Charles Handy· Ohne Gewahr Charles Handy Ohne Gewahr Abschied von der Sicherheit Mit dem Risiko leben lernen GABLER Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Handy, Charles: Ohne Gewähr: Abschied von der Sicherheit - Mit dem Risiko leben lernen / Charles Handy. - Wiesbaden: Gabler, 1996 Einheitssacht.: Beyand Cenainty <clt.> ISBN -13 :978-3-322-82732-6 e-I$BN-13: 978-3-322-82731-9 DOr: 10.1007/978-3-322-82731-9 Aus dem Englischen von SibyUe Frohns. Die Originalausgabe erschien unter dem Titel ,.Beyond Cenainty" bei Hutchinson, London. Copyright © Charles Handy 1995 Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen der Benelsmann Fachinfonnation. © Betriebswirtschaftlicher Verlag Oe. Th. Gabler GmbH, Wiesbaden 1996 Softcover reprint of the harckover L~I edition 1996 Lektorat: Manuela Eckstein Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich ge schützt. Jede Verwenung außerhalb der engen Grenzen des Urhe berrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielf:i.ltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Höchste inhaltliche und technische Qualität unserer Produkte ist unser Ziel. Bei der Produktion und Verbreirung unserer Bücher wollen wir die Umwelt schonen: Dieses Buch ist auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die Einschweißfolie besteht aus Polyäthylen und damit aus organischen Grundstoffen, die weder bei der Herstellung noch bei der Verbrennung Schadstoffe freisetzen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedennann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Schrimpf und Panner, Wiesbaden Satz: FROMM MediaDesign GmbH, Scltersrrs. ISBN -13 : 978-3-322-82732-6 Inhalt Einfuhrung 7 1. Zeit der Ungewillheit: Eine personliche Odyssee 19 2. Die kunftige Arbeitskultur 29 3. Unternehmerische Macht ins Gleichgewicht bringen - ein neuer foderativer Ansatz 39 4. Wozu dient ein Unternehmen? Vortrag zum Gedenken an Michael Shanks, 1990 63 5. Sind Jobs auf Lebenszeit todlich fur Unternehmen? 83 6. Wo es ein Leben nach der Arbeit gibt 89 7. Geben Sie Ihren Kindern eine gute Ausbildung 93 8. Was man uns auf der Business School nicht beibringt 97 9. Ein Unternehmen besitzen? 101 10. Werden wir aIle Foderalisten? 105 11. Sind un sere Buros fehlerhaft? 109 12. Auf der Suche nach der idealen Welt ... 113 13. Die Parabel von der gefallenen Stadt 117 14. Sollten wir hohere Steuern bezahlen? 121 15. Die groRen Ruderachter des Lebens 125 16. Haben wir Zeit, unsere Standards anzuheben? 129 17. Wenn die Arithmetik nicht ziihlt 133 18. Sei tuchtig, werde reich, aber bleibe klein 137 Inhalt 5 19. Japans frauenfreundliche Arbeitswelt 141 20. Arbeit ist da, wo meine Besprechungen stattfinden 145 21. Wie man von der ,,richtigen Sache" lernt 149 22. Alte Griechen oder moderne Briten? 153 23. Die Geburt des konzeptionellen College 157 24. Die Herausforderung des zweiten Lebens 161 25. Biegen, stiickeln und veriindern 165 26. Der Ehre un sere letzte Ehre geben 169 27. Kann der Traum zum Alptraum werden? 173 28. Wenn Unternehmen Kondominien sind 177 29. Mach aus deinem Geschiift ein Kloster 181 30. Was einen guten Manager ausmacht 185 31. Das neue Zeitalter der positiven Macht 189 32. In der Arbeitswelt ist alles im Wandel 193 33. Die SchuRwaffengesetze von Galapagos 197 34. Schnell leben, reich sterben 201 35. Wie managt man, wenn man die Leute nieht sieht? 205 Danksagung 208 6 Inhalt Einfuhrung Wolken am Horizont Adam Smith, der Hohepriester der Marktwirtschaft und des moder nen Kapitalismus, ist moglicherweise der am meisten zitierte und am wenigsten gelesene Autor. Wer weiB zum Beispiel, daB er folgendes geschrieben hat: ,,Eine profitable Spekulation wird als offendiches Gut dargestellt, da Wachstum die Nachfrage anregt und iiberall Wohlbefinden und Verbesserung verbreitet. Kein Patriot oder Mensch mit Gefiihlen konnte daher etwas dagegen haben. Die Natur dieses Wachstums im Gegensatz zu anderen Ideen wie Kultivierung sieht aber so aus, dag es sofort ungelenkt und eine unendliche sich selbst erzeugende Nachfrage nach all den nutzlosen Dingen dieser Welt wird." Adam Smith, Sie sollten heute leben, urn einen Spaziergang durch die Einkaufs- oder Touristenzentren unserer Stiidte zu machen. Sie wiirden Schaufenster voller Trivialitaten mit all dem Schutt einer Wegwerfgesellschaft sehen, in cler Wachstum davon abhangt, ob es gelingt, immer mehr Leute dazu zu iiberreclen, immer mehr Dinge zu kaufen, die sie vielleicht gem hatten, aber kaum brauchen konnen. Ohne diese Anregung cler Nachfrage gabe es aber kaum das Wachstum, das Adam Smiths "Wohlbefinden und Verbesserung" bis hin zu jenen verbreitete, die sie wirklich brauchen. Wir brauchen un sere Wirtschaft des Glitzers und der Schabigkeit, urn moglichst vielen Menschen irgendeine Art von Arbeit bereitzustellen. ,,Irgend eine Art von Arbeit" ist in der Tat das einzige, als was man viele Jobs bezeichnen kann. Das beste Management der Welt kann aus clem Auffiillen von Regalen, aus clem Packen von Kartons, aus dem Verkaufen von T-Shirts, Bechem oder Plastikspielsachen oder gar Einfiihrung 7 Plastiklebensmitteln keine sinnvolle Arbeit machen. Diese Beschaf tigungen sind eine Plage und Plackerei, nicht die anstandige Art von Arbeit, die wir als gleiches Recht fur aIle beanspruchen. Es ist eine Plage fur Geld, das allein Zugang zu der Wohlstandsgesellschaft verschafft, die wir uns versprochen haben. Das ist eine merkwurdige lronie, nur eine von vielen, die unseren modernen Staat kitzeln. Urn unserem Yolk die Notwendigkeiten des modernen Lebens zu geben, mussen wir eine Menge Geld und viel Zeit fur die unnotigen Dinge verschwenden, die nutzlosen Dinge, den Abfall des Lebens. Schlimmer - urn diese Dinge zu produzieren, verbrauchen wir die Ressourcen der Erde, vergiften ihre Umwelt, verschandeln ihre Landschaften und verschmutzen ihre Stadte. Dies war nicht die schone neue Welt, die der Kapitalismus mit seiner Freiheit der Wahl auf den Weltmarkten versprach. Wir dachten einmal, daR wir alles haben konnten, daR Geld uns alles beschaffen und die Technologie es liefern konnte. Wenn wir keine Kinder wollten, dann erlaubte die Technologie uns die Freuden der Paarung, ohne daR wir Konsequenzen zu befurchten hatten, und wenn wir spater unsere Meinung anderten, konnte die Technologie auch das wieder zurechtrucken. Wir lernten, den Tod, und wenn schon nicht fUr ewig, so doch wenigstens fUr ein Jahrzehnt hinaus zuzogern, und die Gesellschaft sorgte dafiir, daiS die Alten den Jungen nicht im Weg standen, indem sie den Staat fUr ihr Wohl befinden verantwortlich machten. Der Staat kummerte sich in der Tat urn alles, was wir nicht selbst tun wollten. Das Deutsche Grundgesetz zahlt zum Beispiel 17 Grundrechte des einzelnen auf, aber keine einzige Pflicht, auRer manchmal Steuern zu zahlen. Kurz, unbegrenztes wirtschaftliches Wachstum stellte die erforderlichen Mittel fur all unsere Wiinsche bereit, und die Technologie kummerte sich irgendwie urn aIle moglichen unerwunschten Konsequenzen. Unser Traum war immer unrealistisch. Die rationale Politik zieht immer ungewollte Konsequenzen nach sich. Der verstandliche Versuch in China, die Anzahl der Kinder auf eins pro Familie zu beschranken, erzeugt eine Generation der Kinderherrscher - nur 8 EinfUhrung Sohne, verwohnt bis dorthinaus, die Tochter allzuoft abgetrieben. Die amerikanische Freiheit, dort zu leben, wo es einem gefcillt, und mit dem Partner seiner Wahl, resultiert in jenem riesigen Land in Ghettos der Reichen, Ghettos der Alten und unweigerlich auch Ghettos der Unterklasse. Die Gemeinschaft als Ideal verkehrt sich in eine selbstsuchtige Exklusivitat, die an die Stadtstaaten des mittelalterlichen Europa erinnert - groRartig fur diejenigen in ihrer Mitte, aber hart fur die AuRenstehenden, was der Grund dafUr ist, daR diejenigen, die zum inneren Kreis gehorten, hohe Mauern urn sich herum errichteten. Wenn wir uns schlieRlich vor Augen halten, welchen Preis unsere Extravaganzen in der Alten Welt haben, und die Dritte Welt bitten, die Dinge anders anzugehen, weil wir sonst un sere Atmosphare zerstoren, wollen diese - was nicht sehr verwunderlich ist - einige der Extravaganzen selbst genieRen, bevor sie die Opfer bringen, die wir von ihnen verlangen. Wir stecken in einer Klemme, die wir uns selbst ausgedacht haben, nicht willens zu akzeptieren, daR die Freiheit der Wahl nicht ohne weiteres rationiert werden kann. Wie schon ware es doch, denke ich manchmal, wenn ich in einem Touristenmob in Florenz oder Sevilla zerdruckt werde, wenn nur einige wenige Gluckliche (mich selbst naturlich eingeschlossen) die Mittel und Wahl hatten zu reisen. Freiheit der Wahl fur alle kann leicht Elend fUr die meisten schaffen. Unternehmen besitzen gegenuber dem Reiz falscher Versprechungen keine Immunitat. Fur jed en eine gut bezahlte Stelle, war eines dieser Versprechen. Das Ergebnis war, daR immer mehr Leute, insbeson dere Frauen, diese Stellen haben woHten. Aber Unternehmen mus sen auch effizient sein, und das bedeutete, das gleiche Ergebnis oder, wenn moglich, ein besseres mit weniger Leuten zu erwirtschaften. In den letzten 25 Jahren ist Europas Wirtschaft urn 70 Prozent gewachsen, aber es wurden nur zehn Prozent mehr Stellen geschaf fen, bei weitem nicht genug fur all diejenigen, die sie haben wollten. Je schneller wir wachsen, so scheint es, des to weniger Leute benotigen wir fur unsere Unternehmen. 9 EinfUhrung Unsere Mitarbeiter sind unsere Aktiva, verkunden genau diese Unternehmen und versprechen uns zugleich Gemeinschaft und Fursorge - eine japanische Tradition auf westliche Bedingungen abgestimmt. Aber Aktiva, so stel1te sich heraus, sind etwas, das man sowohl melken kann als auch nahren muR, und jene Gliicklichen, die eine dieser sauberen Stellen innerhalb des Unternehmens erg at tert hatten, stel1ten fest, daR sie immer harter und langer arbeiteten und die tradition ellen 100 000 Stunden eines Arbeitslebens in 30 statt 50 Jahre zwangten. Das ergibt 67 Stunden pro Woche, was wenig Zeit fur die Familie oder irgend etwas anderes ubriglaRt. Unternehmen werden zu Recht als die Instrumente der Wohlstands schaffung angesehen, ob dieser Wohlstand nun Geld, Gesundheit, Ausbildung oder irgendeine Art von Dienstleistung ist. Aber wir sehen jetzt klarer, daR die Individuen innerhalb dieser Organisatio nen zu ihren Instrumenten geworden sind, den Zielen der Organi sation untergeordnet, je nach Bedarf benutzt und/oder ausrangiert. Das war nicht die ursprungliche Absicht. Es war auch nicht geplant, daR die brillante Erfindung der beschrank ten Haftung dazu fuhren wurde, daR Leute Eigentumer von Unter nehmen sind, in die sie noch nie einen FuR gesetzt haben, ganz zu schweigen davon, daR sie mit der Belegschaft zusammengekommen waren oder je sich ihre Produkte und Strategien ausgedacht hatten. Unternehmen als Teile eines Besitzes, die von Spekulanten gekauft und verauRert werden, machen Geld zum MaR aller Dinge und verkurzen den zeitlichen Horizont aller Beteiligten. Viele andere Dinge haben wir so auch nicht gewollt. Es war nicht geplant, daR Frauen aus den neuen effizienten Unternehmen hinaus gedrangt werden sollten. Ein liberaleres Zeitalter wollte es genau andersherum, aber die 67 -Stun den-Woche bedeutet allzuoft eine Wahl zwischen Karriere und Kindern. Wir konnen nur hoffen, daR viele Frauen sich in Zukunft fur Kinder entscheiden werden, oder wir muss en einen besseren Weg finden, beides zu vereinen, denn die Geburtsrate in den meisten Wohlstandsgesellschaften ist heute weniger als 1,5 Kinder pro Frau. Zu viele Kinder sind vielleicht ein 10 EinfUhrung Problem in China, aber zu wenig Kinder ist kaum besser - eine Gesellschaft ergrauter Alterer mit immer weniger Berufstatigen, die fur ihre Rente arbeiten, und ohne Chance, daR die Technologie die Dinge innerhalb von 50 Jahren verandern kann. Wir werden aIle schlechter dran sein, als unsere Vater und Mutter es waren, ein Zustand, in dem sich viele Amerikaner mit Schrecken schon heute befinden. Es gibt auch gute Nachrichten Es steht he ute fest, daR Wirtschaftswachstum fur aIle und fur aIle Zeiten nicht in den Karten steht. Selbst wenn es so ware, so gabe es keine Garantie fur Zufriedenheit. In den letzten 20 Jahren ist die britische Wirtschaft urn 40 Prozent gewachsen, die deutsche urn 50 und die japanische urn 60 Prozent, aber dies heiRt keinesfalls, daR die Deutschen und die Japaner zufriedener sind. Umfragen zeigen tatsachlich das Gegenteil, wobei die Japaner beinahe jeden anderen urn seinen Lebensstil beneiden. Vielleicht werden wir bald aufhoren, der Schimare ewig andauernden wirtschaftlichen Wachs turns nach zujagen, und zu Adam Smiths Mahnung der Kultivierung als vorrangigem Ziel zuruckkehren. Wenn wir das tun, so wird dies mehr unter dem Zwang der U mstande als aus freier Wahl erfolgen, aber Ereignisse formen Werte genauso wie Werte Ereignisse formen, und die bevorstehenden Ereignisse werden uns aIle mit neuen Wahlen konfrontieren. In der Vergangenheit schien nahezu jeder zufrieden dam it, seine gesamte Arbeitszeit an das Unternehmen zu verkaufen, das innerhalb gewis ser Grenzen damit machen konnte, was es wollte. Unsere Wahl moglichkeiten bestanden im wesentlichen darin zu entscheiden, wie wir das Geld ausgaben, das man uns bezahlte, und wie wir die Zeit verbrachten, die man uns ubriglieK Es ist daher nicht uberraschend, daR unsere Werte von Geld dominiert waren und davon, was man durch Geld erhalten konnte. Je mehr Geld, desto mehr Wahlmog- EinfOhrung 11