Nürnberger Blätter für Literatur Heft 1 Begründet und herausgegeben von Gerhard Wagner Nürnberg, im April 1975 2 Inhalt Seite 3 Vorwort Seite 4 F.C. Delius: Gedichte Seite 6 Gerhard Falkner : Ein Brief und Gedichte Seite 13 Ludwig Fels: Gedichte Seite 2o Gerhard Gensch: Gedichte Seite 24 Wolf Klaußner: Die schöne Müllerin Erzählung Seite 1oo Fitzgerald Kusz: Gedichte und ein Leserbrief Seite 1o9 Roland Lang: Besuch bei Bohlein Vorabdruck aus einem Roman Seite 116 Axel Pelzer: Gedichte Seite 124 Godehard Schramm: Sarida Seite 132 Vita * Radierung: Manfred Ziegengeist Fotografie:Angela Glück Gestaltung:Manfred Ziegengeist Axel Pelzer 5 Zu diesem Heft Die ’’Nürnberger Blätter für Literatur” erscheinen in einer einmaligen Auflage von einhundert Exem plaren, Bis auf einen Teil des Gedichtes von Gode-' hard Schramm sind alle abgedruckten Texte Erstver öffentlichungen. Die Rechte liegen bei den Autoren. Der Beitrag von Roland Lang ist ein Auszug aus ei nem Roman, der im Frühjahr in der Autoren Edition München erschien. Der Sinn dieser Blätter ist es, in Abständen Über blick zu geben über das literarische Schaffen in und um Nürnberg. Gelegentlich werden auch ’’auswärtige" Autoren veröffentlicht. Die Blätter wollen und können keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben; Einsendungen für das nächste Heft sind erwünscht, eine Veröffentlichung jectoch behält sich der Herausgeber vor. Die Fotografie stammt von Angela Glück, die Radierung von Manfred Ziegengeist, Die Vorlagen zu beiden Bildern wurden nach einhundert Abzügen vernichtet. Der "relativ” hohe Preis des Heftes ergibt sich aus den hohen Druckkosten, der kleinen Auflage und aus dem stabilen Hefter, der für eine sachgerechte Auf bewahrung der beiden Kunstblätter notwendig ist. Der Preis ist so kalkuliert, daß für den Herausgeber kein Gewinn abfällt. Gerhard Wagner 4 F.C. Delius Akademische Elegie Auf. der Autobahn nördlich Hannover in einem Peugeot (Spitze 17o km/h) ein Professor der Sozialwissenschaften aus Tübingen mit einer seiner Studentinnen zur Rechten an einem Wochenende mitten im Semester fährt nur 11o . 5 F.C.Delius Junge Frau im Antiquitätenladen . Zwischen dem üblichen* Kram (den ich nicht weiter aufzähle) steht die junge Frau (die eine andere Gesellschaft will aber nicht weiß, ob sie den Mann zuhaus noch will, der auch eine andere Gesellschaft will) und sieht sich um und steht vor dem Antiquitätenhändler (der ihr Vertrauen weckt, indem er Steinbaukästen vorführt und Ausschneide bogen aus dem 19. Jahrhundert, der keine andere Gesellschaft will ihr aber die Enttäuschungen ansieht). So steht sie unschlüssig und schon bereit, sich ihm hinzugeben, weil er von ihr was zu kapieren scheint, dreht dann aber doch ab und macht die Tür von außen zu. 6 Gerhard Falkner Toni, ich habe mich fremdgelebt. Eine innere Unruhe quält mich. Lieblos und launisch tausendäugle ich mit dem ?Ä,cett enge funke 1 und Meteorenge- flacker viril vibrierender Rohrreize. Die Situ ation scheint mir bruchreif, - alles aus einem Atem, der entwürzt und verbraucht nur noch den Fortgang organischer Bewegungen garantiert. Die Mohnmühlen und tiefgekammerten Speicher, die Magazine meiner Imagination sind geplündert von Routine, Hüftschmerz und enthirnter Gewohnheit. Jedes dreimal auseinandergedachte Wort wird Ge winsel, verstärkt vom Resonanzboden meiner Angst. Unter den Begriffen hallen die tiefen Räume, - alles ist alt und fossil. Immer wieder stoße ich in meine Gedichte, skelettiere die Schmerzteile, quetsche die feinen Pusteln und Eiterbläschen bis selbst die gesunde, umliegende Haut geschürft, daß von den Worten Druckmuster und Ränder bleiben. Und immer hat alles die ge preßte Leichtigkeit einer letzten Anstrengung, wenn ich mir gallig auf's Blatt rede, immer ist Lähmung im Feld, daumendick und todstark. Aber wenn Dir einer von Selbstmord redet, so sag ihm, daß er ein Denunziant ist, ein schäbiger Tröd ler ohne Ware, ein Pharisäer und Häretiker. Diese kleinen, dreckigen Mordbuben der eigenen Unzuläng lichkeit, diese Gashahnerotiker, diese scheckigen Hänflinge und Seiltänzer, maulig und tranig, kokette Balleteusen mit Klumpfüßen; wie Pavese sagt, für sie ist dieses Verlöschen nicht mehr Handlung , sondern erleiden und wie ich meine: dies ist eine Haltung der Gosse. Plötzlich wird ihr Leben ein dünner, roter Strahl aus einer Schußwunde, einem Klingenriß. Die Genickstarre des Willens beendet ein Genick wirbelbruch, - eine Überdosis an Kälte! Ein Tausch des "Nichts" gegen das " noch nicht", dessen Beschaffenheit ungewiß ist. Man müßte Konversationsfüßler sein, polyphonal und multimanisch, um dieses ganze Gemisch töd licher Haltungen und Stellungen zu prangern. Das Wort vom Freitod als verbaler Maximalreiz, die begehrliche Rede mit dem Angstkalkül. Es ist schon ein PRACHTvolles Wort: Selbstentlei- bung, - herrschsüchtig, total; ein Wort wie "Grieche", ein Wort das gräbt und das nur die Stolzen zu Ende denken, - oder sind es die Feigen? Die, die es einspeicheln, schlüpfrig machen, die es zum Kaffee auf's Tablett bringen, das sind die Feigen, die Simulanten, die ihre Krankheit so ernst nehmen, daß sie zuweilen daran sterben; und die, die eine Pirouette am Abgrund drehen und hoffen, daß einer sie stößt. Denn es sind doch nicht die Empfindlichen, die Überreizten, die aus scheiden und die Rohen, die übrig bleiben? 8 Wer die Notwendigkeit, die Wichtigkeit des Selbst mordes bezweifelt, ist naiv und katholisch. Ich argumentiere mir nicht in die Quere, ein Kompro miß ist absurd. Absurd. Die eine Handhabe gegen die erbärmliche Willkür der Situationen, die ein zige Blankokarte in einem immer verlorenen Spiel, wichtig ist, wie sie beschrieben ist, wenn man sie einsetzt. Nichts vom Groschenglück der Gescheiterten ist an denen, die wir meinen: "boshaft wie goldene Rede begann ihre nacht". Rede und rede, jeder der mich mißversteht, tut mir Unrecht - -, den Tod nicht suchen, sondern ihm die Ehre verweigern, schmälen, mit dem Herzmuskel bei seite drängen, ihn für nichtig erklären; dieses Skelett könnte doch durch ein geschickt gestelltes Bein zu Fall zu bringen sein. (Dann handeln!)