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Nouveau Roman PDF

216 Pages·1996·18.443 MB·German
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Sammlung Metzler Band 296 Brigitta Coenen-Mennemeier Nouveau Roman Verlag J. B. Metzler Stuttgart . Weimar Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Coenen-Mennemeier, Brigitta: Nouveau Roman I Brigitta Coenen-Mennemeier. - Stuttgart ; Weimar: Metzler, 1996 (Sammlung Metzler; Bd. 296) ISBN 978-3-476-10296-6 NE:GT ISBN 978-3-476-10296-6 ISBN 978-3-476-03992-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-03992-7 ISSN 0558 3667 SM 296 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechdich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 1996 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und earl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1996 Vorwort Der Nouveau Roman ist Erinnerung und lebendige Gegenwart zu gleich. Erinnerung, insofern die Blütezeit der Strömung, die beiden Jahrzehnte des lebhaften Pro und Contra (ca. 1955 bis 1975), ohne Zweifel vorüber ist. Lebendige Gegenwart, insofern die Nouveaux Romanciers aktiv am Literaturgeschehen beteiligt sind, regelmäßig weiter publizieren und trotz mancher Wandlungen (über den Nou veau Nouveau Roman zur ,nouvelle autobiographie<) in den meisten Fällen den wesentlichen Errungenschaften ihrer Anfänge treu geblie ben sind. Der Nouveau Roman ist aber vor allem deshalb lebendige Gegenwart, weil die Auswirkungen der narrativen Erneuerungsbe wegung nicht nur vom traditionellen Erzählen, sondern auch von anderen Kunstformen (Theater, Film) absorbiert worden sind und dort ihre deutlichen Spuren hinterlassen haben. Der Nouveau Roman hat viele Gesichter. Insgesamt aber ist er der Versuch, für das gestörte Verhältnis zwischen Mensch und Welt eine radikal neue, wahrhaftige Sichtweise und die ihr angemessenen Erzählformen, insbesondere eine innovative Sprache, zu finden und dem Leser diese als befreienden Bruch mit seinen immer noch durch den Realismus des neunzehnten Jahrhunderts geprägten Lese gewohnheiten zu vermitteln. Aus diesem gemeinsamen Ansatz ent stehen zahlreiche Werke von großer stilistischer Eindringlichkeit, die international längst als Klassiker der jüngeren Moderne anerkannt sind. Die Beschäftigung mit diesem Kapitel der Gattungsgeschichte ist daher eine zwingende Notwendigkeit für angehende Literaturwis senschaftler. Das Erforschen dieses reichen Kontinents ist jedoch weit mehr als nur eine historisch-wissenschaftliche Verpflichtung. Es ist eine abenteuerliche Begegnung mit einer besonders kühnen Sprache und, wie könnte es anders sein, wenn es sich um erzählende Texte han delt, eine erkenntnistheoretisch fruchtbare Konfrontation mit be deutsamen Inhalten: Die programmatischen Versicherungen der er sten Stunden, in denen manche Neuerer sich voll für eine autonome Sprachwelt engagieren, sollten nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch in diesen Romanen, freilich, und das ist gerade ihr Verdienst, mit ungewöhnlichen Mitteln, das Schicksal des Menschen verhan delt wird: seine Sehnsüchte und Ängste, seine Sprache und seine Sprachlosigkeit, seine Phantasmen und Visionen und, immer wie- V der, sein Tod. Daß der Nouveau Roman dabei Sinnsuche nicht auf rapide und durchsichtige Weise befriedigt, daß er ohne Larmoyanz den Verlust der Unmittelbarkeit konstatiert, macht seine soziologi sche und philosophische Ehrlichkeit und darin seine fortdauernde Modernität aus. Durch seine Verfahren, die er nicht verschleiert, sondern im Ge genteiloft überdeutlich sichtbar macht, kann der Nouveau Roman ein Bewußtsein für klassische Normen und moderne Abweichungen erzählender Gattungen wecken und schärfen. Seine strukturellen Besonderheiten und sein anspruchsvoller Stil machen ihn zu einer wichtigen Schule des Lesens, die zu einem gesunden Mißtrauen ge genüber epigonalem Schreiben erzieht und damit durchaus emanzi patorisch wirken kann. Und schließlich erzeugt die aufmerksame Beschäftigung mit den Nouveaux Romanciers ein neuartiges ästhetisches Vergnügen und eine besonders intensive Lust am Text. VI Inhaltsverzeichnis Vorwort ........................................................................................ V 1. Entstehungsgeschichte ......................................................... . 2. Theoretisch-philosophische Grundlagen des Nouveau Roman ............................................................ 9 2.1 Alain Robbe-Grillet: Pour un nouveau roman ................. 9 2.2 Nathalie Sarraute: L'ere du soupfon ................................ 17 2.3 Michel Butor: Essais sur le roman .................................. 21 3. Die Praxis der Nouveaux Romanciers .............................. 25 3.1 Alain Robbe-Grillet oder die verweigerte Tiefe ............ 26 Les gommes ...................................................................... 27 Le voyeur ........................................................................ 31 La jalousie ....................................................................... 38 Dans le labyrinthe............................................................ 46 Der Nouveau Nouveau Roman ......................................... 48 3.2 Nathalie Sarraute oder die vorbewußten Minidramen .................................................................. 54 Martereau ....................................................................... 59 Le planetarium ........ ............... ................. ........................ 61 Les Fruits d'Or................................................................. 67 Vous les entendez? ............................................................. 68 3.3 Michel Butor oder die anachronistische Sehnsucht nach Totalität ................................................................ 72 Passage de Milan .......................................................... .... 72 Degres ............................................................................ 76 L'emploi du temps ............................................................. 81 La modification ................................................................ 84 3.4 Claude Simon oder die zersetzenden Erinnerungsströme ....................................................... 90 La route des Flandres ........................................................ 91 Le~on de choses ................................................................. 96 La bataille de Pharsale .................................................... 100 3.5 Robert Pinget oder die Suche als Ziel ......................... 104 Graal Flibuste ................................................................ 104 L'inqusitoire................................................................... 109 VII Quelqu'un ..................................................................... 112 Passacaille ..................................................................... 114 3.6 Claude Ollier oder der Agentenzyklus des Nouveau Roman ................................................... 119 La mise en scene ............................................................. 120 Le maintien de l'ordre ..................................... ................ 122 L'ete indien .................................................................... 124 L'echec de Nolan und der Schluß des Zyklus Le jeu d'enfont ............................................................... 125 3.7 Jean Ricardou oder der Sprung vom geschriebenen Abenteuer zum Abenteuer des Schreibens .................. 131 La prise de Constantinople .................................. ............. 131 4. Nouveau Roman und Theater ......................................... 137 4.1 Nathalie Sarrautes aufgeregte Konversation ................ 137 4.2 Roben Pingets poetologische Entwürfe ...................... 144 4.3 Marguerite Ouras' Ellipsen für große Gefühle ............ 147 5. Nouveau Roman und Nouveau Cinema ....................... 150 5.1 Alain Robbe-Grillet ................................................... 150 5.2 Marguerite Ouras ....................................................... 154 5.3 Die >Nouvelle Nouvelle Vague< ................................... 155 6. Nouveau Roman, Kritik und >oouvelle critique< .......... 157 6.1 Presse und Kolloquien der frühen Jahre ..................... 157 6.2 Roland Banhes - Pierre de Boisdeffre ........................ 158 6.3 Stationen einer Wirkungsgeschichte ........................... 164 7. Lesbarkeit, >oouvelle autobiographie< und neuer Nouveau Roman ............................................................... 166 7.1 Rückkehr zur >lisibilite< ............................................... 166 7.2 Tropismen der Kindheit: Nathalie Sarraute ................ 168 7.3 Romaneske Trilogie: Alain Robbe-Grillet ................... 169 7.4 Kulturelle Bildstörung: Claude Ollier......................... 174 7.5 Erwachen zum Schreiben: Claude Simon ................... 175 7.6 Ein neuer Nouveau Roman? ....................................... 178 Auswahlbibliographie .............................................................. 180 Personenregister....................................................................... 197 Angaben zur Autorin ............................................................... 202 VIII 1. Entstehungsgeschichte In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wird die literarische Szene in Frankreich zunächst durch den Existentialismus geprägt, dessen Freiheitsphilosophie in Romanen, Erzählungen und Theaterstücken die gesellschaftliche Verantwortung des auf sich allein gestellten In dividuums allen pessimistischen Erfahrungen zum Trotz zu stärken sucht und insofern - ungeachtet der atheistischen Absage an ein hö heres Prinzip - einen fortdauernden Humanismus verkündet. Diesem paradoxen Optimismus bereiten die 50er Jahre ein Ende. Auf ganz verschiedene Weise, aber mit gleicher Radikalität und Durchschlagskraft, setzen das Absurde Theater und der Nouveau Roman die Wahlmöglichkeiten des Menschen, sein autonomes Wer teschaffen, das Sartre noch gebieterisch gefordert hatte, außer Kraft. Im Theater wird der einzelne zum Spielball sinnloser Willkür, deren unerträglicher Zynismus nur durch die komödiantische Lust an ver schiedenen Strategien absurder Komik gemildert wird (Ionesco, Bek kett). Der Nouveau Roman bildet sich etwas später aus und dringt den Gesetzen seiner Gattung entsprechend zunächst weniger spekta kulär ins allgemeine Bewußtsein ein. Als Ereignis innerhalb der lite rarischen Serie ist er jedoch keineswegs unwichtiger als das Absurde Theater, und seine kritische Position gegenüber der philosophischen und ästhetischen Tradition ist womöglich noch radikaler. Das Gesetz des psychologischen Realismus, unter das sich der große französische Roman gestellt hatte, die fortschreitende Rivalität mit dem soziologischen Dokument, das Handlungen und Verhal tensweisen des Menschen in der mehr oder minder wiedererkennba ren gesellschaftlichen Realität untersucht, wird den Romanciers der 50er und 60er Jahre zum Ärgernis, mit dem sie endgültig aufräu men wollen. Der motiviert handelnde Mensch, Herr über die Welt der Objekte, wird fortan aus der Romanwelt mit verschiedenen Techniken und von unterschiedlichen Ansatzpunkten her ausgetrie ben. Für die Richtung, der man den Kampf ansagt, muß stellvertre tend einer ihrer größten Vertreter, Balzac, als Gegner herhalten. Auf ihn haben es über alle Unterschiede hinweg jene Schriftsteller abge sehen, die sich für den Entwurf eines >neuen Romans< engagieren. Die energische Absage an kohärente Handlung, kompakte Figuren psychologie, lineare Zeit und gedeutete Räume ist im übrigen fast die einzige Gemeinsamkeit jener aufmüpfigen Autorengruppe inner- halb der Editions de Minuit, die fortan unter dem (von außen ver liehenen) Etikett >Nouveau Roman< der großen >realistischen< Er zähltradition die Stirn bieten und deren Einfluß auf die Entwick lung des modernen europäischen Romans und anderer Kunstformen (Theater, Film) nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Im Gegensatz zum Antimodell Balzac wird Flaubert positiv bewertet und von nun an allgemein als Vorläufer der neuen Literatur einge schätzt, da er weder soziologische Totalität noch überdurchschnittli che Protagonisten zu entwerfen sucht und immer wieder einen aske tischen Stilwillen zu seinem ästhetischen Ideal erklärt, womit er dem Material seiner Kunst, der Sprache, den Vorrang gibt vor den erzähl ten fiktiven Welten. Treibende Kraft und Gesetzgeber der neuen Bewegung ist ohne Zweifel Alain Robbe-Grillet, dessen Plädoyer Pour un nouveau ro man das erste Manifest der Gruppe darstellt. Nathalie Sarrautes schon früher erprobte, aber lange unbeachtet gebliebene völlig neu artige Mikropsychologie vorbewußter seelischer Reaktionen auf Exi stenz und Reden des >anderen< findet jetzt ebenfalls ihr ästhetisches Zuhause und mit L'ere du soup(on ihre selbstbewußte Standortbe stimmung. Michel Butor, Claude Simon, Robert Pinget und Claude Ollier ergänzen das literarische Gruppenbild mit sehr unterschiedli chen Beiträgen, vom Pikaresken (Pinget) bis zu (kritischen) Proust schen Erinnerungsströmen (Simon) und Pseudo-Agentengeschichten (Ollier). Butors Totalitätsanspruch sucht mit den Neuerungen die Lust an der überlieferten Kultur zu verbinden. Es gibt aber auch progressive Autoren, die sich keinerlei Grup penzwängen unterwerfen wollen und daher die angebotene Kompli zenschaft ablehnen. Hier ist besonders Marguerite Ouras zu nennen, die sich mehr und mehr von ihren traditionelleren Anfängen löst und seit Le ravissement de Lol V. Stein (1964) und dem grandiosen Vice-consul (1965) eine nicht unpolitische ästhetische Pschoanalyse der (meist femininen) verdrängten >großen Gefühle< in suggestiven Ellipsen zu versprachlichen sucht. Als Erzähler steht auch der Er neuerer der französischen Bühne, Samuel Beckett, den realismuskri tischen Tendenzen der Nouveaux Romanciers nahe. Psychologische Kohärenz und vor allem soziale Einbettung sind seinen zur Auflö sung tendierenden Figuren in Molloy (1951), Malone meurt (1951) und Llnnommable (1953) fremd. Neben den Weggefährten sind vor allem die direkten Vorläufer zu nennen. Wenn sich sowohl Robbe-Grillet als auch Sarraute in ih ren programmatischen Theorien mit Camus' Etranger (1942) aus einandersetzen, so deshalb, weil dieser bereits auf weite Strecken ei nen Ich-Erzähler ohne >Seele<, ohne nachvollziehbare Motive, einen 2

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