Buch Der Winter steht vor den Toren, und mit ihm eine ganze Armee von Orks. Thraxas, der schwergewichtige Abenteurer und private Ermittler, gehört zu den großen Helden des letzten Orkkrieges – so behauptet er zumindest. Doch diesmal möchte sich der älter und weiser gewordene Thraxas aus allem heraushalten und den anstehenden Konflikt am liebsten in seiner Lieblingstaverne aussitzen. Da wird ein Mitglied des Kriegsrates von Turai ermordet – und zwar mit einem Kuchen. Angesichts der bedrohlichen Situation eine fatale Angelegenheit, die es möglichst rasch aufzuklären gilt. Und plötzlich steckt Thraxas wieder einmal bis zum Hals in einem haarsträubenden Sumpf aus tödlichen Intrigen, aus dem ihn nur viel Glück und seine zu einem Viertel orkische Assistentin Makri befreien können … Autor Hinter dem Pseudonym Martin Scott verbirgt sich der in Glasgow geborene Schriftsteller Martin Millar. Für seinen ersten Turai-Roman wurde er mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet. Martin Scott lebt seit über zwanzig Jahren in London. Martin Scott bei Blanvalet Die Geheimnisse von Turai: Band 1, Der Drachentöter (24182) – Band 2, Das Zaubergift (24183) – Band 3, Das Wagenrennen (24184) – Band 4, Die Reise zu den Elfeninseln (24185) –Band 5, Der Konvent der Zauberer (24246) – Band 6, Der grüne Stein (24252) – Band 7, Orks ante Portas (24277) Weitere Bände sind in Vorbereitung Martin Scott Orks ante Portas Die Geheimnisse von Turai 7 Aus dem Englischen von Wolfgang Thon BLANVALET Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Thraxas at War« bei Orbit, London. Blanvalet Taschenbücher erscheinen im Goldmann Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH. 1. Auflage Deutsche Erstveröffentlichung August 2004 Copyright © der Originalausgabe 2003 by Martin Scott Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2004 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Scan by Brrazo 02/2006 Umschlaggestaltung: Design Team München Umschlagillustration: Agt. Schlück/Brün Satz: deutsch-türkischer fotosatz, Berlin Druck: GGP Media, Pößneck Titelnummer: 24277 Redaktion: Gerhard Seidl UH • Herstellung: Heidrun Nawrot Made in Germany ISBN 3-442-24.277-0 www.blanvalet-verlag.de 1. Kapitel I ch sitze am Tresen in der Rächenden Axt, ein Bier in der einen, eine Thazisrolle in der anderen Hand und ringe mit mir, ob ich mir zu meinem nächsten Bier einen Schluck Kleeh genehmigen soll. Es ist eine schwierige Entscheidung, denn in meinem Büro wartet eine ganze Flasche von dem Schnaps auf mich. Ich könnte also warten, bis ich hinaufgehe. Andererseits gibt es nichts Besseres als einen Becher Kleeh, den man mit einem frisch gezapften Krug von Ghurds Bier hinunterspült. Nachdem ich eine Weile alle Möglichkeiten abgewogen und das Problem mit dem ganzen Schatz meiner reichhaltigen Erfahrung durchleuchtet habe, entscheide ich mich für den Becher Kleeh. Und bestelle bei der Gelegenheit auch gleich noch ein Bier. Dandelion, die verrückte Kellnerin, schneidet eine Grimasse, als wollte sie gleich eine Bemerkung dazu vom Stapel lassen, ob es wirklich weise ist, schon so früh am Nachmittag mit einem ehrgeizigen Trinkunterfangen zu beginnen. Ich ersticke ihre drohende Predigt mit einem strengen Blick schon im Keim. Ich brauche absolut keine Belehrung über meine Trinkgewohnheiten, und schon gar nicht von Dandelion. Diese junge Frau trifft man, wenn sie nicht gerade am Zapfhahn steht, normalerweise am Strand. Wo sie mit Delfinen redet. Meine Miene verfinstert sich. Mit dieser Kaschemme geht es allmählich wirklich bergab. Makri und ihre unberechenbaren Launen setzen mir schon genug zu, und jetzt muss ich auch noch Dandelions besondere Spielart von Idiotie ertragen. Das Schlimmste aber ist, dass Tanrose, die Köchin, keinerlei Neigung zeigt, zurückzukommen. Ich habe seit Wochen keine anständige Mahlzeit mehr zu mir genommen. Das Leben wird immer unerträglicher. Ghurd, der Inhaber der Rächenden Axt und mein ältester Freund, hockt neben mir. Ich wollte gerade eine Beschwerde darüber loswerden, dass die Qualität seiner Kellnerinnen immer mehr zu wünschen übrig lässt, schlucke die Worte jedoch lieber herunter. »Keine Arbeit, Thraxas?« Ich schüttele den Kopf. »Das Geschäft läuft nicht besonders. Du weißt ja, warum.« »Diese Anklage?« Ich nicke. Vor ein paar Monaten hat man mich der Feigheit vor dem Feind beschuldigt. Ich soll meinen Schild auf dem Schlachtfeld weggeworfen haben. Diese Beschuldigung bezieht sich auf die Schlacht von Sanasa, die vor etwa siebzehn Jahren stattgefunden hat, und ist so vollkommen unbegründet, dass sie eigentlich gar nicht hätte vor Gericht zugelassen werden dürfen. Nicht, wenn der Mann, der dieses Vergehens beschuldigt wird, so tapfer für diese Stadt gekämpft hat. Bedauerlicherweise wird in Turai aber ein Mann nicht für vergangene Heldentaten belohnt. In dieser Stadt wird ein ehrlicher Mann eher ruiniert, wohingegen die Reichen und Korrupten auf Kosten der Armen und Aufrechten verhätschelt werden. »Die Geschäftslage ist wirklich mehr als mau.« »Aber die Vorwürfe glaubt doch niemand, Thraxas.« »Das mag sein, aber solche Anschuldigungen sind tödlich für den Ruf eines Mannes. Er trägt jetzt einen Makel. Und allmählich bedauere ich, dass ich Grobiax nicht auf der Stelle umgebracht habe, als er diese Ungeheuerlichkeit zum ersten Mal vorgebracht hat. Dann hätte ich wenigstens kurzen Prozess mit der ganzen Angelegenheit gemacht.« »Und wärst jetzt auf der Flucht«, gibt Ghurd nachdrücklich zu Bedenken. Grobiax hat ebenfalls in der Schlacht von Sanasa gefochten. Warum er ausgerechnet jetzt diese ungeheuerliche Anschuldigung vorbringt, weiß ich immer noch nicht genau. Die letzten Wochen habe ich damit zugebracht, Beweise für meine Unschuld zu sammeln, um mich vor Gericht verteidigen zu können. Es leben noch viele Männer in Turai, die in dieser Schlacht mitgekämpft haben, aber es war nicht gerade einfach, welche zu finden, die in der Nähe waren, als dieser Vorfall sich angeblich ereignet haben soll. Selbst für einen professionellen Detektiv wie mich war es schwierig, meine alten Kameraden aufzuspüren. Es kostete mich viele mühsame Fußmärsche durch die ganze Stadt – und das in der Heißen Regenzeit. Wenigstens habe ich einige alte Kameraden gefunden und bin einigermaßen zuversichtlich, dass ich den Fall gewinne. Es sei denn, natürlich, meine Gegner machen hohe Summen an Bestechungsgeldern locker, was in dieser Stadt an der Tagesordnung ist. Sollte das geschehen, werde ich meinen Ankläger umbringen und die Stadt verlassen. So gut lässt sich in Turai ohnehin nicht leben. Zudem befände ich mich längst in ernsten finanziellen Schwierigkeiten, wenn mir nicht einige sehr erfolgreiche Besuche beim Wagenrennen im Stadion Superbius gelungen wären. Ich habe auf den Gewinner des Turas-Gedächtnis- Rennens gesetzt und auch sonst sehr erfolgreiche Wetten platziert, so dass ich am Ende der Rennwoche einen saftigen Gewinn einstreichen und außerdem meinen Ruf als Spieler wieder etwas aufpolieren konnte. Der hatte nach dem Debakel im letzten Jahr empfindlich gelitten. Allerdings sind die Rennen damals durch Magie manipuliert worden. Jeder weiß, dass Thraxas unter normalen Umständen niemals so hohe Verluste einfährt. Die Tür der Kaschemme fliegt auf. Ein Kaleidoskop obszöner Ork-Flüche kündigt Makris Eintreffen an. Orkische Flüche auszustoßen ist in Turai sowohl verpönt als auch gesetzeswidrig, aber unter Stress neigt Makri dazu, in die Sprache ihrer Kindheit zurückzufallen. Da sie in einer Gladiatorensklavengrube der Orks aufgewachsen ist, steht ihr ein reichhaltiger Wortschatz wirklich niederträchtigster Ork-Beschimpfungen zur Verfügung. Ghurd sieht sie finster an, und Dandelion wirft ihr gepeinigte Blicke zu. Doch Makri ignoriert die beiden. »Wisst ihr, dass mich gerade jemand auf der Straße beleidigt hat? Ich gehe da so ganz friedlich vor mich hin, als mich plötzlich dieser Mann völlig grundlos anfährt: ›Da geht ja diese dürre Ork.‹« Makri beugt sich vor und lässt sich von mir eine Thazisrolle geben. Sie zündet sie an einer Kerze an und nimmt einen tiefen Zug. »Ich hasse diese Stadt!«, verkündet sie dann. In Makris Adern fließt ein Viertel Ork-Blut. In einer Stadt, deren Einwohner allesamt die Orks abgrundtief hassen, kann das rasch zu Schwierigkeiten führen. Die meisten Bewohner von ZwölfSeen haben sich zwar allmählich an Makris Anblick gewöhnt, dennoch schlägt ihr auf der Straße gelegentlich offene Feindseligkeit entgegen. Weder Ghurd noch ich machen uns die Mühe, sie zu fragen, was mit dem armen Tropf passiert ist, der es gewagt hat, sie zu beleidigen. Wir wissen es auch so. »Wollt ihr denn nicht wissen, was dann passiert ist?«, erkundigt sich Makri. Ich trinke einen Schluck Bier. »Lass mich raten. Ein Fremder hat dich eine dürre Ork genannt, während du den Quintessenzweg gerade entlanggeschlendert bist. Wie könnte deine mögliche Reaktion wohl aussehen? Du kicherst fröhlich und gehst deiner Wege? Du gratulierst ihm zu seinem fast schon poetischen Satzbau? Nein, verrat mir nichts, ich hab’s! Du hast ihn zu Boden geschlagen, ihm das Schwert an die Kehle gesetzt und ihm erklärt, dass du ihn gnadenlos tranchieren würdest, wenn er es noch einmal wagt, dich auch nur anzusprechen?« Makri ist enttäuscht. »So in etwa«, gibt sie zu. »Aber du hast mir meine Geschichte verdorben.« Danach verfällt sie in düsteres Schweigen. In den letzten Wochen war sie genauso niedergeschlagen wie ich. Und das lag nicht nur an der Heißen Regenzeit und ihrer Abneigung gegen den unaufhörlichen Platzregen. Selbst jetzt im Herbst, einer der kurzen Perioden, in denen man das Klima in Turai als einigermaßen angenehm bezeichnen könnte, ist sie nicht glücklich. Der vergangene Sommer war einer der Höhepunkte ihres Lebens. Sie hat hervorragende Noten auf der Innungshochschule erzielt und geht als beste Studentin in ihr letztes Studienjahr. Doch nachdem das Hochgefühl darüber verflogen ist, scheint sie sich wieder daran zu erinnern, dass ihre erste romantische Erfahrung ein höchst abruptes Ende gefunden hat. Dabei spielte ein junger Elf von der Insel Avula eine nicht ganz unschuldige Rolle. Und eben dieser junge Elf hat es seither versäumt, sich wieder mit Makri in Verbindung zu setzen. Avula liegt eine Seereise von mehreren Wochen von Turai entfernt, aber Makri ist der Meinung, der Elf hätte wenigstens eine kurze Nachricht senden können. Da er das nicht getan hat, ist Makri in den letzten Wochen so schlecht gelaunt wie eine niojanische Hure, sehr zum Missfallen der Gäste der Kaschemme. Früher einmal genügte bereits der bloße Anblick, wie Makri sich bemühte, ihre Kurven in einen mehrere Nummern zu kleinen Kettenhemd-Zweiteiler zu pressen, um selbst den niedergeschlagensten Hafenarbeiter aufzumuntern. Makris Figur, die, wie kundige Münder zu behaupten nicht müde werden, in Turai ihresgleichen sucht, ist so berühmt, dass die Menschen sogar ihre Vorurteile gegen ihre Besitzerin vergessen. Einem Mädel mit einer solchen Physis sollte man die paar Tropfen Ork-Blut wirklich nicht vorwerfen, wie Parax, unser guter alter Schuhmacher, zu sagen pflegt. Es gab noch jede Menge anderer Kommentare dieser Art, nicht nur von Parax. Aber selbst die prallsten Kurven können es nicht ausgleichen, wenn ihre Trägerin den Bierkrug auf den Tisch knallt und einen dabei ansieht, als wollte sie einem beim kleinsten Anlass den Kopf abreißen. Wenn Hafenarbeiter, Segelmacher und dergleichen schwer schuftendes Volk nach einem harten Arbeitstag in der Rächenden Axt einkehren, suchen sie ein bisschen Entspannung. Und wenn Makri grantig ist, fällt es jedem schwer, zu entspannen. Sie schleudert einen kleinen Papierbeutel in meine Richtung. Er enthält Gebäck aus Morixas Bäckerei. Morixa hat das Geschäft nach dem Tod ihrer Mutter Marzipixa im letzten Jahr geerbt. Marzipixa hatte bedauerlicherweise eine Überdosis Boah genommen. Ein fataler Fehler. Die Droge hat schon viele Opfer in dieser Stadt gefordert. Die meisten Toten kenne ich nicht, aber meine Lieblingsbäckerin vermisse ich schmerzlich. Morixa verfügt leider nicht über dieselbe Geschicklichkeit wie ihre Mutter im Umgang mit dem Backofen, aber ich muss zugeben, dass sie sich allmählich steigert. Was mich sehr erleichtert. Denn mit dem Essen in der Rächenden Axt geht es in letzter Zeit ebenfalls bedenklich bergab. Würden mich Morixas Backwaren nicht über Wasser halten, wäre ich in einem erbärmlichen Zustand. Schließlich habe ich einen stattlichen Leibesumfang zu erhalten. Es arbeitet jetzt eine neue Köchin in der Rächenden Axt, eine Frau namens Bocusior. Sie ist keine schlechte Köchin, aber mit Tanrose, der unerreichten Meisterin des Wildeintopfes, kann sie nicht mithalten. Leider hat diese sich mit Ghurd überworfen und lebt jetzt bei ihrer Mutter in Pashish. Als ihr und Ghurds Versuch scheiterte, ihre zwischenmenschlichen Differenzen beizulegen, die vor allem darin bestanden, dass Ghurd einfach keinen Sinn für Romantik hat, hielt ich das zunächst für ein vorübergehendes Problem. Da ich vollkommen süchtig nach Tanroses Eintöpfen, ihren Pasteten, Kuchen und Desserts war, konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass sie lange wegbleiben würde. Ich bin sogar so weit gegangen, ihr einen Besuch abzustatten, um ein gutes Wort für Ghurd einzulegen. Und das, obwohl ich eine ziemlich schlechte Leistungsbilanz habe, was Herzensangelegenheiten angeht. Aber es hat nichts genützt. Tanrose ist nach wie vor über Ghurds Kritik an ihrer Buchführung aufgebracht und weigert sich, zurückzukommen. Mein Einwurf, dass der ungehobelte Barbar damit nur auf seine Art seine Zuneigung ausdrücken wollte, verpuffte wirkungslos. Tanrose hockt immer noch schmollend in ihrer Bude, und die Stammgäste der Rächenden