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Nicolaus Cusanus: Der Laie über den Geist / Idiota de mente PDF

238 Pages·2021·1.177 MB·German
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Nicolaus Cusanus: Der Laie über den Geist / Idiota de mente Klassiker Auslegen Herausgegeben von Otfried Höffe Band 73 Nicolaus Cusanus: Der Laie über den Geist / Idiota de mente Herausgegeben von Isabelle Mandrella ISBN 978-3-11-072872-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-072887-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-072891-0 ISSN 2192-4554 Library of Congress Control Number: 2021937516 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: Nikolaus von Kues. Zeitgenössisches Stifterbild vom Hochaltar der Kapelle des St.-Nikolaus-Hospitals, Bernkastel-Kues. © Heritage Images / Fine Art Images / akg-images Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com Inhalt Isabelle Mandrella 1 Einleitung 1 Norbert Winkler 2 Der antigelehrt philosophierende Laie (De mente c. 1) 11 Christian Kny 3 Der menschliche Geist zwischen Assimilation und Kreativität (De mente c. 2, n. 58–64 und n. 68) 29 Markus L. Führer 4 The mind and the levels of cognition (De mente c. 2, n. 64–68) 47 Arne Moritz 5 Der Geist als Bild göttlicher Einfaltung (De mente c. 3 und 4) 63 Harald Schwaetzer 6 Der Geist als lebendige Substanz (De mente c. 5) 85 Gregor Nickel 7 Geist und Zahl (De mente c. 6) 107 Stephan Grotz 8 Der Geist als angleichende Kraft (De mente c. 7 und 8) 131 M. Cecilia Rusconi 9 Der Geist als Punkt und Maß (De mente c. 9) 147 Thomas Leinkauf 10 Geist und (göttliche) Dreieinigkeit (De mente c. 11) 159 Isabelle Mandrella 11 Geist und Wille (De mente c. 13) 177 VI Inhalt Martin Thurner 12 Geist und Unsterblichkeit (De mente c. 15) 193 Auswahlbibliographie 215 Hinweise zu den Autoren 221 Personenregister 225 Sachregister 229 Isabelle Mandrella 1 Einleitung Nikolaus von Kues, latinisiert Nicolaus Cusanus, geboren 1401 in Kues an der Mosel, gestorben am 11. August 1464 in Todi in Italien, gehört zu den großen DenkerndesausgehendenMittelalters.AlsPhilosophundTheologe,obwohlnie aneinerUniversitättätig,hatereinbreitesundoriginellesWerkhinterlassen,das schonzuseinenLebzeitengroßeBeachtungfandunddessenWirkungsgeschichte bisindieNeuzeithineinverfolgtwerdenkann(zurEinführunginseinDenkenvgl. Jacobi[Hg.]1979,Leinkauf2006,Flasch2007). ImJahre1450,aufdemHöhepunktseinesSchaffens,verfasstCusanusseine Idiota-Schriften:DerLaieüberdieWeisheit(Idiotadesapientia),DerLaieüberden Geist(Idiotademente)undDerLaieüberVersuchemitderWaage(Idiotadestaticis experimentis).ImMittelpunktderSchriftenstehtdieFigurdesLaien(idiota),der– inDementeinGestalteinesLöffelschnitzers,dervonseinerHändeArbeitlebt– den armen, einfachen Ungebildeten und damit den Gegenpol zum universitär oder schulisch ausgebildeten Gelehrten repräsentiert. Trotz der auf den ersten Blick anzunehmenden denkerischen Überlegenheit des Universitätsgelehrten bzw. akademisch Gebildeten, die in den Idiota-Schriften in Gestalt eines Philo- sophenbzw.einesRednersauftreten,zeigtdieLektürederSchriftsehrrasch,dass der Laie deren Gelehrtheit bei weitem übertrifft. Seine Vorzüge bestehen darin, wahres, nämlich weisheitlich-intellektuelles Wissen erlangt zu haben, statt wie der Philosoph oder der Redner die Höchstform des Wissens darin zu erblicken, möglichst viel Einzelwissen aufzuhäufen. Ein solches Verständnis von Wissen, das sich in Einzelproblemenverliert, stattden Blick auf das Ganze zu eröffnen, verschließt sich nicht nur der Weisheit, sondern steht ihr sogar im Weg, sofern man es als die einzig legitime Form des Wissens versteht. Der Laie macht hin- gegendeutlich,dassvollkommenesWissennurdurchdieWeisheitalsdierechte Erkenntnishaltunggewonnenwerden kann. Statt auf Bücherwissen und Autori- tätensetzter–inallerBescheidenheit–aufdaseigenePhilosophieren,dasim- merwiederneunachderWahrheitfragt. Über die Herkunftsgeschichte der Figur des Laien (in der doppelten Bedeu- tungdesUngebildetenunddesNicht-Klerikers)istinderForschungvielvermutet worden;vollständigrekonstruierbaristsienicht.Unbestrittenhingegenist,dass der Laie die cusanische Philosophie in besonderem Maße verkörpert. Funda- mentale anthropologische, erkenntnistheoretische und metaphysische Bestim- mungen des Cusanus finden sich hier in einer Gestalt vereint. Zu nennen wäre zunächstdasProgrammderdoctaignorantia,jenerbelehrtenUnwissenheit,de- renZielgerade nichtdarin besteht,detailliertesEinzelwissen überdieDingezu https://doi.org/10.1515/9783110728873-001 2 IsabelleMandrella erlangen,die der Mensch doch niein ihrer absoluten Präzision zu erfassenver- mag,sondernebenausderBewusstseinshaltungheraus,dassmenschlichesEr- kennen immer nur mutmaßend und annähernd sein kann, das rechte kritische Verhältnis zu den eigenen Erkenntnispotentialen einzunehmen. Das Ergebnis dieses Reflexionsprozesses ist die im sokratisch inspirierten „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ zum Ausdruck kommende Einsicht, dass das Wissen um die eigene Unwissenheit belehrend wirkt. An der Figur des Laien macht Cusanus nämlich deutlich, dass diese belehrte Unwissenheit keineswegs in einen er- kenntnistheoretischenSkeptizismusführt,derdieMöglichkeitsicherenWissens von vornherein für nicht erreichbar und infolgedessen die menschlichen Er- kenntnisbemühungen für überflüssig hält, sondern dass darin das unendliche und dynamische PotentialdesMenschen zum Ausdruck kommt,sichunermüd- lichandieWahrheitannähernzukönnen. Im Hintergrund steht dabei zweitens die Gegenüberstellung rationalen und intellektuellenWissens,dieaufdenmenschlichenErkenntnisvermögenratiound intellectus (bzw. hier: mens) basiert. Die Vorstellung, dass der Mensch – in Ab- grenzungvonderreinsinnlichenWahrnehmung–einerseitseinenrational-dis- kursiven und andererseits einen intellektuell-intuitiven Zugang zu den Gegen- ständen seiner Erkenntnis hat, gehört bereits zu den klassischen Vorstellungen derantikenPhilosophie(dortterminologischinderUnterscheidungvondianoia und nous bestimmt). Die ratio repräsentiert das Vermögen, das diskursiv und syllogistischvorgeht,das–gebundenandasWiderspruchsprinzipunddieRegeln der Logik – Widersprüche aufzeigt, schlussfolgert, forscht und sucht, und so sukzessiveErkenntnisgewinnermöglicht.DerIntellektoderGeisthingegenistdas Erkenntnisvermögen,dashöchsteGewissheitbietetunddabeinichtmehrandie Sinneserkenntnis gebunden ist, sondern vielmehr – wie Cusanus in De mente zeigenwird:nichtessentiell,aberbegrifflich–alleseineInhalteinsichträgt.Er istinderLage,zurKoinzidenzderGegensätze(coincidentiaoppositorum)zuge- langenundinihrdeneinenabsolutenUrsprungalldessen,wasist,zuerkennen. DeshalbisterweisheitsfähigundrepräsentiertfolglichdasVermögen,indemdie docta ignorantia ihren Ort hat. Als das höchste Erkenntnisvermögen des Men- schen ist es der Geist, in dem sich die Gottähnlichkeit des Menschen zum Aus- druckbringt. Im Laien verkörpert findet sich deshalb drittens auch die cusanische Vor- stellung,derMenschseiaufgrundseinergottähnlichenkreativenIntellektualität einzweiterGott(secundusDeus;vgl.hierzuDeberyllon.7).DenndasSchnitzen eines Löffels oder das Experimentieren mit der Waage, mit denen sich der Laie beschäftigt, sind nicht Resultat der statisch-unproduktiven Nachahmung der Natur, sondern der dynamisch-geistigen Kreativität des Künstlers und Wissen- schaftlers.ÜberdasErschaffenvonKunstproduktenoderdasMessenundWiegen 1 Einleitung 3 hinaus manifestiert sich diese Kreativität in erkenntnistheoretischer Hinsicht auchimbegrifflichenErkennen.SosymbolisiertdiedergeistbedingtenKreativität entsprungeneTätigkeitdesLaienwirklicheGottähnlichkeitundderLaieerweist sichalsdaswahrelebendigeAbbild(vivaimago)Gottes. Wiebereitserwähnt, zähltIdiotade mente zu den sogenannten Idiota-Dia- logen.DerenersterTeil,dieSchriftIdiotadesapientia,kreistumdieewigegött- licheWeisheit,zudersichderMenschstetshingezogenfühlt,dasieeine„köst- licheWissenschaft“ist–sodieetymologischeErklärungvonsapientiaalssapida scientia.DertieferesystematischeGrunddafürliegtdarin,dassdermenschliche Geist als Abbild nach seinem Urbild strebt und erst dort zur Ruhe zu kommen vermag. Der menschliche Geist stößt also bei der ihm eigentümlichen intellek- tuellen Tätigkeit auf ein absolutes und höchstes Prinzip, das alles Wissen und Erkennenbegründetundermöglicht:die(göttliche)Weisheit.Siehatjedochnicht nur epistemologische Priorität, sondern auch ontologische, sofern sie als das eine,absoluteUrbildalleVerschiedenheitundVielheitinsicheinfaltet. Auch im abschließenden Idiota de staticis experimentis ist die intellek- tuelle Tätigkeit des Geistwesens Mensch als lebendiges Abbild Gottes die Aus- gangsbasis.Zählen,MessenundWiegengehörenzudiesenTätigkeiten.Cusanus veranschaulicht sie am Beispiel der Waage, mit der der Laie seine Experimente durchführt. Obwohl die wissenschaftlichen Ergebnisse dieser Experimente aus heutiger Sicht nicht mehr haltbar sind, ist man sich über die große Wirkung der cusanischen Ausführungen für die Entstehungsgeschichte der Naturwissen- schafteneinig. Idiotadementeschließlichnimmtmit seinergeistphilosophischen Ausrich- tung innerhalb der cusanischen Schriften eine besondere Stellung ein. Auf der einenSeitefindensichdort,wieschoninBezugaufdieFigurdesLaiengenerell festgestellt werden konnte, fast alle Themen des cusanischen Denkens – An- thropologie, Erkenntnistheorie, Metaphysik – angesprochen. Auf der anderen SeitewähltCusanus in De mente einen so einmaligenZugang,dassviele seiner ThemenindieserSchriftineineranderenPerspektiveerscheinen.KurtFlaschhat einmalzuRechtfestgestellt,dassdiezuBeginndes20.Jahrhundertseinsetzende GeschichtederdeutschenCusanusforschungandersverlaufenwäre,wennnicht– wiegeschehen–Dedoctaignorantia,sondernDementealsAusgangspunktder Erforschunggewähltwordenwäre(Flasch2001,273–275). Zunächst ist der außergewöhnliche Erkenntnisoptimismus zu nennen,von demDementedurchzogenist.DieauchimmermitDemutgegenüberdeneigenen Erkenntnismöglichkeiten verbundene Haltung der docta ignorantia ist zwar im Hintergrund durchaus präsent, findet jedochwederthematisch noch begrifflich Erwähnung.Gleichesgiltfürden Begriff der Mutmaßung (coniectura),der noch inderwenigeJahrezuvorverfassten,zweitengroßenHauptschriftDeconiecturis 4 IsabelleMandrella tonangebend war und mittels dessen Cusanus noch einmal den konjekturalen, mutmaßendenCharaktermenschlichen Erkennensthematisiert.In Demente ist von solchen erkenntnisbeschränkenden Tönen nichts mehr zu lesen; Cusanus setzt vielmehr ganz uneingeschränkt auf die gottähnlichen Potentiale des menschlichen Geistes,der sich seine Begriffswelterschafft. Dieser andere Blick auf die Erkenntnisproblematik meint freilich nicht, dass er einen inhaltlichen Kurswechsel vornimmt und etwa ältere Thesen zugunsten der neuen verwirft. GemeintistvielmehreinPerspektivenwechsel,der auchin anderenZusammen- hängen zu beobachten ist und durchaus als Eigenart cusanischen Philosophie- rensderKonjekturalitätgedeutetwerdendarf. EinweitererauffälligerBefund,derDementeeinebesondereNoteverleiht,ist das Fehlen jeglicher Christologie, nicht nur dogmatisch-theologischer, sondern auch spekulativ-philosophischer Färbung.Obwohl die christologischen Ausfüh- rungendesCusanusimmerauchspekulativ-philosophischgelesenwerdenmüs- sen und es folglichvorschnellwäre,erst im hier zu konstatierenden Fehlen der Christologie einen genuin philosophischen Zug erblicken zu wollen, hat der VerzichtaufchristologischeImplikationenKonsequenzen:IndemCusanusinDe menteganzdaraufverzichtet,Christus,diemitdemVaterwesensgleiche,zweite Person der Trinität, als Mittler zwischen Gott und seiner Kreatur anzunehmen, schafft er eine Atmosphäre der direkten Verbindung zwischen dem göttlichen GeistundseinemgeistbegabtenAbbildMensch. Die Tradition, in der De mente steht, ist zum einen die von Augustinus in De trinitate entworfene Geistphilosophie, die erstmals die trinitarisch gedachte Strukturähnlichkeit des göttlichen und menschlichen Geistes aufzuzeigen ver- sucht.ZumanderensindesdieIntellekttheorienAlbertsdesGroßenundMeister Eckharts,dieinderIntellektfähigkeitdesMenschenseinenAnteilamGöttlichen, ja sogar das Göttliche selbst erblicken,wie Alberts Vorstellung eines intellectus adeptus oder Eckharts Lehre von der Gottesgeburt in der Seele zeigen. In der cusanischen Geistphilosophie stehen indes erkenntnistheoretische Fragen im Vordergrund.AusgehendvonderplatonischinspiriertenThese,dassdieabsolute WahrheitderDinge,sowiesieinGottverankertist,fürdenMenschennieinihrer Präzision,sondernnurkonjektural,d.h.„inunbeendlicherAnnäherung“(Stall- mach 1989, 44) erfassbar ist, stellt sich die Frage, wie Erkenntnis erklärt und begründet werden kann. Die beiden Pole, zwischen denen sich diese Frage be- wegt, sind zum einen die aus der These der stets konjekturalen Erkenntnis fol- gende unabschließbare Dynamik der Wahrheitsannäherung, und zum anderen die Tatsache der ontologischen Vorgegebenheit der Erkenntnisgegenstände, die sich dem göttlichen Geist als der seinverleihenden Kraft (vis entificativa) ver- danken. Cusanus trägt beidem Rechnung, insofern er dem menschlichen Er- kenntnisvermögensowohleinekreative,alsaucheineassimilativeFunktionzu-

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