Karsten Rogas Ostdeutsche Verwaltungskultur im Wandel Schriftenreihe Interdisziplinäre Organisations und Verwaltungsforschung 3 Herausgeber Thomas Edeling Werner Jann Dieter Wagner Herausgeberbeirat Günther Ortmann Wolfgang Seibel Arndt Sorge Jörg Sydow Klaus Türk Karsten Rogas Ostdeutsche Verwaltungskultur im Wandel Selbstbilder von Kommunalverwaltern 1992 und 1996 im Vergleich Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2000 Gedruckt auf săurefreiem und alterungsbestandigem Papier. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Zugl.: Potsdam, Univ., Diss., 1998 Rogas, Karsten: Ostdeutsche Verwaltungskultur im Wandel: Selbstbilder von Kommunalverwaltcrn 1992 und 1996 im Vergleich. / Karsten Rogas (Reihe Interdisziplinăre Organisations-und Verwaltungsforschung : Bd. 3) ISBN 978-3-8100-2523-4 ISBN 978-3-663-10977-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-10977-8 © 2000 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprunglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 2000 Das Werk einschlicBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschUtzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fUr Vervielniltigungen, Ubersetzungen, Mikro verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhaltsverzeichnis Vorwort................................................................................................. 9 Danksagung........................................................................................... 13 Einleitung . . . .. . .. .. .. . .. . .. . . . . .. ... . .. . .. . .. . .. . .. . . . . .. . .. .. .. .. . .. .. . .. . . . . .. ... ... . .. .. . . . . .. .. . . .. 15 1. Organisationskultur .. ...... ........ .... .. .. .... .. ........ .... .. ................ ........ 17 1.1 Aus der Perspektive der Organisationsmitglieder: Unterscheidung als Baustein kollektiver Identität......................... 20 1.2 Aus der Perspektive der Organisationsmitglieder: Unterscheidung als Deutung.......................................................... 22 2. Verwaltungskulturforschung im ostdeutschen Transformationsprozen.......................................... ... .. .. .. .. . . .. . .. . .. 27 3. Methoden...................................................................................... 35 3.1 Datenerhebung............................................................................... 35 3.2 Datenanalyse und Interpretation.................................................... 40 4. Vom "Rat der Stadt" zur "Stadtverwaltung Frankfurt (Oder)"........................................ 45 4.1 Die Stadtverwaltung Frankfurt (Oder) vor 1990 ........................... 45 4.2 Die Übergangs- und Gründungsphase: 1990 und 1991 ........ ......... 49 4.3 Personalabbau-und Reforrnphase: 1992 bis 1996......................... 53 5 5. Deutungen 1992............................................................................ 57 5.1 Bilder von sich im Umgang mit dem Bürger................................. 57 Für den Bürger............................................................................... 57 Wir sind anders als die im "Westen" ............................................ 62 Das haben wir schon immer so gemacht . .. .. . .. . .. .. .. . . .. . .. .. .. . . .. . . .. .. .. . 64 5.2 Bilder vom Bürger......................................................................... 66 Hilflos, respektvoll und dankbar.................................................... 66 5.3 Vorgesetzte und ihr Selbstbild....................................................... 72 Fachlich sich fit machen und auch menschlich ein Ansprechpartner sein .. .. .. .. .. .. . .. . . . .. . .. .. .. .. .. .. . . .. .. . .. . .. .. .. .. .. .. . .. . . . .. .. . .. . 72 Anders als in den Altbundesländem, weil offener für die Unterstellten................................................... 76 Das haben wir uns erhalten............................................................ 77 5.4 Die Sicht der Unterstellten auf das Verhältnis zum V argesetzten . .. .. . . .. . . .. .. .. .. .. .. .. . . .. . .. . . . .. .. .. .. .. . .. .. . . .. .. .. . . .. . .. .. . .. . . .. . .. .. .. . 79 Wir sind gewohnt, daß der Chef sich um unsere Probleme kümmert . . .. .. . .. .. .. .. .. . . . ... .. . .. .. .. .. .. ... .. . . .. .. . .. .. .. .. .. . ... . . .. . .. .. . 80 Man ist vorsichtig, weil man Angst hat, auf die Straße zu fliegen............................................................................ 83 5.5 Unter Kollegen.............................................................................. 87 Diese Kollegialität, die man zu DDR-Zeiten hatte, die ist nicht mehr . . ...... .. .. .... .. . ..... .. . .. .. .. ..... .. . .. ... . .. .. . .. .. .. .. .. . . . .. . .. ..... 88 Anders als im "Westen": mehr Wärme, Zusammenhalt und Geborgenheit........................... 92 Ein bißchen Kollektivgeist besteht schon noch............................. 93 6. Deutungen 1996............................................................................ 97 6.1 Bilder von sich im Umgang mit dem Bürger................................. 97 Wir sind mehr für den Bürger, nicht so distanziert und formalistisch wie im "Westen" ............... 98 Fürsorglich, wie schon zu DDR-Zeiten......................................... 101 Gesetze und der Abstand zum Bürger werden eingehalten- dies war anfangs anders................................................................. 105 6.2 Bilder vom Bürger......................................................................... 111 Kompetenter im Umgang mit der Verwaltung - aber trotzdem hilflos, respektvoll und dankbar . .. . .. .... .. .. . .. . . . . .. .. .. .. 111 6.3 V argesetzte und ihr Selbstbild....................................................... 119 Abstand schafft Respekt................................................................ 119 Und trotzdem: nicht so distanziert wie im "Westen".................... 124 Das ist nicht mein Ding, da kümmere ich mich nicht drum.......... 125 Anders als die "drüben": näher an den Tätigkeiten der Unterstellten.................................... 128 6 6.4 Die Sicht der Unterstellten auf das Verhältnis zum Vorgesetzten.................................................................................. 130 Der V argesetzte soll Ansprechpartner und Ratgeber sein............. 130 Ich bin froh, wenn ich meine Arbeit alleine machen kann .. .. . .. . .. . . 131 Die Angst um den Arbeitsplatz läßt einen vorsichtig sein............. 134 Fachliche Kritik muß sein.............................................................. 135 Exkurs: Amtsleiter reden über Bürgermeister, Beigeordnete und Dezernenten............................................................................ 13 7 6.5 Unter Kollegen .......................... .................................................... 139 Das Verhältnis untereinander war schon zu DDR-Zeiten gut und ist es auch heute noch . .. .. . .. . . . .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. . .. .. .. . .. .. . . .. .. .. . .. . .. . .. . 13 9 7. Kontinuität und Diskontinuität.................................................. 147 Literaturverzeichnis . ... .. ..... .. ... . .. .. ... . . . .. .... .. .. .. ... ... ... .. .. .. ... ..... ...... .. . .. . .. . 15CJ Anhang................................................................................................... 171 7 Vorwort Nach der Übertragung der Rechts- und Verwaltungsordnung der Bundesre publik auf die neuen Bundesländer hatten jene Verwaltungsangestellten, die übernommen wurden, Regeln zu erlernen, die ihnen in den Details, und vielfach auch in den Grundprinzipien, bis dahin weitgehend unbekannt wa ren. Es war zu erwarten, daß vielen ein mühsamer und verunsichernder Lernprozeß bevorstand, in welchem sich auch die horizontalen und die ver tikalen Sozialbeziehungen am Arbeitsplatz veränderten - Veränderungen die ihrerseits in sozialer Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen kommentiert und bewertet wurden. Natürlich wurden die Beschäftigten im Laufe der Zeit sicherer im Umgang mit den neuen Regeln und ihren verän derten Handlungsspielräumen. Es entstanden neue Routinen, neue Selbst verständlichkeiten und neue Formen von Solidarität und Konflikt. Die neue Verwaltungskultur konnte aber selbst dort keine einfache Übernahme westlicher Muster sein, wo es zu persönlicher Anleitung und vertrauensvollen Nachfragen gekommen war. Vielmehr wurden die im We sten gültigen Regeln auf dem Hintergrund anderer Gewohnheiten, anderer Erfahrungen, anderer genereller und spezifischer Erwartungen anders in die alltägliche Lebenswelt des Arbeitsplatzes eingepaßt, als im Westen. Um die identischen formellen Regelwerke entwickelte sich somit ein je unter schiedlicher Alltag. Natürlich spielte hier auch die Wahrnehmung des Ost West-Verhältnisses eine wichtige Rolle. Denn in den neuen Bundesländern war dies Verhältnis eine Art Leitmotiv, das fast alle Veränderungen beglei tete. Die so entstehende neue Verwaltungskultur ist dabei, wie soziale Kultur immer, als ein Kommunikationszusammenhang zu denken. Ein solcher stellt den beteiligten Individuen Erwartungen, Unterscheidungen, Begriffe und Wertungen zur Verfügung, die sie aufgreifen, ohne durch sie determi niert zu werden. Innerhalb der gleichen Kultur kann individuelles Verhalten damit weit variieren. Denn alle Beteiligten kommunizieren; sie haben zu kooperieren, sie bemühen sich, die Anerkennung von Kollegen und Vorgesetzten zu errin- 9 gen, und sie müssen sich selbst einschätzen. In den entsprechenden Korn munikationsprozessen werden jene Unterscheidungen verwendet, die der spezifischen Kultur zuzurechnen sind. Indem die beteiligten Menschen die se Unterscheidungen benutzen, um einander Erwartungen, Beurteilungen, scheinbare Selbstverständlichkeiten oder Mißbilligung mitzuteilen, wird Veränderung auch einer Verwaltungskultur zu einem sozialen Prozeß, der sich nicht individualpsychologisch auflösen läßt - auch nicht durch die Unterstellung von "Kollektivpersönlichkeiten". Eine so verstandene Verwaltungskultur ist nicht unveränderlich. Aber ihre Veränderungen werden sich langsamer und zäher vollziehen als eine Reorganisation erwarten ließe, in der nur die formell verbindlichen Regeln verändert werden. Vor allem jedoch verschwindet die Geschichte nicht ohne weiteres. Sie kann ihre Spuren auch dort lassen, wo sie negiert wird. Das heißt nicht, daß eine Verwaltungskultur gleich bleibt, oder daß hinter den äußerlichen Ver änderungen irgend ein "Wesen" konstant bliebe. Selbst Bruchstücke der Vergangenheit, bestimmte Angewohnheiten etwa, die beibehalten werden, bedeuten keine historische Konstanz. Denn diese Bruchstücke können ja in ganz unterschiedlichen Kontexten wieder auftauchen und damit ihre Be deutung verändern. Man kann also davon ausgehen, daß die Übertragung eines Verwal tungssystems keine bloße Kopie sein kann. Die neuen formellen Regeln wurden von miteinander kommunizierenden Personen erlernt und von ihnen in neu sich bildende Alltagspraktiken integriert, über die sie wiederum kommunizieren. Es sind diese Alltagspraktiken und die in sie eingelagerten Interpretationschemata, die die Verwaltungswirklichkeit konstituieren. Die Bedeutung der Alltagspraxis, die die formellen Regeln reinterpre tiert, galt im übrigen auch für die DDR. Sie als "totalitäre Gesellschaft" zu kennzeichnen, läßt sich über die offiziellen Selbstbeschreibungen jener Zeit rechtfertigen. Staatlich sanktioniertes Ziel war tatsächlich eine möglichst lückenlose Kontrolle der gesellschaftlichen Prozesse und die Aufhebung der Differenz zwischen Staat und Gesellschaft. In dem bereits in den zwanziger Jahren positiv formulierten Begriff des "totalitären Staates" ("lo stato tota litario") sollte der Einzelne nur noch Verkörperung des Ganzen sein, sollte die Gesellschaft verstaatlicht oder, was dasselbe wäre, der Staat vergesell schaftet sein. Die offiziellen totalitären Ziele setzten sich in der organisatorischen Gestalt von Staat und Gesellschaft um. Deren Einheit wurde immer wieder beschwörend zelebriert. So wurde der vorgebliche Gleichklang von Führern und Geführten, die Begeisterung des Volkes über seine politische Ordnung, wenn auch nicht hergestellt, so doch aufgeführt. Jeder sollte sich den herr schenden Lehren und Verhaltensvorgaben öffentlich anpassen. Abweichen de Auffassungen wurden soweit wie möglich eliminiert oder wenigstens daran gehindert, öffentlich sichtbar zu werden. 10 Die erzwungene Bekundung von Loyalität und Zustimmung sollte aber schon flir die damalige Zeit nicht wörtlich genommen werden. Diese totali tären Vorgaben waren zwar folgenreich, aber sie setzten sich nicht so durch, wie offiziell behauptet. Staat und Gesellschaft waren eben doch keine Ein heit. Die Mehrheit der Bevölkerung widersprach zwar nicht, aber sie über flihrte und unterlief die öffentlichen Vorgaben im Alltagsverhalten. Verord nete Feste, die sozialistisches Bewußtsein schaffen oder dokumentieren sollten, konnten zu Anlässen entspannter Geselligkeit umfunktioniert wer den. Die durchgreifenden gesellschaftspolitischen Ansprüche verliefen sich in der Banalität des alltäglichen Lebens. Das sollte keineswegs als bewußte Opposition mißverstanden werden. Jeder ausdrückliche Widerspruch wurde marginalisiert und verfolgt; die Mehrheit paßte sich an und scheute den Nonkonformismus. Aber sie kolo nisierte die offiziellen Vorgaben, ohne ihnen ausdrücklich zu widerspre chen. Es ist diese Lebenswelt, auf die sich die seit den Nachwendezeiten wachsende Nostalgie bezieht. Die Verunsicherung, die Furcht oder der so ziale Abstieg werden zu einer erinnerten Wirklichkeit, die selektiv und di chotomisierend beschrieben wird. In diesem Sinne konstituiert die Erinne rung die Beschreibung der wahrgenommenen Gegenwart. Damit ist die Übergangsphase, in der sich die neuen Routinen und informellen Strukturen herausbilden, systematisch wichtig, denn in ihr entwickelt sich, was sich dann in Routinen stabilisieren sollte. Karsten Rogas ist es in dieser Arbeit gelungen, die einzelnen Momente dieses Prozesses zu erforschen und in ih rer Vielschichtigkeit darzustellen. Sinnvollerweise entsprechen Methoden und Gegenstand dieser For schung einander. Die Interviews mit Verwaltungsbeschäftigten werden nicht als typisierbare und addierbare persönliche Meinungen verstanden, die sich je nach Wetterlage auch ändern können. Gegenstand dieser Arbeit sind also nicht "weiche" Daten, eine peripher interessante Füllmasse, die gegen über "harten Daten" einen minderen Realitätsgehalt hätte. Die Arbeit greift aber auch nicht auf Satzungen zurück oder auf scheinbar quantitativ gehär tete Daten. Es geht in ihr vielmehr um jene Unterscheidungen und Bewer tungskriterien, die in den Kommunikationsprozessen zirkulieren und ihnen Strukturen vorgeben, ohne sie zu determinieren. In der Tat sollte sich die Forschung nicht auf die Rekonstruktion von Strukturen beschränken, die in Satzungen vorgegeben sind und auch nicht einfach Meinungen statistisch bearbeiten. Die eine Vorgehensweise würde die offizielle Selbstdarstellung flir bare Münze nehmen, die andere würde sich von der jeweiligen Konjunktur abhängig machen. In dieser Arbeit geht es deshalb um die Rekonstruktion von Strukturen, die jenseits der addierten individuellen Launen stehen und dabei die offizielle Selbstdarstellung in den umfassenden sozialen Prozeß einordnen. Erhard Stölting 11