Jost Halfmann · Falk Schützenmeister (Hrsg.) Organisationen der Forschung Jost Halfmann Falk Schützenmeister (Hrsg.) Organisationen der Forschung Der Fall der Atmosphären- wissenschaft Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. . 1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Katrin Emmerich / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes istohneZustimmungdes Verlags unzulässig und strafbar. 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Klimaforschung Gabriele Gramelsberger Simulation – Analyse der organisationellen Etablierungsbestrebungen der epistemischen Kultur des Simulierens am Beispiel der Klimamodellierung.....................................................................................30 Daniela Jacob Organisation in Verbundprojekten: Konzeptionelle Darstellung anhand der Projekte ENIGMA und BALTIMOS aus dem Bereich der Klimaforschung .........................................................................................53 Jobst Conrad Zur Wechselwirkung von Klimatheorie und Forschungsorganisation ......64 III. Wissenschaftssoziologie Stefan Böschen Kontexte der Forschung – Validierung von Wissen .................................92 Silke Beck Von der Beratung zur Verhandlung – Der Fall IPCC .............................120 IV. Organisationssoziologie Petra Hiller „Grenzorganisationen“ und funktionale Differenzierung .......................146 6 Inhaltsverzeichnis Falk Schützenmeister Offene Großforschung in der atmosphärischen Chemie? Befunde einer empirischen Studie ...........................................................171 Dagmar Simon Exzellent? Organisiert? Interdisziplinär? Zur Organisation interdisziplinärer Klimaforschung in außeruniversitären Forschungseinrichtungen .........................................................................209 V. Forschungspolitik Beverly Crawford Wann ist konsensuelle Wissenschaft „Politische Wissenschaft“? Drei Paradoxien autoritativen Assessments.............................................226 Verena Poloni Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) als boundary organization .............................................................................................250 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren ........................................................272 I. Einleitung Die Organisation wissenschaftlicher Entwicklung. Forschungspolitik und (inter-)disziplinäre Dynamik Jost Halfmann und Falk Schützenmeister In dem vorliegenden Band wird am Beispiel der Klimaforschung1 untersucht, wie in der Forschung der wachsende Ressourcenbedarf, die Notwendigkeit interdisziplinärer Kooperationen aber auch die Spannungen zwischen der Wis- senschaft und politischen Entscheidungsprozessen durch Organisationen bear- beitet werden. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Hypothese, dass die Forschung selbst als ein Organisationsprozess zur Schaffung von Bewährungs- kontexten für neues wissenschaftliches Wissen verstanden werden kann. Die Generierung neuen Wissens erfordert sehr spezifische Arrangements kognitiver, sozialer und materieller Ressourcen. Solche Arrangements finden sich in der modernen Gesellschaft typischerweise in mehr oder weniger formalen Organisa- tionen. Die Abhängigkeit der Klimaforschung von internationalen Kollaborationen und technischen Infrastrukturen wie Forschungsflugzeugen, Satelliten und Su- percomputern macht dies besonders deutlich. Atmosphärenwissenschaftler pro- duzieren ihre Daten nicht nur im Labor, sondern sie erheben diese – vor Ort (in situ) oder durch Fernerkundung – in allen Schichten der Atmosphäre. In der Wissenschaftssoziologie wurden Labore als durch die Gesellschaft vorstruktu- rierte Arrangements von Geräten, Präparaten und Chemikalien beschrieben (Knorr-Cetina 1981, 1988). In der Atmosphärenwissenschaft erfordert der Test komplexer Hypothesen, deren Reichweite zuweilen das gesamte Erdsystem umfasst, dass staatliche Förderprogramme, Wissenschaftler verschiedener Dis- ziplinen, technisches Personal und teuere Instrumente in sehr spezifische Kon- 1 Im Folgenden referiert Klimaforschung auf das durch den anthropogenen Klimawandel moti- vierte problemorientierte Forschungsgebiet. Atmosphärenwissenschaft bezeichnet dagegen ei- ne wissenschaftliche Disziplin, in der Wissen über die Dynamik und die Chemie der Erdatmo- sphäre generiert und geprüft wird. Auch wenn die Atmosphärenwissenschaft die Leitdisziplin der Klimaforschung ist, lässt sich letztere nicht auf die Atmosphäre beschränken. Andere Dis- ziplinen wie die Ozeanographie, die Biologie und viele mehr spielen ebenfalls eine unver- zichtbare Rolle. Die Klimaforschung nicht das einzige interdisziplinäre Forschungsfeld, in dem die Atmosphärenwissenschaft eine Rolle spielt. Eine ähnliche Unterscheidung wird zwi- schen der Erforschung der anthropogenen Ozonzerstörung und der atmosphärischen Chemie als einer zentralen Subdisziplin der Atmosphärenwissenschaft vorgenommen (siehe auch Schützenmeister 2008). Die Organisation wissenschaftlicher Entwicklung 9 texte eingepasst, aufeinander abgestimmt und im Verlauf von Projekten kontrol- liert werden. Die neuere Wissenschaftssoziologie berücksichtigt zunehmend die Einbettung des Forschungshandelns in formale Organisationen und komplexe, organisationale Netzwerke (Owen-Smith 2001). Besonders die wissenschaftssoziologische Analyse der Umweltforschung erfordert eine solche erweiterte Perspektive. Weil die Erforschung der anthro- pogenen Ozonzerstörung oder auch des Klimawandels durch umweltpolitische Programme und damit verbundene legitimatorische Anforderungen geprägt ist, gilt hier ganz besonders, dass die Forschungsorganisationen nur im Kontext ihres gesellschaftlichen Umfeldes verstanden werden können. Es muss analy- siert werden, wie sich gesellschaftliche Probleme und die oft konkurrierenden Versuche ihrer Lösung innerhalb von Organisationen in bearbeitbare und vor allem abschließbare Forschungsprojekte übersetzen lassen. Weiterhin gilt es zu untersuchen, wie in Forschungsorganisationen versucht wird, die gesellschaftli- che Umwelt zu kontrollieren und gleichzeitig externe Versuche der Manipulati- on des Forschungsprozesses abzuschirmen. Kurz: Die soziologische Analyse der Wissenschaft kann nicht auf das Verhältnis von Forschung – als sozialer Prozes- ses – und nichtgesellschaftlicher, „natürlicher“ Umwelt beschränkt bleiben. Die Formulierung von Forschungsagendas muss innerhalb spezifischer – typischer- weise organisierter – gesellschaftlicher Umwelten beobachtet werden, weil sich aus diesen die Vorraussetzungen (und oft auch die Limitationen) für erfolgrei- che Forschungsarbeit ergeben. Die organisationssoziologische Analyse der wissenschaftlichen Arbeit bie- tet neue Ansatzpunkte für die Lösung eines an sich alten Problems. Es geht darum, die empirisch sehr heterogenen Integrationsformen der Wissenschaft in der Gesellschaft zu verstehen. Besonders am Beispiel der Großforschung wurde deutlich, dass es einen Zusammenhang zwischen der Organisationsform und den Möglichkeiten der Steuerung von Forschungsprozessen durch gesellschaftliche, d. h. auch durch politische Akteure gibt (Galison/Hevly 1992). Dem klassischen Ideal autonomer Forschung an der Universität stehen strategische Regierungs- programme z. B. zur Bearbeitung von Umweltproblemen, zur Lösung der Ener- giekrise, aber auch zur Entwicklung neuer Waffensysteme gegenüber. Doch scheint diese Entgegensetzung empirischer Extreme als inadäquat. Tatsächlich existiert eine enorme Bandbreite organisatorischer Formen, die die epistemi- schen Bedürfnisse verschiedener Disziplinen ebenso widerspiegeln wie deren Einbettung in verschiedene gesellschaftliche Problemkontexte. Die Varianz der Organisationsformen der Forschung zwischen verschiedenen Disziplinen und Forschungsfeldern zeigt dass das Thema der Forschungsorganisation nicht nur Fragen der Institutionalisierung der Wissenschaft berührt, sondern auch eine kognitive Dimension hat. 10 Jost Halfmann und Falk Schützenmeister Es muss noch ein weiterer Unterschied zu älteren Versuchen herausgestellt werden, die wissenschaftliche Arbeit mit dem begrifflichen Inventar der Organi- sationsforschung zu analysieren. Lange wurde versucht, wissenschaftliche Ge- meinschaften selbst als – wenn auch besondere, nämlich informale (Hagstrom 1965) – Organisationen zu beschreiben (Weingart 1976, Whitley 1984). Die Frage nach der Motivation und Kontrolle der wissenschaftlichen Arbeit ergab sich dabei aus einer Organisationssoziologie, die vor allem Firmen in der In- dustriegesellschaft im Blick hatte. Neuere Ansätze der Organisationssoziologie beruhen weniger auf Konzepten wie Mitgliedschaft, Hierarchien oder auch Wei- sungsstrukturen. Das Organisieren wird vielmehr zunehmend als ein dynami- scher Prozess verstanden, in dem bindende Entscheidungen erzeugt werden (Luhmann 2000, Hernes 2008). Dabei spielen der Wissensaustausch und der Informationsfluss eine zentrale Rolle. Anschlusspunkte für die Wissenschafts- soziologie ergeben sich vor allem aus den Diskussionen über Wissen in Organi- sationen oder auch aus der großen Bedeutung informaler Netzwerke für den Bestand und die innovative Weiterentwicklung von Organisationen. Die Vorteile einer solchen dynamischen Sicht auf Organisationen werden deutlich, wenn man sich die Rolle von Projekten in der Forschung vor Augen führt. Viele Projekte können nicht als Teile bestehender Forschungsorganisatio- nen beschrieben werden. Vielmehr sind immer häufiger Kollaborationen ty- pisch, in denen nicht nur das Wissen mehrerer Disziplinen, sondern auch die Ressourcen verschiedener Organisationen temporär zusammengeführt werden. Wissenschaftler greifen daher neben den informalen Strukturen der wissen- schaftlichen Kommunikation auch auf ein komplexes Netzwerk organisatori- scher Ressourcen zurück. Man kann vermuten, dass in der infrastrukturintensi- ven Forschung die Freiheitsgrade autonomen Entscheidens, über die ein Wis- senschaftler verfügt, primär aus der Verfügbarkeit organisatorischer Ressourcen resultiert, weniger aus dem prinzipiell offenen Horizont theoretischer Probleme. Die Dynamik von Forschungsorganisationen generiert neue Formen der Arbeits- teilung. Einerseits lassen sich neue Organisationen beobachten, die ganz spezifi- sche Probleme – z. B. den Datenaustausch, die Vermittlung von Ressourcen oder Strategien der Politikberatung – bearbeiten. Zum anderen kommt es zu einem höheren Grad der innerorganisatorischen Arbeitsteilung: neue Techniker- und Managementrollen bilden sich heraus, die die Wissenschaftler entlasten. Diese einleitenden Überlegungen zeigen, dass das Problem der Organisati- on von Forschung auf eine neue Weise diskutiert werden muss. Forschung kann nicht innerhalb einzelner Wissenschaftsorganisationen wie Universitäten oder Großforschungslabore beschrieben werden. Noch weniger sind Disziplinen, Subdisziplinen oder wissenschaftliche Gemeinschaften etwas, das man in der Organisationsforschung als Organisationen betrachten würde. Zwar gibt es Die Organisation wissenschaftlicher Entwicklung 11 Fachorganisationen, die ein wissenschaftliches Feld zu repräsentieren suchen. Doch stehen dabei in der Regel professionelle Belange und ihr Verhältnis zur nichtwissenschaftlichen Umwelt im Mittelpunkt. Die wissenschaftliche Kom- munikation folgt nach wie vor ihrer eigenen Logik. Externe Steuerimpulse, Zumutungen und Anreize werden innerhalb dieser Logik verarbeitet. Organisa- torische Anstrengungen werden in der Regel dort unternommen, wo es zur Ü- berlastung wissenschaftsinterner Bearbeitungskapazitäten kommt oder wo neue Irritationen – z. B. gesellschaftliche Probleme – an die wissenschaftliche Kom- munikation vermittelt werden sollen. Dabei wird kaum jemals versucht, die Vielfalt der Probleme der Forschung innerhalb einer einzigen neuen Organisati- on zu lösen. Vielmehr entstehen neue, oft kleinere Organisationen zur Bearbei- tung spezifischer Probleme, wie z. B. der Vermittlung wissenschaftlichen Wis- sens an die Politik im Fall des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Andere Probleme werden durch Umstrukturierungen innerhalb beste- hender Forschungsorganisationen gelöst. Oft ist es schwer, organisatorische Grenzen klar zu bestimmen, weil Autonomie und Heteronomie in der Wissen- schaft ständig neu verhandelt werden. Die organisatorische Landschaft, in die die Klimaforschung eingebettet ist, kann daher kaum durch ein Organigramm dargestellt werden. Vielmehr handelt es sich um ein organisatorisches Sediment, das aus der Lösung vergangener Probleme hervorgegangen ist und eine schier unüberschaubare Anzahl von Organisationen, aber auch mehr oder weniger selbständige Subsysteme bestehender Organisationen, z. B. Universitätsinstitute, enthält. Zudem ist dieses Sediment von informalen Netzwerken durchdrungen. Eine solche Konfiguration ist weniger ein Ergebnis von Planung als von Evolu- tionsprozessen, in denen Variationen durch Interventionsversuche in die wissen- schaftliche Kommunikation erzeugt werden. Zunehmend erlangen ähnliche Beschreibungen auch in anderen Bereichen der organisierten Gesellschaft Gültigkeit. Organisatorische Netzwerke, interor- ganisatorische Kooperationen oder gar virtuelle Organisationen rücken in den Mittelpunkt der Analyse. Von den Autoren dieses Buches werden verschiedene dieser Ansätze angewandt, um das Potential einer neuen organisationssoziologi- schen Perspektive auf die Wissenschaft auszuloten und dabei Horizonte in dem nahezu undurchdringlichen organisatorischen Geflecht zu identifizieren, in das die Klimaforschung eingebettet ist. Bevor wir eine Übersicht der einzelnen Beiträge geben, gilt es einige Überlegungen zu entfalten, die den Teilnehmern des Workshops in Form eines Diskussionspapiers vorlagen.