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Norm und Praxis der Armenfürsorge in Spätmittelalter und früher Neuzeit PDF

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Preview Norm und Praxis der Armenfürsorge in Spätmittelalter und früher Neuzeit

Sebastian Schmidt / Jens Aspelmeier (Hg.) Norm und Praxis der Armenfürsorge in Spätmittelalter und früher Neuzeit @ Franz Steiner Verlag Stuttgart 2006 ARMENFÜRSORGE IN (RECHTS- )THEORIE UND RECHTSORDNUNGEN DER FRÜHEN NEUZEIT ALEXANDER WAGNER Dass die Frage nach Art und Weise der Versorgung von Armen Gegenstand recht- licher Regelungen und theoretischer Betrachtungen war und noch immer ist, kann angesichts der fortwährenden Existenz von Armut in der Entwicklung mensch- licher Gesellschaften nicht verwundern. Ebenso wie am Beispiel der Einführung des Sozialgesetzbuches 1975 erkennbar, bei welcher sich die rechtswissenschaft- lieheAufarbeitung dieserArt der Sicherung der menschlichen Existenz sehr rasch anschloss und einen eigenständigen Gegenstand der Rechtswissenschaft entstehen ließ,sind bereits inderFrühen Neuzeit fürden Gegenstand desArmen- undBettler- rechts Wechselwirkungen zwischen Normgebung undtheoretischer Durchdringung zu erkennen. Unterschiede und Gemeinsamkeiten des kirchlichen Ansatzes einer Organisation der Fürsorge, des Fürsorgekonzeptes des Humanismus und der Theo- rieeiner staatlichen Fürsorge inder Rechtswissenschaft des 17.Jahrhunderts treten hervor. Rechtsnormen und Theorie, insbesondere die Rechtstheorie, lassen sich als gegenseitig beeinflussend darstellen. Armut als soziale und sozialpolitische, aber auch ethische Problemstellung' erfuhr schon inderAntike imCodex Justinians und im frühen Mittelalter in den Kapitularien Karls des Großen normative Ausgestal- tung.! Im Reichsgebiet begann die Entwicklung städtischer Bettel- undArmenord- nungen mit der Nürnberger Ordnung von 1370,3der sich zahlreiche Ordnungen im Verlaufe des 15.Jahrhunderts anschlossen. So KarlOtto Schemer: Das Recht der Amten und Bettler im Ancien regime, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanische Abteilung 96 (1979), S.55-99, hier S.56. 2 Vg!.zuden Kapitularien Karls desGroßen KarlOtto Schemer: "Ut propriam familiam nutriat", Zur Frage der sozialen Sicherung in der karolingischen Grundherrschaft, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung fiir Rechtsgeschichte. Germanische Abteilung III (1994), S.330-362. 3 Franz Ehrle: Die Arrnenordnungen von Nümberg (1522) und Ypem (1525), in: Historisches Jahrbuch derGörres-Gesellschaft 9(1888), S.450-479; Ulrich Knefelkamp: Sozialdisziplinie- rung oder Armenfürsorge? Untersuchung normativer Quellen in Bamberg und Nümberg vom 14.biszum 17.Jahrhundert, in:Helmut BräuerlElke Schlenkrich (Hg.): Die Stadt als Kommu- nikationsraum. Beiträge zurStadtgeschichte vomMittelalter bisins20.Jahrhundert. Festschrift für Karl Czok zum 75. Geburtstag. Leipzig 2001, S. 515-533; WiIIiRüger: Mittelalterliches Almosenwesen. Die Almosenordnungen der Reichsstadt Nümberg (Nürnberger Beiträge zu den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 31). Nürnberg 1932; Christoph SachßefFlorian Tennstedt: Geschichte derArmenfürsorge inDeutschland, Bd. I: VomSpätmittelalter bis zum Ersten Weltkrieg. Stuttgart u. a. 1980, hier S. 33; Otto Winckelmann: Die Arrnenordnungen von Nürnberg (1522), Kitzingen (1523), Regensburg (1523) und Ypem (1525), in:Archiv für 22 ALEXANDER WAGNER Kernpunkte dieser Ordnungen waren die Regulierung und Einschränkung des Bettels, die Kontrolle der Bettler, die Kennzeichnung Almosenberechtigter und die Einrichtung einer zuständigen Verwaltungsorganisation. Die durch diese Normen angestoßene Verrechtlichung der bisher der privaten und kirchlichen Mildtätig- keit obliegenden ArrnenfUrsorge fUhrtean der Schwelle zum 16.Jahrhundert zu einer auffallenden "Wandlung derAnschauungen" in der "Theorie der Fürsorge"." Praktiker wie Geiler von Kaysersberg, der an der Pariser theologischen Fakultät lehrende Occamist Mayor, Luther in seiner Schrift ,,An den christlichen Adel deut- scher Nation" und Humanisten wie Vives beschäftigten sich mit der Frage, wie der Aufbau einer funktionierenden ArrnenfUrsorge zu gestalten sei.' Dass diese Entwicklung nicht ohne Auswirkungen auf die Normebene blieb, zeigt schon der Blick auf die einschlägige Reichsgesetzgebung. Diese hatte ihren Anfangspunkt imWormser Reichstag von 1495,der fortgesetzt wurde mit den Reichsabschieden 1497und 1500.Diese bildeten dieVorstufenzur Regelung desBettler- undArmen- rechts durch die Reichspolizeiordnung von 1530,die ihrerseits denAnlass und die Legitimation furerste territoriale Normen darstellte. Festzustellen ist,dassdiewissenschaftliche Auseinandersetzung mitdenRechts- ordnungen gerade auch der katholischen Territorien unvollständig ist oder noch aussteht.6Die immerwiederkehrende Ansicht, dassviele katholische Territorien die ArmenfUrsorgeauch weiterhin der Kirche überließen," erscheint überarbeitungsbe- dürftig schon angesichts der Trierer Almosenordnung von 1533, welche eine der ersten territorialen Ordnungen im Anschluss an die 1530 verabschiedete Reichs- polizeiordnung war. Teilweise erforscht sind das Herzog-Kurfürstentum Bayern," Refonnationsgeschichte. Texte und Untersuchungen 10 (1912113), dort S. 242-280 und 11 (1914), dort S. 1-18. 4 Hans Scherpner: Theorie der Fürsorge. Göttingen 1962, hier S. 48ff.; Schemer: Recht der Armen, (wieAnm. 1),S.56. 5 Schemer: Recht derArmen (wieAnm. 1),S.60fT. 6 Konrad Dussel: Katholisches Ethos statt Sozialdisziplinierung Die Armenpolitik des Hoch- stifts Speyer im 18.Jahrhundert, in:Zeitschrift fürdie Geschichte des Oberrheins 143(1995), S. 221-244, hier S. 222; sowie Schemer: Recht der Armen (wie Anm. 1), S. 70, der in Fn. 50auf diebisher vernachlässigte rechtshistorische Aufarbeitung derArmengesetzgebung hin- weist. Zu den inderZwischenzeit veröffentlichten Arbeiten vg!.Anm. 8. 7 J. Friedrich Battenberg: Obrigkeitliche Sozialpolitik und Gesetzgebung. Einige Gedanken zu mittelrheinischen Bettel- undAlmosenordnungen des 16.Jahrhunderts, in:Zeitschrift fürHisto- rische Forschung 18(1991), S.33-70, hier S. 50; Schemer: Recht der Armen (wie Anm. I), S.70ff., insbesondere S.75;Susanne Schlösser: Diekurpfälzische Armenordnung von 1574im Spiegel desArmenwesens derOberamtsstadt Alzey, in:Pfälzer Heimat 38(1987), S. 108-111, hier S. 108. 8 Elisabeth Schepers: Als der Bettel in Bayern abgeschafft werden sollte. Staatliche Annenfiir- sorge inBayern im 16.und 17.Jahrhundert (Studien zur Geschichte des Spitals-, Wohlfahrts- und Gesundheitswesens; Schriftenreihe des Archivs des St. Katharinenspitals Regensburg 3). Regensburg 2000. Als Ergebnis zu hinterfragen ist allerdings der von Sehepers sogenannte Anspruch des einheimischen Bedürftigen gegenüber seiner Gemeinde, so etwa auf S. 22 und 39. Der Wortlaut der Verordnung auf S. 266 gibt dies jedoch nicht her. Weitere Arbeiten zu Bayern: Elisabeth Hauser: Die Geschichte der Fürsorgegesetzgebung. München 1986; Ange- RECHTSTHEORIE UND RECHTSORDNUNGEN 23 das Hochstift Speyer? und das geistliche Kurfürstentum Mainz.!" Demgegenüber fehlt bisher der Blick auf die geistlichen Kurfürstentümer Trier und Köln. Gerade dieAufarbeitung derNormen der geistlichen Kurfürstentümer lässtjedoch interes- sante Ergebnisse erwarten, schon insofern, als die geistlichen Kurfürsten aufgrund ihrer Sonderstellung eine dem protestantischen Landesherrn vergleichbare Posi- tion als weltlicher Landesherr und geistliches Oberhaupt einnahmen. Andererseits stellt sich bei den Maßnahmen der geistlichen Kurfürsten die Frage, wie sich das im Vergleich zum Protestantismus anders geartete konfessionelle Verständnis des Almosens auf die Regelung desBettelwesens, die Einführung einerAlmosensteuer oderaufdenUmgang mitdenMendikantenorden auswirkte. Einweiterer bisher nur wenigbeachteter Gegenstand derRechtsgeschichte istnach einemBefund KarlOtto Schemers die Aufarbeitung der einschlägigen juristischen Dissertationen der Frü- henNeuzeit, speziell des 17.Jahrhunderts." Ineiner von Schemer betreuten,jüngst erschienenen Doktorarbeit untersucht Sabine Begon diejuristischen Dissertationen dieser Zeit zum Rechtsgebiet des Hospitalwesens." Die ebenfalls von Schemer angeregte Untersuchung der Dissertationen zum Themengebiet derArmenfürsorge istbislang über seinen Beitrag hinaus nicht erfolgt.Angesichts derzu vermutenden Auswirkungen dieser theoretischen Durchdringung der Materie im 17.Jahrhundert auf dieNormgebung im 18.Jahrhundert bleibt das von Schemer konstatierte Desi- derat weiter bestehen." Dieser Aufsatz möchte einige bereits getroffene Erkenntnisse aufgreifen und in Verbindung mit der Betrachtung ausgewählter Verordnungen der geistlichen Kurfürstentümer den Blick auf Entwicklungspunkte und -linien in der wechselsei- tigen Durchdringung von Norm und Theorie lenken. Dabei sollen die Grundlagen der Normgebungskompetenz und der (Selbst)Legitimation ebenso wie die Aus- einandersetzungen zwischen den konkurrierenden Zuständigkeiten und Aspekten der Organisation und Finanzierung der Armenfürsorge betrachtet werden. Insbe- sondere stehen das Spannungsfeld zwischen der Freiwilligkeit desAlmosens und der Armensteuer sowie die Schwierigkeit eines auf das Verbotjeglichen Bettelns abzielenden obrigkeitlichen HandeIns mit dem (noch) nicht gesteuerten privaten Almosenspenden im Blickpunkt. Näher beleuchtet werden sollen weiterhin die im 17.Jahrhundert entwickelten rechtstheoretischen Grundlagen zumArmenrecht. Die zeitgenössische Rechtswissenschaft istüberdieRezeption undKommentierung des lika Baumann: Armuth ist hier wahrhaft zu Haus. Vorindustrieller Pauperismus und Einrich- tungen derArmenpflege inBayern um 1800. München 1984. 9 Dussel: Katholisches Ethos (wie Anm. 6), insbesondere S.227ff. 10 Friedrich Rösch: Die Mainzer Armenreform vom Jahre 1786.Berlin 1929. 11 KarlOtto Schemer: Arme undBettler inderRechtstheorie des 17.Jahrhunderts. Der, Tractatus de mendicantibus validis' des Ahasver Fritsch, in: Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 10 (1988), S. 129-l5l. 12 Sabine Begon: Delure Hospitalium. DasRecht desdeutschen Spitals im 17.Jahrhundert. Unter Berücksichtigung derAbhandlungen vonAhasver Fritsch und Wo!fgang Lauterbach. Marburg 2002. 13 Kar! Otto Schemer: Sozia!rechtsgeschichte der Neuzeit. Stand der Forschung und offene Fra- gen, in:Zeitschrift fürneuere Rechtsgeschichte 18(1996), S. 102-148, hier S. 147. 24 ALEXANDER WAGNER römischen Zivilrechts hinaus zu einer ,,Rechtstheorie derArmen und Bettler" vor- gedrungen. Diese umfasst unter anderem die Grundlagen und die Herleitung der Kompetenz einer staatlichen Armenfürsorge. Die Rechtstheorie beschäftigt sich 14 auch mit derFrage nach der Finanzierung durch dieErhebung vonAlmosensteuern und mit Vorschlägen zur praktischen Regelung des Armenwesens durch Vorgabe vonDefinitionen undKriterien zurdifferenzierten Behandlung vonBettlern,Armen und Bedürftigen. Um den damaligen Stand nachvollziehen zu können, richtet sich der Blick auf das bereits in einem ersten Zugriff von Schemer" untersuchte Werk desAhasver Fritsch mitdem Titel "Tractatus de mendicantibus validis"." Theorie und Norm im Spätmittelalter Kirchliche Lehre desAlmosens Um die Entwicklung und Änderung derArmenfürsorge und ihrerNormierung bes- serbeurteilen zukönnen, ist eszunächst angebracht, einen Blick auf die geistesge- schichtliche Herkunft der Grundsätze derArmenpflege zu werfen. Die mittelalter- liche Interpretation der Pflicht zur christlichen Nächstenliebe fand hinsichtlich der Armenpflege ihre Erscheinungsformen vornehmlich in der Spitalfürsorge und der Austeilung vonAlmosen. Da die ersten Normen zumindest an die Empfängerseite desAlmosens anknüpfen, istnach demVerständnis desAlmosens imMittelalter zu fragen," Verankert ist das Almosen im Bußsakrament als eine der drei Möglich- keiten der .satisfactio". Diese Genugtuung für begangene Sünden tritt nach der christlichen Lehre an die Stelle der zeitlichen Sündenstrafen. Die unbedingte reli- giös-ethische Pflicht zum Almosengeben istjedoch unabhängig von der Verknüp- fung mit dem Bußsakrament." Das Almosen ist aus diesen Beweggründen heraus während des gesamten Mittelalters eine Massenerscheinung, es wurde sowohl von Klöstern und Herrschern, aber auch zunehmend von reichen Bürgern verteilt." Die anerkannten theologischen Voraussetzungen der Verdienstlichkeit wurden in den verschiedenen Systemen der Scholastiker entwickelt. Dass sich dort Unterschiede feststellen lassen zu den volkstümlichen, vereinfachten Verkündigungen von den 14 Ebenda, S. 123. 15 Schemer: Arme und Bettler (wieAnm. 11),S. 129ff. 16 Ahasver Fritsch: Tractatus theologico-nomico-politicus demendicantibus validis, inquoofficio magistratuum circa pauperes, eorum cura &sustentatione; eleemosynarum distributione, exu- lantibus Lutheranis, vagantibus Scholaribus eorumque studiiis stipendiis, otio & mendicitate licita iIlicita, Ordinibus mendicantium Religiosorum, Zigensis, erronibus, aliisqque imposto- ribus, variis fraudibus actechnicis, Item de modis coercendi, censuri publica, operis publicis, Ergasteria, &depoenis falsarorium acstellionum &c.disseritur. Jena 1659. 17 Dass diese Vorstellungen Auswirkungen auf die Spendenbereitschaft des Einzelnen hatten, lässt sichkaum von derHand weisen, soauch Ingomar Bog: ÜberArme undArmenfiirsorge in Oberdeutschland und inder Eidgenossenschaft im IS. und 16.Jahrhundert, in:Alfred Wende- horst (Red.): Festschrift fürGerhard Pfeiffer (Jahrbuch fürfränkische Landesforschung 34/35). Neustadt (Aisch) 1975,S.983-1001, hier S.986. 18 Scherpner: Theorie derFürsorge (wie Anm. 4), S.26. 19 Bronislaw Geremek: Geschichte der Armut. Elend und Barmherzigkeit in Europa. München 1991,hier S.47. RECHTSTHEORIE UND RECHTSORDNUNGEN 25 Kanzelpredigern, mindert nicht die Bedeutung der kirchlichen Lehren." In ihnen finden sich Unterscheidungen hinsichtlich des Nutzens des Almosens, welche an eine Differenzierung zwischen den einzelnen Empfängern anknüpfen." Bedeutsam istdieRolle der Kirche als Institution bei der Gewährung vonAlmosen, bei der sie alsVermittler zwischen Arm und Reich auftritt." Hierin istdieKompetenz der Kir- che auf dem Gebiet derArmenfürsorge zu verorten. Nach der Deutung Brian Tier- neys, der zutreffend das kanonische Recht als ein Rechtsgebiet wie jedes andere ansieht und damit den Rechtscharakter derAlmosenlehre verstärkt in den Vorder- grund stellt, handelt es sich bei der Almosenpflicht um eine mit Zwang durch das Verfahren der "denuntiatio evangelica" durchsetzbare Rechtspflicht." Den ausgeprägtesten Ausdruck erhalten die mittelalterlichen kirchlichen Vor- stellungen über die Armen als Stand und die Funktion und Voraussetzungen des Almosens beiThomas vonAquin inseiner "Summa theologica"." Bezugsraum der Soziallehren desAquinaten istdie agrarisch-gewerbliche Stadt des Mittelalters, die ihn als seinen eigenen Lebensraum prägte." Dem .superfluum'', also das über das zum standesgemäßen Lebensunterhalt erforderliche hinausgehende Gut des Spen- ders, aus welchem das Almosen zu spenden ist, steht auf Seiten des Empfängers die "extrema necessitas", die wirkliche Not, gegenüber. Die Gabe selbst muss aus "Mitleiden um Gottes Willen" heraus erfolgen, um verdienstlich zu sein." In der Soziallehre des Thomas vonAquin findet sich die Betonung derArbeitspflicht der Armen und die scharfe Ablehnung des Bettels aus Faulheit." Zwar ist echte Not Voraussetzung desAlmosens, eine Pflicht desHelfenden, dieBedürftigkeit zuüber- prüfen, lässt sichjedoch nicht ausdrücklich feststellen." Erfolgt dieAlmosengabe unter den aufgestellten Voraussetzungen, so erfolgt sie "de praecepto", also nach Vorschrift. Demgegenüber istdie Gabe vom Gut, welches zum eigenen Lebensun- terhalt notwendig ist, freiwillig und über dasVorgeschriebene hinausgehend. 20 Scherpner: Theorie derFürsorge (wieAnrn. 4), S.25f. 21 Geremek: Geschichte derArmut (wieAnrn. 19),S.35. 22 Ebenda, S.51;Scherpner: Theorie derFürsorge (wieAnm. 4), S.25. 23 So Schemer: Recht derArmen (wie Anm. 1),S. 58 mit Verweis auf Brian Tiemey: Medieval Poor Law.ASketch ofCanonical Theory and itsApplication inEngland. BerkeleylLos Angeles 1959, S. 34ff. bzgl. der fehlenden Berechtigung zur Ausübung des Eigentums für das super- fluum, bzgl. dernachAnsicht Joannes Teutonicus, Huguccio, Alanus bestehenden "denuntiatio evangelica" siehe S. 126fT.Zur "denuntiatio evangelica" vg!. Carl Gerold Fürst; Denuntia- tio evangelica, in:Adalbert ErlerlEkkehard Kaufmann (Hg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 5Bde.Berlin 1978-1998, hier Bd. I, S.679f.: Förmliches kirchenrechtliches Verfahren, welches miteiner Strafe alsBuße zurBesserung des Schuldigen und zurWiedergut- machung beendet werden konnte. 24 Vg!. Scherpner: Theorie der Fürsorge (wie Anm. 4), S.23fT.,S.26 Fn. 2. 25 Ebenda, S.39Fn.41; soauch Schemer: Recht derArmen (wie Anm. 1),S.57. 26 Scherpner: Theorie der Fürsorge (wieAnm. 4), S.26f. 27 Ebenda, S.29ff, S.35. 28 Ebenda, S.36;gleicher Ansicht wieThomas vonAquin istGratian vgl.Tiemey: Medieval Poor Law (wieAnm. 23), S.55. 26 ALEXANDER WAGNER Beginn der städtischen Nonngebung im Spätmittelalter Seit der Nürnberger Bettelordnung von 1370 ändert sich die den städtisch-obrig- keitlichen Nonnen zugrundeliegende Wahrnehmung von Armut. Die herkömm- liche kirchlich-theologische Vorstellung derNotwendigkeit derArmut alsStandzur Bewährung christlicher Nächstenliebe und dasAlmosengeben als religiös-ethische Pflicht und Mittel zur Buße wurde offenbar nicht mehr als ausreichend angese- hen, die Probleme des sozialen Zusammenlebens zu lösen." Sichtbares Zeichen des Wandels ist die stetige Zunahme von Bettelordnungen in vielen Städten des Reiches, indenen die fremden Bettler von der städtischen Almosenverteilung aus- genommen wurden." Dierechtshistorisch bemerkenswerten Änderungen werden offenbar,wenn man den Kompetenzbereich der Fürsorge bedenkt, welcher innerhalb des städtischen Kooperationsrechtes derZünfte unddesRechtes derBruderschaften und Stiftungen des profanen und vor allem des kirchenrechtlich-moraltheologischen Bereiches lag." Hier greifen die städtischen Nonnen einund beginnen Regelungen zutreffen bzgl. der Feststellung der Voraussetzungen der Bettelberechtigung, der Festlegung zeitlicher und örtlicher Beschränkungen und der Einrichtung von diesbezüglichen Kontrollorganen. Auffallend ist die Übertragung einer Pflicht zur Überprüfung der Bedürftigkeit aufeinen furdieStadtHandelnden, wobei diesdenAnfangspunkt bil- det fur ein allmähliches personelles Anwachsen der zuständigen Almosenämter," Ein weiterer Eingriff in kirchliche Zuständigkeitsbereiche stellt die Übernahme der Oberaufsicht über Hospitäler und Stiftungen dar," Naheliegende Motivation ist die Sicherung eines Teilnahmerechts bei der Verwaltung der durch Mittel der Bürgerschaft geschaffenen Kirchengüter, mit dem Ergebnis einer Einschränkung 29 Battenberg: Obrigkeitliche Sozialpolitik (wie Anm. 7), S. 36f.; Knefelkamp: Sozialdiszipli- nierung oder Armenfürsorge (wie Anm. 3), S. 518; Schemer: Recht derArmen (wieAnm. 1), S.58f.; zurgeänderten AufTassung hinsichtlich der Klassifizierung vonArmen und deren Aus- wirkung auf die Gestalt des Almosens gerade inAlmosenstiftungen: Ernst Schubert: Gestalt und Gestaltswandel desAlmosens imMittelalter, in:Gerhard Rechter/Jürgen Schneider (Hg.): Festschrift fürAlfred Wendehorst zum 65. Geburtstag gewidmet von seinen Kollegen, Freun- den, Schülern (Jahrbuch für fränkische Landesforschung 52). Neustadt (Aisch) 1992, S.241- 262, hier S.260. 30 Ernst Schubert: Der ,,starke Bettler", Das erste Opfer sozialer Typisierung um 1500, in: Zeit- schrift filrGeschichtswissenschaft 48(2000). S.869- 893. hier S.888. 31 So auch Lion Feuchtwanger: Geschichte der sozialen Politik und des Armenwesens im Zeit- alter der Reformation (1. Teil), in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft imDeutschen Reich 32(1909), S. 167-204. hier S. 170f.; Schemer: Recht der Armen (wieAnm. 1),S.62f. 32 So u. a. SachßelTennstedt: Geschichte der Armenfilrsorge (wie Anm. 3), S. 33; Schubert: Gestalt und Gestaltswandel des Almosens im Mittelalter (wie Anm. 29), S. 261; genauer zur Nürnberger Ordnung Knefelkamp: Sozialdisziplinierung oder Armenfilrsorge (wie Anm. 3), S.522. 33 Begon: Oe lure Hospitalium (wie Anm. 12), S. 24fT.;Scherpner: Theorie der Fürsorge (wie Anm. 4), S.45. RECHTSTHEORIE UND RECHTSORDNUNGEN 27 kirchlicher Befugnisse." Getragen werden diese Normen vom kaufmännisch-öko- nomischen und rationalen Denken der städtischen Administration." Damit erfährt die Frage nach demUmgang mit derArmut und dem Bettel, welche bisher eher ein sozialpolitisches undkirchenrechtliches Problem darstellte, eine normative Ausfor- mung. Durch diese Schritte bestätigt sich die städtische Obrigkeit als Gesetzgeber, bzw. sie entsteht erst durch diese Aufgabe." Der Griff der weltlichen Obrigkeiten nach der Kompetenz für einen bisher ihrer Regelungssphäre entzogenen Sachver- halt, welcher theologisch-kanonischer Beurteilung unterlegen hatte, istgetan." Positionen der kirchlichen und weltlichen Rechtswissenschaft imMittelalter Das Rechtsproblem der Bettler- undArmutsfrage war indes schon im Bewusstsein der Kanonisten wie z.B.bei Bemardus Parmensis, Hostiensis, Huguccio, Johannes Teutonicus, Panormitanus und Raymundus de Pennaforte vorhanden. Deren Aus- führungen werden von Brian Tiemey als "Medieval poor Law" charakterisiert." Auf dem Boden der Scholastik stand die Sanktionierung der gesunden, arbeitsfä- higenBettler mitStrafeaufgrund desbürgerlich-weltlichen Gesetzes (juracivilia) in C 11, 25, worauf sich schon Thomas von Aquin in seiner "Summa theologica" bezog: "Lex autem civilis imponit poenam validis mendicantibus"." Die Heran- ziehung des römischen Rechts lässt sich auch bei Johannes Teutonicus "Glossa Ordinaria" der Dekrete feststellen." Die Möglichkeit der Regelungskompetenz des weltlichen Normgebers ist fürdasVorgehen gegen starke Bettler demnach den Kanonisten des Mittelalters bekannt. Mit diesem Gegenstand beschäftigte sich ebenfalls bereits im 13.und 14.Jahr- hundert derweltliche TeilderRechtswissenschaft, dieLegistik. Geprägt istdielegi- stische Jurisprudenz derKommentatorenzeit (auch alsPostglossatorenzeit bezeich- net)vonderMitte des 13.Jahrhunderts bishin zumBeginn des 16.Jahrhunderts bei der wissenschaftlichen Bearbeitung des "corpus iuris civilis" von der Hinwendung zur Praxis." DieHeranziehung desrömischen Zivilrechts, insbesondere der Stellen C 11,25(Bestrafung starker Bettler) oderNov 80,5(Zwang zu öffentlichen Arbei- 34 Begon: De lure Hospitalium (wie Anm. 12),S.27; Siegfried Reicke: Das deutsche Spital und sein Recht im Mittelalter, Bd. I: Das deutsche Spital. Geschichte und Gestalt (Kirchenrecht- liche Abhandlungen Ill;ND der Ausgabe Stuttgart 1932). Amsterdam 1970, hier S. 196ff.; Schemer: Arme und Bettler (wieAnm. 11),S. 140. 35 Schemer: Recht derArmen (wieAnm. 1),S.59. 36 Battenberg: Obrigkeitliche Sozialpolitik (wie Anm. 7), S.38; Schemer: Recht derArmen (wie Anm. 1),S.63. 37 Schemer: Recht derArmen (wieAnm. 1),S.63. 38 Tiemey: Medieval Poor Law (wieAnm. 23), S.2ff. 39 Nachweis bei Scherpner: Theorie der Fürsorge (wie Anm. 4), S.33: Summa Theo. II2q. 187 a.5ad 3;Schemer: Recht derArmen (wie Anm. 1),S.66. 40 Tiemey: Medieval Poor Law (wie Anm. 23), S. 58f.; weitergehend zu den Dekretisten und deren Ausführungen zum bedürftigen Armen: Ders.: The Decretists and the ,,Deserving Poor", in: Comperative Studies inSociety and History (1958). Bd. 1,S.360-373. 41 Vgl. Norbert Horn: Die Legistische Literatur der Kommentatoren und der Ausbreitung des Gelehrten Rechts, in: Helmut Coing (Hg.): Handbuch der Quellen und Literatur der neueren 28 ALEXANDER WAGNER ten) istden Kommentatoren wie auch schon den Glossatoren vertraut. DieAusruh- rungen stehen nicht alleine auf dieser Grundlage, sondern sind darüber hinaus in dendamaligen Rechts- und Moralvorstellungen verwurzelt. Erkennbar wird dies an denAusführungen vonAzo, der die fehlende Erlaubnis zum Betteln fürArbeitsfä- hige daran festmacht, dass diese den wirklich Bedürftigen die furdiese bestimmten Gaben wegnähmen. Dies wird mit dem Beispiel des einen verkrümmten Galeeren- sklaven vortäuschenden Bettlers erläutert." Bartolus stützt seineAusführungen" zu C 11,25 unddieFrage nachdem Grund desBettelverbots fürstarke undzuUnrecht almosenheischende Bettler zum einen auf eine diesbezügliche Verfehlung der Absicht desAlmosengebers, zum anderen weist erauf die theologische Richtigkeit seinerAusführungen hin.Ausgenommen vom Bettelverbot sollendie"verschämten Armen", die Sammlungen zugunsten von Hospitälern sowie die Bettelorden sein." Diese Eingrenzung des Anwendungsbereichs berücksichtigt die bereits den Kir- chenvätern? und dermittelalterlichen Kanonistik" bekannten Kategorien. Stellten dieAusführungen der Legisten schon einen Griff nach der bisherigen Domäne der Kirche dar, so ist in der Belegung des Bettels mit strafrechtlichen Sanktionen eineweitereVerfestigung zuerkennen. Der Bettel wird zum einen unter dem Gesichtspunkt des Betruges erfasst, den ein Bettler durch Vortäuschung eines zum Bettel berechtigenden Tatbestandes begeht, zum anderen soll bei Zuwider- handlungen der ,,rector civitatis" eine "poena extraordinaria" verhängen können." Trotz derZuordnung der Frage desBettelverbots durch dieKanonisten zurMaterie des Kirchenrechts lässt sich der selbstbewusste Umgang der Legistik mit diesem Rechtsproblem schon aus diesen wenigen Beispielen erkennen." Die Entstehung undEntwicklung derstädtischen Rechtsordnungen fanden ihreEntsprechung inder weltlichen Rechtswissenschaft. Die Unterscheidung von Bettlern und die Bezeich- nung gewisser Bettler als "starke Bettler" durch Legistik und städtische Normen verstärkte sich imweiteren Verlaufdes IS.Jahrhunderts zueinerTypisierung, deren Gegenstück der sogenannte .Hausarme" wurde." europäischen) Privatrechtsgeschichte. Bd. 1:Mittelalter (1100-1500). München 1973,S.261- 267, bzgl. Traktat S.342-347, hier S.261f. 42 Nachweis desWerksAzosbeiSchemer: Arme undBettler (wieAnm. 11),S.131Fn. 15:Summa perutilis excellentissimi iuris monache domini Azoni ....,Lugduni 1525, zu ell, 25 fol. 333, R334. 43 Nachweis derFundsteIle bei Schemer: Arme und Bettler (wieAnm. 11),S. 131Fn. 17:Bartoli interpretum iuris civilis coriphaei induodecim libris codicis commentaria. Basiliae 1562,zu C 11,25,p 912 s. 44 Vgl. Schemer: Arme und Bettler (wie Anm. 11),S. 131;dort bzgl. der theologischen Richtig- keit derAusfiihrungen von Bartolus das Zitat: cum dare eleemosynam iniuste petendi non sit deo acceptum. 45 Georg Ratzinger: Geschichte derkirchlichen Annenpflege. 2., umgearbeitete Aufl., Freiburg i. Br. 1884,hier S. 156, S. 165mit Hinweis aufBasilius, Hieronymus Ambrosius undAugustin. 46 Tiemey: Medieval Poor Law (wieAnm. 23), S.55ff. 47 Nachweis der FundsteIle nach Schemer: Arme und Bettler (wie Anm. 11),S. 131Fn. 21: Bar- tolus (wieAnm. 43), n 1-3 und Fn.a. 48 Schemer: Arme und Bettler (wieAnm. 11),S. 132. 49 Vgl. Schubert: Der "starke Bettler" (wie Anm. 30), S. 885.

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tischen Schriften wie dem liber vagatorum, dem Narrenschiff oder .. Feuchtwanger: Geschichte der sozialen Politik 2 (wie Anm. 82), S. 223f.; Gere-.
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