~ ~~ / / I I I I I I I I I I I I I I I I I I I Borwin Bandelow Panik und Agoraphobie Diagnose, Ursachen, Behandlung SpringerW ienN ewYork Prof. Dr. Dipl.-Psych. Borwin Bandelow Psychiatrische Klinik Universitat G6ttingen, Deutschland Das Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Dbersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ahnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt, auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Produkthaftung: Samtliche Angaben in diesem Fachbuchlwissenschaftlichen Werk erfolgen trotz sorgfaltiger Bearbeitung und Kontrolle ohne Gewahr. Insbesondere Angaben iiber Dosierungsanweisungen und Applikationsformen miissen yom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit gepriift werden. Eine Haftung des Autors oder des Verlages aus dem Inhalt dieses Werkes ist ausgeschlossen. ©2001 Springer-Verlag/Wien Softcover reprint of the hardcover 1st edition 2001 Datenkonvertierung: Integra, Pondicherry, India Umschlagbild und Farbabbildungen: Idee: B. Bandelow; grafische Gestaltung: interActiveSystems GmbH, www.brainMedia.de Gedruckt auf saurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier - TCF SPIN: 10833594 Mit 20 teilweise farbigen Abbildungen Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz fiir diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhaltlich ISBN-13:978-3-7091-7402-9 e-ISBN-13:978-3-7091-6754-0 DOl: 10.1007/978-3-7091-6754-0 Geleitwort Die Panikstorung ist eine der haufigsten seelischen Erkrankungen. Sehr viele wis senschaftliche Untersuchungen beschaftigen sich daher mit dieser Erkrankung. In der medizinischen Datenbank MEDLINE finden sich uber 6000 Eintrage unter den Begriffen "panic" und "agoraphobia". In diesem Buch wurde versucht, die groRe Zahl wissenschaftlicher Befunde zu sichten und eine moglichst umfas sende Darstellung des Krankheitsbildes zu erstellen. Welche Rolle spielen fruhkindliche Traumata, elterliches Interaktionsverhalten, Lernerfahrungen, Vererbung und Neurobiologie bei der Entstehung von patholo gischer Angst und Panik? In dem vorliegenden Buch wird ein neues neurobiolo gisch-psychosoziales Modell zur Entstehung von Panikattacken und Agoraphobie entwickelt, das versucht, die Vielzahl der teilweise widerspruchlichen Befunde zu diesem Thema zu integrieren. In den letzten Jahren hat es fur die Menschen, die unter Panikattacken und Agoraphobie litten, positive Veranderungen gegeben: das Krankheitsbild wird zunehmend haufiger erkannt, die Hypothesen zu ihrer Entstehung wurden genauer und die Behandlung wurde auf dem Boden wissenschaftlicher Unter suchungen immer weiter verbessert. Mit Hilfe von psychotherapeutischen und medikamentosen MaRnahmen konnte die Lebensqualitat der Patienten entschei dend verbessert werden. Welches sind die optimalen psychotherapeutischen MaRnahmen, welche Rolle spielen Psychopharmaka? Welche neuen Behandlungsformen gibt es? Mit einem Anspruch auf Vollstandigkeit werden aile verfugbaren kontrollierten Studien zu diesem Thema referiert. Streng den Regeln der "evidence based medicine" folgend, wird eine Strategie zur Therapie der Panikstorung entwickelt. Gottingen, den 1.10.01 Eckart Ruther Danksagung Ich danke Herrn Andreas Broocks und Herrn Dirk Wedekind fur die genaue Durchsicht des Manuskripts. Vor aHem aber danke ich meiner Familie fur ihre Geduld. G6ttingen, den 1.10.01 Borwin Bandelow Inhaltsverzeichnis Einleitung ......................................................................................................... 1 Geschichtliche Entwicklung .............................................................................. 3 Symptomatik .................................................................................................. 11 Panikattacken ............................................................................................. 11 Agoraphobie ............................................................................................... 20 Antizipatorische Angst ............................................................................... 24 Inanspruchnahme medizinischer Dienste .................................................... 24 Unterdiagnostizierung ................................................................................ 25 Personlichkeitsmerkmale von Panikpatienten ............................................. 26 Subtypen der Panikstorung ......................................................................... 27 Panik als multikulturelles Phanomen .......................................................... 28 Zusammenfassung: Symptomatik ............................................................... 30 Pravalenz ........................................................................................................ 31 Haufigkeit der Panikstorung ....................................................................... 31 Gibt es eine Zunahme von Panikerkrankungen? ......................................... 32 Prominente Angstpatienten ......................................................................... 33 Zusammenfassung: Pravalenz ..................................................................... 34 Differenzialdiagnose ....................................................................................... 35 Internistische oder neurologische Krankheitsbilder ..................................... 35 Andere psychiatrische Storungen ................................................................ 37 Zusammenfassung: Differenzialdiagnose .................................................... 42 Komorbiditat und Komplikationen ................................................................. 43 Angst- und Zwangsstorungen ..................................................................... 43 Komorbiditat mit Depression ..................................................................... 43 Suizidalitat ................................................................................................. 47 Hypochondrische Symptome ...................................................................... 47 Personlichkeitsstorungen ............................................................................ 48 Alkoholmissbrauch ..................................................................................... 48 Gibt es ein "allgemeines neurotisches Syndrom"? ....................................... 49 Zusammenfassung: Komorbiditat ............................................................... 50 Verlauf ........................................................................................................... 51 Zusammenfassung: Verlauf ........................................................................ 53 Vlll Kritik am "Panik"-Konzept ............................................................................. 55 Atiologie der Panikstorung .............................................................................. 57 Kognitive und Lerntheorien ........................................................................ 57 Modeillernen .............................................................................................. 63 Milieufaktoren der ersten Lebensjahre - fruhkindliche Traumata, Erziehungsstile der Eltern .......................................................... 64 Life events ................................................................................................... 73 Psychoanalytische Theorien ........................................................................ 75 Genetische Studien ...................................................................................... 84 Welcher Risikofaktor hat welchen Anteil an der Entstehung einer Panikstorung? .................................................................. 88 Neurobiologische Hypothesen .................................................................... 89 Integrative Hypothese zur Entstehung von Angst und Panik ..................... 166 Zusammenfassung: Atiologie .................................................................... 180 Behandlung ................................................................................................... 183 Messung der Therapieeffizienz bei Panikstorung ....................................... 183 Wirksamkeit von Therapien bei Panikstorung und Agoraphobie ............................................................................................. 199 Durchfuhrung der Behandlung in der Praxis ............................................. 282 Zusammenfassung: Behandlung ................................................................ 302 Schlussfolgerungen ........................................................................................ 303 Anhang ......................................................................................................... 305 Die Panik- und Agoraphobieskala ............................................................. 306 Panik-Tagebuch ........................................................................................ 308 Glossar ..................................................................................................... 309 Handelsnamen der Medikamente in Deutschland, Osterreich und der Schweiz ....................................................................... 313 Spezielle Einrichtungen fur Patienten mit Angststorungen ......................... 314 Bucher fur Patienten ................................................................................. 315 Informationsblatt fur Patienten ................................................................. 316 Literatur ........................................................................................................ 319 Sachverzeichnis ............................................................................................. 365 Scheint er nicht den seligen Gottern ahnlich, Jener Mann, der dort gegeniiber, vor dir Sitzen darf und nahe den Klang der siipen Stimme vernehmen, Und des Lachens lieblichen Reiz! Das hat mir Starr gemacht das Herz in der Brust vor Schrecken. Schon ein Blick auf dich, und es kommt kein Laut mehr Mir aus der Kehle. Ach, die Zunge ist mir gelahmt, ein zartes Feuer rieselt unter der Haut mir plotzlich, Nichts vermag mein Auge zu sehn, ein Rauschen Braust in den Ohren, Und der Schweip rinnt nieder an mir, das Zittern Packt mich ganz, noch fahler als Gras des Feldes Bin ich; wenig fehlt, und in tiefer Ohnmacht Schein ich gestorben. Aber alles kann man ertragen, ... Sappho,610-580v.Chr. Einleitung Die 31 jahrige Fleischereifachverkauferin Karin S. berichtet: "Ich war gestern im neuen Einkaufszentrum "Kaufpark" unterwegs. Es war Freitagnach mittag, und es war ziemlich voll. Pkitzlich hatte ich das Gefiihl, dass ich keine Luft mehr bekomme. Ich atmete schneller. Meine Kehle schniirte sich zu. Mir wurde schwindelig, und ich glaubte, dass ich gleich in Ohnmacht falle. Ich setzte mich auf einen Stuhl, aber es wurde nicht besser. Ich hatte das Gefiihl, dass die Luft im Kaufpark schlecht war und sah zu, dass ich moglichst schnell ins Freie kam. Aber drau/Sen wurde es auch nicht besser; mein Herz klopfte bis zum Hals, ich hatte das Gefiihl, dass es gleich aussetzt. Ich kam mir vor wie in einem Traum. Mein Gesicht fiihlte sich wie taub an. Zufallig sah ich eine Frau, die ich nur fliichtig kannte. Ich sprach sie an und erzahlte, was mit mir los ist. Sie wollte mich nach Hause fahren, aber ich meinte, es ware besser, den Notarztwagen zu rufen. Ich wurde mit Blaulicht in die Klinik gefahren. Kaum hatte ich mit dem Arzt gesprochen, ging es mir schon besser. Ich wurde mehrere Stunden lang untersucht. Dann teilte man mir mit, dass sic nichts gefunden hatten. Den Rest des Tages war ich vollig fertig, wie geradert. " 2 Einleitung Dies ist eine typische Beschreibung einer Panikattacke, wie sie bei Patienten mit einer Panikstorung manchmal mehrmals taglich auftreten kann. Auf der ganzen Welt leiden wahrscheinlich 50-100 Millionen Menschen immer wieder unter Panikattacken. Bei einem Dreiviertel der FaUe kommt es zusatzlich zu einer Agoraphobie. Die Lebensqualitat der Betroffenen ist erheblich eingeschrankt. Angste und Angststorungen sind weit verbreitet. Oft wird angefiihrt, dass der Mensch ohne Angst nicht iiberleben konne. Eine gesunde Angst vor realen Gefahren sichert das Dberleben. Wer vorsichtig Auto fahrt, die Tiiren gut abschliefSt oder sich auf Priifungen aus Angst vor Versagen lange vorbereitet, hat durchaus Vorteile im Leben. Nun handelt es sich aber bei den Angsterkrankungen oder Phobien nicht urn begriindete Angste. Phobische Angste sind unrealistisch oder iibertrieben und folgen nicht den Gesetzen der Logik. Die haufigste Phobie in Deutschland ist z.B. die Spinnenphobie - obwohl es in Deutschland nicht eine einzige Spinnenart gibt, die gefahrlich ist oder zumindestens unangenehm stechen oder beifSen konnte. Viele Patienten mit einer Panikstorung haben Angst im Fahrstuhl, obwohl der Fahrstuhl eines der sichersten Verkehrsmittel ist. Menschen mit einer Panikstorung sind grundsatzlich nicht allgemein angst lich, sondern sind durchaus in der Lage, mit Fallschirmen abzuspringen, mit Motorradern zu fahren, mit Ultraleichtfliegern zu fliegen, der Fremdenlegion beizutreten oder in der Innenstadt von Johannesburg spazieren zu gehen. Die Angst, die sie aber vor einem Theaterbesuch, vor einer StrafSenbahnfahrt oder vor dem Spaziergehen in einer FufSgangerzone haben, hat iiberhaupt keine Schutzfunktion und ist vollig iiberfliissig. Dieses Buch beschaftigt sich nicht mit Angsten vor realen Gefahren wie Kriegen, Krankheiten oder Dberfallen, sondern mit unangebrachten, unrealistischen oder iibertriebenen Angsten. Geschichtliche Entwicklung Woher kommt der Begriff Panik? Die griechische Mythologie berichtet, wie der Gott Pan - halb Mensch, halb GeiRbock - sich in der griechischen Provinz Arkadien wahrend der Mittagshitze an eine Gruppe ahnungsloser Reisender heran schlich, urplotzlich in ihrer Mitte auftauchte und ebenso schnell wieder verschwand und dabei solchen fiirchterlichen Schrecken verbreitete, dass die Reisenden kopflos und erfiillt von Angst und Terror auseinanderliefen (Herbig, 1949). Mit der Panikstorung ist oft eine Agoraphobie verbunden. Phobos und sein Bru der Deimos ("Furcht und Schrecken") begleiteten ihren Vater Ares auf Kriegsziigen. Phobos soli grasslich anzusehen gewesen sein - mit dem Kopf eines Lowen und dem Korper eines Menschen (Enciclopedia dell'arte antica classica e orientale, 1965). Bereits seit dem Altertum sind Panikattacken beschrieben worden. Die Beschaftigung mit Angstattacken und Phobien im historischen Verlauf sei hier kurz skizziert. 600 vor Christus Die griechische Dichterin Sappho (Abb. 1) verfasste in Gedichtform wohl einen der ersten Berichte iiber eine Panikattacke (es handelte sich dabei allerdings wahrscheinlich eher urn eine Panikattacke im Rahmen einer sozialen Angststorung und nicht im Zusammenhang mit einer Panikstorung). Dieses Gedicht steht am Anfang dieses Kapitels. 1621 1m Jahre 1621 beschrieb Robert Burton in Anatomy of Melancholy eine Panikattacke - allerdings auch wieder im Rahmen von sozialen Angsten. "Many lamentable effects this fear causeth in man, as to be red, pale, tremble, sweat; it makes sudden cold and heat come over all the body, palpitation of the heart, syncope, etc. It amazeth many men that are to speak or show themselves in public." 1832 Goethe beschrieb seine erfolgreiche Selbstbehandlung einer Hohenphobie mit Verhaltenstherapie auf dem StraRburger Miinster (Dichtung und Wahrheit, zweiter Teil, neuntes Buch): "Ich bestieg ganz allein den hochsten Gipfel des Miinsterturms und salS in dem sogenannten Hals unter dem Kopf oder der Krone, wie man's nennt, wohl eine Viertel stun de lang, bis ich es wagte, wieder hera us in die freie Luft zu treten, wo man auf einer Platte, die kaum eine Elle ins Geviert haben wird, ohne sich sonder lich anhalten zu konnen, stehend das unendliche Land vor sich sieht, indessen die nachsten Umgebungen und Zieraten, die Kirche und alles, worauf und woriiber man steht, verbergen. Es ist vollig, als wenn man sich auf einer Montgolfiere in die Luft erhoben sahe. Dergleichen Angst und Qual wiederholte sich so oft, bis der Eindruck mir ganz gleichgiiltig war." (Goethe, 1968).
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