschaftlich (bzw. an den Cultural Studies) orientierten Analysen zielen letzt- lich auch auf eine Neujustierung pädagogischer und bildungspolitischer Aufga- benstellungen im Zeitalter digitaler und vernetzter Medienkulturen. Die skizzierten Entwicklungen implizieren aber auch neue Fragen für weite- re wissenschaftliche Fachbereiche. Der vorliegende Band will diesen Entwicklun- gen in transdisziplinärer Weise Rechnung tragen und versammelt daher Beiträge, die unterschiedliche theoretische wie konzeptionelle Klärungen für Phänomene anbieten, die als partizipative Medienkulturen bezeichnet werden. Die Grund- lage für den damit angesprochenen Wandel bilden neue Technologien, die den durchschnittlichen Mediennutzer in die Lage versetzen, Medieninhalte zu archi- vieren, zu annotieren, zu bearbeiten und verändern, selbst zu produzieren und in Umlauf zu bringen – kurz: sich in neuartiger Weise aktiv an öffentlicher (medial vermittelter) Kommunikation und Interaktion zu beteiligen. Die Beiträge disku- tieren die möglichen Implikationen dieser Partizipationsformen für den Bereich der politischen Bürgerbeteiligung, wie er traditionell im Zentrum sozial- und po- litikwissenschaftlicher Diskurse steht. Sie fragen aber auch nach den spezi(cid:191)schen Mechanismen der Artikulation in weiteren medialen Arenen. Weisen sie das Po- tenzial auf, auch gesellschaftliche Strukturen zur transformieren? Oder sind die mit dem Begriff der partizipativen Medienkulturen verbundenen positiven As- soziationen nur eine Illusion? Partizipation wird schlie(cid:137)lich auch aus erziehungs-