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Nora verläßt ihr Puppenheim: Autorinnen des zwanzigsten Jahrhunderts und ihr Beitrag zur ästhetischen Innovation: Dokumentation eines Symposiums, das am 2. und 3. Dezember 1999 auf Einladung der Herausgeberin in der Universität-Gesamthochschule Siegen sta PDF

325 Pages·2000·29.911 MB·German
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Nora verläßt ihr Puppenheim Waltraud Wende (Hrsg.) Nora verläßt ihr Puppenheim Autorinnen des zwanzigsten Jahrhunderts und ihr Beitrag zur ästhetischen Innovation Dokumentation eines Symposiums, das am 2. und 3. Dezember 1999 auf Einladung der Herausgeberin in der Universität-Gesamthochschule Siegen stattfand. Verlag J. B. Metzler Stuttgart . Weimar Die Deutsche Bibliothek -CIP-Einheitsaufnahme Nora verläßt ihr Puppenheim: Autorinnen des zwanzigsten Jahrhunderts und ihr Beitrag zur ästhetischen Innovation / Waltraud Wende (Hrsg.). -Stuttgart ; Weimar: Metzler, 2000 ISBN 978-3-476-45239-9 ISBN 978-3-476-02693-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-02693-4 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. M & P Schriftenreihe für Wissenschaft und Forschung © 2000 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J.B.Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 2000 INHALT Autorinnen verlassen ihr Puppen heim und erproben neue Ich-, Wirklichkeits-und Sprachverständnisse (Waltraud Wende) 7 Die Erschöpfung des Neuen: Vier Überlegungen (Helmut Lethen) 24 Unter Innovationsdruck: Autorinnen der literarischen Modeme (Ortrud Gutj ahr) 35 Vicki Baum: Gelebter und inszenierter Typ der >Neuen Frau< in der Weimarer Republik (Julia Bertschik) 66 Ausbrüche, Einbrüche, Aufbrüche: Autorinnen der 20er und frühen 30er Jahre (Günter Helmes) 88 Von Woolfzu Byatt: Die Kontingenz des Andersseins im männlichen Blick (K. Ludwig Pfeiffer) 103 Innovatives Top Girl: das Theater der Caryl Churchill (Angela Merte) 120 Selbstgewinn durch Sinnverlust: Zum ästhetischen Prinzip bei Clarice Lispector (Renate Kroll) 130 Stimme, Gedächtnis, Tonspur: Marguerite Duras (Barbara Marx) 149 Romane als Medium der Wabrheitssuche: Ingeborg Bachmann, Irmtraud Morgner, Brigitte Kronauer (Ursula Liebertz-Grün) 172 Intertextualität und Intermedialität als Mittel ästhetischer Innovation in Christa Wolfs Roman Medea. Stimmen (Gudrun Loster-Schneider) 222 »Ich möchte seicht sein« - lelineks Allegorese der Welt: Die Kinder der Toten (Ralf Schnell) 250 Der Tod der Geliebten -oder: Ist das Sterbenmüssen einer Frau ein Thema wie jedes andere? (Waltraud Wende) 269 Ich sehe was, was du nicht siehst: Feministische Filmtheorie in Deutschland (Renate MÖhrmann) 295 Self-Online: Konstruktionen von weiblichen Identitäten in der Netzzeit 311 (Angela Krewani) Verzeichnis der Autoren 323 AUTORINNEN VERLASSEN IHR PUPPENHEIM UND ERPROBEN NEUE ICH-, WIRKLICHKEITS- UND SPRACHVERSTÄNDNISSE Waltraud Wende Der Titel des vorliegenden Bandes Nora verläßt ihr Puppenheim - Euro päische Autorinnen des 20. Jahrhunderts und ihr Beitrag zur ästhetischen Innovation spielt an auf das im Jahr 1879 in Kopenhagen uraufgeführte Theaterstück Ein Puppenheim von Henrik Ibsen, also auf Literatur, die weder von einer Frau noch aus dem 20. Jahrhundert stammt. Gleichwohl ist der Bezug zur in diesem Band im Folgenden verhandelten Thematik durchaus signifikant und eindeutig: Ausgangspunkt des Stücks aus der Feder des nor wegischen Autors -das sich im deutschen Sprachraum unter dem Titel Nora durchgesetzt hat - ist die »Stellung der Frau in einer ausschließlich männ lichen Gesellschaft«l, mit anderen Worten: Es geht um das zur Zeit Ibsens vieldiskutierte Thema der Frauenemanzipation. Ibsen selbst kommentiert - als er im Oktober 1878 die Arbeit arn Pup penheim beginnt - den realistischen Hintergrund dieser )Gegenwarts-Tragö die< wie folgt: Eine Frau kann nicht sie selbst sein in der Gesellschaft, einer ausschließlich männlichen Gesellschaft, mit von Männem geschriebenen Gesetzen und Anklägern und Richtern, die über das weibliche Verhalten vom männlichen Standpunkt aus urteilen.2 Gerd Enno Rieger: Henrik lbsen -mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. 5. Aufl., Reinbek bei Hamburg 1981, S. 73. 2 Zitat in: Henrik Ibsen: Nora (Ein Puppenheim). Schauspiel in drei Akten. Aus dem Norwegischen übertragen von Richard Linder. Mit einer Nachbemerkung von A1do Keel. Stuttgart 1995, S. 95. 8 Waltraud Wende Der Inhalt von Ibsens Ein Puppenheim ist folgender: Nora, eine junge Frau, hat, ohne die rechtlichen Folgen zu bedenken, drei Tage nach dem Tod ihres Vaters dessen Unterschrift gefälscht, um ohne Wissen ihres Mannes HeImar ein Darlehen aufnehmen zu können. Mit dem Geld ermöglicht sie ihrem Mann einen lebensrettenden Genesungsaufenthalt im Süden. Da sie weiß, daß dem selbstbewußten Gatten schon der Gedanke, er habe seine Genesung der finanziellen Hilfe seiner Frau zu danken, peinlich ist, zahlt Nora die Dar lehensraten heimlich. Die Situation spitzt sich jedoch zu, als Helmar, in dessen Bank der Gläu biger seiner Frau als kleiner Angestellter tätig ist, beabsichtigt, diesen wegen dessen anrüchiger Vergangenheit zu entlassen. Die Pläne Helmars bringen Nora in eine heikle Lage, denn der von der Entlassung Bedrohte hat mittler weile in Erfahrung gebracht, daß sie sich seinerzeit ihr Darlehen mittels einer Unterschriftsfälschung erschlichen hat. Nun droht er alles aufzudecken, falls Nora seine Entlassung nicht verhindere. Obwohl die junge Frau der festen Überzeugung ist, daß ihr Ehemann, sollte er alles erfahren, wie ein >Held< zu ihr halten werde, setzt sie alles daran, die Wahrheit nicht ans Licht kommen zu lassen. Als Helmar die Wahrheit dennoch erfahrt, überschüttet er seine Frau mit Vorwürfen. Ohne eine Wort der Dankbarkeit besteht seine einzige Sorge le diglich darin, die drohende gesellschaftliche Kompromittierung zu verhindern. Erst nachdem er den Schuldschein mit der von seiner Frau gefälschten Unter schrift vom Gläubiger zurückerhalten hat, ist Helmar bereit, Nora zu verzeihen und seine alte Rolle als überlegener Beschützer der >kleinen hilflosen< Frau wiederaufzunehmen. Doch nun ist es zu spät, Nora hat erkannt, daß sie für ihren Mann nicht mehr als ein Spielzeug und keineswegs eine gleichwertige Person darstellt und verläßt ihr >Puppenheim<, um ein selbständiger Mensch mit eigenen Gedanken und eigenen Erfahrungen zu werden. Ihre Positio nierung gegenüber ihrem Mann ist eindeutig: »Vor allem bin ich ein Mensch, glaube ich, ebenso wie du -oder wenigstens will ich versuchen, einer zu wer den.«3 Auch wenn Nora ihre Forderungen nach persönlicher Freiheit und indivi dueller Selbstbestimmung nicht mit Blick auf ihre Geschlechtsgenossinnen, sondern als allgemeinmenschliche Ansprüche formuliert, mit der Wandlung von der puppenhaften Naivität des >Weibchens<, das wie ein kleiner Schmet- 3 Henrik Ibsen: Nora (Ein Puppenheim), S. 90. Autorinnen verlassen ihr Puppenheim 9 terling zur Freude der Umgebung durch das Leben flattert, zur Erkenntnis fähigkeit der sich aus Unterdrückungsverhältnissen befreienden Frau stellt lbsen seine Bühnenfigur in den Diskurszusammenhang der Frauenemanzi pation. Und genau dies war der Hintergrund für den nahezu beispiellosen Er folg des Stücks. Das Motiv der Frau, die sich wie eine >Puppe< behandelt fühlt, taucht nicht erst in Ein Puppenheim auf, sondern wird von lbsen bereits zehn Jahre zuvor im Bund der Jugend thematisiert. Hier faßt Selma Bratsberg ihre Ankla ge gegen die frauenfeindliche Männergesellschaft in folgenden Worten zu sammen: »Ihr zogt mich an wie eine Puppe; Ihr spieltet mit mir, wie man mit einem Kind spielt. Und ich hätte doch mit heller Freude Schweres ertragen; ich hatte eine ernste Sehnsucht nach allem, was da stünnt und emporhebt und erhöht. «4 Unmittelbare Anregung zu Ein Puppenheim hatte Henrik Ibsen durch das Schicksal der norwegisch-dänischen Schriftstellerin Laura Kieler geliefert be kommen. Laura Kieler hatte - wie später lbsens Nora - ohne Wissen ihres Mannes ein Darlehen aufgenommen, um dem Gatten durch eine Reise in den Süden die Heilung von einer Lungenkrankheit zu ennöglichen. Als sie später die Schulden nicht bezahlen konnte, stellte sie einen falschen Wechsel aus, der dann allerdings aufflog. Es kam zum öffentlichen Skandal, der Ehemann trennte sich von ihr, und sie selbst wurde in ein Asyl für Geisteskranke ein geliefert. Neben dieser realgeschichtlichen Hintergrundgeschichte dürfte Ibsens Interesse am Thema der Frauenunterdrückung aber nicht zuletzt auch durch seinen Kontakt zu Camilla Collett geweckt worden sein. Die norwegische Schriftstellerin und Frauenrechtlerin, die wiederholt bei den Ibsens zu Besuch war, hatte sich bereits in ihrem Roman Die Töchter des Amtmanns mit der sogenannten >Frauenfrage< auseinandergesetzt: Ab 1774 veröffentlichte sie dann unter dem Titel Aus dem Lager der Stummen Streitschriften zur Frauen emanzipation, die vor allem von Ibsen Ehefrau, Suzannah, eifrig gelesen wur den. Last not least war Ibsens Arbeit am Puppenheim durch ein Erlebnis mo tiviert, das er 1878 während seines zweiten Romaufenthaltes mit dem >Skan- 4 Henrik Ibsen: Bund der Jugend. In: Ders.: Sämtliche Werke in deutscher Sprache. Durchgesehen und eingeleitet von Georg Brandes! Ju1ius Eliasl Paul SchIenther. Vom Dichter autorisiert. Berlin 1898f., Bd. 10, S. 86. 10 Walttaud Wende dinavischen Verein< hatte. Ibsen pflegte diesen Verein regelmäßig aufzusu chen, um dort die skandinavischen Zeitungen zu lesen. Bei einem solchen Besuch stieß er auf die Statuten des Vereins, die dieser sich Anfang der 60er Jahre gegeben hatte. Danach durften Frauen zwar die Einrichtungen des Vereins benutzen, sie hatten aber weder das Recht, Ämter zu bekleiden noch die Möglichkeit als stimmberechtigte Mitglieder der Generalversammlung beizuwohnen. Ibsen beantragte daraufhin im Februar 1879, den Frauen zukünftig auch den Bibliothekarposten zu ermöglichen und ihnen gleichzeitig das volle Stimmrecht in der Generalversammlung zu gewähren. Der erste Teil seines Antrags fand die Zustimmung der Generalversammlung, der zweite Teil, in seiner Forderung nach vollem Stimmrecht viel substantieller, verfehlte um eine Stimme die satzungsgemäße Zwei-Drittel-Mehrheit. Der Ausgang der Ab stimmung muß Ibsen schwer getroffen haben: »Er setzte sich allein in ein Weinhaus und weigerte sich, mit jemandem zu sprechen, der gegen ihn ge stimmt hatte.«5 Die Manuskriptvorlage für die Begründung des Antrages im >Skandina vischen Verein< - an die sich Ibsen während seiner Rede auf der Generalver sammlung nach Aussage seines Sohnes Sigurd allerdings nur wenig gehalten haben so11-ist überliefert. Der Frau wird darin das >natürliche Gefühl< zuge sprochen, >unbewußt< und >intuitiv< das Richtige zu tun: Und »gerade dieser Instinkt ist es, den die Frau mit der Jugend und dem wahren Künstler gemein sam hat.«6 Interessant hierbei ist, daß Ibsen in seiner Argumentationsstrategie eine Kopula zwischen der Frau, der Jugend und dem >wahren< Künstler kon struiert, wobei - auf Gefühl und Natur abonniert - die drei Angesprochenen indirekt in eine Polarität zur an der Ratio orientierten >bürgerlichen Öffent lichkeit< gebracht werden. Das >romantische Erbe< einer solchen Vorstellung ist offenkundig. Die Vorstellung, daß die Frau über >instinktgeleitete< und >natürliche Ge fühle< verfügt, ist es dann auch, die in Ein Puppenheim den Ausbruch Noras aus ihrer bisherigen Lebenswelt motiviert. Nora trennt sich von ihrem Mann, nicht weil sie ihre Situation reflektiert, sondern weil sie über den >richtigen Instinkt< verfügt und ihren Gefühlen folgt: »Statt eines moralischen Bewußt- 5 Rieger: Henrjk lbsen. S. 75. 6 Henrik Ibsen: Nachgelassene Schriften in vier Bänden. Hg. von Julius Elias und Halv dan Kohlt. Berlin 1909. Bd. I. S. 219.

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