Siegfried Wendt Nichtphysikalische Grundlagen der Informationstechnik Interpretierte Formalismen Mit 260 Abbildungen Springer-Verlag Berlin Heidelberg NewY ork London Paris Tokyo Hong Kong 1989 Prof. Dr.-Ing. Siegfried Wendt Fachbereich Elektrotechnik Universitat Kaiserslautem Erwin-Schrodinger-StraBe 6750 Kaiserslautem ISBN-13: 978-3-540-51555-5 e-ISBN-13: 978-3-642-97202-7 DOl: 10.1007/978-3-642-97202-7 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Uber setzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder derVervielfaltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbei tungsanlagen, bleiben,auch bei nurauszugsweiserVerwertung, vorbehalten. Eine VervieWiltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestim mungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland yom 9. September 1965 in der Fassung yom 24. Juni 1985 zulassig. Sie ist grundsatzlich vergiitungspllichtig. Zuwiderhandlungen unter liegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1989 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daB solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und dahervonjedermann benutzt werden diirften. Sollte in diesem Werk direktoderindirektaufGesetze, Vorschriften oder Richtlinien (z.B. DIN, VDI,VDE) Bezuggenommen oderaus ihnen zitiert worden sein,so kann derVerlag keine GewahrfUr Richtigkeit, Voll stiindigkeit oder Aktualitiit iibernehmen. Es empfiehlt sich, gegebenenfalls fUr die eigenen Arbeiten die vollstiindigen Vorschriften oder Richtlinien in der jeweils giiltigen Fassung hinzuzuziehen. 2160/3020-543210 -Gedruckt auf saurefreiem Papier Vorwort Fiir jeden, der wie ich eine starke Brille braucht, ist der Obergang von verschwommener Sicht zu klarer Sicht ein tiigliches begliickendes Erlebnis. Man kann jedoch i.a. einem ande ren nicht zu klarer Sicht verhelfen, indem man ihm eine Kopie der eigenen Brille aufsetzt. Es gibt aber Bereiche, wo jeder zur klaren Sieht eine Brille braucht und wo eine Einheitsbrille sehr niitzlich sein kann. Gemeint ist hier nieht das Stereokino, sondem die Welt der Struktu ren, die man nur mit dem geistigen Auge sehen kann. Die Informationstechnik ist ein solcher Bereich, worin man hilflos herumirren muS, wenn man keine geeignete Brille fUr das geistige Auge hat - man sieht dann nlimlich den Wald vor lauter Baumen nicht. Biicher iiber die Bau me, d.h. iiber die Details der Infonnationstechnik gibt es viele, aber yom Wald, d.h. von der Einbettung der Details in eine zusammenhangende Struktur ist nur selten die Rede. Deshalb habe ieh dieses Buch geschrieben, worin der Blick mehr auf den Wald als auf die Baume gerichtet ist. Zwangslliufig ist es ein sehr personliches Buch geworden, denn es beschreibt meine sub jektive Art zu sehen, d.h. es beschreibt einen Teil meiner Weltsicht. DaS es sieh dabei um eine Sieht handelt, die auch fUr andere niitzlich sein kann, weill ieh inzwischen aus jahrelan ger Erfahrung. Ich durfte nlimlich zu meiner groBen Freude erleben, mit welcher Sieherheit sich aIle, denen ieh meine Brille vor das geistige Auge setzen konnte, durch den infonna tionstechnischen Wald bewegten, auch in Winkeln, wo sie vorher noch nie gewesen waren wie Touristen, die sieh anhand ihres Stadtplans oft sicherer in allen Winkeln einer GroBstadt zurechtfmden als mancher Einheimische. Beim Schreiben des Buches habe ich an drei unterschiedliche Typen von Lesem gedacht. Der erste Lesertyp ist der Student, der im Haupt-oder Nebenfach infonnationstechnische Details lemen muS. Die Siehtweise, die ieh ihm durch dieses Buch vennitteln will, solI ihm helfen, die FiiIle der Details, die man ihm anderswo beibringen wird, dadurch zu bewaItigen, daB er jedes einzelne wie einen Mosaikstein in ein groBes Bild plazieren kann. Er muS aller dings bereit sein, in das Durcharbeiten des Buches etwas Miihe zu investieren, denn er solI dabei ja etwas iiber den Wald lemen, bevor er die Baume kennengelemt hat. Der zweite Le sertyp hat es leiehter, denn er ist derjenige, der die infonnationstechnischen Details schon kennt, weil er schon im Bernf steht und dort anwendend, entwickelnd oder lehrend mit Infor mationstechnik befaSt ist. Auch fUr ihn kann das Buch hilfreich sein, indem es ihn auf Zu sammenhange hinweist, die er bisher noch nicht so klar gesehen hat. Der dritte Lesertyp ist der Bildungshungrige, der sieh unbehaglich fUhlen muS, wenn er auf Schritt und Tritt mit infonnationstechnischen Produkten in Beriihrung kommt, ohne die Grundlagen zu kennen, auf denen die Machbarkeit dieser Produkte beruht. Er hat es mit diesem Buch etwas leichter als der Student, da er es sich leisten kann, alle Abschnitte, die ihm zu sehr mit technischen oder mathematischen Einzelheiten belastet erscheinen, einfach zu iibergehen. Die groBe Li nie wird er trotzdem ericennen, falls er den Umgang mit wissenschaftlicher Literatur gewohnt ist. Meinem Ziel, einerverhaItnismaBig breiten Leserschaft eine bestimmte Sichtweise zu ver mitteln, ware ein Text in streng wissenschaftlichem Stil wohl kaum dienlich gewesen. Des halb habe ich mich an wissenschaftliche Traditionen beziiglich der Darstellungsfonn nicht VI Vorwort gebunden gefiihlt. Insbesondere bin ich haufig von der Fachsprache abgewichen, wenn ich tiberzeugt war, daB die von mir gew1ihlte Bezeichnung das zu Erklarende besser trifft als das Wort aus der Fachsprache. Ich bin mir bewuBt, daB ich damit demjenigen, der an die Fach sprache gewohnt ist, einige Stolpersteine in den Weg gelegt habe, aber der andere, der die Fachsprache noch nicht kennt, hat es dadurch meines Erachtens etwas leichter. Es ist selbstverstandlich, daB ich dieses Buch nicht hatte schreiben konnen, wenn ich nicht zuvor viel von anderen gelemt hatte. Viele der Erkenntnisse, die ich hier zu einer Gesamt schau zusammengefiigt habe, stammen urspriinglich nicht von mir, sondem von meinen wis senschaftlichen Vorfahren oder Zeitgenossen. Ihre Zahl geht in die Hunderte, aber nur einige von ihnen werden in den folgenden Kapiteln namentlich erw1ihnt. Zum einen sind es diejeni gen, deren Name als Teil einer Begriffsbezeichnung verwendet wird - man denke an den Satz des Pythagoras - , und zum anderen sind es diejenigen, deren Schriften ich unmittelbar anlaB lich der Abfassung bestimmter Abschnitte des Buches studiert habe und die ich deshalb im Literaturverzeichnis auffiihre. AIle anderen glaube ich ungenannt lassen zu diirfen, weil ich sonst eine Auswahl hatte treffen miissen, die ich schwerlich begriinden konnte. AnlaBlich der Fertigstellung dieses Buches habe ich nicht nur Grund, die Vor-und Mitden ker zu wiirdigen, sondem ich mochte auch all denen danken, die auf andere Weise zum Gelin gen dieses Werkes beigetragen haben. Da ist der Springer-Verlag zu nennen, der meinen Dank verdient fiir sein groBes Interesse an meinem Manuskript und fiir die Sorgfalt bei der Herausgabe. Des weiteren habe ich der Firma Siemens - und dabei insbesondere Herm Dr.-Ing. D. Klugmann - zu danken. Die seit vielen lahren gemeinsam durchgefiihrten Pro jekte haben wesentlich zur Reifung der hier dargestellten Systemsicht beigetragen. AuBer dem wurden mir von dort der Bildschirmarbeitsplatz und die Software zur Erstellung der druckreifen Vorlagen zur Verfiigung gestellt. Diese VOrlagen wurden erstellt von unserer Sekretarin, Frau R. Speyer, und meinen beiden studentischen Helfem B. Reichle und A. Bun gert. Fiir ihre engagierte Arbeit und ihre Geduld in der Hektik der SchluBphase bin ich ihnen sehr dankbar. Kaiserslautem, im luli 1989 Siegfried Wendt Inhaltsverzeichnis Einfiihrung .. ...... . . . . . . . . . . . 1. Der Informationsbegriff und sein Umfeld ..... 5 1.1 Erkenntnistheoretische Betrachtungen .. . 5 1.1.1 Wahmehmung.. ....... . 5 1.1.2 Abstraktion und Identifikation . . . 10 1.1.3 Information in Menschen und Maschinen .... 16 1.2 Mengen1ehre . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.2.1 Mengen und Operationen mit Mengen . . . . 21 1.2.2 Relationen und Strukturen . . . . . . . . . . 26 1.2.3 Ordnungstypen und Kontinuumsdichte . . .. 41 1.3 Signale, Symbole und Sprachen . 45 1.3.1 Signale . 45 1.3.2 Symbole...... .. 47 1.3.3 Sprachen...... .. 60 1.3.3.1 Zweck der Sprache 60 1.3.3.2 Formale Sprachen . 67 1.3.3.3 Begriffswelt der Logik . . . . 83 1.3.3.4 Logische und andere Kalkiile 96 1.3.3.5 Imperative Sprachen . . 106 1.4 Quantitat der Information . . . . . . . . 120 2. Der Systembegriff und sein Umfeld . 134 2.1 Begriffliche Abgrenzung ... . 134 2.2 Verhaltensmodelle .......... . 136 2.2.1 Verhaltensklassifikation..... 136 2.2.2 Grundbegriffe der Verhaltensmodellierung ... 142 2.2.2.1 Determiniertheit, Kausalitat und Totalzustand . 142 2.2.2.2 Gedachtniszustand...... 156 2.2.3 Modelle fUr diskretes Verhalten .. 160 2.2.3.1 Die Rolle des Zeitkontinuums 160 2.2.3.2 Petrinetze. . . . . . . . . . 169 2.2.3.3 Das Automatenmodell .... 184 2.2.3.4 Algebraische Formulierung diskreter Funktionen 191 2.2.4 Spezielle KlassiIIkationskriterien . . . . . . . . . . 196 2.2.4.1 Steuerbarkeit, Beobachtbarkeit und Stabilitat .. . . . . 196 2.2.4.2 Zeitinvarianz und Linearitat .204 2.3 Aufbaumodelle. . . . . . . . . 213 2.3.1 Allgemeines Netzmodell 213 2.3.2 Instanzennetze 217 2.3.3 Strukturvarianz . . . . . 230 VIII Inhaltsverzeichnis 3. Informationelle Systeme und Prozesse 246 3.1 Kommunizierende Instanzen . . . . . . . 248 3.1.1 Der Kommunikationsbegriff 248 3.1.2 Strukturen in Kommunikationsprozessen und -systemen 258 3.1.2.1 Aufmerksamkeit und Transport ..... . 258 3.1.2.2 Kaniile und Teilnehmersysteme . . . . .. 262 3.1.2.3 Schichtung.......... . . 267 3.1.2.4 Wert-und Ereigniskommunikation 275 3.1.2.5 Dialogschritte........ . . 290 3.1.3 Systemautbau aus Zuordnem . .. . . 293 3.1.3.1 KlassifIkation des Verhaltenstyps ... 294 3.1.3.2 Automatenautbau .... 297 3.1.3.3 Das Steuerkreismodell .. 299 3.2 Programmierte Instanzen . . . . . . . 312 3.2.1 Der Programmbegriff . . . . . 312 3.2.1.1 Abwickler und Rollensystem . 312 3.2.1.2 Der Programmbegriff im engeren Sinne 317 3.2.1.3 Zeitrelevanz......... . . . 323 3.2.2 Voriiberlegungen zur Abwicklergestaltung 324 3.2.2.1 NebenIaufigkeit........ . . . 324 3.2.2.2 Rollenwechsel . .. . . . . . . . . 330 3.2.2.3 Abtrennung eines Peripheriesystems 335 3.2.2.4 Speicheradressierung..... 343 3.2.2.5 Stapelprinzip......... . . . 347 3.2.3 Funktionsumschreibung...... . . . 352 3.2.3.1 Direkte Umschreibung von Funktionen 352 3.2.3.2 Indirekte Umschreibung von Funktionen 360 3.2.3.3 ProzeBumschreibung..... . . 366 3.2.3.4 Ubersetzung und Rollenhuckepack ... 374 3.2.4 Abwicklertypen.......... . . . . . 380 3.2.4.1 Festlegung der Betrachtungsebene . . . 380 3.2.4.2 Abwickler flir prozedurale Programme . 384 3.2.4.3 Abwickler fUr funktionale Programme 393 3.2.4.3.1 Programmdarstellung im baumstrukturierten Speicher ........ 393 3.2.4.3.2 Arbeitsweise und Autbau des Abwicklers 403 3.2.4.3.3 ProzeBorientierung bei Funktionalabwicklung 413 3.2.4.4 Pradikatsauflosende Abwickler . . . . . . . . . . . 417 3.2.4.4.1 Prazisierung der Aufgabenstellung . . . . . . 417 3.2.4.4.2 Arbeitsweise und Autbau des Abwicklers . . . 427 3.2.4.5 Instanzennetzsimulierende Abwickler . . . . . . . . 444 3.2.4.5.1 Aufgaben flir zentrale Instanzen . . . . . . . 444 3.2.4.5.2 Strukturvarianz in Netzen auftragsverkoppelter Instanzen ...... 451 3.2.4.5.3 Abwicklermultiplex . 464 Literaturverzeichnis 478 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . 480 Einfiihrung Vor dem Besuch einer Oper schaut mancher noch einmal kurz in seinen Opemfiihrer. Dort findet er einerseits den Gang der Handlung skizziert, andererseits wird er dort aber auch auf bestimmte Zusammenhange zwischen Musik und Handlung hingewiesen, und er erflihrt et was fiber die VorsteIlungen, die den Komponisten bei der Schaffung seines Werkes leiteten. Aufgrund dieser Hinweise wird der Opernbesucher wissen, worauf er im Laufe des Abends besonders zu achten hat, und er wird sich dann beispielsweise freuen, wenn er im dritten Akt ein bestimmtes musikalisches Thema aus dem ersten Akt wiedererkennt. Der Inhalt des vorliegenden Buches hat zwar nichts mit einer Oper zu tun, aber der Leser soIlte die Analogie sehen: Jedes der folgenden drei Buchkapitel entspricht einem Akt der Oper, und dieser Einfiihrungstext entspricht dem Text im Opemfiihrer. Und gemii8 dieser Analogie gibt es tatsachlich etliche verbindende Themen, die dem Leser auffallen soIlten, damit er sich dann daruber freuen kann, wenn er sie in nachfolgenden Abschnitten wiederer kennt. Das Buch tragt den Titel ''Nichtphysikalische Grundlagen der Informationstechnik" mit dem Untertitel "Interpretierte Formalismen". Da nicht vorausgesetzt werden kann, daB jeder mann die darin vorkommenden Begriffe in gleicher Weise versteht, werden sie nun im ein zelnen kommentiert. Bild 1 soIl helfen, die Informationstechnik einzuordnen. Jede Technik ist gekennzeichnet durch die Bereitstellung bestimmter Produkte. Die Nfitzlichkeit dieser Produkte erweist sich in Prozessen, die von bestimmten oder allen Menschen als notwendig Produkt Erscheinung: Funktion: materiell-energetische Rolle des Produkts Struktur in einem ProzeB .J £> ProzeB, der dem Menschen dient materiell-energetisch: informationel1: z:B. essen, kleiden, z.B. unterhalten, wohnen, reisen belehren, warnen, berechnen, steuern ..J £7 Informationstechnik Ubertragungstechnik: Verarbeitungstechnik: Bild 1 z.B. Telefon, z.B. Computer in der Zur Charakterisierung der Fernsehen Bank, Robotersteuerung Informationstechnik oder wUnschenswert beurteilt werden. Jedes Produkt hat eine Erscheinung und eine Funk tion. Die Erscheinung ist immer eine materiell-energetische Struktur, die man ganz oder teil weise sehen oder anfassen kann. Die Funktion wird erfaBt, indem man die Rolle beschreibt, die das Produkt in einem ProzeB spielt, an welchem der Produktanwender oder -verbraucher 2 EinIlihrung mitwirkt. Diese Prozesse konnen in zwei Klassen eingeteilt werden nach dem Kriteriurn, ob der Nutzen des Prozesses fUr den Menschen materiell--energetischer oder informationeller Natur ist. Und im Falle des informationellen Nutzens kann man fragen, ob er primar auf der Informationstibertragung oder auf der Informationsverarbeitung beruht. Informationstechnische Produkte mit einem informationsverarbeitenden Anteil zeichnen sich gegentiber anderen technischen Produkten dadurch aus, daB man materiell--energetische Sachverhalte als Ausdruck informationeller Sachverhalte interpretiert. Die Verbindung zwi schen der Erscheinung und der Funktion solcher Produkte laBt sich also nur durch eine Inter pretation aufzeigen. Andere technische Produkte dagegen kann man erkHiren, ohne daB man tiber die Beschreibung materiell--energetischer Sachverhalte hinausgehen muS. So kann man beispielsweise einen Automotor oder einen Telefonhorer zufriedenstellend erklliren, indem man ausschlieSlich materiell--energetische Sachverhalte beschreibt. Beim Automotor ist dies darin begrtindet, daB ja auch sein Nutzen rein materiell--energetischer Natur ist, aber auch beim Telefonhorer, dessen Nutzen informationeller Natur ist, hangt das Funktionsverstiind nis nicht yom Ergebnis einer Interpretation abo Zwar flieSen dort zeitlich veranderliche Stro me, die den Sprachsignalen entsprechen, aber fUr den Konstrukteur des Telefonhorers gentigt die Annahme der Interpretierbarkeit, d.h. er braucht sich urn die tatsachliche Interpretation der Signale nicht zu ktimmem. Andernfalls ware es ja gar nicht moglich, per Telefon in einer Sprache zu kommunizieren, die der Konstrukteur des Telefonhorers nicht versteht. Bei der Konstruktion von Produkten zur Informationsverarbeitung muS jedoch schon der Konstrukteur die Interpretation bestimmter materiell--energetischer Sachverhalte festlegen, und ohne Kenntnis dieser Festlegungen kann man das Produkt nicht seinem Zweck entspre chend benutzen. Die jeweiligen Festlegungen, fUr die sich ein Konstrukteur entscheidet, las sen sich immer als Ergebnis zweier aufeinanderfolgender Entscheidungen beschreiben: Zuerst wird ein geeigneter Formalismus gesucht oder ausgewahlt, und anschlie8end wird dieser Formalismus als materiell--energetische Struktur realisiert. Als Beispiel eines einfa chen Formalismus sei die Darstellung nichtnegativer ganzer Zahlen als sogenannte Dualzah len genannt. Man gibt dabei zur Identifikation einer Zahl jeweils diejenigen Zweierpotenzen an, deren Summe die gemeinte Zahl ist. So ist mit der Null-Eins-Folge 11001 die Zahl fUnf undzwanzig gemeint, wei124 + 23 + 2° = 25 ist. Als materiell--energetische Struktur zur Dar stellung einer solchen Dualzahl kann man beispielsweise eine Reihe von Gltihlampen vorse hen, wobei jede leuchtende Lampe als 1 und jede dunkle Lampe als 0 gedeutet werden solI. Man konnte aber auch einen Papierstreifen mit einer Reihe abgegrenzter Feldervorsehen, wo man jedes ge10chte Feld als 1 und jedes ungelochte Feld als 0 deutet. Wegen der schier unendlichen Vielfalt an Moglichkeiten, einen Formalismus als mate riell--energetische Struktur zu realisieren, ist es zweckmaBig, die Problemkreise getrennt zu betrachten. Wenn man sich ftir die Realisierung von Formalismen als materiell--energetische Strukturen interessiert, muG man sich mit der Nutzung physikalischer Effekte befassen - ak tuell also mit Halbleitertechnik, Lasertechnik, Glasfasertechnik, Magnetspeichertechnik usw .. Wenn man sich dagegen fUr die Formalismen an sich interessiert, dann braucht man sich urn die Frage nach den materiell--energetischen Strukturen, die aufgrund der aktuellen technologischen Moglichkeiten fUr eine Produktgestaltung in Frage kommen, nicht zu ktim- Einfiihrung 3 mern. In diesem Fall genfigt es zu wissen, daB man jedes einzelne Element eines Formalis mus bei jeder beliebigen Realisierung unmittelbar als Element der materiell-energetischen Struktur wiederfmdet - so wie man die Einsen und Nullen des Dualzahlenformalismus als Gliihbirnen oder als Felder fur Locher wiederfinden kann. Die Konzentmtion des Interesses auf die Formalismen an sich kennzeichnet das vorliegende Buch, und deshalb kam die Nega tion nichtphysikalisch in den Titel. Ffir eine entsprechende positive Abgrenzung fehlt ein geeignetes Wort. Wenn der Stoff eines Buches zu den Grundlagen einer Technik gerechnet werden solI, dann dfirfen die darin vermittelten Erkenntnisse nicht produktspezifisch sein, sondern sie mfissen als Voraussetzung fur jegliches konstruktive Handeln in dieser Technik gelten kon nen. Der Leser wird also aus diesem Buch nicht erfahren, was X25, Ethernet, M68030 oder ADA ist, aber auf der Basis der vermittelten Einsichten sol1te es ihm moglich sein, so1che und andere informationstechnischen Produkte, wenn sie ihm anderswo erkHirt werden, zu verste hen und in sein Gesamtbild der lnformationstechnik einzuordnen. So wie ein Physikbuch Erkenntnisse fiber Strukturen in der materiell-energetischen Welt vermittelt, so solI das vorliegende Buch Erkenntnisse fiber Strukturen in der informationellen Welt vermitteln. Die Gewinnung physikalischer Erkenntnisse ist immer mit der Frage ver bunden: Wie messe ich? Man denke an Albert Einstein, der die spezielle Relativitlitstheorie fand, indem er fragte: Wie messe ich Zeit und Lange? Die Gewinnung von Erkenntnissen fiber die informationelle Welt ist mit der Frage verbunden: Wie denke und kommuniziere ich? Damit ist nicht die Frage nach den physikalischen, d.h. biochemischen Vorgangen ge meint, mit denen mein Denken verbunden ist, sondern es ist die Frage gemeint: We1che Strukturen finde ich beim Nachdenken fiber mein Denken? Uber jegliche Gewinnung menschlicher Erkenntnis kann man den vielzitierten Satz des Prothagoras (480-410 v.Chr.) setzen: Der Mensch ist das Mafl aller Dinge. Aufbeide Arten der hier gegeneinander abzugrenzenden Erkenntnisse paBt dieser Satz - womit allerdings nicht gesagt sein solI, daB der Vrheber des Satzes diesen genau in diesem Sinne gemeint hat. Im Falle des Messens zur Gewinnung physikalischer Erkenntnisse bilden die "MaBe" des Menschen, also seine KorpergroBe, seine Muskelkraft und der Zeitabstand zweier Herzschla ge die BezugsgroBen fur die Wahl der elementaren MaBeinheiten Meter, Kilogmmm und Se kunde. Vnd alles, was von diesen MaBen extrem abweicht - wie Lichtj ahre oder Picosekun den -liegt auBerhalb der menschlichen Anschauung und kann von ihm nur noch formal mit Zehnerpotenzen - 1016 m oder 10-12 sec - erfaBt werden. Mehr noch als in der Physik ist der Mensch das MaB aller Dinge, wenn es urn Erkenntnisse fiber informationelle Strukturen, also urn Erkenntnisse fiber das Kommunizieren und das 10- gische SchlieBen geht. Denn da gibt es keine Trennung mehr zwischen dem Beobachter und dem Beobachteten. Deshalb ist jede Erkenntnis auf diesem Gebiet primar eine sehr subjekti ve Erkenntnis, und man kann ihr nur dann eine gewisse Objektivitiit zusprechen, wenn die dargestellten Gedankenketten von genfigend vielen kritischen Geistern nachvollzogen wur den und akzeptiert werden konnten. Daran erkennt man, daB es sich urn philosophische Er kenntnisse handelt, denn deren Kennzeichen ist es, daB man sie nicht durch Nachschauen, Nachmessen oder Nachrechnen, sondern nur durch Nach - Denken fiberpriifen kann. Dieses