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Nürnberger Blätter für Literatur #6 : »... dem Schatzkästlein...« PDF

14 Pages·1981·0.998 MB·German
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Preview Nürnberger Blätter für Literatur #6 : »... dem Schatzkästlein...«

Nürnberger Blätter für Literatur Heft 6 Privatdruck » ... dem Schatzkästlein,... « EIN PENDANT 1970 erschien unser gemeinsames Werk: Das »Nürnberger Bilderbuch«. In wechselseitiger Anregung waren Bil­ der und Texte entstanden, nachdem als Kem meine Gedichte vorlagen. Seither begleiten mich Michael Matthias Prechtls Bilder, als ein Stück lebendiges Nürnberg. Da seine Kunst widerspricht, also auch Widersprüche einschließt, wollte ich einmal ihrem Anziehenden und Ab­ stoßenden nachgehen. Gelegenheit dazu bot sich, als ich vom Herausgeber eines Ausstellungskataloges und vom Maler selbst aufgefordert wurde, einen »poetischen Text« beizusteuem. Die Gründe der dann erfolgten Ablehnung mag sich der Leser selbst zusammenreimen. Auf welche Weise sie er­ folgte, behalten wir für uns. Dem Werk eines Zeichners mit dem Wort begegnen: dem liegt nichts anderes zugrunde als die Freude an einer inneren Auseinandersetzung, um ein Stück Wahrheit zu finden, wenn uns Bilder stark anrühren. Dieser Text ist ein Pendant zu Bildern, die als gekannt vorausgesetzt werden. Im Oktober 81, G.S. Godehard Schramm KOPF MIT QUITTEN •• Uber ihrem Bett hatte Barbara das Bild freundes verfügte sie über Anmut, hinläng­ eines Nürnberger Malers. Es hieß »Him­ lich viel Geld und freie Zeit. Seine Lands­ melbett« und sein Reiz bestand allein darin, leute waren unzufriedener als die tedeschi, daß die beiden Kissen am Kopf des im Him­ doch forderten sie weniger. Ihr Improvisie­ melblau schwebenden Bettes zu Brüsten ge­ ren und ihre Liebenswürdigkeit verdeckten formt waren. Jedesmal, wenn er es sah, eine gewisse Leere, doch blieben sie ihrer schmunzelte er. Die Handelsbeziehungen Lebensart temperamentvoll treu. Reiche zwischen Oberitalien und Nürnberg waren Italiener waren für ihn anmutiger und wag­ bedeutend geworden, so daß Joso Noio sich halsiger als deutsche, ihr Hochmut unver- dem dringlichen Wunsch seines Vaters nicht krampfter. Die Förmlichkeit bei Besuchen hatte entziehen können, eine Familientradi­ in Deutschland verstimmte ihn. Er empfand tion fortführend, den neuen Posten eines sich als Repräsentant wahrgenommen, italienischen Generalkonsuls anzutreten in nicht als Person. Barbara blieb die Ausnah­ der alten Reichsstadt. Der vorwiegend re­ me. Terminkalender und Voranmeldungen präsentative Auftrag sollte ihm Zeit lassen, kannte er aus Italien nicht; anstelle scharfer sich mit dem Deutschen zu beschäftigen. Wachhunde schienen die Deutschen den Terminkalender als Zerberus vor ihren Joso Noio bezog ein respektables Haus im Häusern zu halten. Oft sehnte er sich nach Villenviertel von Erlenstegen. Als Jungge­ der Turbulenz von Empfängen in Mailand selle besuchte er Barbara gerne, die ihm mit Schönheiten und Kokettem. Hier be­ manchmal Frankenwein anbot in einem gegneten ihm gediegene Steifheit, berech­ dickbauchigen Krug, darauf das Nürnber­ nendes Schweigen, Verlangen vom ande­ ger Wappen mit der Inschrift »Stadt der ren, aber kein offenes Geben. Kritische An­ Reichsparteitage«. Jedesmal, wenn er es merkungen schienen als Beleidigungen und sah, schmunzelte er. Vor den Deutschen die ganze Person in Frage stellende Angriffe hatte er Respekt; seine Zuneigung näherte aufgefaßt zu werden. Nicht nur bei Handels­ sich keinesfalls einer Liebe. Barbara blieb empfängen gingen Gespräche nicht in die die Ausnahme. Als Gattin eines Geschäfts­ Tiefe; Anteilnahmslosigkeit fiel ihm auf, -3- wie bei Ausstellungen, wo Künstler ihre ge­ Malers vom Moritzberg. Auch die unauf­ genseitige Geringschätzung mit unglaubli­ hörlichen Umwandlungen des Lichts zu cher Kollegialität überspielten. In seiner Aquarellen sagten ihm zu — wie alles, was reichlich freien Zeit befaßte sich Joso Noio unerschöpflich über Farbenschätze verfüg­ mit der Kunst dieser Stadt und bald bezeich­ te. Dagegen murrte er über Eisengebilde nete er Barbara als Nachfolgerin der »schö­ und den Ulk, mit einem Stück Blech einen nen Nürnbergerin« von Carl Kreul; dabei Raum abzuteilen: »Mehr haben die Künst­ wußte er natürlich, daß solche Bilder heut­ ler wohl nicht zu sagen ?« zutage nicht mehr zustande kamen. Durch Als sie in Barbaras Lancia wegfuhren, Barbara erfuhr er von den überall ähnlichen sagte er: »Ich bin konservativer als du an­ Rüpeleien des lokalen Kulturlebens, und es nimmst ! Mit konstruktivistischen Abstrak­ schauderte ihn, wenn er miterlebte, wie tionen kannst du mir fortan gestohlen blei­ Künstler sich abhängig machten von Lob ben ! Ich vermisse pralle, lebendige Dinge und Tadel der Presse. Doch weder Akade­ — aber keine wilde, leichtfertige Schluderei. miepostenbesetzungen, die man als Münch­ Die Korkeiche hab ich gekauft, sogar ein ner Fremdherrschaft bezeichnete, noch lydisches Stilleben. Ein Lichtblick. Auch Machenschaften bei Preisvergaben interes­ die Aquarelli. Bene, aber niente Schmerz, sierten ihn. Er liebte den Reichtum des Ger­ niente Verblüffung ! Io cerco il Schmerz manischen Nationalmuseums. Er hörte vom nell’arte contemporánea !« städtischen Geiz und von der Furcht vieler »Nichts leichter als das !« sagte Barbara und Künstler, sich Maßstäben auszusetzen, die sie fuhren in ein kleines Dorf. Da sah er sie: in der Kunst nun einmal international sind. kohleschwarze Köpfe. Schwarz — diese Natürlich hielt sich jeder Künstler für den radikale Farbe: Verbrennungen, Verrußun­ verkanntesten Bedeutendsten, doch die gen, Leiden, dem Tod ins Auge zu schauen. wirklich bedeutenden Maler konnte er bald Er traute sich nicht gleich zu sagen: ehe an einer Hand abzählen. Einmal zeigte man bello ! Im Wagen sagte er: »Der pittore ihm das Telefonkabinenbild des Richard nero, der hat was zu sagen. Ma, sempre sol- Lindner, welches für annähernd 300 000 tanto il morte — lo non so !« Mark erworben worden sein sollte — doch Eines Tages fragte er Barbara, wer dieser nicht ausgestellt werden konnte wegen scharfe Ironiker sei, von dem er Plakate ge­ Platzmangels; im ehemaligen Künstlerhaus sehen hatte. Barbara machte ihn mit ihm be­ mußte ja die sogenannte Szene kommunal kannt, und da Noio dessen Namen nicht unterstützt werden, um dort neben endlo­ recht aussprechen konnte, nannte er ihn sen Debatten auch den Handel mit nicht kurzerhand pittore Prachto oder Pratto, verbalen Berauschungsmitteln gedeihen zu worin anerkennend ‘prächtig’ mitschwang. lassen. Unter dem Schutz eines Patrons »Dieser pittore Prachto hat esprit«, sagte fühlte sich dort eine Jugend wohl, deren Noio, »Witz, Humor. Sehr ungewöhnlich Aufgabe offenbar nur darin bestand, anzu­ für einen pittore tedesco !« klagen und Ansprüche zu stellen. Auch die rufmörderische Boshaftigkeit der Feuille­ An dieser Stelle muß gesagt werden, daß tons lernte er kennen. »Stör dich nicht an Joso Noio einen geheimen Wunsch hatte. diesen ewig Besserwisserischen!« hatte Bar­ Schon als Kind betrachtete er sich gerne in bara gesagt. »Auch eine Art von guerra civi- allerhand Posen im Spiegel, in kuriosen le«, erwiderte Joso Noio, der soviel Zerstö­ Aufzügen verkleidet, weil er ein anderer rungssucht von Deutschen nicht erwartet sein wollte als der, der er nun einmal sein hatte. Als sie Grotesken anschauten, darun­ mußte — doch schielte er nach künftigen ter Nürnberg mit einer Zitrone, welche den Veränderungsmöglichkeiten. Unbedingt Deutschen offenbar als Symbol des Saueren wollte er sich einmal porträtieren lassen, gilt, sagte er: »Que comico, ist das nicht der­ doch zögerte er. In der Malerei schätzte er selbe, der dein Bett...« Da machte Barbara vor allem das Porträt. Das hinreißende Bild­ »pst«, und er nannte fortan auch keine nis des Michael Wolgemut berührte ihn je­ Namen mehr, wenn sie Bilder angeschaut desmal: er brauchte vom Porträtierten hatten. Ein junger surrealistischer Zeichner nichts zu wissen, das Bild verriet alles. Dies gefiel ihm ebenso wie das warm Farbene, Bild entschädigte ihn für manche Unhöf­ geradezu Lebenserheiternde eines alten lichkeit der Stadt: wie er einmal einen gan­ -4- zen Abend lang dem obersten Verwaltungs­ bildbarkeit von Dingen und Gesichtern ? direktor der Stadt gegenübergesessen hatte, Zugleich wuchs seine Bewunderung für die­ und dieser ihn kein einziges Mal nach ihm sen eigensinnigen Stil. Aber was war hinter gefragt, geschweige denn das Wort Kunst in dem Stil ? Er sah ein Bild von Rilke — häß­ den Mund genommen hatte. Da verstand lich, mit biografischen Details, der Dichter er, daß das Wort Kulturladen nur in Nürn­ blind. »Wissen Sie«, sagte der Maler, »das berg erfunden werden konnte: »es sind halt ist der blinde Seher, der alles sieht — Homer Krämerseelen«. Die schwatzhafte Einfach­ natürlich.« Der Maler holte seine Prager Se­ heit seiner Landsleute empfand er an­ rie; eines der Kafka-Bilder hieß: »Kafka ar- spruchsvoller. Je mehr er alte Porträts cimboldesk«. Was für teuflische Bezie­ schätzte, desto mehr fürchtete er, daß mit hungsanspielungen trieb der Maler ? Ar­ derselben Intensität heute nicht mehr ge­ rangierte er nicht mit intellektueller Geris­ malt würde. Er befürchtete zudem, wenn er senheit Kenntnisse und spitzte sie zu ? War einmal gemalt wäre, bliebe er in einem Zu­ Arcimboldo der Schlüssel zu dieser Kunst ? stande festgenagelt, von dem er wußte, daß Noio war frappiert vom Ineinander vielfälti­ er nur ein vorübergehender sein konnte. ger Anspielungen und Unverfrorenheiten. Barbara widersprach entschieden: worauf »Ringelnatz am Bottnischen Meerbusen« — er denn warte ? Ob er mit 50 begabter sei als und es war ein leibhaftiger Busen, echter als mit 14 ? Ob er neben sich herlaufen könne über Barbaras Bett. um zuzuschauen, wie er sich entwickle ? Noio sah Señor Franco den Lorca liquidie­ Gerade bei Italienern habe sie immer be­ ren. Die abgekonterfeiten Gesichter kamen wundert, daß sie stets sie selbst seien. »Das ihm wie Karikaturen vor. »Es sind keine schon«, warf er ein, »aber ich bin noch nicht Menschen«, flüsterte er einmal Barbara zu. so frei, wie ich sein möchte !« Ob er sich für seine derzeitige Haltung geniere, fragte Neben Pinseln, Bleistiften, Katalogen sah Barbara. »Das nicht, aber ich bin noch nicht er sehr viele Biografien. War es am Ende so, der, der ich einmal sein möchte.« Wo denn daß dieser Maler nicht porträtierte, sondern sein italienischer Leichtsinn bliebe, fuhr sich mit einem landläufig bekannten Abbild Barbara stichelnd fort. als Grundlage begnügte, um es ironisch zu Dann besuchten sie den pittore Prachto, transformieren, anzureichern ? »Es kommt mir bedenklich vor«, flüsterte er zu Bar­ dessen Dichterherbarium sie kürzlich bara, »daß er jeden abbilden kann: den schmunzelnd betrachtet hatten. Papst, Luther, Napoleon mit Hitlerlocke; Im Haus des Malers roch es nicht nach Far­ lauter Leute, die er leibhaftig ja nie gesehen be; keine Spur von Unordnung. »Was wol­ haben konnte. Sie stimmen und stimmen len Sie sehen ?« fragte der Maler. »Frühe aber auch nicht.« — »Aber getroffen in dop­ Arbeiten und Porträts!« Der Maler brachte peltem Sinne sind sie schon«, sagte Barbara, eine Arbeit aus dem Jahr 1940: »Tote Hum­ »sag’s ihm doch selber !« Noio wandte sich mel«. Noio war von der Genauigkeit ver­ an den wieder hereingekommenen Maler: blüfft. Der Maler schwieg. Stille Wasser »Sagen Sie, Signore Prachto, gehen Sie nie­ gründen tief, dachte Noio, dem Barbara mals hinaus in die Welt, ins Fremde ? Sie die hinterlistige Doppelsinnigkeit deutscher verstehen, was ich meine ?« Der Maler, kei­ Wörter beibrachte. Sie hatte ihm unlängst neswegs verblüfft, gab zu bedenken, daß er einen Katalog aus dem Jahr 1964 gezeigt während seiner Gastarbeiterschaft — und er und angesichts eines Selbstbildnisses gesagt: betonte das Wort genüßlich stichelnd für »Da hört man das Apfelkrachende seines Noios italienische Konsulohren —, daß er Blicks, als bisse der Maler mit den Augen in während seiner Gastarbeiterschaft im Lan­ die Welt. Schau dir seine Augen an ! Glü­ de des Herrn Stalin genügend Welt gesehen hende, stechende Kugeln, glühenden Koh­ habe; auch sei er durchaus an der Loire und len vergleichbar, die man zornig Störenfrie­ in den Niederlanden gewesen. Dann deute­ den aus dem Fenster auf den Kopf werfen te er auf seinen kleinen Garten und sagte: kann.« Noio schaute. Etwas verwirrte ihn. »Da !« Anschließend legte er dem Besuch War es, daß er in jedem Bild sofort etwas er­ ein Bild mit Früchten vor, die dieser nicht kannte, das ihm bekannt vorkam ? Störte kannte. Sie kamen ihm wie hartschalige Bir­ ihn das offen gezeigte Vertrauen in die Ab­ nen vor. »Quitten !« sagte der Maler. -5- »Kwitten ?« Noio schaute in seinem Seine Heiterkeit kippte um, als er sich Taschenwörterbuch nach: »Ah, cotogna. fragte, wo des Malers selbst erfundene Ge­ Giallo cotogna — quittengelb.« — »Woher genstände sind. Reagierte er nicht immerzu kenne ich diese Farbe ?« fragte er Barbara. auf vorhandene, vorgegebene Welten ? No­ »Die Schnecke !«, sagte sie - und er erin­ io erschrak vor der Grausamkeit der zeich­ nerte sich an eine Figur in einer Schnecke, nerischen Perfektion. Noio war unschlüssig. das Bein heraußen, oben aus der Spindel ein Zeichnen konnte dieser Mann wie kein an­ Arm herausgreifend, doch ohne Kopf; der derer, aber vermochte er, über den assoziie­ Leib im Inneren der Schnecke. Waren die renden Witz hinaus, einen Menschen zu Schneckenwindungen nicht quittengelb ? rühren ? »Tja, diese drei Kwitten ...«, sagte Noio. »Es ist nur eine !«, fiel ihm der Maler ins Der Maler schien die Verfinsterung seines Wort: »Erst wie sie am Ast hängt; dann ab­ Besuchs zu bemerken. »Als wir neulich in gefallen, schon leicht eingetrocknet, die der auf mich sehr temperamentvoll wirken­ Haut zurriger; und dann die schon braun­ den Ausstellung einer Klasse von einem faulige Frucht, später.« Das gefiel Noio Akademieprofessor waren«, sagte Noio zu sehr. Er brauchte keine Begründung für die­ dem Maler, »hatte ich das Gefühl, daß trotz se Wahl: In diesen turbulenten Zeiten Quit­ vieler Zuschauer den deutschen Künstlern ten vom letzten Jahr zu zeichnen, das war das Volk fehlt.« — »Jeder Künstler«, sagte kühn, und gekonnt. Auch faule Äpfel hatte der Maler darauf kurz und scharf, »mutet an der Maler als Aquarell. Schließlich Oran­ wie im falschen Jahrhundert. Das Volk ist gen, schon angeschimmelt. Wo andere mit anderem beschäftigt. Man kann als Maler ein bißchen Farbe hintupften oder Künstler von Glück reden, wenn ein Arzt Flächen nur monochrom bemalten: Ha, da Bilder als Bezahlung annimmt und nicht ei­ waren ihm verschimmelte Orangen lieber, nen Dali, der ohnehin niemandem wehtut.« die ihn an Stilleben erinnerten - »Alte Mei­ Sogleich unterbrach ihn seine Frau: »Das ster«, sagte er leise zu Barbara, »na, siehst Volk schert sich immer einen Teufel um die du, das ist Nürnberg !« Aber nichts Mondä­ Nöte der Kunst, dem genügt das Wohlgefäl­ nes, dachte er bei sich, dafür Stilleben, wie lige. Nach vierhundert Jahren ist ja auch der Omas Birnen. Warum eigentlich nichts Dürer wohlgefällig geworden.« Noio nick­ Mondänes ? Und er wagte einen Blick zu te. Ihm war, als vermisse er das Skandalöse. des Meisters Frau, die er sich in einem sehr Dabei erinnerte er sich, in einer Zeitschrift koketten Kostüm sofort vorstellen konnte. eine köstliche Persiflage auf Dürers »Ritter, Nun eben: Stilleben. Und sein Blick blieb an Tod und Teufel« gesehen zu haben. Da hat­ zwei Äpfeln hängen. Zu einem hatte der te der pittore Prachto den leibhaftigen An­ Maler hingeschrieben: »Diesen Apfel aß ich archisten Teufel hingezeichnet, auf dem am Ostersonntag 1978. Er schmeckte gut.« Dürergaul ritt der Kanzler Kiesinger mit Noio schmunzelte. Wo alle Welt lamentier­ Berliner Polizeitschako, und die Dame te, beliebte pittore Prachto pralle, geradezu Klarsfeld hielt ihm die PG-Nummer hin. lebenssüchtige Gegenstände zu zeichnen. Noio griff die Erinnerung an dieses Bild auf, Äpfel, Quitten, das waren Aufschlüsse. Mit fragte, ob es nicht allzu leicht sei, gegen einer solchen Wollust gemalt, als wolle der Neo- oder Immernoch-Nazis zu polemisie­ Maler an jedweden Gegenstand seine Kunst ren. »In meinem Vaterland gibt es dieselben erproben: zeichnen zu können. Wollust — Kreaturen, austauschbar wie Forlani, An- lüstern, dachte Noio, — schwang da nicht dreotti und all die Chargen aus den Partei­ das Wort illustrieren mit ? Waren die Figu­ apparaten. Lohnt sich’s, mit Gebrauchsgra­ ren nicht eine illustre Gesellschaft ? Was fik gegen Leute zu polemisieren, die zu sah der Maler in den Figuren ? Da mußte er nichts anderem aufrufen, als zum unver­ hell auflachen: »Mondrians Versuch, Cour­ drossenen Verbrauch dieser Welt ? Ist das bet in die Ecke zu drängen.« — »Grandios, ein Thema ?« Der Maler trat zur Seite: »Es wie dieser deutsche Maler für Courbet war einmal ein wichtiges Thema, aber als Partei ergreift«, sagte er zu Barbara, »grad Ausländer wird man die Zusammenhänge gegen jene Künstler, die unsere Welt zu ge­ nicht so verstehen.« Des Malers Frau brach­ raden Strichen und Elend reduzieren. Du te Tee. Noio fand sich ab, nicht rauchen zu weißt, wie mich das anödet !« dürfen. -6- Nun erst nahm er ein großes Bild wahr: Ein 60er Jahren, da war’s ja fast ein Verbre­ äußerst distinguierter Herr in blauem An­ chen, wenn ich eine literarische Anspielung zug saß auf einem vornehmen Stuhl. Der in ein Bild hineinbrachte. Das war dann Boden von feinsten Teppichen bedeckt. gleich antidemokratisch, nicht völkisch, Drei reinrassige Hunde umspielten den verständlich genug. Sie verstehen ?« Mann, der offenbar eine Kubin-Sammlung Noio nickte: »Kulturrevolution ! Das kenne besaß. Die hineingezeichnete Fotografie ich aus Italia. Jeder soll zu jeder Zeit alles desselben Mannes, aus jungen Jahren, soll­ verstehn und überall mitreden können, oh­ te an einen Kavallerie-Offizier mit fortune ne eigene Anstrengung. Aber, Signore Prat- erinnern. So hatte er die Mehrschichtigkeit to: seit wann läßt sich ein Künstler von den der Kunst des pittore Prachto noch nicht ge­ Umständen beeinflussen ?« sehen. »Sehen Sie«, warf da unvermittelt des Malers Frau ein, »deswegen geht mein »Stellen Sie sich vor«, sagte dieser mit Mann zu all den Sachen erst gar nicht hin. einemmal, »die Familie war überhaupt nicht Die meisten Leute legen es ihm übel aus, mit dem Porträt zufrieden. Allein, daß ich weil er nirgendwo hingeht und stur daheim den Grafen im einfachen blauen Anzug ge­ arbeitet.« Da huschte ein Lächeln über Bar­ malt hatte, verdroß sie. Dann hatte ich ihn baras Gesicht. in Hausschuhen gemalt, weil er ja solche an­ hatte, als ich zum Malen kam. Tagsdrauf Der Maler stellte ein weiteres Bild kam eigens der Fahrer im Rolls Royce und Kestens auf: »Philemon und Baucis zu Be­ brachte die englischen Maßschuhe, die ich such !« Noio war auch davon angerührt und ihm auf dem Bild noch verpassen sollte.« er dachte: wenn man sich porträtieren läßt, ganz alt, mit der Summe seines Lebens, Das begann Noio zu gefallen: ein Porträ­ dann erst dürfte man es zulassen. Ihm er­ tierter, der sich erkannt fühlt und sich dar­ schienen nun des Malers Bilder in einem an­ um nicht gefällt. »War’s Goya nicht genauso deren Licht; zu Barbara gewandt, sagte er: ergangen ?« - »Darüber habe ich schon oft »Will er mit dem Hineingefügten an biogra­ nachgedacht«, sagte der Maler. »Ich fischen Details unser Gedächtnis wachhal­ sage darum auch nicht der Porträtierte, son­ ten und so reicher machen ?« — »Viel­ dern der Gezeichnete. Verstehen Sie den leicht !« erwiderte sie und berührte Noios doppelten Sinn ? Der Gezeichnete, der von Hand. jemand und dann vor allem von etwas ge­ Als sie die vielfachen Studien zum Porträt zeichnet ist !« eines früheren Gemäldegaleriedirektors be­ Von dem Grafenbild halb verdeckt sah trachteten, sagte er: »Spielen da nicht zwei Noio ein weiteres Personenbild. »Ist das Absichten ineinander ? Die körperliche nicht der poeta europeo aus Rom mit seiner Charakterisierung und di? Landschaft des Frau ?« Der Maler nickte: »Ja, das ist Her­ Gesichts ?« Der Maler sagte nichts. Noio mann Kesten und seine Frau«. — »Die ken­ gefielen die häßlich großen Ohren, rotge­ ne ich aus Rom«, sagte Noio erfreut. »Er ist rändert, als wären es Schweinsohren. Vor aus Nürnberg !«, sagte der Maler, wie um dem sehr alten Runzelgesicht fühlte er, wie etwas zurechtzurücken. »Gibt es solche man im Älterwerden die Lust auf ganz junge Dichter noch in Ihrer Stadt ?« Der Maler Körper verliert, weil einem das zwar Schö­ schüttelte bedenklich seinen Kopf: »Wissen ne, aber noch nicht Ausgeprägte nicht mehr Sie, eine Jahrzehnte lang sozialdemokra­ genügt. Zugleich zog er Barbara fester an tisch regierte Stadt — das färbt auf sich. »Schön ist das Gesicht nicht, aber in alles ab: Man wird im Kopfe immer sparsa­ hohem Maße aufrichtig getroffen !« — »Na­ mer; Industriekultur von A bis Z, als wär’s türlich war auch dieser Kunde mit seinem das A und O; und Poesie, naja, wenn sie ple­ Bild nicht zufrieden«, sagte der Maler, der bejisch-rüpelhaft ist, von knurrenden Bäu­ in das Bild verschiedene Stadien des Porträ­ chen singt, dann ja. Reichtum des Geistes, tierens hineingearbeitet hatte: Handskiz­ das klingt hier gleich elitär. Aber das ist zen, Haltungsproben, Finger auf Vergröße­ nicht nur hier so. Was meinen Sie, wie lang rungsrastern — und es schließlich nannte: es dauert, bis die Stadt zu so einem Bild ei­ »Dr. S. wird gemalt.« Durch dieses Darstel­ nen Auftrag gibt ! Und in den 50er oder len eines Prozesses schien Noio mehr Wahr­ -7- haftigkeit ins Bild gekommen zu sein, und er derholung anders einzuschätzen als ich.« wollte sich einen Ruck geben, um den Maler Ohne gekränkt zu sein — nur Barbara war zu fragen, ob er ihn nicht male — da fiel sein sehr blaß geworden —, zeigte der Maler nun Blick auf fränkische Krautsköpfe und zwei ein Selbstporträt: den Michel als April­ radfahrende Damen in dem schon prähisto­ ochsen, dazu einen Stierkämpfer. Noio rischen Industriekulturlook. Ein Plakat. schmunzelte über die Anspielungen. Der Noio spürte mit einem Male das gewitter- Maler kam nochmals auf Dürer zu spre­ chen: »Seine Maxime gilt auch für mich: In­ hafte Heraufziehen einer Boshaftigkeit. Zu­ wendig voller Figur ! Innendrin muß es dem sah er den sattsam bekannten Ricardo sein.« — »Und warum«, setzte Noio nach, Wagner auf der Glatze eines Nürnberger ohne auf Barbaras Händedruck zu reagie­ Schusters hocken, auch die überall gegen­ ren, »warum verwenden Sie diese stereoty­ wärtigen Daumenabdrücke erbosten ihn auf pen Daumenabdrücke ? Sie muten mich wie einmal, so daß er gradheraus sagte: »Signo­ ein allzu leichterkennbares Markenzeichen re Pratto, Sie sind ein fulminanter Zeichner, an.« — »Es ist der Handballen, Herr Noio«, aber man merkt auch, daß Ihnen manches sagte der Maler dezidiert, »und den verwen­ mechanisch leicht von der Hand geht und de ich für die Hautpartien. Wissen Sie, das immer auf dieselbe Weise. Ich erwarte von gibt so ein natürliches Raster, sozusagen jedem Blatt eines Künstlers einen Schritt etwas Naturreines. Durchaus verwende ich weiter. Und diese Krautsköpfe und diese es im Sinne der Surrealisten, die Partien von Damen da, was wollen Sie damit ? Wollen Bildern, die man einfach mit Farbe gestal­ Sie damit, verzeihen Sie meine Grobheit, ten muß, sozusagen automatisch herstellen nicht zeigen, daß Sie noch beim geringsten wollten.« Auftrag nicht vom Trapez Ihrer Hand­ werksmeisterschaft herabfallen ? Es muß Das leuchtete Noio ein. Der Maler setzte doch in jedem Bild weitergehen, ins Neue, hinzu: »Im übrigen gilt für mich eine Maxi­ man darf sich nicht wiederholen 1 Wieder­ me Lichtenbergs: Wer oft dasselbe tut, holen langweilt ! Ist die Illustration nicht ei­ kommt darin weiter, aber nicht der, der sich ne große Gefahr für Sie ?« vornimmt, Dinge zu tun, die von seinen ge­ genwärtigen Verrichtungen verschieden Eine Weile brodelte Stille. sind.« Das alles gefiel Noio, dennoch ver­ »Nun«, erwiderte der Maler, »es ist jeden­ mißte er die existentielle Erschütterung. falls anständig gemalt. Ich will mich nicht »Sie sind ein apperzipierender Maler«,sagte unziemlich in Beziehung zu Dürer setzen — Noio stockend. »Apperzipieren, naja«, er­ ich sage ja immer wieder: hab Dürer im widerte der Maler, »ich arrangiere halt sehr Herzen, und das ist ein Imperativ; so hoch­ Verschiedenartiges, doch dieses ist in sich mütig wie Sie vielleicht bin ich nicht, daß es niemals verfremdet, es wirkt nur durch sei­ ein besitzanzeigendes Wort wäre — also ne Eigenart. Darum bin ich eben auch der Dürer hat ja auch Gebrauchsgegenstände am meisten geschätzte Buch-Illustrator der geschaffen, Kirchenbücher illustriert. Eine Gegenwart.« gleichbleibende Genialität ist ohnedies eine Wieder verblüffte Noio, daß der Maler alles Fiktion von Leuten, die von Kunst immer erklären konnte. Sollte er sich diesem Maler erwarten, was sie selber wünschen.« In den anvertrauen ? Würde er ihn beim Porträtie­ Schluß des Satzes mischte sich des Malers ren nach dem Geheimsten fragen? Würde Frau ein: »Es gibt ja auch net alle Tag Gäns- der Maler erkennen, daß er selbst jenen braten !« — »Neinnein«, fuhr der Maler Hochmut überwunden hatte, der auf Ände­ fort, »es gibt da gar keine Einschränkung ! rung der Welt abzielte — daß er selbst nur Man muß als Maler alles machen können. noch auf den einzelnen setzte ? Zögernd Für wen’s gemacht wird, spielt keine Rolle; wandte er sich Schubkästen zu, wollte ein nur gut muß es sein, und hernach darf man Blatt anfassen mit der Nürnberger Burg und sich dafür nicht schämen. Was für mich einem hesperidisch-üppigen Garten: da zählt, ist, ob ich einen Gedanken bildlich sprang ihm die weiße Katze Zerberina fau­ nahe gebracht habe. Natürlich gibt’s da chend auf die Hand. Die Scharfäugige be­ Anspielungen. Darf man denn nicht voraus­ wachte des Malers Arbeit; er selbst schien setzen, daß ein Betrachter was weiß ? nichts herausrücken zu wollen, obgleich Außerdem scheinen Sie die Kraft der Wie­ Noio gerne eine Zeichnung gekauft hätte. -8- Er schaute Barbara an, dann gab er sich nen, wieder. Das eine schenkte er Barbara. einen Ruck: »Maestro, wann kann ich kom­ Sie erschrak. Dann sagte sie: »Wenn man men, damit Sie mich malen ?« Der Maler deinen Namen ins Deutsche übersetzte — schaute auf seinen Kalender an der Wand, was wäre das für ein schönes Bild !« — nahm einen Stift und sagte mit der trocke­ »Ach, weißt du«, entgegnete Noio, der sich nen Einfärbung seines Dialekts: »Am ersten nur wehmütig von der Stadt trennen konn­ Dienstag im nächsten Monat, 14 Uhr 30. Da te, »eines habe ich jetzt begriffen: eine Dar­ ist das Licht am besten.« stellung ist immer eine Entstellung, das muß Bevor sie sich verabschiedeten, kaufte man wissen, wenn man sich der Kunst aus­ liefert.« Und Barbara fügte hinzu: »Wie an­ Noio der Frau des Malers ein entzückendes ders dagegen ist Dürers Wohlgemut in sei­ Blumenaquarell ab, das er Barbara schen­ nem Innersten überrascht !« ken wollte. Draußen sagte er zu ihr: »Was hältst du von Erst nach seiner Abreise sah Barbara die meinem Entschluß ?« — »Ich laß mich über­ Arbeit des pittore Prachto, die ungefähr so raschen !« — »Ich mich auch ! Seine Bilder aussah: sind Illustrationen, Bebilderung der Welt; Da trat eine elegante Figur zu einer Tür her­ herrliche Typen, aber nur selten ein ein. Arcimboldesk schaute aus einer Jacken­ Mensch.« tasche eine Flasche Olivenöl »Olio Dante«, »Sei nicht zu ungerecht, mein Lieber«, erwi­ ebenso die »Divina Commedia«. Die derte Barbara, »das ist eben seine Welt; ver­ Rückenmaserung der Jacke war ein gläser­ lange nicht, was einer nicht geben kann ! Du nes Röhrensystem, durch das der deutsch­ warst überhaupt sehr befangen ihm gegen­ italienische Handel floß, goldsackglänzend. über, als wolltest du den Maler beurteilen Vor der Tür hüpften Ratten, die mit MPis und nicht seine Arbeit !« — »So, findest und Handgranaten spielten; unverkennbar du,« sagte Noio verstimmt. die »Brigate rosse«, mit denen Noio früher sympatisiert hatte. Diese besserwisseri­ Bevor Noio zu dem vereinbarten Termin schen Menschenkarikaturen buchstabierten kam, stieß er auf einen anderen, jüngeren mit Salven das Wort »Eurocommunismo« Maler. Dieser lebte im Vergleich zu Pratto auf Wände und Menschenrücken. Die her­ in den allerbescheidensten Verhältnissen, eintretende Figur war ohne Kopf - diesen doch roch es bei ihm geradezu nach Bildern. reichte sie auf einer Schüssel weit ins Atelier Eine Fülle von Ölbildern stand in dem herein. Noios Kopf auf Barbaras Haaren; engen Atelier. Diesmal nahm er Barbara als böte er verstohlen nur seinen Kopf zum nicht mit. Porträtieren an, während die andere Hand, Eines Tages sagte er zu ihr: »Wenn mich angefault von italienischem Unrat, sehn­ auch sein fortwährendes Schimpfen auf die süchtig nach Prattos deutschen Quitten grei­ Nürnberger Ungerechtigkeiten genervt hat, fen wollte.An einem Bein schleppte der so rühren mich seine Bilder doch am mei­ Mann eine Gefangenenkugel nach sich, dar­ sten an. Porträts, weißt du, ohne die Zuta­ auf die Silhouette der Nürnberger Altstadt, ten des Geistes, des Intellekts; Figuren, die ein kleines Kind dabei. Diese Kugel war durch ihre Existenz betroffen machen. glühend heiß und hatte ihren Abdruck als Schlichte, ergreifend menschliche Bilder; es Brandmarkung am Unterschenkel hinter­ ist mir, als ließe dieser Maler jeden in seiner lassen, so daß man erkennen konnte: hier Art gelten. Ein junges griechisches Mäd­ stand jemand in zwei Welten. Der abge­ chen gefiel mir besonders, aber auch Behin­ schlagene, zum Porträtieren hereingereich­ derte. Gewiß, man darf die beiden nicht te Kopf schaute in eine Ecke des Ateliers, miteinander vergleichen...« — »Wie heißt wo er mit Entsetzen jenes andere Porträt denn deine Entdeckung ?« fragte Barbara. wie einen Spiegel sah — worin sich Noio ja »Hm, ja, mir fällt der Name nicht ein; no als Entstellten wiedergefunden hatte, doubt, es war ein englisch klingender...« zusammengedrückt zu einem einzigen Zug Noio kam inzwischen zu den Sitzungen, bei seines Wesens. Doch in der Mitte des Rau­ denen wenig gesprochen wurde. Kurz bevor mes stand groß und grün aufgestellt das Ge­ seine Amtszeit zuende ging, waren beide dichtbuch jenes Hermann Kesten mit dem Bilder fertig. In beiden erkannte er nur Titel: Züge von sich, zu seinem eigenen Erstau­ »Ich bin der ich bin.« -9-

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