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NS-Zeit und literarische Gegenwart bei Ingeborg Bachmann PDF

279 Pages·1995·12.737 MB·German
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Holger Gehle NS-Zeit und literarische Gegenwart bei Ingeborg Bachmann Holger Gehle IS-Zeit und literarische Gegenwart bei Ingeborg Bachmann r[)fll:\n DeutscherUniversitatsVerlag ~ GABlER·VIEWEG·WESTDEUTSCHERVERlAG Die Deutsche Bibliothek - ClP-Einheitsaufnahme Gehle, Holger: NS-leit und literarische Gegenwart bei Ingebarg Bachmann / Holger Gehle. - Wiesbaden: DUV, Dt. Univ.-Verl., 1995 (DUV: literaturwissenschalt) lugl.: Hamburg, Univ., Diss., 1994 Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen der Bertelsmann Fachinformation. © Deutscher Universitats-Verlag GmbH, Wiesbaden 1995 Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschOtzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne lustimmung des Verlags unzu lassig und strafbar. Das gilt insbesondere fOr Vervielfaltigungen, Obersetzungen, Mikroverlilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorarm gebleichtem und saurefreiem Papier ISBN-13: 978-3-8244-4188-4 e-ISBN-13: 978-3-322-85179-6 DOl: 10.1007/978-3-322-85179-6 Er hat seinen GroBvater mit ungarischen Juden nach Wien fahren lassen, denen nach Auskunft eines deutschen Bewachers die Vemichtung in Auschwitz bevorstand. Tatsachlich ist kein Zug mit ungarischen Juden fUr Auschwitz jemals tiber Wien gefahren. Die Deportationsroute verlief durch die Slowakei. Wohl aber sind etwa 18.000 Juden yom jtidischen Rettungskomitee in Budapest freigekauft und im August 1944 nach Osterreich evakuiert worden. Dort wurden sie im Lager Mauthausen interniert und flir "kriegswichtige Arbeiten" eingesetzt. Die Geschichte laBt offen, ob der unbewuBte Wunsch, der GroBvater moge einmal in einem solchen Zug gesessen haben, der doch nie gefahren ist, nicht am Ende doch realen Gehalt hat. Einer der fUr Osterreich vorgesehenen Transporte wurde, schreibt Hilberg, versehentlich oder aus Gleichgtiltigkeit nach Auschwitz geleitet, und ein anderer Zug, der planmiiBig nach Auschwitz hatte fahren sollen, traf in Wien ein. Undjetzt spUre ich deutlich den Wunsch: die Geschichte Ingeborg Bachmanns, die zu dieser Zeit an ihren ersten Erziihlungen schrieb und zwei Jahre spater nach Wien kam, mit diesem Zug beginnen zu lassen. Meine Schrift aber ist die jenes deutschen. Bewachers, fUr den aile Ztige letztlich in Auschwitz enden. Raul Hilberg: Die Vernichtung der europiiischen Juden. Die Gesamtgeschichte des Holocaust. Berlin 1982,575. Hans Marsalek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen. Wien 1974,57-67. Die Angaben iiber die ZOOl der freigekauften ungarischen Juden weichen in verschiedenen Quellen voneinander abo Vennutlich sind von den Deutschen bis zu 50.000 Menschen zugestanden worden, aber nur etwa 18.000 sind in Mauthausen angekommen. Kriegswichtige Arbeiten wurden unter anderem im Nebenlager "Klagenfurt" in Lendorfbei Klagenfurt sowie am Loibl-PaB in den IQirntner Karawanken durchgefiihrt. Die Hllftlinge bauten, wie auch Teile der Zivilbevolkerung, am so genannten "Ostwall". Kranke und Gehunf!ihige unter ihnen wurden bei der Aufiosung des Lagers "Klagenfurt", Ende April 1945, erschossen oder durch Herzinjektionen getOtet. Nur im Lager "LoiblpaB" gab es keine Exekutionen. Inhalt Vorwort 11 1. Unmittelbarkeiten 1.1. Liebesgeschichten 1944 und spater 19 1.2. Historikerstreit -Nebenlinie 27 1.3. Die Situation der zweiten Generation 40 2. Initiationen 2.1. Der Raum des Post-Holocaust 47 2.2. Die friihen FIziihlungen 55 2.3. Bine Heimatgeschichte 66 2.4. Der Sprung in die Bilder 77 3. Utopien 3.1. Zur Situation der Philologie 82 3.2. Vom Text zur Textgeschichte 85 3.3. Begriindungen der Bildsprache 91 3.4. Mythische Riiume 104 3.5. Die Gefallenen (Der Jude) 118 4. Klassisches 4.1. Urbilder, Tone, Motive 128 4.2. Geschlossenheit 139 4.3. Musik 144 4.4. Auslassungen 149 4.5. Zu nichts 154 4.6. Bine menschliche Stimme 161 5. Krieg 5.1. Berlin 1963 170 5.2. Die Utopie des Ausdrucks 179 5.3. Der Prinz von Homburg 184 5.4. Kleist, Musil, Bachmann 190 7 6. Exkurs: Rezeptionen 6.1. Die Lyrik: 199 6.2. Der gute Oott von Manhattan 211 6.3. Bonn, im Man 1959 215 6.4. Frankfurter Vorlesungen 218 6.5. Das dreiBigste Jahr 225 7. Opfer Bachmann? 7.1. Nichts und Vemichtung 232 7.2. N ach Heidegger 238 7.3. Nichts und Schrift 252 7.4. Die "anderen" 256 7.5. Malina 261 Literaturverzeichnis 273 8 Siglen I -IV xyz = Bachmann, Ingeborg: Werke. Munchen Zurich 1984 Bd. I -IV, S. xyz. NachlaB xyz. .. /K abc ... = Ingeborg Bachmann -Registratur des literarischen Nachlasses. Wien 1981. NachlaB-Nr.!K-Zahl. Gul = Bachmann, Ingeborg: Wir mussen wahre Satze finden. Munchen Zurich 1991. Ruckverweise auf Anmerkungen ([Anm. xy]) beziehen sich stets auf die Numerierung des Kapitels des jeweiligen Fundortes. QueIVerweise im Text der Studie markiere ich als: V gl. oben! unten S. xyz. 9 Vorwort 1989 hatte ich nach einer Examensarbeit iiber Bachmanns Der Fall Franza, die dem Subjektproblem besondere Aufmerksamkeit widmete, einen Ausgangspunkt fUr die vorliegenden Studien gefunden. Die Schreibweise literarischer Dezentrierung des Subjekts im Fragment war in Abgrenzung zu verschiedenen systemtheoretischen Auffassungen seines Begriffs beschrieben worden. Eine abschlieBende Ausein andersetzung mit Hegel hatte ergeben, daB im Text Bachmanns ein Subjekt zu sprechen fortfahre, noch nachdem die systemtheoretischen Fassungen seines Begriffs dekonstruiert waren. Es stand die Frage im Raum, wie das zu interpretieren sei. Wer spricht da noch? Ich hoffte, diese Frage in der Auseinandersetzung mit Heidegger klaren zu konnen. Heidegger schien nach Hegel philosophisch eine ahnliche Paradoxie auszutragen, wie Bachmann dies literarisch tat. Zugleich ist aber bekannt, daB Bachmann entschieden gegen diesen Vergleich protestiert und Heidegger stets scharf kritisiert hat. Diese Konstellation versprach spannend zu werden. Ich glaubte, mit ihrer Analyse einige Voraussetzungen kritisch einholen zu konnen, die in den poststrukturalen Lektiiren des Franza-Fragments bis dahin nur episodisch oder assoziativ diskutiert wurden. Bis heute stellt sich, wenn man Geschichte in den spaten Texten Bachmanns mitlesen will, das Problem, wie einerseits das offensichtliche kritische Potential der Dezentrierungstheorien, als deren Ahnherr Heidegger gelten kann, zu nutzen ware, andererseits aber die eben so offensichtlichen Affinitaten zu unbegrifflichen und pseudo-archaischen Totalisierungsmodellen aufgehellt und vermieden werden konnten. Denn die befreiende Nutzung assoziativer Unmittelbarkeiten in poststrukturalistischen Theorien und Interpretationen steht ohne Zweifel in problematischer Liaison mit der nachfaschistischen Unmittelbarkeit in der Epoche. Bachmann selbst hat, wenn auf Heidegger die Rede kam, geschichtliche und kiinstlerische Erfahrung als Differenz zum Philosophen festgehalten: "[ ... ] ich kenne 11 die Rektoratsrede von Heidegger, und selbst wenn es diese Rede nicht gabe, so ware da noch immer etwas, es liegt eine Verfiihrung eben wieder zum deutschen Irrationaldenken vor" (GuI 137). Die Einflihrung des Wortes "deutsch" in die Philosophiekritik ist unrniBverstandlich. Wenn der Zusammenhang von Bachmanns Heidegger-Kritik mit den literarischen Texten der Autorin rekonstruiert werden soll, so ware von letzteren her dieser Sprachgebrauch begreitbar zu machen. Man sieht sich dann aber aus dem Versuchsmodell eines literarisch-philosophischen Struktur vergleichs hinausgedrangt, weil sich die explizit geauBerte Kritik der Literatin am Philosophen auf einen geschichtlichen Terminus bezieht, der so nicht rekonstruierbar ist. Was flir eine Rolle spielt die deutsche Geschichte in Bachmanns literarischer Arbeit? Das heiBt vor aHem zu fragen, welches Verhiiltnis zur NS-faschistischen Epoche in ihr auffindbar ware. Schon die mannigfachen Anspielungen auf Auschwitz im "Todesarten"-Projekt und in den "Simultan"-Erzahlungen lassen keinen Zweifel daran, daB hier ein fUr das Spatwerk konstitutiver Bezug besteht. Wie hat er sich her ausgebildet? In einem ersten Schrltt suchte ich nach entsprechenden Phanomenen im Friihwerk. Einige der friihesten bekannten Texte Bachmanns reflektieren das Problem dort schon nicht mehr nur motivisch, sondern strukturell und im Ansatz so gar geschichtstheoretisch. Darnit war klar, daB eine Textgeschichte von Bachmanns Werk aus dieser Perspektive zu schreiben ware. Nur so konnte die interessante kritische und geschichtliche Differenz zu rein dekonstruktivistischem Denken nach Heidegger, die Bachmann selbst markiert hat, begreifbar werden. Studien zu dieser Text-Geschichte liegen hier vor. Sie wollen zeigen, daB und wie Auschwitz in die Textarbeit Bachmanns eingegangen ist, motivisch, strukturell und als fortdauemde Leerstelle. Dabei wird klarer, daB, wie immer virtuose, dekonstruktive Lektiiren, die mit einem unspezifischem Begriff von "Modeme" und deren "Anderem" arbeiten, das spezifisch "deutsche" Problem von Bachmanns Schreiben nicht zu fassen verm6gen. DaB dieses Problem jedoch textge schichtlich zu den wichtigsten Bedingungen dieses Schreibens ziihlt, versuchen meine Studien den Leserinnen und Lesem nahezubringen, indem sie konsequent auf die Konstellation Text-Geschichte eingestellt sind. 12 Wahrend der Abfassung dieser Arbeit sind einige Aufsatze erschienen, die in die gleiche Richtung zielen. Irene Heidelberger-Leonard komrnt dabei das Verdienst zu, in einem kurzen engagierten Essay erstmals entscheidende Differenzierungen, die Verhaltnisse Bachmanns zu Nachkrieg und Auschwitz betreffend, eingeflihrt zu haben.l Das geschieht in impliziter Gegenrede zur strukturell grundlegenden Annahme einiger Bachmann-Forscher, die darauf hinaus komrnen, im Werk der Dichterin einen Deutschen und Juden gemeinsamen Opferstatus, bedingt durch "faschistische" Personlichkeitszerstorung, dargestellt zu sehen.2 Heidelberger Leonard zeigt an der Erzahlung Drei Wege zum See, die etwa Bartsch als Modell der Schicksals-gemeinschaft zwischen Bachmann und Amery deutete, daB es dort keines wegs so gemeinschaftlich zugeht. Auf der Dijferenz zwischen einer "Asthetisierung des Leidens" und der "Authentizitat traumatischer Erfahrung" zu beharren, kann erhellender sein, als sich in Parallelisierungen von jUdischem und deutsch-oster reichischem Schreiben und Schicksal zu ergehen, wobei oft genug nur die jiidischen Erfahrungen flir ein "antifaschistisches" Selbstverstandnis der Lesenden funktio nalisiert werden. Heidelberger-Leonard hat gegen den Zwang zur deutsch-jUdischen Symbiose in der Literatur nach Auschwitz die schlichte Wahrheit neu betont, daB keine Rekonstruktion solcher Intertextualitaten ohne genaue Beachtung literarischer Formarbeit, hier auf Seiten Bachmanns, auskommt. Dabei ergeben sich dann bald Widersprliche, die auf eine anhaltende Differenz von deutschem Nachkrieg und jUdischem Nach-Holocaust verweisen. Die aus Heidelberger-Leonards Vergleich der Elisabeth-Erzahlung mit dem zweiten Malina-Kapitel fUr die vorliegenden Studien er arbeitbare Hypothese ist, daB sich diese Differenzen in ihrer Bedeutung flir den lite rarischen ProzeB am besten textgeschichtlich erschlieBen lassen.3 Auf der Differenz von deutschem und jUdischem Erkennen nach Auschwitz besteht auch die konzentrierte Darstellung, die Klaus Briegleb von Bachmanns spatem Schreiben in der von ihm und Sigrid Weigel herausgegebenen Geschichte der 1I rene Heidelberger-Leonard: Ingeborg Bachmann und Jean Amery: Zur Differenz zwischen der Asthetisierung des Leidens und der Authentizitllt traumatischer Erfahrung. In: Ingeborg Bachmanns "Malina", hg. von Andrea StolL Frankfurt a.M. 1992,282-294. 2VgL Kurt Bartsch: Grenzverletzungen des Ichs. Ingeborg Bachmanns spate Prosa und Jean Amerys Bewliltigungsversuche. In: Literatur und Kritik 23, 1988,404-414. 3VgL zu einem textgeschichtlich differenzierten Ansatz fiir Bachmanns "Todesarten", so weit sie bisher bekannt sind, auch Irene Heidelberger-Leonard: Ingeborg Bachmanns "Todesarten"-Zyklus und das Thema Auschwitz. In: Gennanica 14, 1994, 189-202. 13

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