Clemens Knobloch Noch einmal: Partikelkonstruktionen Setzen, stellen, legen u.a. Was hast du denn da angestellt Mit dem, was ich da aufgestellt? Du hast dich nicht nur drangestellt Du hast dich auch noch draufgestellt. Der Deckel war schon draufgemacht Ich dachte, nun sei´s eingemacht Du hast es wieder aufgemacht Dich draufgestellt und reingemacht. Ich hatte alles drangesetzt Ich hatte mich so eingesetzt Doch kaum war alles angesetzt Da hast du dich schon reingesetzt. Was heißt das, ich sei aufgebracht? Wer hat das Zeug denn reingebracht? Ich selber hab es raufgebracht – Und was hat mir das eingebracht? Wie schön war alles eingelegt! Wie hatte ich mich krummgelegt! Einmal hast du mich reingelegt. Nochmal – und du wirst umgelegt! (Robert Gernhardt) Abstract Using the much debated German particle verb construction as an example, some basic questions of Construction Grammar are investigated: constructional meanings, compositionality of meaning, the role of lexical verb bases, morphological and/or syntactal analysis. It is argued that the traditional mode of presentation in historical-comparative grammar (as practiced by Neogrammarians like Hermann Paul) is “constructional” in spirit and mirrors empirical concern for constructional change and constructional meaning. Pro- totypical verb particles are analyzed within a pattern of grammaticalization and lexicaliza- tion of adverbial relators stemming from deictic “imperatives” comparable with English elements like Down!, Up!, Away!, Out!. These elements are the sources for the evolution of prepositions and copredicative adverbials used to build patterns of “phrasal verbs” and particle constructions. DOI 10.1515/ZGL.2009.035 Bereitgestellt von | Universitätsbibliothek Tübingen Angemeldet Heruntergeladen am | 09.09.15 21:25 C. Knobloch, Noch einmal: Partikelkonstruktionen 545 0. Vorab 1. Kompositionalität und/oder Konstruktionsbedeutung? 2. Echte Direktionalartikel 3. Zum Status der partikelbildenden abverbialen Relatoren 4. Einige Schlussfolgerungen 5. Literatur 0. Vorab Angesichts der Fülle hochkarätiger Arbeiten über die Partikelverben der deut- schen Gegenwartssprache mag es vermessen sein, das Thema erneut auf die Ta- gesordnung zu setzen.1 Andererseits dürfte sich kaum ein Phänomen stärker für exemplarische konstruktionsgrammatische Analyseversuche anbieten als gerade die Partikelverben. Das hat mehrere Gründe. Zum einen erlaubt es die Axiomatik der KG, den alten Streit über den strukturellen „Ort“ der Partikelverben (in der Syntax, in der Wortbildung, in der Morphologie oder im Lexikon) ad acta zu le- gen. Die KG gesteht allen Konstruktionen quasi-lexikalischen Status zu und er- klärt die Opposition von syntaktischen und morphologischen Formaten für weit- hin irrelevant. Weiterhin hat die enge Verbindung von Verb und Partikelelement2 erkennbare „Auswirkungen“ sowohl auf Syntax, Valenz, Argumentstruktur der Basisverben als auch auf ihren lexikalisch-semantischen Status. Schließlich kann man auch (wie Lüdeling 1999) zu dem Schluss kommen, dass es Partikelverben als linguistischen Gegenstand gar nicht gibt, weil es sich bei den einschlägigen Phänomenen lediglich um eine grenzunscharfe Untergruppe eines phrasal- syntaktischen Konstruktionsformates handelt, das mit der Wortbildung an sich nichts zu tun hat und neben den „Partikelverben“ auch andere fokussierte phrasa- le Koprädikate (Resultative, Depiktive, Adverbiale) umfasst. In jedem Falle han- delt es sich um ein Format, das die für prototypisch geltenden Eigenschaften von Konstruktionen in reichem Maße aufweist: Partikelverbkonstruktionen sind kate- gorie- und lexemspezifisch, sie involvieren eine teilproduktive Kombinatorik, wel- che idiomatisch-lexikalische, aber auch semantisch kompositionale Sprachgebilde erzeugt. Ihre Bestandteile, Basisverben und „partikelfähige“ Adjektive, Adver- bien, Relatoren (und peripher auch Substantive) haben sowohl eigene als auch für die Konstruktion spezifische Verwendung. Einschlägig für das Problem der eigenständigen Konstruktionsbedeutung sind die Partikelverben weiterhin, weil sie – wie freilich viele Simplexverben auch – reichlich Belege liefern für Argumentstrukturen, die nicht durch das Verb allein _____________ 1 Ich nenne hier nur Stiebels & Wunderlich (1992), Maienborn (1993), Stiebels (1996), Olsen (1998), Lüdeling (1999) und unterschlage zahlreiche neuere Arbeiten zu den (in mancher Hin- sicht analogen) Phrasal Verbs des Englischen und den trennbaren Verben des Niederländischen. 2 Was darunter zu verstehen sein soll, wird gleich problematisiert. Bereitgestellt von | Universitätsbibliothek Tübingen Angemeldet Heruntergeladen am | 09.09.15 21:25 546 ZGL 37.2009, 544–564 bestimmt werden,3 wohl aber umgekehrt dessen Lesart und Interpretation aktiv prägen (Goldberg 1995). Die KG ist bekanntlich dekompositional, holistisch und erpicht auf eigenständige Konstruktionsbedeutungen, und sie geht bisweilen so weit, Formaten, die kompositional aus anderen abgeleitet werden können, den Konstruktionsstatus abzusprechen. Was die Argumentkonstellation betrifft, so liegt es in der Tat nahe zu argu- mentieren, dass etwa bei den – weitgehend analogen bzw. symmetrischen – Parti- kelverbmustern: jmdm etw an-X-en (drehen, dienen, empfehlen, tragen, lachen, reichen, stecken..) jmdm etw auf-X-en (drücken, bürden, nötigen, schwatzen, drängen, zwingen..) jmdm etw ab-X-en (betteln, bitten, dingen, handeln, jagen, schwatzen, trotzen, lauschen, gucken...) jmdm etw weg-X-en (nehmen, holen..) die Konstruktionsbedeutung weit stärker durch die Kasus- und Partikelkonstella- tion bestimmt ist als durch die (gleichsam einsetzbaren) passenden Verben – zweifellos ein beunruhigender Befund für Valenzgrammatiker, aber auch kein be- sonders gutes Argument für nicht-kompositionale Konstruktionsbedeutungen. Auch findet man in diesem Feld leicht Muster, die dem Ideal einer auch konnota- tiv-pragmatischen Konstruktionsbedeutung insofern nahekommen, als sie auch einheitliche soziopragmatische Werte aufweisen: jmdm etwas auf-X-en = „gegen den Willen von DAT“ ein-X-en auf jmdn (reden, schlagen, prügeln, dreschen, stürmen, stechen..) = „agressiv, bedrän- gend“ Die erste These, der ich nachgehen möchte, lautet folgendermaßen: Die klassi- sche Einteilung der Partikelverben, wie man sie in den älteren Standardwerken der germanistischen Linguistik (Kühnold & Wellmann 1973 z.B.) findet, präsen- tiert sich zwar derivationell, gibt aber im Grunde bereits so etwas wie die Auftei- lung der Bildungen in Konstruktionsbedeutungen. Meine Beispiele und Belege nehme ich in der Hauptsache aus den auf-Bildungen. In Kempckes (1965/66: 393f) Analyse der an- und auf-Verben findet man die folgende Selbstbeschreibung für die Anatomie der ermittelten Bedeutungsgrup- pen: Die Bedeutungsgruppe wird als die semantische Teilstruktur eines wortbildnerischen Mittels verstanden, das mit seinem Grundwort (Verb und Partikelbestimmung) als ei- ne innere funktionelle Einheit empfunden wird. Verb und Partikel beeinflussen sich wechselseitig und erhalten schließlich ihre genaue Bestimmung im Satz. Man beachte, dass der „lexikalische“ Status der Partikelverben gewissermaßen als bloß „gefühlt“ gilt und die fallweise konstruktionale Spezifizierung der Bedeutung ausdrücklich zugestanden wird. _____________ 3 Gleich, ob man prima facie das Partikelelement zum (dann komplexen, abgeleiteten) Verb rech- net, oder nicht. Bereitgestellt von | Universitätsbibliothek Tübingen Angemeldet Heruntergeladen am | 09.09.15 21:25 C. Knobloch, Noch einmal: Partikelkonstruktionen 547 Was auf betrifft, so unterscheidet Kempcke (1965/66) die folgenden großen Bedeutungsgruppen: 1. emporweisende Zielrichtung, nach oben (aufblicken, auffliegen) 2. ansammeln, anhäufen (aufschichten, auftürmen) 3. völlig, ganz und gar (aufessen, aufkaufen) 4. Richtung nach unten, etw. auf etw. (aufsetzen, aufstreichen) 5. horizontale Richtung (aufprallen, aufmarschieren) 6. Zustand der Ruhe (aufbehalten) 7. öffnen (aufmachen, aufschließen, aufscheuern) 8. Richtung auf die Person des Handelnden (auffangen) 9. Ende (aufgeben, aufkündigen) Großgruppen wie etwa (1) werden dann weiter aufgefächert nach mehreren Ge- sichtspunkten. Einmal nach semantischen Beschränkungen für einsetzbare Basis- verben (oder bei deadjektivischen bzw. denominalen Bildungen entsprechend), dann auch nach konstruktionellen Analogien. So zeichnet sich die inchoative4 Un- tergruppe von (1) dadurch aus, dass die Aufwärtsbewegung metaphorisch ver- blasst ist, dass die Argumentkonstellation des Basisverbs sich nicht verändert und dass der semantische Schwerpunkt der Gruppe bei optischen und akustischen Handlungs- und Ereignisverben liegt: aufleuchten, aufblitzen, aufflackern, aufheulen, aufjaulen, aufseufzen, aufzucken, aufbrüllen, auf- branden... Das sind durchweg konstruktionsgrammatische Kategorien und Verfahren. Auto- ren wie Kempcke (1965/66) gehen faktisch aus von prototypischen Konstrukti- onsbedeutungen und deren analogischer Ausweitung auf grammatisch-semantisch und konstellativ verwandte Verben. In praxi gelten die Partikelelemente plus Konstruktion als Schlüssel für die mit ihnen kompatiblen Basen. Ausdrücklich re- flektiert ist dabei auch die Möglichkeit der echten konstruktionellen Homonymie. Wenn ich angesichts eines fest verschlossenen Marmeladeglases sage: Das krieg ich nicht auf dann befinde ich mich in der Gruppe (7). Wenn ich den gleichen Satz angesichts eines arg gefüllten Tellers äußere, dann befinde ich mich in der Abteilung (3). Sol- che Beobachtungen verweisen schon auf den heuristischen Nutzen, der mit der Erprobung der semantisch blassen, tendenziell auf Grammemstrukturen redu- zierbaren Passepartout-Verben wie machen, kriegen, lassen, bringen etc. verbunden _____________ 4 Kempcke (1965/66: 284) spricht von „plötzlich einsetzend – schnell beendet“. Bereitgestellt von | Universitätsbibliothek Tübingen Angemeldet Heruntergeladen am | 09.09.15 21:25 548 ZGL 37.2009, 544–564 ist.5 Je stärker die Beteiligung der lexikalischen Verbbedeutung an den Partikel- verbkonstruktionen zurücktritt, desto deutlicher tritt die Beteiligung von Partikel plus Konstruktion in den Vordergrund. Die weiter oben bereits erwähnte Gruppe mit aufdrängen, aufschwatzen, aufnötigen, aufbürden, aufladen erscheint dann bei Kempcke als Untergruppe zu (4), die nach Konstruktion und Bedeutung relativ einheitlich ist.6 Wer sich die Untergruppen Kempckes (1965/66) genauer anschaut, der fin- det freilich auch Spuren lexikalisch-semantischer Eintrübung des konstruktions- grammatischen Blickes. Es werden Gruppen gebildet, die (wirklich oder ver- meintlich) semantisch homogen sind, aber konstruktionell ganz heterogen. Wir betrachten kurz die Gruppe (3), die unter der Überschrift „völlig, ganz und gar“ sowohl Fälle umfasst, bei denen sich die Argumentkonstellation des Basisverbs gar nicht ändert (aufessen, auflöffeln, auflutschen, aufwischen, aufrauchen, aufteilen..) als auch Fälle, bei denen die Konstruktion des Basisverbs deutlich verändert ist (wie aufarbeiten, wiewohl arbeiten kein „vollständig konsumierbares“ Objekt zulässt). In der gleichen Abteilung führt Kempcke (1965/66) auch die Verben des „Zu- rechtmachens“ wie aufputzen, aufdonnern, aufschminken, aufbrezeln, aufpeppen, aufmotzen etc., die vielfach seltsame Basisverben wie ?brezeln, ?peppen haben, oder auch sol- che, die in gar keiner erkennbaren Beziehung zur resultierenden Konstruktions- bedeutung stehen. Kempcke unterstreicht, dass einiges aus dieser Gruppe auch in die Abteilung (1) gerechnet werden kann, die auch metaphorische Verdünnungen der Aufwärtsbewegung beherbergt. Wer allerdings sprachpsychologisch denkt (und die KG will ja eine „realistische“ Grammatik sein), der wird sich darüber nicht wundern. Denn die Anschließbarkeit an mehrere analogische Gruppen stärkt eine Bildung enorm. Bei solchen Mehrfachgruppierungen erscheint die Kontur einer „resultati- ven“ Partikelverbkonstruktion.7 Die schließt dann allerdings sogar Bildungen ein, die von „Semantikern“ streng und unbedingt auseinander gehalten werden, z.B. solche, in denen das Element auf als Adjektiv mit der Bedeutung „offen“ gilt. An- ders gesagt: Vereint werden die Konstruktionen, die einen Endzustand fokussie- ren, in dem die Tür auf, das Brot aufgeschnitten, die Beute aufgeteilt, der Safe aufgebro- chen, die Menschheit aufgeklärt, das Gedicht aufgesagt und die Botschaft aufgeschlüsselt ist. Sie haben allesamt einen resultativen Anstrich und lassen ergo die Verbindung _____________ 5 Ich verstehe unter „Passepartout-Verben“ Elemente, die auf dem Weg zu bloßen Verbalisatoren sind, mit vielen verschiedenen konstruktionellen Umgebungen vereinbar und typischerweise in ihren Partikelverbbildungen auf instruktive Weise polysem, weil sie die analogisch aktiven Bil- dungsmuster offenbaren. Vgl. etwa für aufhaben: den Hut aufhaben, das Essen aufhaben, Hausaufgaben aufhaben etc. 6 Genauer zu dieser Gruppe auch Stiebels (1996: 130ff). 7 Die hohe Affinität vieler Partikelverbkonstruktionen zu Resultativkonstruktionen ist natürlich immer wieder hervorgehoben worden. Zu denken ist hier an Analogien der koprädikativen Ver- bindung von Partikelelement und Adjektiv mit dem jeweiligen Hauptverb (vgl. Plank 1985, Vo- gel 1997). Ich komme darauf zurück. Bereitgestellt von | Universitätsbibliothek Tübingen Angemeldet Heruntergeladen am | 09.09.15 21:25 C. Knobloch, Noch einmal: Partikelkonstruktionen 549 des Part. II mit sein zu, obwohl sie semantisch zu unterschiedlichen Bedeutungs- gruppen gerechnet werden können. Bezeichnenderweise gibt es Fälle, bei denen das auf ein Argument nimmt wie ein Prädikat, aber eben auch Fälle, bei denen das „einschlägige“ Argument ebenso gut zum Basisverb gerechnet werden kann (etwa die „konsumtiven“ auf-Verben). An diesem theoretischen Ort setzt ein Versuch ein, die KG mit der Valenz- grammatik zu versöhnen. Man kann nämlich argumentieren, dass konstruktionelle Valenz eben nicht einfach vom Basisverb, sondern vom „komplexen Prädikat“ abhängt, zu welchem man resultative Adjektive, Direktionalia, Verbpartikel u.a. rechnen kann. Die Formel lautet: Weinen mag einwertig sein, aber nass weinen ist zweiwertig und nimmt ein Akkusativobjekt (Willems & Coene 2006). Aus dieser Perspektive ist es gleichgültig, ob das Partikelelement ein Argument bindet oder das Basisverb. Entscheidend ist der Komplex aus dem Verb und seinen (ko)prädikativen Zusätzen. Im Ergebnis wären nicht nur lexikalische Verben Va- lenzträger, sondern eben auch komplexe Prädikate. Dieser Modellgedanke ver- wischt die Grenze zwischen Lexikon und Grammatik gewissermaßen von der an- deren Seite. Jeder wird akzeptieren, dass aufschwätzen ein Verblexem ist, dessen Valenz mit einigem Recht von der des Basisverbs schwätzen unterschieden wird. Aber wird jeder akzeptieren, dass vom Tisch (herunter) husten ein Verb und Valenz- träger ist? Auch diesen Pfad kann ich hier nicht weiter verfolgen. Weitere konstruktionsgrammatisch interessante Beobachtungen notiert Kempcke. Eine davon möchte ich noch besprechen. Zu den vielen Seltsamkeiten der Partikelkonstruktionen gehört, was Kempcke (1965/66: 286) „Objektum- sprung“ nennt.8 Beim Teekochen wird bekanntlich das Wasser über oder auf den Tee gegossen. Man kann nun fragen: Hast du das Wasser schon aufgegossen? Oder aber: Hast du den Tee schon aufgegossen? Nimmt man auf zunächst als einen zweistelligen adverbialen Relator,9 was ich wei- ter unten vorschlagen werde, so fällt auf, dass Wasser in den einen („modifikati- ven“), Tee aber in den anderen („rektiven“) slot des Relators passen. Wollte man die Verbpartikel auf in den Verwendungen, die semantisch den der gleichlauten- den Präposition ähnlich sehen, als Präposition interpretieren, dann müsste man sagen: Wasser wäre das äußere, Tee das innere Argument der präpositionalen Rela- tion. Konstruktionsgrammatisch freilich wäre der „Objektumsprung“ möglicher- weise ein Indiz dafür, dass Verbpartikel ihre Relationalität jeweils so in die Ge- samtkonstruktion einbringen, dass eine pragmatisch-semantische Gestaltschließung möglich wird. Vor diesem Hintergrund wären auch die (bei Stiebels 1996 für auf _____________ 8 Viele ähnliche Beispiele auch bei Kühnold & Wellmann (1973). 9 Im Sinne von Lehmann (1995: 74ff). Bereitgestellt von | Universitätsbibliothek Tübingen Angemeldet Heruntergeladen am | 09.09.15 21:25 550 ZGL 37.2009, 544–564 und bei Olsen 1999 für ein genau untersuchten) denominalen Partikelverben in ih- rer Mehrzahl dadurch gekennzeichnet, dass sie die nominale Basis als inneres Ar- gument und das Objekt der Konstruktion als äußeres Argument nehmen (aufbah- ren, auftürmen, auftischen bzw. eintüten, einkellern, einsacken etc.). Das Subjekt wäre dann das einzige Argument, das von der kategorial verbalen Folie der Bildung her zu verstehen ist. Solche relativ regelmäßigen Muster könnte man (das sicherlich gegen Kempckes lexikalisch-semantische Intentionen) darauf zurückführen, dass die Relationalität der Partikel nicht mit der Relationalität eines lexikalischen Basis- verbs fusionieren muss. Als nichtrelationale Wortart ist die substantivische Basis zunächst relational neutral. Das bedeutet, dass alle Argumentstellen der Relation entweder auf den Relator oder aber auf das Verbalisierungsgrammem zurückge- führt werden müssen. 1. Kompositionalität und/oder Konstruktionsbedeutung? Zu den Hauptanliegen der jüngeren Partikelverbanalysen gehört der Versuch, de- ren hochgradige Systematik und Kompositionalität nachzuweisen. Natürlich be- streitet niemand, dass es auch ausgeprägt undurchsichtige und lexikalisierte Bil- dungen gibt, die synchron kaum oder gar nicht mit der Bedeutung des Basisverbs in Verbindung gebracht werden können oder auch gar nicht mehr morphologisch analysiert (aufhören, aufbegehren, jmdm aufwarten, aufwiegeln…). Indessen sind viele gu- te Argumente dafür zusammengetragen worden, dass systemisch-kompositionale Analysen weiter tragen, als man zuvor angenommen hatte, sowohl auf der Ebene der Bedeutung als auch auf der Ebene der jeweils resultierenden Konstruktions- weise und Argumentstruktur der Partikelverben. In den Ansätzen, die einer Zweiebenensemantik verbunden sind (Wunder- lich, Stiebels, Olsen), wird die lexikalische Bedeutung der Partikelverben in einem morphosyntaktischen Prozess kompositional erzeugt und dann konzeptuell inter- pretiert. Partikelverben bilden so etwas wie eine komplexe, aber regelhafte seman- tische Form, die unter Einbeziehung zusätzlicher (konzeptueller, kontextueller etc.) Beziehbarkeiten fallweise ausgedeutet wird: Die semantische Form spezifiziert den kompositionellen Aufbau des invarianten An- teils der Bedeutung, die in einem bestimmten Kontext durch kontextuelles und kon- zeptuelles Wissen zu einer vollständigen Äußerungsbedeutung ausdifferenziert wird. (Olsen 1998: 13) Auch die Argumentstruktur der Partikelverben gilt dem entsprechend als weithin regelhaft und kompositional erzeugbar, wie vor allem in den Arbeiten von Stie- bels ausgeführt wird. Etwas anders, aber im Grundsatz ebenso kompositional, se- hen die Dinge da aus, wo die Partikelverben nicht der Morphologie und Wortbil- dung, sondern dezidiert der Syntax zugeordnet werden (z.B. Lüdeling 1999). Sie gelten dann, sofern nicht voll kompositional, als „lexical phrasal constructions“, Bereitgestellt von | Universitätsbibliothek Tübingen Angemeldet Heruntergeladen am | 09.09.15 21:25 C. Knobloch, Noch einmal: Partikelkonstruktionen 551 und man kann der Frage nachgehen, welche Anteile der Konstruktionsbedeutung und welche ihren Elementen und Bauteilen zugerechnet werden sollen. Ein starkes Argument gegen die kompositionale Auffassung der Partikelver- ben besteht darin, dass man nachweisen kann, dass sie durchweg erst dann „kompositional“ aussehen, wenn man ihre lexikalische Bedeutung kennt. Klos (i.Dr.) führt diesen Nachweis für die substantivische Determinativkomposition, er ließe sich aber analog auch für die vermeintlich durchsichtigen Partikelverben führen. Was wie Kompositionalität aussieht, ist eigentlich die dekompositionale Ex-post-Rationalisierung einer (bereits bekannten) lexikalischen Bedeutung. Interessant ist allerdings, dass auf der Ebene einer lexikalischen Zweiebenen- semantik durchaus stärkere Kompositionalitätsannahmen gehandelt werden als im Felde der syntaktischen „lexical phrasal constructions“. Das überrascht, weil es einen traditionellen Konsens zu geben scheint, der beinhaltet, dass genuin syntak- tische Gebilde stärker kompositional sind als komplexe Lexeme, die zu Demoti- vierung und zum Kompositionalitätsverlust neigen. Dem entspricht z.B. die Ansicht, dass die Kompositionalität in den (dann zur Wortbildung oder Derivation gezählten) Partikel- und Präfixverben verloren ge- he, wenn sich ein Relator des Typs auf oder an einem Verb enger anschließt, auch dann, wenn der Relator seine rektive Leerstelle dem Verb unverändert überträgt. Lehmann & Scholz (1992: 9) geben das Beispiel an den Kühlschrank gehen vs. den Dienstherren angehen Aus dem intransitiven, aber direktional ergänzbaren gehen macht die modifikative Fusion mit dem Relator an ein Transitivum, das nunmehr als ganzes die rektive Leerstelle des Relators erbt, das aber – anders als das Syntagma an den Kühlschrank gehen – semantisch nicht mehr kompositional, sondern nur analogisch konstruiert werden kann: Tatsächlich geht die Konstituenz des Relators mit dem Modifikatum, d.h. die Hinzu- fügung einer rektiven Leerstelle, im Deutschen meist nicht kompositionell vonstatten und ist somit sekundär doch semantisch relevant. (Lehmann & Scholz 1992: 9) Weitgehend durchgesetzt haben sich gleichwohl, infolge der genannten neueren Arbeiten, Analysen, welche die Partikelverben (in der Terminologie von Stiebels 1996) als lexikalische Argumente und als Adjunkte beschreiben. So gibt Eisenberg (1998 II: 256) für die (mit Bezug auf Kontaktpräpositionen wie an, auf, in prototy- pische) Kombination von auf mit dynamischen Verben der Ortsveränderung (set- zen, stellen, legen, kleben..) die folgende Analyse: Er stellt Blumen auf den Tisch ⇒ Er stellt Blumen auf Er setzt den Kessel auf den Herd ⇒ Er setzt den Kessel auf Er klebt die Briefmarke auf den Umschlaf ⇒ Er klebt die Briefmarke auf Dabei gilt die Partikel zugleich als Präposition und als „existenzielle Schließung“ oder „Argumentsättigung“ für die dritte, direktionale Leerstelle des Simplexverbs, Bereitgestellt von | Universitätsbibliothek Tübingen Angemeldet Heruntergeladen am | 09.09.15 21:25 552 ZGL 37.2009, 544–564 die freilich unter bestimmten Umständen noch mit einer „pleonastischen“ Präpo- sitionalphrase gefüllt werden kann (Er klebt die Marke auf den Umschlag auf): Im Übergang zum Partikelverb findet [Im Gegensatz zum prototypischen Präfixverb; CK] keine Argumentvererbung, sondern lediglich die Ersetzung eines expliziten durch ein implizites Argument statt. Die Partikel hat deshalb nicht die Funktion eines Kop- fes, sondern sie modifiziert den Stamm des Basisverbs. (Eisenberg 1998 II: 255) Als Adjunkte gelten die Partikeln dann, wenn sie nicht bestehende Argumentstel- len des Basisverbs sättigen, sondern selbst neue Argumentstellen einführen. Wäh- rend also im ersten Fall Relationalität des Basisverbs gleichsam abgebunden, ab- sorbiert wird, tritt im zweiten Fall die Relationalität des Partikelelements selbst zur Relationalität des Basisverbs hinzu, wie z.B. in der bereits erwähnten Fallgruppe: schwätzen ⇒ jemdm etw aufschwätzen etc. bei der die beiden Leerstellen von auf zum einstelligen Intransitivum hinzuaddiert werden können. Die dritte Variante der Partikelverben umfasst dann die bloßen Aspekt- oder Aktionsartmarker, die ohne Einfluss auf die Argumentstruktur des Basisverbs bleiben (heulen ⇒ aufheulen, essen ⇒ aufessen etc.). Gegen diese Argumentation ist (mit Recht, wie ich finde) eingewandt wor- den, dass die Bedeutung der Partikelelemente nie exakt der der „gleichlautenden“ Präposition entspricht, dass ab und ein sich einer solchen Analyse mangels gleich- lautender Präposition entziehen, dass hier ein leicht verunklarter Begriff von „Ar- gument“ zugrunde liegt (so argumentiert Lüdeling 1999). Außerdem versteht es sich, dass eine Präposition ohne regiertes nominales Argument keine Präposition mehr ist.10 Und all die (ohnehin vertrackten) syntaktischen Stellungsregeln für die Verbpartikel scheinen u.a. darauf hinauszulaufen, deren Verwechslung mit Präpo- sitionen unmöglich zu machen, indem keinesfalls nach ihnen etwas stehen darf, was als womöglich regierte Nominalgruppe interpretierbar wäre. Geht man etwa (mit Lehmann 1995: 74ff) davon aus, dass der „Rohstoff“ für typische Partikelelemente (ebenso wie der „Rohstoff“ für die Auskategorisierung typischer Präpositionen!) aus zweistelligen adverbialen Relatoren (AR) besteht, so wäre zu berücksichtigen, dass solche AR nur mit ihrem modifikativen slot an Verben andocken und ergo nicht ohne weiteres Argumentpositionen besetzen können, die vom Verb projiziert und definiert werden. Was als „Sättigung“ einer Argumentstelle des Basisverbs durch das Partikelelement beschrieben wird (bei Stiebels 1996, Eisenberg 1998 II), das würde so eher bestimmbar als eine modifi- kative Relation, die zugleich aus einer obligatorischen Direktionalergänzung des _____________ 10 Was im Übrigen auch Grimm so notiert. Vgl. das Grimmzitat bei Lüdeling (1999: 104), das be- sagt, die mit Verben „componierten“ Partikeln seien auch da für Adverbien zu nehmen, wo sie mit Präpositionen gleich lauten. Paul (1920: 33) schreibt lakonisch: „Verba werden mit den alten präpositionellen Adverbien zusammengesetzt.“ Und weiter: „Die unfesten Zuss. unterscheiden sich in Bezug auf die Stellung der beiden Glieder nicht von bloß syntaktischen Verbindungen, und es gelten für sie die gleichen Regeln wie für diese.“ Bereitgestellt von | Universitätsbibliothek Tübingen Angemeldet Heruntergeladen am | 09.09.15 21:25 C. Knobloch, Noch einmal: Partikelkonstruktionen 553 Basisverbs eine fakultative macht. Dagegen würde die Analyse einer „Argument- sättigung“ durch den AR eher auf eine ganz andere Fallgruppe passen, auf die der präpositionalen Objekte nämlich. Die beruhen ganz ebenso auf AR, führen aber, da die Argumentprojektion des Verbs die Eigenbedeutung des AR überrennt, zu dessen radikaler Desemantisierung. Anders gesagt: warten auf, kommen auf, (nichts) geben auf… ist ein grundsätzlich anderer Fall als aufwarten, aufkommen, aufgeben. Zu klären wäre, welche Arten der konstruktionellen Weiterverarbeitung der AR auf zulässt und unter welchen Bedingungen die eine oder andere Konstruktion mög- lich wird. Die gesamte traditionell grammatische (und lexikographische) Argu- mentation bezüglich der Partikelverbkonstruktionen geht aber durchaus davon aus, dass die Koprädikation des Partikelelements mit V nicht zur semantischen Auslöschung der Eigenbedeutung des AR führt, sondern zur selektiven und lexi- kalisierungsträchtigen Kopplung dieser Eigenbedeutung(en) mit dem Basisverb. Und damit hat sie auch unbedingt recht. Das Gegenteil müsste aber eigentlich an- genommen werden, wenn etwa auf in aufkleben, aufmalen, aufheften.. das direktionale Argument des Basisverbs einfach „sättigte“. Insgesamt dreht das den Befund eher in die Richtung, die in der folgenden These von Eroms (2007 – im Anschluss an Ágel 2000) aufscheint: Der Unterschied zwischen Präfix- und Partikelverben liegt in Bezug auf die mikrova- lenzielle Kennzeichnung der Aktanten darin, dass die ersteren zwar nicht durchweg, aber zu einem erheblichen Teil auch die makrovalenzielle Setzung erfordern, die letz- teren aber nicht. (Eroms 2007: 51) Was hier bereits aufscheint (und was in der folgenden Argumentation wieder auf- genommen wird), ist die Affinität, die Partikelverbkonstruktionen mit den gram- matisch kontroversen (und in der KG höchst beliebten) Direktionalergänzungen verbindet. Wir werfen also einen kurzen Seitenblick auf diejenige Untergruppe der Partikelverben, der für gewöhnlich die engsten Beziehungen zur Direktionali- tät bescheinigt werden. 2. Echte Direktionalpartikel Im eingangs abgedruckten Gedicht Robert Gernhardts werden strophenweise einfache Partikelverben mit ihren „echt“ direktionalen Pendants konfrontiert: aufmachen, mit draufmachen, einbringen mit reinbringen, anstellen mit dranstellen und draufstellen etc.11 Die Elemente, die hier in Frage kommen, werden oft als „Pro- nominaladverbien“ bezeichnet, dienen u.a. als Proformen für Präpositionalobjek- _____________ 11 Ich lege übrigens wert auf die Feststellung, dass die subtilen ausdrucksseitigen Rekurrenz- und Konfrontationsmuster dieses Gedichts hier keineswegs ausgeschöpft sind. An, auf – dran, drauf in der 1. Strophe, ein, auf – rein, drauf in der 2. Strophe, an, ein – ran, drein in der 3. Strophe, auf, ein – rauf, rein in der 4. Strophe und ein, um – rein, krumm in der letzten! Bereitgestellt von | Universitätsbibliothek Tübingen Angemeldet Heruntergeladen am | 09.09.15 21:25
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