Niederlandistik in Entwicklung Niederlandistik in Entwicklung Vortrage und Arbeiten an der Universitat Zurich herausgegeben von Stefan Sonderegger und lelle Stegeman Springer-Science+Business Media, B.V. 1985 CIP-GEGEVENS KONINKLIJKE BIBLIOTHEEK, DEN HAA G Niederlandistik Niederlandistik in Entwicklung : Vortrage und Arbeiten an der Universitat Zurich / hrsg. von Stefan Sonderegger und Jelle Stegeman. - Leiden : Nijhoff. - 111. SISO * 830 UDC 803.931+839.31 Trefw.: Nederlandse taal / Nederlandse letterkunde. ISBN 978-90-247-8075-4 ISBN 978-94-017-4832-2 (eBook) DOI 10.1007/978-94-017-4832-2 D/1985/2524/2 © Springer Science+Business Media Dordrecht 1985 Ursprunglich erschienen bei Martinus Nijhoff 1985 Alle Rechte vorbehalten. Niets uit deze uitgave mag worden verveelvoudigd en/of openbaar gemaakt door middel van druk, fotocopie, microfilm of op welke andere wijze ook, zonder voorafgaande schriftelijke toestemming van de uitgever. Voor alle kwesties inzake het kopieren van een of meer pagina's uit deze uitgave: Stichting Reprorecht te Amstelveen. Vorwort Fur die uneigennutzige Hilfe bei den Uebersetzungen und Bearbeitungen mehrerer Beitrage sind wir Suzanne Stegeman-Salehli und Dr. Herbert Sommerlatte sehr verbunden. Ausserdem danken wir Katja Hess sowie Dr. Gisela Gerritsen-Geywitz fUr ihre Mitarbeit an der Uebersetzung des ersten Aufsatzes. ~us ..t eehni~.ehen Grunden wurden seharfes sz als SS, umgelautete Majuskel A, 0 und U als Ae, Oe bzw. Ue gedruekt. Stefan Sonderegger. lelle Stegeman Inhaltsverzeichnis Einleitung W.P. Gerritsen, Sankt Brandans Reise und der nordatlantische Seeweg nach Amerika 3 F. Veenstra, Hoofts 'Geeraerdt van Velsen' als antimachiavellistisches Drama 19 A.L. Sotemann, Der 'negative Held' in der modernen niederliindischen Literatur 71 A. Sassen, Sprachveriinderung und Wilhelm von Humboldts Universale 81 St. Sonderegger, Die niederliindische Sprache aus der Sicht der schweize- rischen Gelehrten des 16. bis 18. lahrhunderts 93 J. Stegeman, Kommunikation trotz Babylon: kommunikative Merkmale der Uebersetzung 107 D. Bietenhader, Die Verwey-Uebertragungen von Stefan George 127 Zu den Autoren 193 Einleitung Der vorliegende Band umfasst zweierlei: Beitrage von niederlandischen Philologen, die in den vergangenen Jahren Vorlesungen an der Universitat Zurich gehalten haben, sowie Zurcher Arbeiten zur Niederlandistik. Den Ausdruck Niederlandistik haben wir moglichst grosszugig gehandhabt - mancher Aufsatz hat uber die Grenzen der niederlandischen Philologie hinweg Bedeutung fUr grundlegende Fragen der Sprach-oder Literaturwis senschaft. Die ersten drei Artikel geben einen Einblick in die heutige Forschung auf dem Gebiet der niederlandischen Literaturwissenschaft. W.P. Gerritsen be fasst sich mit Interpretationsproblemen des mittelalterlichen Brandaen. F. Veenstras Aufsatz vermittelt neue Erkenntnisse zur Kultur der Renaissance. A.L. SOtemann analysiert mittels niederUindischer und anderer europaischer Zeugnisse die Rolle des 'Anti-Heiden' in der neueren Literatur. Sprachwissenschaftliche Ueberlegungen prinzipieller Natur finden sich in A. Sassens Beitrag. Vor allem anhand von niederlandischen und deutschen Beispielen uberpruft er Humboldts Relativitatshypothese. St. Sonderegger beleuchtet die Sicht schweizerischer Gelehrter der alteren Zeit uber die niederlandische Sprache. Die letzten Aufsatze sind fUr ubersetzungswissenschaftliche Fragestellun gen relevant. J. Stegeman entwirft ein kommunikationstheoretisches Modell der Uebersetzung. D. Bietenhader untersucht die Verwey-Uebertragungen von Stefan George. Entscheidend bei der Zusammenstellung unseres Buches war die Ueber zeugung, dass das Lektorat fUr Niederlandistik an der Universitat Zurich dazu beitragen sollte, Entwicklungen auf dem Gebiet der niederlandischen Philologie im deutschen Sprachraum mehr bekannt zu machen. Sodann hoffe n wir, dass Niederlandistik in Entwicklung auf Grund der in den einzel nen Aufsatzen vorgestellten Forschungsergebnisse und Untersuchungsper spektiven auch in den Heimatlandem der Neerlandistiek auf Interesse stossen wird. Zurich. im September 1984 Stefan Sonderegger. Jelle Stegeman w.P. Gerritsen Sankt Brandans Reise und der nordatlantische Seeweg nach Amerika Die Karte des Piri Re'is 1m Jahre 1513 zeichnete der beriihmte tiirkische Seefahrer und Geograph Piri Re'is eine Karte der Welt. Das Blatt, auf dem er den Atlantischen Ozean wiedergab, zeigt ein recht genaues Bild von Westindien und der Ostkiiste Siidamerikas, mit der erstaunlichen Beischrift, diese Inseln und Kiisten seien 'der Karte des Kolumbus' entnommen. Am nordlichen Rand der Karte zeichnete Piri Re'is einen stilliegenden Dreimaster, auf dem sich eine Beman nung von drei bartigen Monchen befindet. Sie blicken auf ein walfischartiges Tier, das unweit ihres Schiffes im Meer liegt. Zwei Manner, die mit einem Kahn bei dem Fisch angelegt haben, sind gerade dabei, auf dessen Riicken ein Feuer anzuziinden. Auch hier eine Beischrift: 'Es wird erzahlt, dass in friiheren Zeiten ein Monch namens Sanbolvandain (oder Sanulbrandain? die Transkription ist problematisch) die sieben Seen beschifft habe. Er sei auf diesen Fisch gestossen und habe das Tier fUr trockenes Land gehalten. Auf dem Fisch haben sie Feuer entziindet. Der Riicken des Fisches wurde heiss; er tauchte ins Meer unter. Sie fliichteten in den Kahn und retteten sich auf ihr Schiff. Dieser Bericht stammt nicht von den portugiesischen Unglaubigen; er ist alten Welt kart en entnommen.'l Kolumbus und Brandan (denn dieser ist wohl mit Sanulbrandain [?] gemeint), der letzte und der erste grosse Seefahrer des mittelalterlichen Westens, auf einer Karte vereint! Die Entdeckung der Karte des Piri Re'is im Jahre 1929 war eine Sensation fUr die historische Kartographie. Man wusste, dass Kolumbus seine Entdeckungen auf Karten festgelegt hatte, aber keine dieser Karten war je gefunden worden. Nun stellte es sich heraus, dass Piri Re'is im Jahre 1501 bei der Kaperung eines span is chen Schiffes dabei gewe sen war, auf dem ein Seemann gefangen genom men wurde, der, so nimmt man an, eine Kopie einer von Kolumbus selbst oder in seinem Auft rag angefertigten Karte bei sich hatte. So fiel, was in Spionageromanen als 'a fairly hot piece of intelligence' bezeichnet wird, in die Hande der Tiirken. Die Abbildung von Brandans Landung auf einer Insel, die sich als Walfisch herausstellte, wurde von den Kartographen achselzuckend abgetan als Erfin dung, Seemannsgarn, Vorlaufer der segelnden Schiffchen, spritzenden Wal fische und munteren Seejungfern, die die Seekarten aus spateren Jahrhunderten bevolkern. Hatten die Kartographen recht? - oder verbirgt 4 W.P. Gerritsen IS Detail der Weltkarte des Piri Re'is, 1513. Museum Sera ii, Istanbul. sich hinter den mittelalterlichen Brandangeschichten doch eine historische Wirklichkeit? Die Reise des heiligen Brandan Die alteste Brandanerzahlung in der niederlandischen Literatur hat die Form eines Gedichtes, das vermutlich vom Anfang des 13., vielleicht noch vom Ende des 12. lahrhunderts stammt.2 Die beiden Handschriften, in denen es in zwei sehr verschiedenen Fassungen uberliefert ist - die Combur ger Handschrift in Stuttgart und die Hulthemsche Handschrift in Brussel sind viel junger: Anfang des 15. lahrhunderts. Dieses mittelniederlandische Gedicht aus dem 12. oder 13. lahrhundert war kein ursprungliches Werk, Sankt Brandans Reise 5 sondern eine Uebersetzung eines deutschen (mittelfrankischen) Gedichtes, das, wie man vermutet, in der zweiten Halfte des 12. Jahrhunderts entstan den ist, in dem Gebiet zwischen Rhein und Mosel. Der Inhalt dieses nicht erhaltenen Originals lasst sich annaherungsweise rekonstruieren anhand von uberlieferten jungeren Bearbeitungen3: einem mitteldeutschen und einem niederdeutschen Gedicht~ einer hochdeutschen Prosafassung und den beiden mittelniederlandischen Texten, welche letztere der Originalfassung in man cher Hinsicht am nachsten kommen. Diese Gruppe von Texten wird in der Fachliteratur als 'die Reise' bezeichnet, im Gegensatz zu der 'Navigatio' - auf die ich noch zuruckkommen werde. In allen 'Reise' -Texten, Abkommlingen des mittelfrankischen Gedichtes, ist die Fahrt, die Brandan unternimmt, eine Strafe fUr seinen Unglauben. Brandan, ein irischer Abt, liest ein Buch, in dem die Wunder der Welt beschrieben stehen. Er liest, dass es zwei Paradiese gibt und drei Himmel, dass unter unserer Welt eine andere Welt liegt, in der es Nacht wird, wenn hier der Tag anbricht, dass es Fische gibt, die auf ihrem Rucken einen Wald tragen. Es ist ihm unmoglich, dies zu glauben, und als er zuletzt noch liest, dass die Hollenstrafe des Judas jeden Sonnabend vorubergehend gemildert wird, ist fur ihn das Mass voll: er wirft das Buch ins Feuer und verflucht den Schreiber. Wahrend er das Buch brennen sieht, ertont die Stimme eines Engels, der ihm befiehlt, sich einzuschiffen fUr eine Reise, die neun Jahre Holzschnitt aus der mittelhochdeutschen Prosajassung Sant Brandans leben, 1510. Bayerische Staatsbibliothek, Munchen, V.SS.130",fol.B3v".