~W~ESTFAlISC1 ooco: ;0~; : Z m iii WISSENSCHAFrEN Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften Geisteswissenschaften Vorträge' G 348 Herausgegeben von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften RÜDIGER SCHOTT Orakel und Opferkulte bei Völkern der westafrikanischen Savanne Westdeutscher Verlag 387. Sitzung am 15. November 1995 in Düsseldorf Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schott, Rüdiger: Orakel und Opferkulte bei Völkern der westafrikanischen Savanne Rüdiger Schott. - Opladen: Westdt. Verl., 1997 (Vorträge / Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften: Geisteswissenschaften; G 348) Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Bertelsmann Fachinformation. © 1997 by Westdeutscher Verlag GmbH Opladen Herstellung: Westdeutscher Verlag ISSN 0944-8810 ISBN 978-3-531-07348-4 ISBN 978-3-322-88513-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-88513-5 Inhalt Rüdiger Schott, Münster Orakel und Opferkulte bei Völkern der westafrikanischen Savanne 7 Erklärungen der Sandzeichen .................................. 57 Literaturangaben ............................................ 66 Diskussionsbeiträge Professor Dr. med. Hans Schadewaldt; Professor Dr. phi!. Rüdiger Schott; OStR Dr. phi!. Franz Kräger; Professor Dr. phi!. Christian Lehmann; Professor Dr. phi!. Friedrich Schalz; Professor Dr. phi!. Klaus Wolfgang Niemäller; Professor Dr. phi!., Dr. h. c. mult. Wolf- gang Kluxen; Professor Dr. phi!. Hans-Peter Schwarz ............ 68 Am 17. Juli 1968, vor 27 Jahren also, hatte ich die Ehre, in diesem Hause vor der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, der Vorläuferin der heutigen Akademie der Wissenschaften, über meine ersten "Ergebnisse völkerkundlicher Forschungen bei den Bulsa in Nord-Ghana 1966/67" zu berichten. Dieser Vortrag erschien 1970 unter dem Obertitel: "Aus Leben und Dichtung eines westafrikanischen Bauernvolkes". In meinem damaligen Vortrag bin ich mit wenigen Sätzen auch auf die sog. "Wahrsager" der Bulsa eingegangen. Ich berichtete u.a. davon, daß der zu künftige Hausherr vor der Errichtung eines neuen Gehöftes einen Wahrsager (baano, pI. baanoba)l zu befragen hat, "der ihm den Willen der Ahnen und der Erde zu wissen gibt" (Schott 1970, S. 18). D.h. der Wahrsager ergründet mit Hilfe seiner Orakel techniken, ob die Ahnen des Bauherrn und die Erde und ihre Geister, die wichtigsten spirituellen Mächte, die die Bulsa wie viele andere V ölker der west afrikanischen Savanne verehren, mit dem Bau des Gehöfts an der vom Bauherrn ausgewählten Stelle einverstanden sind oder nicht. Ich zeigte dazu eine Aufnahme von einem Bulsa-Wahrsager bei seiner Tätigkeit und erläuterte diese Aufnahme in einem Begleittext (v gl. Schott 1970, S. 93 und ebd. Abb. 4). Ich bemühte mich also, eine möglichst objektive Darstellung des Tuns der Wahrsager der Bulsa und der Bedeutung ihres Tuns zu geben. Ich war damals - und bin auch heute noch - der Auffassung, daß es in der Tat die vornehmste Aufgabe des Ethnographen2 ist, eine möglichst objektive Be- 1 Dieses Buli-Wort übersetzt Kröger (1992, S. 48) ins Englische wie folgt: "diviner, soothsayer, fortuneteller (somebody who explores the will of supcrnatural forces as anccstors, earth [ ... ] etc.)". Der deutsche Ausdruck" Wahrsagcr" weckt möglicherweise, wie im weiteren ausgeführt, falsche Assoziationen. Für das englische Wort diviner, französisch: devin, hat die deutsche Sprache, soweit ich sehe, keine Entsprechung. 2 Wenn ich hier und im folgenden bei allgemeingültigen Aussagen das grammatische Genus des Maskulinum gebrauche, so ist das Genus des Femininum immer mitgemeint. Dies hat nichts mit einer Diskriminierung von Personen weiblichen Geschlechts zu tun. Die alberne Mode, jeweils beide Formen anzugeben, widerspricht dem deutschen Sprachgebrauch: "Besonders bei Berufsbezeichnungen und Substantiven, die den Träger eines Geschehens bezeichnen (Nomina agentis), verwendet man die maskuline Form auch dann, wenn das natürliche Geschlecht 8 Rüdiger Schott schreibung der von ihm beobachteten und erfragten Sachverhalte zu geben. Ich bin mithin nicht Anhänger eines sog. "postmodernistischen" Subjektivismus. Seit jeher aber haben die Kollegen aus den geisteswissenschaftlichen Nach barfächern - von den Naturwissenschaftlern ganz zu schweigen - Zweifel, ob der Ethnograph in seiner eigenen Sprache überhaupt fremde Kulturen und die Verhaltens- und Denkweisen der in ihnen lebenden Menschen "objektiv" schildern kann. Bei einem schriftlosen Volke entbehrt der Ethnograph schrift lich fixierter Quellen, die, unabhängig von den zahllosen verschiedenen Mög lichkeiten ihrer Deutung, eben doch - von bewußten Fälschungen einmal abgesehen - den Forschern "objektiv" gegeben sind und unmittelbar Zeugnis von Menschen vergangener Zeiten und/oder fremder Sprachen und Kulturen ablegen. Der Ethnograph oder die Ethnographin nimmt demgegenüber unmittelbar am Leben der von ihm oder ihr erforschten ethnischen Gruppe teil. Diese sog. "teilnehmende Beobachtung" (participant observation) stellte Bronislaw Malinowski 1922 im Vorwort zu seinem Buch Argonauts of the Western Pacific als wichtigste Methode der stationären ethnographischen Feldforschung heraus. Er pries diese Methode (oder Arbeitstechnik) der "teilnehmenden Beobachtung" geradezu als die "Magie des Ethnographen, mit der er den wirk lichen Geist der Eingeborenen beschwören kann, ein wahres Bild des Stammeslebens" (Malinowski 1922, S. 6). Allerdings wies auch bereits Malinowski auf einige Probleme dieses Königsweges zum ethnographischen Wissen hin: ,,[ ... ] Ohne Zweifel ist die persönliche Gleichung des Beobachters hier [bei der teilnehmenden Beobachtung] weitaus bedeutsamer als bei der Sammlung konkreter ethnographischer Daten" durch formalisierte Er hebungsmethoden (Malinowski 1922, S. 20). Ist die "teilnehmende Beobachtung" überhaupt eine Methode im Sinne eines systematischen Vorgehens bei der Gewinnung von Wissen? Ist nicht die "teil nehmende Beobachtung" des Verhaltens der Menschen eines fremden Volkes von so vielen subjektiven Momenten des Forschers als "teilnehmender Beobachter" abhängig, daß man sich in der Tat fragen kann und muß, ob und wieweit es dem aus einer anderen Kultur- und Sprachgemeinschaft kommen den und ihr verhafteten Ethnographen überhaupt möglich ist, zu "objektiven" Aussagen über eine fremde Kultur zu gelangen? Auch in der Ethnologie selbst und ihren verwandten Disziplinen der in den angelsächsischen Ländern so genannten Cultura! Anthropo!ogy oder Socia! unwichtig ist oder männliche und weibliche Personen gleichermaßen gemeint sind. Man emp findet hier das Maskulinum als neutralisierend bzw. verallgemeinernd (,generisch')." (Duden, Bd. 4, Grammatik der deutschen Sprache, 4. Aufl., Mannheim-Wien-Zürich 1984, S. 200) Orakel und Opferkulte bei Völkern der westafrikanischen Savanne 9 Anthropology sind immer wieder} und verstärkt in den letzten anderthalb Jahrzehnten grundsätzliche Zweifel an den Möglichkeiten des Ethnographen laut geworden, ob er (oder sie) mit den traditionellen Arbeitstechniken der teilnehmenden Beobachtung und der Informantenbefragung zu "objektiven", d.h. intersubjektiv nachprüfbaren und für die jeweils untersuchte ethnische Gruppe und ihre Kultur gültigen Aussagen gelangen kann. Jüngst erst, in der Februar-Ausgabe des Jahrgangs 1995 der internationalen Zeitschrift Current Anthropology, hat der amerikanische Anthropologe Robert Aunger einen Artikel" On Ethnography - Storytelling or Science?" überschrieben. Er plä diert für streng überprüfbare wissenschaftliche, d.h. naturwissenschaftliche Methoden. Nur statistisch auswertbare Daten, gewonnen unter streng kon trollierten und kontrollierbaren Bedingungen, sollen Grundlage einer jeden Ethnographie sein. Im Gegensatz zu diesem" scientific approach" (Aunger 1995, S. 106) plädiere ich dafür, die Ethnographie weiterhin als eine geistes- oder kulturwissen schaftliche Disziplin des idiographischen "Geschichtenerzählens" zu be treiben4• Ja, ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und behaupte, daß der Ethnograph auch seine eigenen "Geschichten", die er bei dem ihm zunächst fremden Volke erlebt hat, erzählen soll, soweit die subjektiven Erfahrungen des Ethnographen etwas zur Kenntnis objektiver Sachverhalte beitragen. Ich behaupte, daß in gewissen Fällen die "teilnehmende Beobachtung" überhaupt nur möglich ist, wenn der Ethnograph als Subjekt an den in einer fremden Kultur zu beobachtenden Vorgängen und Sachverhalten aktiv und nicht nur als distanzierter Beobachter teilnimmt. Das möchte ich an einigen Beispielen des Wahrsagens (Divination) und der Opferkulte bei zwei Völkern der west afrikanischen Trockensavanne zeigen. Bei diesen Völkern handelt es sich um die Bulsa in Nordghana und um die Lyela in Burkina FasoS• Beide Völker leben hauptsächlich vom Anbau ver schiedener Hirsesorten (Sorghum und Pennisetum) sowie von Erdnüssen und 3 V gl. z.B. Paul Radin, der in seinem zuerst 1933 erschienenen Buch" The Method and Theory of Ethnology - An Essay in Criticism" radikale Kritik am sorglosen Umgang der Ethnologen mit ihren Quellen vortrug (besonders im 4. Kapitel seines Buches, überschrieben: The Factors in the Determination of the Ethnological Record). 4 Die auf Kant zurückgehende Unterscheidung zwischen der "Natur", die strengen Gesetzen unterliegt, und der moralischen Sphäre, in der menschliche Freiheit herrscht, und der von Dilthey und anderen daraus abgeleitete Gegensatz zwischen Geisteswissenschaften (oder Kulturwissenschaften, Ricken) und Naturwissenschaften beschäftigt auch die Ethnologie bzw. die Cultural Anthropology schon seit geraumer Zeit (v gl. Kroeber 1935; Bidney 1953). 5 Zur Einführung in die Ethnographie der Bulsa vgl. Schott 1970, in die der Lyela Steinbrich 1987. 10 Rüdiger Schott Gemüsen wie Bohnen, Eierfrüchten6 und Kürbissen. Beide ethnischen Grup pen halten Geflügel, vor allem Hühner und Perlhühner, und Vieh: Ziegen, Schafe und Rinder. Die Menschen beider Völker leben in Siedlungen, die aus verstreuten Gehöften bestehen. Jede Siedlung setzt sich aus mehreren exo garnen Verwandtschafts gruppen, d.h. lokalisierten Patriklans oder Klan sektionen, zusammen. Linguistisch gehören beide Völker zu verschiedenen Sprachzweigen der sog. Gur- oder voltaischen Klassensprachen Westafrikas. Die Kenntnis der Ethnographie beider Völker war äußerst gering, bevor meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und ich ethnographische Feld forschungen bei ihnen begannen. Ich selbst verbrachte 1966/67, 1974/75 und 1988/89 drei Forschungsfreisemester - insgesamt etwa 21 Monate - bei den Bulsa in Nordghana und ein Forschungsfreijahr, von August 1982 bis September 1983 und die Monate Februar und März 1984, insgesamt also etwa 15 Monate, bei den Lyela in Burkina Faso. Alle meine Feldforschungen in Westafrika wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt, wofür ich ihr auch an dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank sagen möchte. Im Bestreben um eine "objektive" Darstellung verschwieg ich in meinem Vortrag am 17. Juli 1968 über die Bulsa alles, was sich auf mich persönlich bezog. Ich begann meine ethnographischen Forschungen unter den Bulsa mit meinem Dolmetscher und Assistenten Godfrey Achaw am 6. Oktober 1966. Nur acht Tage später, am 14. Oktober 1966 besuchte ich mit ihm zum ersten Mal einen sog. Wahrsager. Ich zitiere dazu aus meinen Aufzeichnungen: Der Mann, der mir den Besuch beim Wahrsager am 14.10.1966 vermittelte, "fragte mich, was ich beim Wahr sager wollte: eine Unterhaltung oder eine Sitzung mit Opfer, Befragung usw. Ich möchte natürlich letzteres." Ohne einen Moment zu zögern, verließ ich also die Position des Beobachters und wurde zum Teilnehmer an einem Zeremoniell der mir damals völlig fremden Menschen. Ich blieb allerdings ein passiver Teilnehmer: Da ich kein Wort Buli, die Sprache der Bulsa, sprach und nicht mit ihren Orakelpraktiken vertraut war, führte stellvertretend für mich ein anderer Mann die Befragung des Wahrsagers durch, wie das bei den Bulsa durchaus Brauch ist. Das weitere zitiere ich aus meinem Tagebuch7: "Der Wahrsager selbst saß auf dem Boden, angetan mit einer roten Kappe, vor ihm ausgebreitet ein Ziegen- 6 Vermutlich Solanum aethiopicum oder S. incanum (Hinweis von Herrn Dr. Kröger, der in einer brieflichen Mitteilung die Eintragung S. melongena in seinem Buli-Englisch Wörterbuch [Kröger 1992, S. 68 unter dem Buli-Lemma booruk, "garden egg, eggplant, aubergine"] aus drücklich in Frage stellt.) 7 Als Tempus meiner Tagebucheintragungen, im Original im Präsens, habe ich, da es sich um Ge schehnisse in der Vergangenheit handelt, das Präteritum gewählt. Orakel und Opferkulte bei Völkern der westafrikanischen Savanne 11 fell, auf dem seine Gerätschaften lagen: zwei Metallplättchen, ein Opfermesser, verschiedene Holzstückchen, eine Kalebasse, mit Hühnerfedern beklebt, neben ihm ein Sack aus Ziegenfell, aus dem hölzerne Stäbchen herausragten. In einer Hand hielt er eine Kürbisrassel, ebenfalls mit Hühnerfedern beklebt, die er während der ganzen Sitzung, bald schneller, bald langsamer, schwang. Mit seiner anderen Hand umfaßte er einen ca. 60 cm langen Stab, dessen gegabel tes Ende er hielt, während der vor ihm sitzende Mann, der ihn befragte, den Stab am unteren Ende griff und damit während der Sitzung kräftig auf die Metallplättchen schlug, einzelne Teile seines Körpers (Stirn, Nase, Ohren vor allem) berührte, mitunter über Brust, Arme und Beine strich und andere Bewegungen vollführte. Der Stab sprach für den Wahrsager, der selbst während der ganzen Sitzung kein Wort sagte. Der Befragende selbst deutete die Bewegungen des Stabes." Die Übersetzung des Buli-Wortes baano mit deutsch "Wahrsager" ist also irreführend, denn der sog. "Wahrsager" sagt oft gar nichts8; er gibt allenfalls dem Klienten nach den Sitzungen Erklärungen, wenn dieser ausdrücklich danach fragt. "Was hatten die Geister mir zu sagen? Nach der Übersetzung [der Tonband aufzeichnung durch meinen Dolmetscher] Godfrey Achaw folgendes: ,Wenn du sie (die Geister) nicht kennst oder sie nicht zu empfangen wünschst, mögest du ihnen erlauben, zu gehen.' Es folgte dann die Frage, ob ich bereit bin, ihnen zu opfern. Nach einigem Zögern bejahte ich diese Frage. Ich sollte ,wasser', d.h. Hirsemehl, mit Wasser angerührt, opfern. Frage an den Wahrsager bzw. an die Geister: ,Weshalb soll er Wasser geben? Um Gesundheit zu erlangen?' Antwort der Geister: ,Dein Vater braucht Wasser, damit er dir Gesundheit geben kann und du deine Aufgabe gut erfüllen kannst. Wenn du das Wasser geben kannst, wirst du lange leben, um dich an deiner Arbeit zu erfreuen. Und eines Tages wirst du dich [voller Stolz] an die Brust schlagen und ein großer Mann sein.' Ich fragte weiter nach meiner Gesundheit: ,Deine Gesundheit? Nachdem du das Wasser deinem Vater gegeben hast, wirst du in guter Form sein. Deine Mutter sagt: hier ist langes Leben und Schlagen an die Brust. Wenn du auch ihr Wasser gibst, wirst du dich danach an die Brust schlagen. Das ist es, was deine Mutter gesagt hat.' Was geschieht nach [dem Opfer des] Wassers? Wenn ich das Wasser meinem Vater und meiner Mutter gegeben habe, werde ich 21 [!] Jahre9 in meiner gegenwärtigen Arbeit wirken. Wenn ich das Wasser 8 Dies berichtet Mendonsa (1982, S. 119) auch von den Sisala, einem den Bulsa im Westen benachbarten Volk: "The entire consultation may pass without a single word being spoken." 9 Ich war damals 38 Jahre alt.