Birkmayer/Riederer Neuro transmitter und menschliches Verhalten Springer-Verlag Wien New York Prof. Dr. Walther Birkmayer Konsulent des Evangelischen Krankenhauses, Wien Prof. Dr. Peter Riederer Leiter der Arbeitsgruppe Neurochemie, Ludwig Boltzmann Institut für Klinische Neurobiologie, Wien Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 1986 by Springer-Verlag/Wien Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften Mit 14 Abbildungen Umschlagbild: Abstrakte Darstellung der Gehirnfunktion. Die einzelnen Bahnen stellen die Funktion bestimmter Überträgersubstanzen (Neurotransmitter) dar. Kreuzungspunkte symbolisieren die gegenseitige Beeinflussung. Die chemische Balance des Gehirns spiegelt sich in der geistigen Harmonie (und vice versal wider (Entwurf: Dr. Paul Kruzik, Wien; Reinzeichnung: Wolfgang Rieder, Wien) CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Birkmayer, Walther: Neurotransmitter und menschliches Verhalten / W. Birkmayer; P. Riederer. - Wien; New York: Springer, 1986. ISNB13: 978-3-211-81923-4 NE: Riederer, Peter: ISNB13: 978-3-211-81923-4 e-ISBN-13: 978-3-7091-8858-3 DOI: 10.1007/978-3-7091-8858-3 Wir widmen dieses Buch unseren Frauen Anny Birkmayer (Besler) und Inge Riederer (Winkelmayer) als Dank für ihre jahrelange Mitarbeit und Anteilnahme an unserer Arbeit Geleitwort Professor Walther Birkmayer, einer der Mitentdecker der neurochemischen Ursachen und der Substitutionstherapie des fehlenden Transmitters bei der Parkinson-Krankheit, und Professor Peter Riederer haben in dem vorliegenden Werk erfolgreich versucht, das derzeitige Wissen um die Bioche mie, die synaptische Übertragung zwischen Neuronen, zu deren Erforschung beide Autoren wesentlich beigetragen haben, zusammenfassend darzustellen und mit den Ergeb nissen der Verhaltensforschung in Beziehung zu setzen. Unter menschlicher Verhaltenskunde oder Human-Etho logie verstehen wir jenes Wissen um menschliches Verhal ten, das mit den Methoden der von K. Lorenz, K. Tinber gen und K. von Frisch, die dafür mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet wurden, begründeten Verhaltens forschung erarbeitet wurde. Diese Methoden wurden dann vor allem im Normalbereich von 1. von Eibl-Eibesfeldt und im pathologischen Bereich von D. von Ploog angewendet und haben entscheidend zum Verständnis biologisch determi nierten Verhaltens beigetragen. Ausgehend von diesen Beobachtungen wurden vor allem das Befinden und seine Störungen, wie sie für den Menschen typisch sind und nur von diesem dank der Sprache auch genau beschrieben wer den können, berücksichtigt. Ein wichtiges Kapitel betrifft daher den Morbus Parkinson, die Depression, das vegetative Nervensystem und seine Beziehung zum affektiv-emotionalen Geschehen, und damit behandeln die Autoren in vorzüglicher Weise die engeren Probleme, die sich aus der modernen psychosomatischen oder ganzheitlichen Betrachtungsweise verschiedener Krankheiten ergeben. In enger Beziehung dazu stehen VIII Geleitwort Schmerz und Schlaf In den Kapiteln über neurotische Ent wicklungen und Persönlichkeitsstörungen machen die Auto ren aber klar, daß die neurobiologische Betrachtungsweise eine Voraussetzung ftir das Verständnis des gesunden und kranken Seelenlebens unter Berücksichtigung psychosozialer Aspekte ist. Gerade in diesen Kapiteln macht das Buch sehr deutlich, daß beide Betrachtungsweisen nötig sind, wenn man den genannten Phänomenen auf den Grund gehen will, wobei aber die neurobiologische Forschung gegenüber der psycho sozialen Forschung den Vorteil hat, daß sie sich auf eine bestimmte Wissenschaftstheorie stützt, nämlich die Erkennt nistheorie des Positivismus oder, moderner, auf die des kriti schen Rationalismus im Sinne von K. R. Popper. Die psycho sozialen Wissenschaften leiden demgegenüber an dem Man gel einer einheitlichen Wissenschaftstheorie oder Erkennt nistheorie, da sich die genannten Formen auf ihre Disziplin nicht anwenden lassen, ohne diese teilweise in Frage zu stel len. Dieses von großem Wissen und Forschergeist getragene Buch, das in einer sehr klaren und knappen Form wichtige Forschungsergebnisse nicht nur darzustellen, sondern auch synthetisch zusammenzuftigen vermag, zeigt einmal mehr, wie dringend und notwendig die psychosozialen Wissen schaften einer adäquaten vergleichenden grundlegenden Wissenschafts- und Erkenntnistheorie bedürfen, um diesem grundlegenden Buch auf psychosozialer Seite ein ähnliches entgegensetzen zu können. Vielleicht kann uns hier die evo lutionäre Erkenntnistheorie, die in diesem wichtigen Werk deutliche Spuren hinterlassen hat, weiterhelfen. Prof Dr. W Pöldinger Ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Basel Vorwort Das vorliegende Buch ist das komprimierte Ergebnis einer mehr als 40 Jahre dauernden Periode klinischer Beobachtun gen, therapeutischer Bemühungen und hypothetischer Schlußfolgerungen. Seine Absicht ist, den Menschen in sich und in seiner Umwelt als Ganzes zu erfassen. Am Beginn stand die Tätigkeit Prof. Dr. W. Birkmayers im Wiener Hirn verletzten-Lazarett (1942-1945). Diese Phase brachte weni ger neue Erkenntnisse über Defekte der Hirnrinde als neue Beobachtungen im Instinktbereich des Hirnstammes. Diese Beobachtungen, die in einer Monographie ausführlich beschrieben wurden, führten zu der Erkenntnis, daß ein Defekt nicht immer Minussymptome verursachen muß, son dern daß Läsionen die Balance verschiedener Wirkstoffe stö ren, wodurch Plus- oder Minussymptome ausgelöst werden können. In Übereinstimmung damit konnte bei zahlreichen Patienten mit Hirnstammverletzungen durch Belastungs tests (z. B. Adrenalin bzw. Insulin, angeregt durch Prof. K. Eppinger und Prof. Dr. F. Hoff) gezeigt werden, daß verschie dene zum Teil paradoxe Reaktionsmuster ausgelöst wurden. Wir bezeichneten diese Fehlreaktion als "vegetative Ataxie" und meinten, daß fehlende Feedbackregulationen für solche Koordinationsstörungen im vegetativen Bereich verantwort lich seien. Vom klinischen Gesichtspunkt war es nahelie gend, verschiedene Defektsymptome wie Alkoholunverträg lichkeit, vorzeitiges Nachlassen der geistigen Leistungen, verstärkte Wetterempfindlichkeit, depressive Entgleisungen und emotionale Entladungen (Raptus) oder apathische Reak tionen (Totstellreflex) anzuschuldigen, d. h. die Pathologie unseres gesamten Verhaltens auf die Schwere der Hirn stammverletzung zurückzuführen. x Vorwort Was fehlte, war ein objektiver Beweis. Die Entdeckung der biogenen Amine und ihrer Synthese, an der Forscher wie P. Holtz, H. Blaschko und Marthe Vogt so maßgeblich beteiligt waren, eröffnete den experimentellen Zugang zur Korrela tion von "Verhaltensmustern" und der Funktion dieser Über trägerstoffe. Brodie konnte zeigen, daß Reserpin eine Entlee rung der Nervenzellen an bestimmten Transmittern bewirkt. Klinisch wurde dieser pharmakologisch ausgelöste Effekt mit Blutdruckabfall und psychischen Veränderungen (Depressio nen) verknüpft. Der entscheidende Durchbruch für die Veri fizierung der Hypothese, daß Neurotransmitter das Verhalten von Tier und Mensch steuern, gelang A. Carlsson. Er und seine Mitarbeiter entdeckten im Tierversuch den Zusam menhang von Dopaminentleerung und motorischem Defizit. Dieser Defekt wurde durch die Verabreichung von L-Dopa aufgehoben. Damit war ein spezifischer Effekt, der durch einen spezifischen chemischen Stoff (Reserpin) ausgelöst und durch eine spezifische chemische Substanz - nämlich L-Dopa - rekompensiert werden konnte, aufgezeigt. Dieser Tierversuch wird als eine Sternstunde der Neurologie ange sehen. Ein echter Quantensprung in der Naturwissenschaft ent steht dann, wenn ein klinisches Beobachtungskontingent durch pathologisch-anatomische oder biochemische Befunde bestätigt werden kann. Wir haben dieses Phänomen als "evo lutionär-kognitive Koinzidenz" bezeichnet. Was in verständ lichem Deutsch nichts anderes besagt, als daß nur eine Zusammenarbeit von Grundlagenforschung und klinischer Beobachtung zu Fortschritten in der Naturwissenschaft führt. Eine solche Koinzidenz entstand 1971, als der Chemi ker Dr. P. Riederer in das Ludwig Boltzmann-Institut für Neurochemie eintrat. Die in diesem Buche dargelegten Resultate sind Ergebnisse dieser so erfolgreichen Koopera tion. Sie sind natürlich keinesfalls Endprodukte, sondern Zwischenstufen, die jedoch jedenfalls therapeutische Hand lungen ermöglichen. Wir sind uns dessen bewußt, daß viele Vorwort XI Überträgersubstanzen noch nicht endeckt worden sind und daß es der gegenwärtige Wissensstand nicht erlaubt, die Beziehungen der meisten Neuronensysteme zueinander exakt zu erfassen bzw. zu beurteilen. Das Buch erfaßt somit nur vereinzelte Module, deren integrales Verhalten erst durch zukünftige Forschung einer exakt wissenschaftlichen Zusammenschau zugänglich sein werden. Es ist daher unser primäres Anliegen, eine Arbeitshypothese zu formulieren, die auf der Basis der evolutionären Erkenntnistheorie beruht und Stimulus für weitere Forschung sein soll. Chemisch und klinisch erfaßbare Parameter können jetzt weitgehend zur Kenntnis gebracht und durch gezielte Maß nahmen rekompensiert werden, d. h. die Wiederherstellung der Balance der Neurotransmitter ist das Ziel einer spezifi schen Therapie und die Voraussetzung des humanen Verhal tens. S. Freud hat im ersten Weltkrieg schon vorausgesagt, daß "die Biochemie Stoffe entdecken wird, die unsere Hypothe sen bestätigen oder widerlegen werden". Die Biochemie hat nicht die Aufgabe, psychoanalytische Hypothesen zu widerlegen - so ist z. B. der Ödipuskomplex biochemisch weder zu widerlegen noch zu bestätigen. Man kann nur erkennen, daß das ödipale Verhalten eines Men schen entweder zu einer Freisetzung aktivierender N euro transmitter - z. B. Noradrenalin - mit Aggression, Antriebs steigerung, Steigerung der kulturellen, geistigen und finan ziellen Kapazität führt, oder daß der ödipale Auslöser zu einer Resignation des Sohnes mit einem emotionalen Totstellre flex und mit Überwiegen parasympathischer Aktivität - z. B. Serotonin - führt. Dieses ausführliche Vorwort soll den Leser in eine Proble matik einführen, deren Kenntnis und Erkenntnis zu einem besseren Verständnis des eigenen Verhaltens und des der Mitmenschen beitragen. Wien, im Juli 1986 W. Birkmayer und P. Riederer Danksagung An dieser Stelle möchten wir Herrn Dipl.-Ing. Dr. P. Kruzik für die Mitwirkung bei der Ausarbeitung von graphischen Darstellungen sehr herzlich danken. Dem Springer-Verlag Wien danken wir für die hervorragende Ausstattung des Buches, Frau Dr. E. Handerek und Frau I. Riederer für die sorgfaltige Herstellung des Manuskriptes.