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Nürnberger Blätter für Literatur #3 PDF

129 Pages·1977·6.187 MB·German
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Nürnberger Blätter für Literatur 3 OCCULTUM NIHIL Nürnberger Blätter für Literatur Heft 3 Begründet und Herausgegeben von Gerhard Wagner Verlag Medien und Kultur Nürnberg 1977 Vorbemerkung Auch mit diesem vorliegenden dritten Band verfolgt der Herausgeber die Absicht, in Franken beheimatete Schriftsteller in den über­ regionalen literarischen Rahmen zu stellen, der ihnen gemäß ist. Vom ersten Heft an wurde versucht, das Niveau der Beiträge zu steigern; inzwischen ist eine Ebene erreicht, die für weitere Hefte ausschlaggebend sein soll. War es bis zu diesem Heft die Absicht des Herausgebers, einen allgemeinen literarischen Anspruch anzudeuten, wird es ihm künftig darum gehen, unter Beibehaltung dieses Anspruchs, „Themenhefte“ herauszugeben. Von einer „Fränkischen Literatur“ zu sprechen, ist nicht möglich, da die wenigen ernsthaft arbeitenden, in der Region ansässigen Autoren zu wenige Gemeinsamkeiten haben, sowohl in ihrer Ausdrucksweise, als auch in ihren Inhalten. Wenn der Herausgeber auch künftig fränkische Autoren auf ihre Mitarbeit ansprechen wird, so ist es dennoch nicht ausgeschlossen, daß die Bezeichnung „Nürnberger Blätter“ mehr und mehr zum Hinweis auf die Herkunft wird. November 77 Gerhard Wagner 5 NEBEN DEN ZWIEBELN GEDICHT AUS DER „KRAUT UND RÜBEN“ MAPPA, ABGESCHMECKT FÜR DEN „BUTT“ Günter Grass Ein Griff Rüben. Möhrenfinger. Karotte. Köchin (Agnes) deren eine, rührende Hand, wo sie faßt, Wurzeln treibt. Nicht Knöchlein - Opitz! - und Allegorie. Auch nicht die hellgehungerten Chöre des frommen Schütz, wenn sie das teure sündige Fleisch beklagen, während die Pest Fleisch billig macht. Im Jammertal, gleich neben den Zwiebeln, aus fetter Erde Mohrrüben klauben. Den Rest für die Suppe und Lauras Pferd. 7 NORIKA 2“ Ein Kapitel aus dem noch nicht abgeschlossenen Buch Erstdruck und Vorabdruck Friedrich Hagen Durchs Tor der Schneeballschlacht geht es hinein in die Stadt. Da sind die Kirchen, die Klarakirche, die Marthakirche, Sankt Lorenz. Die katholische, die reformierte, die lutherische. Die Häuser des christlichen Gottes. Dorthin stürmen wir Kinder, aus dem Peunthof rennen wir mit frenetischem Gebrüll in die Kirchen, um die Glocken zu läuten. Wir haben wieder unwiderstehlich gesiegt. Der Pedell meldet es von Klasse zu Klasse. Seine Feldwebelstimme unterm Kaiserwilhelm- schnurrbart verkündet: „Ich und der Rektor haben beschlossen...“ Es gibt einen schulfreien Tag, aus den Fenstern entrollen sich die Fahnen, die Kirchenglocken dröhnen über Dächern und Türmen. Wir ziehen an den Strängen, ich lasse einmal nicht rechtzeitig los und fahre him­ melwärts gleich einem Siegesengel. Wir brüllen vor Lachen und wissen nicht weshalb. Wir schreien Laute ohne Sinn. Wir grölen Gloria Gloria Viktoria. Mein Klassenkamerad Steiner (eine Bank schräg hinter mir) lehnt verdrossen an der Wand. „Was hast du? Wir haben gesiegt.“ Er hebt die Schultern: „Alles recht, wenn nur mein Vater nicht dabei ist.“ Wir begreifen nicht. Warum soll dein Vater nicht dabei sein, ein Sieger, ein Held. Wie ist das vor sich gegangen, schau einmal zurück. Im Herbst 1913 kommen Onkel und Tante aus Windhuk. Man feiert wieder einmal Krieg und Sieg. Die Völkerschlacht von Leipzig. Das Geschichtsbuch und der Professor rühmen Sieg mit volltönenden Worten. Erst viel später werde ich dahinterkommen, daß es da nichts zu feiern gab. Es war der Sieg der finstersten Reaktion. Damals, mein Junge, be­ geisterten dich Fackelzüge und Hunderte von Sängerkehlen im Luitpoldhain und ein Marathonlauf von der Walhalla nach Leipzig. Der Onkel aus Südwest schüttelt den Kopf: „Merkt ihr denn nichts? Spätestens im nächsten Jahr ist Krieg.“ Man lacht ihn aus. Ein Jahr danach ist es soweit. Nun, Junge, du bist elf Jahre alt. Für dich ist Krieg: Uniform und Säbelschwingen, Reiten durchs eroberte Land und nichts wie Sieg und umjubelte Heimkehr der Helden. Du läufst durch die Stadt, zum Bahnhof, zu den Kasernen, zur Deutsch- herrnwiese, wo die Einberufenen antreten, noch in Zivil, manche mit dem flachen Sommerstrohhut und alle mit der sorglich verschnürten Pappschachtel. Du schreibst auf, was du siehst, du führst dein erstes Tagebuch, versiehst es mit unbeholfenen Zeichnungen: die Eingezo­ genen, die ersten Verwundeten, die Volksküche am Stemtor. Die Blumensträuße im Gewehrlauf. Die mit Birkenreisern geschmückten Züge. Die Kreideschrift auf den Coupdtüren und den Viehwagen: 8 „Nach Paris! Nach Paris!“ Winkende Hände. Weinende Frauen. Du fragst den Vater: „Warum weinen sie?“ Er sagt: „Viele werden nicht mehr heimkommen.“ Es wird Stoff gesammelt und Plüsch, alte Filzhüte und Frauenhaar. Aus allen Fenstern wehen Fahnen. Man singt: „Nun danket alle Gott!“ Unsre Helden! Das Feld der Ehre! Siegreich woll'n wir Frankreich schlagen! Gott mit uns! Man reißt sich um die Extrablätter. Und mitten im Taumel hörst du im Vorübergehen ein Wort aus einem fremden Mund: „Hast du gelesen? So viele Tote. . .“ Gott mit uns! Du vernimmst es, mein Junge, du liest es auf den Gürtelschlössern: Gott mit uns. Über diese Behauptung denkst du nicht nach, bestimmt nicht, mein Junge. Immerhin könnte es sein, daß du der Beteuerung nur ausweichst. Es gibt Worte, die sind wie winzige Dornen, die man rasch herauszieht und zu vergessen glaubt. Das haben dich demütigende und kränkende Worte schon gelehrt, auch die Lügen der anderen und deine eigenen, ist's nicht so? Warte nur Junge, es wird nicht lange dauern, da wird das Verhaltene, das Verstoßene bewußt werden wollen. Einstweilen ist's ein Wirrwarr von hunderterlei Eindrücken, die wegspülen, was sich festhaken will. Es wird weiter­ gesiegt, geläutet, geflaggt. Im „Goldenen Adler“ häufen sich die Liebesgaben. Den Stadtgraben entlang stehen die Schulen Spalier für König und Kaiser. „Tosend klang das Hoch vom Bahnhof zur Kaiser­ burg“. Mutter liest's aus der Zeitung vor. Der Vater verzieht den Mund. Der Junge fragt: „Warum bist du nicht Soldat?“ Der Vater antwortet nicht. „Bist du denn niemals Soldat gewesen?“ fragt der Junge. Der Vater antwortet mit einem barschen „Nein!“ Die Schwester, kaum ein Jahr alt, darf die erste Kriegssemmel anbeißen. Dann gibt es die Brotmarken: Ausweis für 50g Brot oder 40g Mehl oder ein Weißbrot. Du wirst bald herausfinden wie man die Verkäuferin mit Fragen vewirrt, damit sie vergißt, die Marken abzu­ fordern. Im übrigen bist du noch recht anfällig von vielen Krankheiten her. Die Eltern schicken dich ins Ferienlager auf Burg Hoheneck. Die sogenannte Seele des Ganzen ist dort ein Pfarrer mit einem Lands­ knechtsgesicht. Mittags und am Abend hält diese geistliche Seele ihre Predigt vor den Jungen: „Mit uns ist Gott. Frankreich und das perfide Albion, wir werden sie zu Boden schlagen. Wir werden Rußland ver­ nichten . ..“ Danach wird mit demütig zu senkender Stirn zum christ­ lichen Gott gebetet: „Vater unser, der du bist im Himmel. . Im Burghof steht das Brunnenhaus. Waagrecht über dem erschrek- kend tiefen Schacht rollt sich das Eimerseil um den Wellbaum. Es ist die Achse des riesigen Tretrads, in dem man trottet, wenn weit unten der Eimer sich gefüllt hat. Natürlich wird auch Krieg gespielt, einmal nachts als Belagerung der Burg. Im totenstillen Dunkel liegst du allein auf der Böschung des Grabens, zitternd vor Erregung. Dann kommen undeutbare Geräusche von irgendwoher aus der Schwärze. Plötzlich über dir auf dem Wall der dumpfe Plumps eines Sprungs. Du schreist in deiner Höllenangst: „Wer da? Parole!“ In deiner Aufregung hast du selber das Paßwort vergessen. Den Schrecken aber vergessen wir unser Lebtag nicht. Am nächsten Morgen schreibst du an die Eltern: „Holt mich heim! Holt mich heim!“ 9 Das Kartoffelbrot, das die Därme zerreißt. Die Briketts aus Zei­ tungspapier, das man näßt, zu Kugeln rollt und trocknet. Wenn es nach der Schule dunkelt, holst du heimlich dürre Zweige aus dem Wald. Briketts und Reiser werden mit ein wenig Torf vermischt und das schwelt mit schwacher stickiger Glut. Frost und Mangel sind jetzt die Sieger ohne Glocken und Gloria. Wir frieren hinter Eisblumen. Wir leben mit dem Rücken an laue Kacheln gelehnt. Gott mit uns. März 1917. Dein schulärztliches Zeugnis besagt: 156 cm groß, 19 kg, 72-77 Brustumfang, gute Zähne, kräftige Stimme, gute Aus­ sprache. Schön und gut, aber dein Magen knurrt. Du stehst um 5 Uhr in der Frühe auf, läufst eine Dreiviertelstunde zum Hauptmarkt. Dort hast du dir eine Bauernfrau herausgesucht, eine mit guten Augen und ohne fränkische Grobheit. „No Bürschle, hast scho ausgeschlafn?“ Sie kennt dich jetzt, lächelt dir zu, hält für dich einen dicken Kopf Rutabaga bereit, manchmal einen Kohl. Sie steckt dir zwei, drei Äpfel in die Markttasche. Du bringst die Kostbarkeiten nachhaus und dann läufst du eine halbe Stunde zurück zur Schule im Peunthof. Was für die Schulstunden auswendig zu lernen ist, das trichterst du dir unter­ wegs ein. Der Kamerad Steiner fehlt drei Tage in der Schule. Sein Vater ist gefallen. Dann hat es die Väter von zwei drei anderen Kameraden erwischt. Wir wissen nicht, was wir ihnen sagen sollen. Wir bleiben ver­ legen stumm. Die Siege sind selten geworden. Jetzt sind's die kalten Öfen, die uns schulfreie Tage verschaffen. Wir haben ausgeläutet. „Extrablatt!“ Der Ruf ist seit einer Weile verstummt. Vieles ist stumm geworden. Die Heeresberichte werden nicht mehr ausgehängt. Man ist mit den tönen­ den Worten so sparsam wie mit dem Papier. Auf den Seiten unserer Schulhefte zerfließt die Tinte. Wir wissen nichts mehr mit unserer Begeisterung anzufangen. Uns ist als würden wir durch viele leere Räume geschickt und fänden nicht hinaus. Der Vater ist bislang „unabkömmlich“ gewesen. Die Akkufabrik Hagen im Westfälischen hat es durchgesetzt. Jetzt schafft sie es nicht mehr. Die Mutter fährt mit dir nach München. Irgendwo an einer endlosen Straße liegt die Kaserne. Der Vater ist Soldat und dir ist die Brust wieder einmal zu eng für all deine Begeisterung. Dann stehst du vor ihm und bist fassungslos. Das ist der Vater als Krieger? Als künf­ tiger Held? Dieser Verkleidete mit seinem abgehärmten, von Unmut zerknitterten Gesicht unter der lächerlichen schirmlosen Mütze? Eine Woche später kommt ein Brief von ihm. man hat ihn von der Infanterie zu den Funkern versetzt. Drei, vier Wochen danach ein Feldpostbrief aus Üsküb in Mazedonien. Dort gibt es 50 Grad Hitze, Wanzen und Staub. Gott mit uns. Die Ärzte loben das Brot aus Kleie, Kartoffeln und Sägemehl. Wie haben wir vordem ohne dieses gesündeste der Bröter leben können? Saccharin statt Zucker ist zweifellos das wirksamste Mittel gegen Diabetes mellitus. So prägen es uns die fürsorglichen Doktoren ein. Du, mein Junge, hinkst auf Holzsohlen, von deren Hinterkappen aus Weißblech deine Fersen bluten. Diese Fußmörder und die neuen Bast- 10

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